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MICHAELA SEUL

DIE HEIMWERKERINNEN

»Kripo München, Kommissariat vierzehn, Sattler. Bitte rufen Sie mich zurück. Klick.«

Klick klack machte mein Herz. Als hätte es eine künstliche Klappe. Ich hörte mir die Nachricht noch einmal an. Der Name Sattler war mir bekannt. Fabia hatte ihn oft erwähnt in den letzten Wochen. Aber wie waren sie auf mich gekommen? Und noch dazu kurz vor Weihnachten. Da wollte man doch noch weniger mit der Polizei zu tun haben als sonst.

Weihnachten und Polizei, das war wie faule Eier im Osternest.

Ich musste zurückrufen. Wer nicht zurückrief, war verdächtig. Ich musste ihnen das Gefühl geben, bei mir an der falschen Adresse zu sein. Ihnen, dachte ich. Frau Sattler war nicht allein. Um sie herum schwirrten viele wie sie, das machte sie stark. Deshalb war sie vielleicht auch so eine geworden.

Was konnten sie gegen mich in der Hand haben? Die Kettensäge und die Bohrmaschine hätte ich auch für andere Zwecke kaufen können. Frauen heimwerken heutzutage oft an passenden Objekten wie Mauern und Holz. Von Fleisch ist da allerdings nicht die Rede. Ich rief Fabia an. Bevor ich mich bei den Sattlers meldete, würde ich mich mit ihr beraten. Sie war zweimal bei Frau Sattler gewesen. Nicht freiwillig. Oder nicht richtig freiwillig. Die Sattlers gaben vor, es sei freiwillig, so zelebrierten sie ihre Macht. Fix und fertig war Fabia jedes Mal gewesen, vorher und nachher, auch wenn sie es zu überspielen versuchte. Aber es war bereits eine Weile her, dass sie von Frau Sattler gesprochen hatte, und es schien fast, als sei die ganze Angelegenheit im Sande verlaufen. Was konnten die denn schon wissen?

Bloß keine schlafenden Hunde wecken …

Fabia war nicht zu Hause und ihr Handy ausgeschaltet. Wahrscheinlich war sie wieder Weihnachtsdeko shoppen. Fabia liebte die bunten Kugeln und Lichter und Kerzchen und Engelchen. Es war wahrscheinlich besser, sie überhaupt nicht anzurufen. Kurz bevor Sylvia verhaftet wurde, hatte sie Fabia gegenüber behauptet, ihr Telefon werde abgehört. Es klicke in der Leitung, hatte sie gesagt. Und manchmal käme es ihr vor, als würde sie jemanden atmen hören. Einen Mann mit Vollbart, da sei sie ganz sicher. Fabia und ich waren vor Lachen fast erstickt. So ging das immer, wenn wir uns trafen – es wurde schnell gefährlich.

Ich hatte keine Lust, in eine Telefonzelle zu gehen, wusste nicht mal, wo sich die nächste befand. Zellen, dachte ich. Man brauchte bestimmt eine Telefonkarte. Damit rechneten sie wahrscheinlich, die Sattlers. Riefen mal kurz an, um mich zu beunruhigen, und hofften dann, ich würde einen Fehler machen. Wie waren sie auf mich gekommen? Eine Videoüberwachung im Baumarkt? Nein, dort kauften Tausende von Leuten ein. War ich observiert worden? Und was sollte ich ihnen sagen, wenn sie mich fragten?

Ich hätte mir gern eine Zigarette angesteckt, aber ich rauche seit drei Jahren nicht mehr. Aus dem Radio klang O, du fröhliche, o, du selige – ich schaltete das Gerät aus. Was nur hatte Fabia mir erzählt von ihrer Vernehmung? Ich ging auf und ab, als würde das helfen, mich zu erinnern. Mir fielen nur Fabias Befindlichkeiten ein. Ihr nervöses Augenlidflattern, der Durchfall. Und dass Frau Sattler eigentlich ganz nett gewesen sei. Man fühle sich, prustete Fabia heraus, wie bei einer Beichte. Auf dem Weg nach Hause sei sie sich total gereinigt vorgekommen. Um Gottes willen, hatte ich gedacht. Liest Fabia denn keine Krimis? Es war doch bekannt, wie sie einen aufs Glatteis führten.

