Talia
Chris wischt einige unsichtbare Krümel von der Granitarbeitsfläche in der stylischen Küche. »Bitte entschuldigt das Chaos, meine Lieben«, sagt er, während er einen prachtvollen Blumenstrauß in einer Kristallvase neu arrangiert.
»Ihr Haus ist ganz bezaubernd«, antworte ich mit voller Überzeugung. »Wie ein Museum.« Er lebt in einer ehemaligen Walfangstation aus dem Jahr 1868. Die weißen Ziegelmauern verschwinden hinter üppigen rosafarbenen Kletterrosen, die sich um die Fenster ranken und die Zimmer in ein behaglich-romantisches Licht tauchen.
»Danke, sehr freundlich von dir.« Chris rückt seine schmetterlingsförmige Brille zurecht. »Ich habe gerade ein kleines Teekränzchen für ein paar Queens veranstaltet. Unser Freund Larry ist aus dem Krankenhaus entlassen worden, und wir wollten ihn gebührend empfangen.«
Ein paar Queens? Sahen die alle aus, als würden sie im Buckingham Palace leben? Chris weist eine bemerkenswerte Ähnlichkeit mit Queen Elisabeth auf, bis hin zu den weißen Handschuhen.
Eine ganze Reihe von klassischen Ölgemälden, größtenteils Ansichten vom australischen Busch und maritime Motive, ziert die cremeweißen Wohnzimmerwände. Entlang der Wände stehen mehrere Beistelltische aus hochwertigem Hartholz, auf denen Skulpturen attraktiver nackter Männer ausgestellt sind. Das Ganze hat etwas von Omas guter Stube, allerdings garniert mit einer bunten Mischung wilder Highlights.
»Wie wär’s mit einer Tasse Lady Grey?« Onkel Chris eilt geschäftig durchs Wohnzimmer und schüttelt Sofakissen auf. »Oder möchtet ihr lieber etwas Stärkeres? Ein Glas Riesling vielleicht?«
»Tee klingt wunderbar«, erwidere ich und nehme auf einer dick gepolsterten weißen Couch Platz, die mit Zierkissen übersät ist, die aussehen, als wären sie aus dunkelblauen Kimonos genäht worden. Bran ignoriere ich.
Ich weiß nicht mal, was mich am meisten ärgert. Jedes Mal, wenn wir einen Schritt vorankommen, stößt er mich gleich wieder weg. Ich kapiere das einfach nicht. Im Moment spüre ich nämlich immer noch dieses dumpfe Ziehen zwischen den Beinen, das mich daran erinnert, was letzte Nacht zwischen uns gelaufen ist. Und zwar mehr als einmal.
Was wir hatten, war nicht bloß Sex. Ich bin zwar keine Expertin, aber normal war das ganz sicher nicht. Wir haben uns nicht einfach nur berührt, wir haben uns regelrecht aneinander festgekrallt, um uns so nah wie nur irgend möglich zu sein. Für einen Augenblick haben wir genau das auch geschafft.
Und jetzt hat er wieder eine Mauer zwischen uns errichtet.
Verdammt noch mal.
»Schätzchen?« Onkel Chris mustert mich besorgt.
Das habe ich doch wohl nicht etwa laut ausgesprochen, oder?
»Dein Tee, Schätzchen.« Er reicht mir eine hauchzarte Porzellantasse. »Und ein Bier für meinen Lieblingsneffen.«
»Deinen einzigen Neffen.«
»Ts, ts, wenn dir schon mal jemand ein Kompliment macht, dann nimm es auch an, mein Junge.« Onkel Chris lässt sich auf einem Diwan nieder, wobei er sittsam die Knöchel verschränkt. Seine Füße stecken in cremeweißen Pumps. »Nun, Talia, wie ich sehe, ist Bran völlig in dich vernarrt.«
»Ach, tatsächlich?«
Bran nimmt einen tiefen Schluck von seinem Bier. Ich habe meinen Tonfall bewusst so gewählt, dass meine Frage in den Ohren von Onkel Chris freundlich und aufrichtig klingt, während Bran der frostige Unterton kaum entgangen sein dürfte.
