Banatus Lied und der beschmutze Lendenschurz: Elfenbeinküste, Afrika
Zuerst veröffentlicht in „SBC Magazine“, Herbst 2000
Der Mukasa Stamm war in ganz Afrika als ein kämpferischer Jagdstamm bekannt. Ihre großen, maskulinen Körper überragten fast jeden Mann in der östlichen Küstenregion. Die Mukasa Jäger trugen feingewebte, weiße Lendenschurze, um sich vom Durchschnittsmann hervorzuheben. Diese weißen Lendenschurze waren der ganze Stolz der Jäger, denn ein exzellenter Jäger beschmutzte seinen Lendenschurz niemals, nicht einmal bei der Jagd. Für den Mukasa Jäger war ein weißer Lendenschurz das Zeichen von Exzellenz. Im Alter von 15 Jahren wurden alle Mukasa Söhne einem strengen Männlichkeitstest unterzogen. Diejenigen, die bestanden, wurden ins Training aufgenommen, das für den Mukasa Jagdtrupp notwendig war, und beehrten somit die Familien der Jungen. Der Mukasa Jagdtrupp regierte den Stamm und versorgte jede Familie mit Nahrung und Unterkunft. Diejenigen Mukasa Männer, die keine Jäger waren, hatten den Auftrag, als Handlanger zu agieren oder, je nach Fähigkeit, besondere Tätigkeiten zu übernehmen, welche den Bedürfnissen des Stammes dienten. Die Boten waren häufig die schnellsten aller Mukasa Männer und wurden als wichtig angesehen, denn sie übertrugen alle Nachrichten zwischen den umherziehenden Mukasa Jagdtrupps und dem Dorf. Boten durften jedoch nicht jagen.
In einem besonderen Jahr sollten 12 Mukasa Jungen um das Jagdtraining wetteifern. Einer der Jungen hieß Ofosu. Ofosu war ein attraktiver, junger Bursche mit zarter, reiner tiefschwarzer Haut und scharf umrissenen Zügen. Ofosu hatte zwei weitere Brüder, die ebenfalls am Wettkampf teilnahmen. Sie waren weitaus stärker und präziser mit ihren Werkzeugen als Ofosu, doch er war voller Zuversicht, dass er den Wettkampf gewinnen würde. Obwohl Ofosu und seine Brüder stark waren, wussten sie, dass keiner der wettstreitenden jungen Männer stärker und präziser mit seinem Speer war als Banatu. Banatu stammte aus einer guten Familie von Mukasa Jägern und es wurde erwartet, dass jeder Mann dieser Familie ein ausgezeichneter Jäger sein würde. Alle Jungen gewannen den Wettstreit außer Ofosu.
Ofosu hatte sich darüber aufgeregt, dass er nicht kämpferisch genug war, um ein hoch angesehener Jäger zu werden. Dennoch war er auf das Wettrennen stolz, denn er hatte jeden überholt, sogar Banatu. Obwohl Ofosu keine Jagderlaubnis erhielt, wurde ihm vom Stammesführer der ehrenwerte Titel des Boten verliehen. Dies stimmte die anderen jungen Männer eifersüchtig, denn Ofosu durfte sogleich auf Jagdausflüge gehen, während die verbliebenen 11 Jungen zwangsweise dem Dorfe nahe bleiben mussten, um die Mukasa Jagdtechniken zu üben.
Schon bald hatte Ofosu sich zum Rang des Hauptboten für Langstreckenläufe hochgearbeitet. Dies war möglich, da er seine Kräfte mühelos einteilen konnte und noch genügend Atem hatte, um die Nachricht weiterzugeben, die er übermitteln sollte. Für seine Läufe wurde ein besonderes weißes Leinen gewebt, was Ofosu und seine Familie stolz machte. „Von dir wird das Gleiche erwartet wie von deinen Jagdkameraden, Ofosu“, sagte der Stammesführer. „Du darfst dein Leinen niemals beschmutzen, während du läufst.“
Ofosu hatte eine geheime Methode, wie er seine Kraft für lange Strecken einteilte und seine Nachricht behielt. Er wandelte die Nachricht ganz einfach in ein Lied um und sang es laut mit jedem Atemzug. Er tat dies mit Leichtigkeit, während er lief. Es schien die Zeit zu vertreiben. Eines Tages, als Banatu einen Hasen in einem Feld nahe des Dorfes jagte, hörte er die süßen Klänge einer wunderschönen Stimme, die sich aus der Ferne näherte. Er kniete sich nieder, um zu sehen, wer solch einen entzückenden Klang von sich geben könnte – ein Klang, der sein Herz auf eine gewisse Art berührte. Als ihn der singende Läufer passierte, war Banatu überrascht zu sehen, dass es sich um Ofosu handelte.
Ofosu erreichte das Dorf, ohne zu bemerken, dass Banatu seinen Gesang gehört hatte. Er übermittelte die Nachricht einer großen Jagdbeute südlich des Dorfes und dass ein Festmahl aus Wasserbüffel innerhalb von zwei Tagen jedes Haus bereichern würde. Nachdem er die Nachricht überbracht hatte, ruhte sich Ofosu kurz aus und trank ein wenig Wasser, bevor er pflichtbewusst umkehrte und sich auf den Rückweg machte, um Anschluss an den Jagdtrupp zu finden. Banatu bemerkte, dass Ofosu beim Verlassen des Dorfes keinen wunderschönen Gesang ertönen ließ.
Bei seinem nächsten Botenlauf ins Dorf wurde Ofosu in Sichtweite des Dorfes von Banatu angehalten. Dies verblüffte Ofosu, da ihm nicht bewusst war, dass andere seinen Gesang vernehmen konnten, vor allem der mächtige Banatu. Ofosu hatte das Gefühl, dass die Leute es albern finden würden. Er schaute beschämt und verlegen zu Boden.