Aber es war nichts passiert. Also musste Fabias Aussage harmlos gewesen sein. Sie ist eine erstklassige Schauspielerin, was sie oft genug bewiesen hat, nicht bloß bei der Kripo. Auch währenddessen. Wenn sie den Männern schöne Augen machte, sich damit in ihre Gehirne bohrte, sodass sie nicht mehr denken konnten. Alles nur ein Vorspiel, ehe Fabia die Waffen der Frauen zückte, die bei uns ein wenig anders aussahen.

In letzter Zeit hatte Fabia sich auf Schraubenzieher spezialisiert. Ihr Sortiment war beeindruckend. Es gibt welche, die passen perfekt in eine Pupille. Was Sylvia eklig fand, weil man da so durchrutschte, ins Nichts stocherte. Sie stieß lieber auf Widerstand. Aber Schraubenzieher verwendete sie auch. »Wozu hat der männliche Körper seine Öffnungen?«, dozierte sie gelegentlich, und wir nickten.

Wo sie recht hatte, hatte sie recht.

Nach ihrem ersten Termin mit Frau Sattler benahm Fabia sich, als sei die Vernehmung bei der Polizei ein Frisörbesuch gewesen. Erst nach zwei Gläsern Wein erzählte sie Details. Wir hatten uns bei Wanni getroffen, hinten in der Ecke. Da klang die Geschichte nicht mehr so lustig, das weiß ich noch genau. Ich erinnere mich aber nicht, was uns im Detail beunruhigte. Besonders Fabia. Von mir war ja keine Rede gewesen. Wir konnten uns nicht vorstellen, dass sie eines Tages auf mich stoßen würden. Sylvia hatte bestimmt nicht geplappert – sie war es vielmehr, die uns immer wieder ermahnte, mich rauszuhalten.

Niemand sollte von meiner Existenz wissen.

Deshalb gab es auch keine nachweisbare Verbindung zwischen uns. Ihre Telefonnummer musste ich auswendig lernen »Und ruf mich nie von deinem Handy aus an!« Sie hatte mir sogar verboten, unsere Treffen in meinem Kalender zu notieren – und so vergaß ich prompt eines. Trotzdem begrüßte mich Sylvia, die sehr schnell aufbrauste, beim nächsten Termin freundlich.

Ich traute dem Frieden anfangs nicht. So war es damals bei Melanie nämlich ebenfalls gewesen, als sie sich in den Typen von der Drogenfahndung verknallt hatte. Zuerst hackte Sylvia ihr aus Versehen einen Finger ab, und später verschwand Melanie spurlos. Wir fragten nicht direkt nach, eher nebenbei, denn unter Sylvias linkem Augenlid zuckte es. Kein gutes Zeichen, wie wir wussten … »Melanie ist im Urlaub«, erfuhren wir. Damit gaben wir uns zufrieden. Gerade Fabia mit ihrem Faible für Ringe. Am liebsten an jedem Finger einen.

Ich hatte bislang nie ernstlich mit der Polizei zu tun, obwohl ich natürlich ständig auf Bullen aus war – das war schließlich mein Job als Materialbeschafferin. Beim ersten Mal dachte ich allerdings nicht an so etwas. Da war ich eine normale Verkehrsteilnehmerin, die von einem Streifenwagen aufgehalten wurde. »Allgemeine Fahrzeugkontrolle.« Es war Sommer, und ich trug einen sehr kurzen Rock. Ob mir nicht aufgefallen sei, dass aus dem Auspuff meines Wagens eine schwarze Wolke komme? Natürlich war mir das aufgefallen. Ich hatte mir bloß abgewöhnt, in den Rückspiegel zu schauen, weil ich sonst ein schlechtes Gewissen gekriegt hätte. Von wegen Umwelt und so.

Wir standen auf dem Seitenstreifen der Bundesstraße. Ich dachte an meinen toten Hamster und weinte. Meine Beine waren sehr braun und schön lang und schlank mit schmalen Fesseln. Sie sind das Beste an mir, also rein äußerlich. Das hatte er auch gesagt. Fabia und Sylvia hielten ihm das später genüsslich vor, als sie den Elektrofuchsschwanz starteten. Dabei war er wirklich nett zu mir gewesen. Ich fand seine Liquidation ein wenig übertrieben, obwohl Fabia meinte, dass die Unterdrückung der Frauen immer im Kleinen und schleichend beginne, und Sylvia mich belehrte, das Schlimmste sei, wenn die Frauen glaubten, durch die Erweckung des männlichen Triebes Macht über den Mann zu erlangen. Das war für sie lediglich ein armseliger Versuch, die eigene Ohnmacht zu verdrängen.