Die nächste halbe Stunde plaudern wir über dies und das. Onkel Chris ist ein echter Schatz. Tagsüber arbeitet er beim Straßenverkehrsamt, nachts dagegen schreibt er unter dem Pseudonym Veronica Lane beschauliche Krimis.
»Die Dragqueen-Version von Agatha Christie«, kommentiert Chris und tupft sich die Lippen mit einem Stofftaschentuch mit Spitzenrand ab. Es ist offensichtlich, wie sehr er Bran vergöttert. Als er ihn in ein Gespräch über seine Studienpläne verwickelt, kommen einige Informationen zutage, die ich zum ersten Mal höre. Zum Beispiel, dass Bran davon träumt, in die Antarktis zu reisen. Oder dass er bereits im Grundstudium Co-Autor eines Aufsatzes für ein namhaftes Wissenschaftsmagazin war. Oder dass Chris und Brans Vater nicht mehr miteinander reden.
»Schnee von gestern.« Chris schnippt einen unsichtbaren Fussel von seinem makellosen Rock. »Er hält nichts von meinem Lebenswandel.«
»Dad ist auch ein Drecksack«, bemerkt Bran und prostet mir zu.
»Schluss damit, Bran«, tadelt Chris. »Du weißt nicht, wie es bei uns zu Hause war. Dein Großvater, der war ein Drecksack, und zwar vom Feinsten. Er hat mich fallen lassen wie eine heiße Kartoffel. All seine Hoffnungen lagen danach auf deinem Vater. Er musste Fußball und Cricket spielen, ob er wollte oder nicht, und er musste Geschäftsmann werden, ob er wollte oder nicht. Er musste gleichzeitig die Rolle des Erst- und Zweitgeborenen übernehmen. Wegen mir trug dein Vater schon früh eine Last auf den Schultern, die für einen Jungen allein kaum zu stemmen war.«
Bran schnaubt bloß.
Chris seufzt schicksalsergeben. »Manchmal leide ich sehr unter der mangelnden Kommunikation zwischen mir und meinem Bruder. Aber seine Familie kann man sich nun mal nicht aussuchen.«
»Wohl wahr«, brummt Bran, während er am Etikett seiner Bierflasche knibbelt.
Onkel Chris wirft erst Bran ein strahlendes Lächeln zu, dann mir. Die Tatsache, dass wir einen halben Meter auseinander sitzen, ignoriert er einfach. Ich dagegen habe diesen Abstand sehr bewusst gewählt, als ich mich hingesetzt habe. Und ich hoffe, dass Bran das merkt und dass es ihm etwas ausmacht.
Unser Zimmer ist genau so eingerichtet wie der Rest des Hauses – Stil durchgeknallte Oma. Auf dem eleganten Messingbett liegt eine Tagesdecke mit Zebramuster, und die Rosenholzkommode ziert eine sechzig Zentimeter große Kopie von Michelangelos David. Durchs Schlafzimmerfenster kann ich eine Gruppe von Kindern beim Segelunterricht beobachten. Die winzigen Bötchen drängen sich zu einem dichten Knäuel zusammen, während sich die Nachwuchskapitäne nach Kräften bemühen, auf Kurs zu bleiben. Einfach davonzusegeln klingt gerade ausgesprochen verlockend. Hinter mir lässt sich Bran mit einem lang gezogenen Seufzer aufs Bett fallen. Ich hasse es, Problemgespräche zu führen, und zwar aus tiefstem Herzen.
»Du hättest es mir sagen müssen.«
»Was sagen?«, nuschelt er, den Unterarm über die Augen gelegt.