Banatu bat ihn, seinen Gesang fortzusetzen. Ofosu hielt es für eine törichte Bitte, aber sang die Nachricht dennoch aus Angst, dass Banatu ihm in irgendeiner Weise Schaden zufügen könnte. Mit allem Mut, den Ofosu auftreiben konnte, tat er ihm diesen Gefallen und schaute direkt in Banatus Augen. Ofosu nahm einen seltsamen Blick in Banatus Augen wahr, als er sang. Als Ofosu seinen Gesang beendet hatte, ließ ihn Banatu ins Dorf laufen. Im Dorf angekommen, erledigte Ofosu seine Aufgaben und ruhte sich aus. Als er zum Jagdtrupp zurückkehrte, wurde Ofosu ein weiteres Mal von Banatu angehalten, aber anstatt ein Lied zu verlangen, sang Banatu (ziemlich dürftig) ein Liebeslied, das nur für Ofosus Ohren gedacht war. Ofosu verspürte ein herziges Gefühl, doch rannte ohne ein Wort zu sagen davon. Banatus Herz sehnte sich nach Ofosus Antwort. Er hielt sein Handeln für närrisch und wurde von den Gefühlen, die er für Ofosu hatte, gequält. Ofosu kehrte ein drittes Mal zum Dorf zurück und sah bei seiner Abreise, wie sich Banatu im Gebüsch versteckte und ihn anstarrte. Anstatt anzuhalten, lächelte Ofosu und lief weiter, alldieweil das Lied singend, das Banatu ihm zuvor vorgetragen hatte. Ofosus Gesang war weitaus schöner als Banatus, daher machte er das Lied noch ansprechender für jeden, der es hörte. Dies erfüllte Banatus Herzen mit Freude.
Als der Mukasa Jagdtrupp mit seinem preisgekrönten Fang ins Dorf heimkehrte, rannte Ofosu voraus, in der Hoffnung, Banatu zu sehen.
Alldieweil sang Ofosu nicht seine übliche Nachricht für die Dorfbewohner, sondern Banatus Liebeslied. Jedoch war er dieses Mal überrascht, als er von allen Dorfjungen, die in Ausbildung waren, angehalten wurde. Sie machten sich über seinen Gesang lustig und verspotteten ihn mit gemeinen Worten. Unter ihnen war Banatu, doch er sagte nichts. Sie verlangten zu erfahren, für wen dieses Lied gedacht war, aber Ofosu antwortete nicht. Ofosus Schweigen verärgerte die jungen Männer und so überfielen sie ihn und zogen ihn in den Schlamm. Banatu schaute in Entsetzen zu, obwohl er die Rauferei hätte beenden können, da er deutlich stärker als die anderen Jungen war. Doch die Angst, dass sie herausfinden könnten, dass das Lied für ihn war, überwog sein Verlangen, Ofosu zu retten. Während der Rauferei wurde Ofosus Lendenschurz beschmutzt. Es gelang Ofosu, zu entkommen, aber er erreichte das Dorf genau dann, als die Jäger zurückkehrten. Er konnte sich nicht rechtzeitig reinigen. Der Führer verlangte eine Erklärung für seine Beschmutzung, aber Ofosu schaute beschämt zu Boden und schwieg. Ofosu wurde unverzüglich zu den Jagdführern gebracht und für die Entehrung seiner Familie sowie der Gemeinde durch die Beschmutzung seines Lendenschurzes bestraft. Als Bestrafung sollte Ofosu 100 Schläge erhalten. Der gesamte Stamm versammelte sich in einem Kreis in der Dorfmitte, um die Prügel zu beobachten. Ofosu wurde ohne seinen Lendenschurz vor sie gestellt, völlig nackt. Ofosus Scham und Demütigung zeigten sich in seinem Gesicht, aber auch im Gesicht eines Anderen. Der Stammesführer betrat den Kreis mit einem Pago-Stock zum Schlagen. Ofosu lehnte sich vor, um seine Bestrafung zu erhalten, doch ein Aufschrei aus der Menge überraschte den Stamm. Es war Banatu, der sich vor den Anführer stellte. Banatu sagte, dass Ofosus beschmutzter Lendenschurz seine Schuld war, aber führte seine Erklärung nicht weiter aus. Danach meinte er, dass er die Schläge verdient hätte, nicht Ofosu. Der Stammesführer war sehr überrascht von der Wendung der Ereignisse, aber erklärte sich mit Banatus Bitte einverstanden. Banatu schob Ofosu sanft aus der Schusslinie und brachte ihn zurück in die Menge. Dann entfernte er seinen Lendenschurz und wickelte ihn behutsam um Ofosu, bevor er zur Mitte zurückkehrte, wo der Stammesführer begann, seine Schläge auszuteilen.
Banatu zuckte während der Prügel kein einziges Mal zusammen, alldieweil das Liebeslied für Ofosu singend. Die Menschenmenge war über dieses Liebesgeständnis erstaunt. Ofosu schaute verwirrt drein. Als der hundertste Schlag auf Banatus blutigen Hintern ausgeteilt wurde, stand er auf, lief zu Ofosu und nahm in bei der Hand. Gemeinsam verließen sie das Dorf, ohne jemals zurückzukehren.
Diese Geschichte wurde vielen Generationen des Mukasa Stammes überliefert. Jedes Mal, wenn starke Winde wehen, sagen die Mukasa Menschen, dass dies Ofosu sei, der zu seinem Gefährten läuft. Wenn man genau hinhört, kann man vielleicht sogar ihr Liebeslied hören.