Ich wollte damals bloß mein Auto behalten. Ich weiß nicht, was ich getan hätte, wenn es ein Gebüsch in der Nähe gegeben hätte. Im Grunde wäre es mir wahrscheinlich egal gewesen. Kondome hatte ich immer dabei, ob für einen Typen aus der Disco oder einen Bullen. Ich war jung und sammelte Trophäen. Heute achte ich darauf, auf meine Kosten zu kommen. Früher sahen meine Kosten anders aus, da ging es um eine Kerbe in dem Stück Holz, das mir meine Oma geschenkt hat und das aus dem Zweiten Weltkrieg stammte. Ich wusste nichts darüber, nur dass es ihr ziemlich viel bedeutete. Ich fand einfach, dass die Kerben dort gut hineinpassten und strichelte meine Lover. Als ich Oma fragen wollte, ob ihr das Holz vielleicht mal das Leben gerettet hatte – wobei ich mir das nicht vorstellen konnte –, war sie tot. Ich war zu spät gekommen, weil die Bullen wegen eines Festzugs am Nachmittag die Straße gesperrt hatten, und da lag sie schon in der Kühlkammer.

Insofern war es nur folgerichtig, dass ich speziell auf Bullen angesetzt wurde, während Melanie sich damals um Vermieter kümmerte. Bis heute weiß ich nicht, wie viele wir sind, bin mir jedoch sicher, dass es eine Sektion für mittelständische Chefs und eine für Klinikärzte gibt.

Nichts zu wissen ist besser.

Als ich Sylvia einmal von meiner Oma erzählte, war sie begeistert und zeigte mir kurz darauf ein Stück Holz: »Das ist jetzt mein Kerbholz.« Ich erinnere mich noch gut daran, dass wir überlegten, woher der Ausdruck »etwas auf dem Kerbholz haben« wohl stammte. Fabia wollte es eigentlich googeln, dann hat sie es vergessen– sie vergisst gern immer alles und ganz schnell.

Und auch das ist besser so.

Mein erster Verkehrspolizist, der mich aus dem Verkehr ziehen oder mit mir Verkehr haben wollte, was er damit bezahlte, dass er selbst aus dem Verkehr gezogen wurde, war sehr gütig und zelebrierte eine seiner beruflichen Sternstunden. Er war groß und stark und mächtig. Ich war hübsch und blond und hilflos. Er genoss seine Überlegenheit und sprach mich gönnerhaft frei. Ich würde keine Anzeige bekommen, sofern ich das Auto verschrottete. Innerhalb einer Woche. Ich schlug zwei Wochen raus. Es kostete mich Überwindung, ihn dankbar anzulächeln. Es ging mir nicht gut, denn er hatte mich klein gemacht, und das fühlte sich schmierig an. Ich weiß noch genau, dass ich danach nicht zu Dagmar aufs Land fuhr, sondern wendete und zu Hause duschte.

Sehr, sehr lange.

Ich erzählte niemandem von dem Vorfall. Ich schämte mich, weil ich mich klein gemacht hatte für die Gunst, einer Anzeige entronnen zu sein und zwei Wochen länger in einer schwarzen Wolke herumfahren zu dürfen. Andererseits hätte ich ohne dies alles Fabia niemals kennengelernt. Dann wäre ich an jenem Abend nämlich nicht in der Stadt gewesen, sondern bei Dagmar auf dem Land, und Fabia hätte vergeblich an meiner Tür geklingelt, um mir mitzuteilen, dass sie den Rückspiegel an meinem Wagen abgefahren habe.

Sie hätte auch einfach weiterfahren können. Aber nein, Fabia ist einer der aufrichtigsten Menschen, die ich kenne. Sie fragte die Leute in der Kneipe im Vorderhaus, wem der Golf gehöre. Und so schloss sich der Kreis. Vielleicht hatte er sich schon lange zuvor geschlossen. Manchmal denke ich, Sylvia und Fabia hatten mich bereits eine Weile im Visier.

Die Gattung Verkehrspolizist begegnete mir von nun an ständig. Sie sind überall. Mein geschulter Blick erkennt sie auf hundert Meter gegen eine rote Ampel. Erst vor zwei Monaten habe ich wieder einen geködert, indem ich ihn mit dem fehlenden Gurt lockte. Dabei war das gar nicht geplant. Als aber der Streifenwagen hinter mir auftauchte, konnte ich mich nicht beherrschen, klickte auf den roten Knopf und öffnete den Gurt. Jetzt saß ich quasi nackt im Wagen. Eigentlich sollte ich mich beeilen, Sylvia hatte mich in den Baumarkt geschickt.