»Das mit Chris? Eine kleine Vorwarnung wäre bestimmt hilfreich gewesen.«
»Ich habe dir doch von ihm erzählt, oder nicht?«
»Es wäre trotzdem nett gewesen, wenn du erwähnt hättest, dass er gerne Frauenkleider trägt.«
»Weil das ein Problem für dich ist?«
Wut steigt in mir auf. »Nein, natürlich nicht. Was mich stört, ist, dass du es mir verschwiegen hast. Du hast mich praktisch angelogen.«
»Das kann man ja wohl kaum als Lüge bezeichnen.«
»Was sollte das dann? Hast du mich deswegen auflaufen lassen, weil du ein fieses kleines Psychospielchen mit mir spielen wolltest, um zu sehen, ob ich insgeheim eine verklemmte Heuchlerin bin? Bin ich übrigens nicht. Eine Heuchlerin, meine ich. Verklemmt oder nicht. Und das wüsstest du auch, wenn du dir nur mal zwei Sekunden Zeit genommen hättest, um mit mir darüber zu reden.«
»Es war ein Scherz, nichts weiter. Ich wollte bloß deine ungefilterte Reaktion sehen. Ich hatte keine Ahnung, dass du deswegen so wütend werden würdest.«
»Ich bin sauer. Und verletzt. Und verärgert.«
»Fällt das nicht alles in die Kategorie ›wütend‹?«
»Vielleicht für einen Höhlenmenschen, der bloß die grundlegendsten Gefühle kennt. Ich glücklich. Ich traurig. Ich hungrig.«
Er lacht.
»Das sollte kein Witz sein.«
»Du bist süß.«
»Das ist aber gerade ganz und gar nicht meine Absicht.« Ich lasse nicht zu, dass er das hier einfach so übergeht. Oder mich.
»Komm her zu mir.«
»Vergiss es.« Ich stemme die Hände in die Hüften. »Für mich ist das kein Spiel. Es geht mir hier um Ehrlichkeit. Wenn ich versuche, jemandem gegenüber so offen und ehrlich wie nur möglich zu sein, erwarte ich, dass er sich mir gegenüber genauso verhält. Das ist doch wohl nicht zu viel verlangt.«
Sein Lächeln schwindet.
Ich brauche frische Luft – und etwas Zeit für mich. Ich durchwühle meine Tasche nach alten Leggings und fange an, mich umzuziehen. »Ich gehe raus.«
»Wohin?«
»Joggen.« Ich schlüpfe in meine Laufschuhe und binde die Schnürsenkel. »Um meine Gedanken zu sortieren.«
»Es tut mir leid, okay? Komm schon, Talia.«
»Ich bin hier, Bran. Vielleicht solltest du dir mal überlegen, wo du gerne sein möchtest.«
Ich stürme zur Tür hinaus, die Treppe hinab und raus in das Labyrinth aus zweihundert Jahre alten Straßen, aus denen Battery Point besteht. Ich zähle meine Schritte, immer genau bis Hundert, bevor ich wieder von vorne anfange, und mit der Zeit bekomme ich mich ein wenig unter Kontrolle. Einige Meter weiter erhellt ein Pub die nur schwach beleuchtete Straßenecke. Perfekt; in meinem Sport-BH steckt ein Zwanzig-Dollar-Schein. Dass ich joggen gegangen bin, hat nicht in erster Linie sportliche Gründe. Mein eigentlicher Plan war es, mich irgendwo mit finsterer Miene an einen Tresen zu hocken und mir einen Drink zu genehmigen. Ich trete durch die niedrige Tür. Sämtliche Köpfe drehen sich nach mir um. Am Tresen lungert eine Gruppe von Typen in grasfleckigen Rugby-Trikots herum. Sie recken die Köpfe wie Geparde, die eine saftige Beute wittern. Da ich nicht in der Stimmung bin, für sie die Gazelle zu spielen, mache ich auf dem Absatz kehrt.
Ich trabe an putzigen kleinen Häuschen vorbei, die allesamt aus einem Märchen zu kommen scheinen … und dann ist plötzlich die Straße zu Ende. Verdammt. Es gibt jedoch eine Treppe. KELLY STEPS steht da, eingemeißelt in eine verwitterte Sandsteintafel. Das ist ja fast zu schön, um wahr zu sein; beinahe wie der Raum der Wünsche bei Harry Potter – taucht diese Treppe etwa immer genau dann auf, wenn jemand dringend einen Ausweg braucht?
Ich renne die Stufen hinab und finde mich in einer schmalen Gasse mit Kopfsteinpflaster wieder. Segelmasten ragen aus der Bucht am Ende des Gässchens in den Himmel, und im Wasser spiegeln sich die Lichter der unzähligen schicken Restaurants und Cafés, die das Ufer säumen. Ein weiterer Pub ist auch dabei; er sieht alt aus, als stamme er noch aus der Gründungszeit von Hobart. Das hölzerne Ladenschild knarzt im Wind. KNOPWOODS. Ein anheimelnder Name. Hier würden sich wahrscheinlich auch Frosch und Kröte aus dem Kinderbuch auf ein Bier treffen – wenn einer von ihnen wütend auf seinen Freund wäre.
