Talia

Immun gegen jede Form von Katerstimmung scheucht Jazza uns noch vor Sonnenaufgang an den Strand – zum Surfen am Rock, einem Weltklassespot ein Stück die Küste hinauf. Ich schaffe es nicht einmal mehr, mir vorher noch Kochsalzlösung zu organisieren. Meine Kontaktlinsen, mit denen ich dummerweise geschlafen habe, sind staubtrocken und drohen, mir jeden Moment aus den Augen zu fallen. Der Parkplatz oben auf der Klippe ist eisig, sodass meine nackten Füße vor Kälte langsam taub werden, während unter uns eine Reihe feinster mannshoher Wellen nach der anderen heranrollt. Die Brandung ist stark, und ich war seit einer ganzen Weile nicht mehr im Wasser. Ich könnte eine Ausrede finden, könnte behaupten, dass mir die Sache mit meinen Augen zu sehr zu schaffen macht, aber das fühlt sich an, als würde ich kneifen.

Bei unserer letzten Besprechung meinte Dr. Halloway, der Schlüssel zur Kontrolle über die eigenen Gedanken sei Beobachtung. Ich müsse lernen, auf der Welle meiner Gedanken dahinzugleiten, statt mich von ihr durchrütteln und an Land schleudern zu lassen. Meine Lunge dehnt sich zu einem tiefen, bewussten Atemzug, aber in meinem Kopf hüpft ein geisteskranker Zirkusaffe herum.

Ich sondere mich ein wenig von der Gruppe ab. Ich habe lieber etwas Privatsphäre, wenn ich versuche, mich zu sammeln und in den geliehenen Wetsuit zu zwängen. Irgendwer hat einen für mich ausgegraben, der aussieht, als gehöre er einem achtjährigen Jungen. Das Ding drückt meine Brüste platt wie Pfannkuchen – die Zwillinge sind eindeutig nicht erfreut über diese Form von Gefangenschaft –, während ich hinter meinem Rücken ungelenk nach dem Reißverschluss fummle.

Mir wird klar, dass ich kurz davor bin, in Wellen hinauszupaddeln, die deutlich höher sind als alle, denen ich bisher begegnet bin – und das auch noch aus dem dümmsten Grund der Welt.

»Brauchst du Hilfe?« Bran tritt hinter mich. Er schiebt die offenen Enden meines Wetsuits zusammen und zieht den Reißverschluss zu. Meine Haut fängt Feuer, als seine Fingerknöchel über die hochempfindliche Stelle zwischen meinen Schulterblättern streifen.

Ganz genau. Ich versuche, den am schwersten zu beeindruckenden Kerl der gesamten südlichen Hemisphäre zu beeindrucken.

Ich drehe mich um und wünsche mir gleichzeitig, der hautenge Anzug wäre einen Hauch vorteilhafter. Die grellen Neonfarben betonen jede einzelne meiner Rundungen.

»Bist du sicher, dass du dir das antun willst, Captain?« Seine Lippen sind zu einem dünnen Strich gepresst. »Am Rock ist die Brandung ziemlich stark.«

»Ja, absolut.« Das ist schon das dritte Mal, dass er mich das fragt. Die ersten beiden Male waren in Jazzas Einfahrt, kurz bevor wir losgefahren sind. Warum macht er sich überhaupt die Mühe, so zu tun, als würde es ihn kümmern? Ich kapiere das nicht. Letzte Nacht hat er mich eiskalt stehen lassen, und jetzt ist da wieder dieser Schlafzimmerblick. Nervös weiche ich ein Stück zurück, wie ein Kaninchen vor einem neugierigen Panther.

Schließlich gelingt es mir, mich aus seinem Blick zu lösen. Großer Fehler, denn er hat seinen Wetsuit erst zur Hälfte angezogen. Das Oberteil schlabbert um seine schmale Hüfte und den wohldefinierten Waschbrettbauch. Auf seinem Körper türmen sich keine massigen »Sexy and I know it«-Muskeln. Er ist eher schlank und geschmeidig, als hätte er sich seine Muskeln durch regelmäßigen Gebrauch antrainiert und nicht im Fitnessstudio aufgepumpt.

»Kann’s losgehen?« Mit fahrigen Fingern angle ich nach den verschlissenen Surfshorts, die Jazza mir geliehen hat.

»Geh ruhig vor. Ich will nicht, dass du dich hinter meinem Rücken an mir aufgeilst.« Unterdrücktes Lachen schwingt in seiner Stimme mit.

Ich klemme mir das Board unter den Arm und stapfe die Treppe zum Wasser runter. »Schon klar. Weil Typen es ja hassen, wenn man sie abcheckt.«

»War es das, was du gerade gemacht hast?«

Seine spielerische Art nimmt mich gefangen. »Willst du die Wahrheit hören?«

Mit funkelnden Augen beugt er sich vor. »Immer.«

»Ich versuche, mich zu erinnern, warum der Plan, vor Sonnenaufgang ins eiskalte Meer zu springen, gleich noch mal eine gute Idee war.«

»Alte Lügnerin.« Er stupst mich mit dem Zeh in die Kniekehle. Dieses Lächeln ist so, äh, so … verwegen.

»Hmm.« Auf Deutsch: Ich will dich auf jede nur erdenkliche Weise durchvögeln.

Als wir am Fuß der Klippen ankommen, deutet er mit einem Nicken auf die Menschenmenge, die sich bereits im Line-up versammelt hat. »Wir müssen zum Riff rüber und von dort durch die heranrollenden Wellen paddeln.«

»Nur keine Sorge, ich komm schon klar.« Ich beiße mir auf die Lippen und hoffe, dass mein Gesicht stoisch aussieht, nicht panisch. Die Einheimischen, die sich bereits ins Wasser gestürzt haben, sind außergewöhnlich gut. Jazzas weißblondes Haar ist kaum noch auszumachen, als er durch einen riesigen Brecher pflügt. In der Ferne türmen sich Gewitterwolken über dem indigoblauen Wasser auf. Na super. Brutale Surfbedingungen von körperzerfetzender Qualität, gepaart mit einem heraufziehenden Taifun. Ein Glück, dass ich das Kleingedruckte in meiner Reiseversicherung gelesen habe. Die Rückführung sterblicher Überreste wird vollumfänglich erstattet. Dad braucht also immerhin nicht an sein Erspartes zu gehen, um meinem Sarg ein Flugticket nach Hause zu bezahlen. Ich beuge mich vor und klopfe unauffällig zweimal auf ein Stück Treibholz. Sicher ist sicher.

In unserem Rücken ragen zerklüftete, mit orangefarbenen Streifen durchsetzte Sandsteinklippen auf. Das wechselhafte Wetter, für das die Bass Strait berühmt ist, hat die Felswand im Lauf der Jahrhunderte unterspült und ausgehöhlt. Eine abgewandelte Version des Kinderlieds »Pferdchen lauf Galopp« hat sich in meinem Kopf festgesetzt. Über Stock und über Steine. »Aber brich dir nicht die Beine«, murmle ich und mache einen Schritt auf das knubbelige Riff hinaus.

»Alles okay?« Bran schließt zu mir auf.

»Nur mal rein hypothetisch: Wo sollte ich hin, wenn ich den anderen nicht in die Quere kommen möchte?«

Nachdenklich reibt er sich das Kinn. »Am beliebtesten sind der obere und der mittlere Bereich – da wollen alle hin. Wir könnten da entlangpaddeln.« Er deutet auf einen Punkt näher an der Innenseite der Bucht. »Das ist der untere Bereich. Dort ist noch niemand. Die Wellen sind etwas kleiner, aber es kann schnell flach werden.«

Alles, was ich wahrnehme, ist »wir« und »kleiner«. Das mit dem »klein« gefällt mir, aber es widerstrebt mir, ihn zum Babysitten zu verdonnern.

»Danke, dann halte ich mich daran. Ich war schon länger nicht mehr surfen und will dir nicht wie ein Klotz am Bein hängen. Na los, viel Spaß.«

»Wer sagt denn, dass ich jetzt keinen Spaß habe?« Er rührt sich nicht vom Fleck.

»Ähm …« Mit großer Mühe verkneife ich mir einen sehnsüchtigen Blick in Richtung Parkplatz. »Okay, also gut. Dann mal los.« Schäumende Gischt strömt über meine Füße, und mir stockt der Atem. Die Wassertemperatur liegt irgendwo um die fünfzehn Grad.