Mein Freund. Ist Bran das überhaupt? So richtig haben wir darüber bis heute nicht gesprochen. Außerdem reise ich in weniger als einem Monat schon wieder ab. Ich habe also wirklich keine Ahnung, als was ich ihn eigentlich bezeichnen soll. Als meinen Liebhaber? Puh, ich bin doch keine alternde Bankiersgattin. Meinen Kumpel? Ganz bestimmt nicht – er ist viel mehr als das. Und Fickfreund ist nicht unbedingt gesellschaftstauglich. Also, was ist er dann?
Ich trete ein und strebe auf den Tresen zu.
»Was darf’s sein, Schätzchen?«
Eine forsche Mittvierzigerin sieht erwartungsvoll von den Zapfhähnen auf.
Beim Klang ihrer Stimme zucke ich zusammen. »Äh, einen Cider, bitte.« Apfelwein – genau der richtige Abschluss für meinen Ausflug in den historischen Stadtkern.
Sie stellt das Glas vor mir ab, und ich schiebe mich auf einen Barhocker. Es ist ruhig hier drin, der ideale Ort, um düster vor mich hinzubrüten.
»Kleine Erfrischung nach dem Sport?«
Stilles Brüten wird hier offenbar nicht toleriert. Ich werfe dem Labersack einen Blick zu, um ihm – freundlich, aber bestimmt – mitzuteilen, dass er sich vom Acker machen soll, doch dann stelle ich fest, dass er aussieht wie mein Großvater. Oder eher: wie der Großvater, den ich gerne gehabt hätte. Der Vater meiner Mom war Republikaner und glühender Reagan-Verehrer mit einem zwar strubbeligen, aber akkuraten Haarschnitt und einer gewissen sportlichen Eleganz – lässig, aber mit sorgfältig gezogener Bügelfalte. Der Typ neben mir sieht aus wie der gute alte Weihnachtsmann beim Feierabendbier. Sogar die Pfeife, die unangezündet neben ihm liegt, passt ins Bild. Ich könnte schwören, dass seine Augen im Licht der Bar funkeln.
Ich sehe an meinen verschwitzten Sportsachen herab und zucke mit den Schultern.
»Darauf trinke ich.« Er hebt sein Glas zum Toast. »Das ist die einzige Form von Bewegung, zu der ich momentan noch komme. Wenn man mal von Tippen-bis-die-Finger-bluten absieht.«
»Sind Sie Schriftsteller?«
»Historiker.«
Augenblicklich hebt sich meine Stimmung: eine verwandte Seele! »Hey, das ist mein Hauptfach.«
»Ah, Sie sind Studentin?« Er mustert mich mit wachsendem Interesse.
»Na ja, ich versuche gerade, meinen Bachelor zu machen.«
»Und das bereitet Ihnen Schwierigkeiten?«
»Im Moment ja, ich glaube schon.« Ich drehe das Glas zwischen meinen Händen.
»Auf Reisen?«
»Wie bitte?«
Er zieht sein Jackett zurecht. »Sind Sie auf Reisen? Ihrem Akzent nach wage ich zu vermuten, dass Sie sich ein ganzes Stück fernab der Heimat befinden.«
»Ich komme aus Kalifornien.«
»Das Land des blauen Himmels und warmen Wassers.«
»Das gilt für Südkalifornien. Wo ich herkomme, gibt’s nur Nebel und Redwoods.«
Er lächelt milde. »Dann sind Sie ja ein wahres Glückskind, was?«
»So weit würde ich nun nicht gerade gehen.« Ich nehme einen tiefen Schluck.