Zu meiner Linken paddelt Bran los. Seine Haarspitzen sind nass, und in seinem schwarzen Wetsuit wirkt er schnittig, heiß und extrem selbstbewusst. »Paddle einfach hinter mir her. Du machst das schon.« Sein strahlendes Lächeln raubt mir auch das letzte bisschen Luft, das noch in meiner Lunge übrig war.

Wenn er so drauf ist – nett und offen –, macht ihn das gefährlich anziehend.

Alle anderen stürzen sich auf die größeren Wellen. Wir dümpeln allein hier herum, rittlings auf unseren Boards. Unter uns steigt das Wasser langsam an.

Bran zeigt aufs Meer. »Die hier gehört allein dir.«

Ich zögere.

»Na los, hol sie dir. Es sei denn, du sitzt lieber hier rum und spielst den Haiköder.«

Haie? Na super. Ein Punkt mehr auf meiner Liste der Dinge, die mich noch vor dem Frühstück umbringen werden.

Geschäftsmäßig übersieht er meine finstere Miene. »Da kommt sie schon, beeil dich.«

Ich drehe mich in Richtung Strand und paddle los.

»Schneller«, kommandiert er. »Tu so, als würdest du es wirklich wollen.«

Ich tauche die Arme noch tiefer ins Wasser, meine Fingerspitzen sind vor Kälte bereits taub. Die Welle türmt sich auf. »Na los, komm schon«, feuere ich mich leise an, während meine Schultern vor Schmerz brennen. Gischttröpfchen sprenkeln mein Gesicht. Bran johlt meinen Namen. Einen Moment lang verspüre ich ein surreales Gefühl von Schwerelosigkeit, und dann – bin ich drin. Heilige Scheiße, ich hab’s verdammt noch mal geschafft! Ich habe die Welle erwischt.

Ich springe auf die Füße und kauere mich in eine tiefe Hocke. Meine Wangen schmerzen von dem breiten Lächeln in meinem Gesicht. Für einen Augenblick scheint die Zeit stillzustehen, während ich immer mehr Fahrt aufnehme. Glücksgefühle durchströmen meinen Körper und verdrängen sämtliche Gedanken aus meinem Kopf. Ich hatte zwar noch nie einen Orgasmus, aber das scheint mir trotzdem der beste Vergleich zu sein: Nichts anderes kommt auch nur annähernd an dieses Gefühl des Glücks und des Schwebens heran. Viel zu schnell flacht die Welle unter mir ab, und ich sinke zurück ins Meer.

Ich reiße den Kopf herum, um nach Bran zu sehen, und er reckt die Faust in die Luft. Ich kriege das Grinsen gar nicht mehr aus dem Gesicht. Einen auf cool zu machen ist vollkommen zwecklos, solange ich dermaßen hin und weg bin.

Ich paddle zu ihm zurück. Zur Begrüßung spritzt er mir eine Ladung Wasser ins Gesicht. »Und, wie war’s?«

»Der totale Wahnsinn. Fantastisch.« Für ein paar Sekunden befand ich mich ganz im Hier und Jetzt. Warum bin ich zu Hause nie aufs Board gestiegen? Das ist genau die Art von Beschäftigung, durch die ich mit meinen Gedanken wieder ins Reine kommen könnte.

»Gut gemacht, Captain.«

»Du hast an meinen hammermäßigen Fähigkeiten gezweifelt.« Dass ich selbst noch viel größere Zweifel hatte, lasse ich mal unter den Tisch fallen.

»Wer, ich?« Er hebt die Arme. Seine Augen funkeln verschmitzt. Eine weitere Welle rollt heran. »Also dann, Captain, die hier ruft nach mir.« Ein paar lässige Armzüge, und er springt auf. Die perfekte Mischung aus Kraft und Eleganz.

Von da an reden wir nicht mehr viel, sondern wechseln uns nur noch ab. Ich erwische beinahe jede Welle, und in den Phasen, in denen ich auf meinen Einsatz warte, wärme ich mich am Anblick von Brans geschmeidiger Anmut.

Eine Möwe saust im Sturzflug auf mich herab. Sie kommt mir nah genug, damit ich ihre glänzenden schwarzen Augen und die rote Schnabelspitze ausmachen kann. Der Vogel sieht aus, als habe er gerade Blut getrunken. Ich paddle auf eine neue Welle zu, als Bran mir plötzlich etwas zuruft. Über das Donnern des Ozeans kann ich nicht verstehen, was er sagt, also stelle ich mich aufs Board … was zum Teufel? Plötzlich gleitet Bunny auf einem knallpinken Board über den Wellenkamm und blockiert mir den Weg. Kurz treffen sich unsere Blicke, lange genug, damit ich ihre Lippen lesen kann: meine.

Mir bleibt der Mund offen stehen. Dieses Miststück! Sie hat sich einfach meine Welle gekrallt. Das ist ein klarer Verstoß gegen die Surfregeln. Um eine Kollision zu vermeiden, weiche ich aus. Dabei wird mir das Board unter den Füßen weggerissen. Ich rutsche aus und falle ins Wasser. Mir bleibt nicht mal mehr Zeit, um meinen Kopf zu schützen, bevor der gischtsprühende Schlund der Welle mich verschlingt. Der Ozean stürzt sich auf mich wie ein Kind auf sein neues Spielzeug. Salzwasser dringt in meinen Mund und die Ohren, verdreht meinen Körper, während ich nach Kräften dagegen anstrample. Mein Fuß ratscht über eine knorrige Koralle.

Scheiße. Scheiße. Scheiße.

Wären wir an einem Sandstrand, könnte ich mich jetzt einfach vom Meeresgrund abstoßen und an die Oberfläche schwimmen. Aber das hier ist ein Riff. Ich will nicht riskieren, mit dem Fuß irgendwo hängenzubleiben.

Meine Lunge brennt, verzehrt sich nach Sauerstoff. Ich öffne die Augen, um mich zu orientieren, und im nächsten Moment sind meine Kontaktlinsen verschwunden. Dämlich. So was von dämlich. Wenn ich jetzt in Panik gerate, wird alles nur noch schlimmer. Ich muss ruhig bleiben. Bei diesem Gedanken bricht mein Gehirn in lautes Gelächter aus. Ich werde sterben, gleich hier und jetzt, in anderthalb Meter tiefem Wasser. Mein Zwerchfell rebelliert. Ich war so bescheuert – warum habe ich das alles bloß auf die leichte Schulter genommen? Wenn mir etwas zustößt, überlebt mein Dad das nicht.

In dem Moment, als mir dieser Gedanke durch den Kopf schießt, durchbricht mein Gesicht die Wasseroberfläche. Ich knie mich hin, wobei ich mir die Hände an den Korallen aufschneide, und ringe schluchzend nach Luft.

»Talia!«

Ich drehe mich nach Brans warnender Stimme um. Eine weitere Welle donnert auf mich zu. Sie hat mein Board dabei – und es ist direkt auf meinen Kopf gerichtet. Meine Reflexe sind zu langsam. Bevor ich in Deckung gehen kann, kracht das Fiberglas mit einem widerlichen Knirschen gegen meine linke Schläfe. Dann, als wäre dem Schicksal noch ein weiterer mieser Scherz eingefallen, schlitzt mir die Finne die Wange auf. Mit klingelnden Ohren gehe ich unter. Die Welt verschwindet hinter einem trüben Schleier.

Kräftige Hände zerren mich auf die Füße. Warum so ruppig? Kann nicht stehen. Muss würgen. Der Geschmack von bitterem Metall in meinem Mund. Kann Metall bitter schmecken? Die Frage macht sich in meinem Hirn breit, bis sie jeden anderen Gedanken überdeckt. Ein Arm legt sich um meine Schulter, ein anderer schiebt sich unter meine Kniekehlen. Ich werde hochgehoben wie ein Baby.

»Festhalten, Captain.«

Diese Stimme. So warm wie die Sonne, auch wenn um mich herum alles dunkel ist.

»Talia, Talia, Talia.«

Was? Was? Was? Herrgott noch mal, halt einfach die Klappe.

»Komm schon, zeig mir deine schönen Augen.«

Schön? Da muss wohl jemand anders gemeint sein. Jemand, auf dessen Schläfe nicht gerade ein Ochse einen Stepptanz aufführt.