»Wie kommt es, dass eine aufgeweckte junge Amerikanerin wie Sie ganz allein in einer Kneipe in Hobart, Tasmanien, sitzt?«
Aus dem Mund eines anderen Mannes hätte das jetzt vielleicht gruselig geklungen. Aber dieser Kerl – Phillip Conway, wie ich bald darauf erfahre – strahlt nichts als Güte aus, gemischt mit dieser erstaunten Neugier, wie sie typisch für Leute ist, die zu viel Zeit allein mit staubigen Büchern und ihrem eigenen bemerkenswerten Gehirn verbringen. Nach einem weiteren Cider erfahre ich, dass er so sehr Tasmanier ist, wie man es nur sein kann. Sein Ururgroßvater wurde vor fast zweihundert Jahren zu lebenslanger Haft verurteilt und als Strafgefangener hierher verschifft, weil er ein Schaf gestohlen hatte. Ich frage ihn über die Kolonialgeschichte aus, und wenig später stecken wir mitten in einer angeregten Unterhaltung über das Leben der Strafgefangenen, das Leid der tasmanischen Ureinwohner, die von den britischen Siedlern nur so dahingemetzelt wurden, und den Wandel, den die Insel im Laufe der Zeit durchgemacht hat.
Ich werfe einen Blick auf meine Uhr und stelle fest, dass ich das Abendessen verpasst habe. Ich frage mich, welche Erklärung Bran wohl für meine Abwesenheit gefunden hat. Bei Chris mache ich mich mit meinem Verhalten vermutlich nicht sonderlich beliebt. Aber es ist gerade so gemütlich, hier auf meinem Platz in der Ecke zu sitzen und zuzuhören, wie Phillip eine Anekdote nach der anderen zum Besten gibt.
»Sie sind ein ausgezeichneter Lehrer«, bemerke ich.
»Oh.« Phillip gluckst amüsiert. »Das will ich doch hoffen. Damit bezahle ich schließlich meine Rechnungen.«
»Echt wahr?«
»Ich bin Geschichtsprofessor an der University of Tasmania.«
»Dr. Conway …«
»Bitte nennen Sie mich Phillip. Ich verabscheue dieses ganze Titelwesen.«
»Verzeihung – Phillip. Halte ich Sie irgendwie auf – müssen Sie nicht nach Hause?«
»Meine Frau ist letztes Jahr gestorben. Krebs.«
»Oh Gott, das tut mir leid …«
»Nun ja, dadurch habe ich gelernt, dass der Tod manchmal auch eine Erlösung sein kann. Ich habe noch eine Tochter. Sie ist Lehrerin, oben in Northern Territory. Ist eine ziemliche Herausforderung; die Ortschaften sind klein und liegen meilenweit auseinander.«
»Sie muss ein ganz besonderer Mensch sein.«
»Allerdings. Sie erinnern mich an sie.«
»Wenn Sie nichts dagegen haben, darf ich Sie um einen Rat fragen? Wissen Sie, ich suche nach einem Thema für meine Abschlussarbeit, irgendein Forschungsprojekt. Nicht so umfangreich wie eine Doktorarbeit, aber doch etwas Grundlegendes. Ich habe nicht die leiseste Ahnung, womit ich mich befassen könnte.«
»Nur zu. Fangen wir mit der wichtigsten Frage an.«
»Okay, und die lautet …«
»Wofür interessieren Sie sich? Welche Themen packen Sie und lassen Sie nicht mehr los? Was bereitet Ihnen Freude?«
Eine Stunde später sind Phillip Conway und ich meine weit gefächerten Interessengebiete durchgegangen und haben eine erste Richtung gefunden. Zwar noch grob, aber sehr viel spezifischer als alles, was mir bisher eingefallen ist: Oral History. Das Erfassen von Zeitzeugenberichten. In meinem Fall: von weiblichen Zeitzeugen.
»Oral History.« Ich kann mir ein Grinsen nicht verkneifen. »Bei der Bezeichnung kriegt wohl jeder Sechzehnjährige einen Lachkrampf.«
»Wie bitte?« Phillip fixiert einen Punkt an der Kneipendecke. Mist, vielleicht habe ich seine Zeit doch zu lange in Anspruch genommen.
»Ach, nichts. Sorry.«
»Nein! Nicht nichts. Ganz im Gegenteil.« Er schüttelt den Kopf und richtet seine Aufmerksamkeit wieder auf mich. »Ich hoffe, ich trete Ihnen damit nicht zu nahe, aber ich hatte gerade eine ausgesprochen interessante Idee, die zu unser beider Nutzen sein könnte.«