»Talia.«

»Nicht so laut.« Meine Stimme ist dumpf und kratzig. Ich zwinge mich, die Augen zu öffnen. Brans Gesicht schwebt direkt über meiner Nase. Seine Augen werden groß, und er setzt sich, wodurch er ganz unscharf wird.

»Ich kann nichts sehen.«

Er zischt ein gutes Dutzend Schimpfwörter. »Okay, beruhige dich. Alles wird gut.«

»Ich drehe nicht durch. Ich hab im Wasser bloß meine Kontaktlinsen verloren.« Selbst halb blind kann ich noch erkennen, dass wir uns auf dem Parkplatz befinden. »Du hast mich die Treppe raufgetragen?«

»Alles okay?« Jazzas verschwommene Umrisse tauchen in meinem Blickfeld auf.

»Mir geht’s gut.« Haben etwa alle meinen kleinen Unfall mitbekommen?

Jazza grunzt zufrieden.

»Bunny ist ihr in die Quere gekommen«, erklärt Bran verärgert. »Ich glaube, sie hat eine Gehirnerschütterung.«

»Wie ätzend.« Jazza klingt, als wäre er nicht ganz bei der Sache. »Kannst du dich ein bisschen um sie kümmern? Die Wellen sind gerade der Hammer.«

Ich drücke die Hände an meine Schläfen und wünsche mir, die aufkommende Übelkeit würde verschwinden.

Vergeblich.

»Ich bringe sie ins Krankenhaus. Sie war ohnmächtig.«

»Ist bestimmt nichts Ernstes.« Jazzas Aufmerksamkeit scheint inzwischen ganz dem Wasser zu gelten. »Es geht ihr gut, das hat sie selbst gesagt. Alles cool, oder, Kalifornien?«

Bran schüttelt sachte den Kopf. »Ich lasse ihr Board und ihren Wetsuit in deinem Van.«

»Bloß keinen Stress, Bro.« Jazza drückt mir kurz die Schulter und ist gleich darauf verschwunden.

»Kein Krankenhaus.« Das ist mein voller Ernst. Bei der Vorstellung, auch nur in die Nähe einer Notaufnahme zu kommen, nimmt meine Übelkeit magenüberflutende Ausmaße an. Aber vielleicht habe ich ja nur noch Rührei im Kopf. Was, wenn ich innere Blutungen habe, eine tickende Zeitbombe im Schädel – ein kleiner Ruck, und ich erleide eine schwere Hirnblutung?

»Talia?« Nicht Captain. Seine Stimme klingt ernst, angespannt und übertrieben tatkräftig. Er kniet sich neben mich, und meine Hände versinken in seinen. Wie kann seine Haut nach dem eiskalten Wasser noch so warm sein? Ich fühle mich auf einmal, als wäre ich kurz davor, die Entstehung des Universums zu entschlüsseln. »Natalia.«

Jetzt sind wir schon bei Natalia? Für mich ist das ein Zeichen für eine unmittelbar bevorstehende Katastrophe. Ich bin erledigt; offenbar stimmt mit mir irgendetwas ganz und gar nicht. Bitte, lieber Gott, mach, dass ich nicht vor seinen Augen aus den Ohren blute wie ein ebolakranker Affe.

Er ist verschwunden. Wohin? Ich bin allein, treibe vor mich hin. Das Gefühl ist gar nicht mal unangenehm.

»Hey.« Brans Hände packen mich sanft am Kinn und drehen meinen Kopf. »Ich hab meinen Wagen direkt hinter dir abgestellt. Du brauchst also nicht weit zu laufen. Oder soll ich dich tragen?«

»Nein, geht schon.« Ich nehme seine Hand und ziehe mich hoch, bis ich auf meinen wackligen Beinen stehe.

»Hier.« Er reicht mir ein Handtuch mit einem verblichenen Streifenmuster. »Für dein Gesicht.«

Meine Finger fliegen hoch zu meiner brennenden Wange. Ich reiße die Hand zurück und starre auf das viele Blut. »Oh nein.«

»Nur ein kleiner Kratzer von der Finne …«

Ein Schwall Salzwasser ergießt sich aus meinem Magen direkt auf seine nackten Füße.