Über Nacht war sie auf die Idee mit der Kettensäge gekommen. Bohrmaschinen waren ihr zu männlich, fast schon klischeehaft. Kettensägen dagegen erinnerten sie an Schmuck. In einer schwachen Minute gestand Sylvia uns einmal, dass sie es wahnsinnig sexy finde, wenn Männer mit Bohrmaschinen hantierten. Was sie wiederum ärgerte. Wir versuchten ihr klarzumachen, dass eine Bohrmaschine einen harten Untergrund brauche. Sie glaubte uns nicht. Fabia brachte ihr deshalb sogar eine Schweinehälfte – das war vielleicht eine Sauerei. Gott sei Dank ging Sylvia damit ins Badezimmer. Und sah ein, dass die Bohrmaschine für diese Zwecke das falsche Werkzeug war.

Aber irgendwie war sie in einen Rausch geraten. Ich sollte verschiedene Bohrer kaufen, vor allem Holzbohrer. Die sind sehr scharf, schneiden gut und eignen sich für weiches Material. Es gibt auch extrem dünne, nur ein bisschen dicker als zum Beispiel eine Ledernähnadel. Alle Holzbohrer konnte sie allerdings nicht ausprobieren, weil Blut und Gewebeflüssigkeit in die Bohrmaschine drangen und einen Kurzschluss verursachten.

Sylvia brauchte Stunden, bis sie sich davon erholte – da war im Bad natürlich schon alles eingetrocknet. Ich war zum Glück nicht erreichbar, saß mit Fabia bei Wanni und erzählte ihr von dem Bullen, den ich mit dem Gurt aufgerissen hatte und der den Strafzettel zerknüllte, als ich weinte. Ich bin sehr stolz darauf, dass ich weinen kann, ohne entstellt auszusehen – das ist eine Kunst.

Danach fühlte ich mich jedoch wieder so klein. Klein und blond und widerlich. Fabia meinte, der Bulle sei wahrscheinlich ein netter Kerl, wenn es ihm was ausmache, schuld zu sein an den Tränen einer Frau. Ich fand das gar nicht, und ich fand es auch nicht rührend wie Fabia, deren Augen verdächtig glänzten – sie ist nun mal sehr empfindsam. Ich ebenfalls, nur anders. Stundenlang musste ich danach duschen, um die Kleinheit wegzuwaschen. Aber das gehört nun mal zu meinem Job, eine muss die Drecksarbeit auf der Straße erledigen.

Jedenfalls war es mir ganz recht, als Sylvia mich fragte, ob ich Lust hätte, eine Kerbe zu machen. Das fand ich echt nett von ihr. Schließlich war es ihr Kerbholz, und das hatte ich noch nie gehört, dass man jemand anderen auf sein eigenes Kerbholz etwas ritzen lässt. Aber typisch Sylvia. Man wusste bei ihr nie, woran man war und was als Nächstes passieren würde. Fabia sagte immer, solange wir Sylvia hätten, würde es uns niemals langweilig werden.

Inzwischen war Sylvia verhaftet worden, und ich musste die Polizei anrufen. Am besten gleich. Kurz vor Weihnachten waren die Beamten vielleicht friedlich gestimmt. Plätzchenduft in den Polizeiinspektionen, Zimttee bei der Kripo, irgendeine Bürokraft hatte sicher einen Adventskranz mitgebracht, der das Testosteron besänftigte. Ich beschloss, die Sache hinter mich zu bringen. Je länger ich wartete, desto mehr grübelte ich. Das war nicht gut, gar nicht gut.

Im Grunde wusste ich nichts – so sollte es bleiben. Wenn ich nichts wusste, konnte ich ihnen auch nichts verraten.

Und wenn sie auf die Idee kamen, meine Strafzettel der letzten Jahre zu überprüfen? Wieso sollten sie das tun, rief ich mich zur Ordnung. Aber meine Nervosität gefiel mir nicht. Wer nervös ist, macht Fehler, das hatte Sylvia uns oft genug eingetrichtert. Was aber, wenn sie mich doch überprüften und merkten, dass meine Strafzettel allesamt von vermissten Polizeibeamten stammten? Und das musste ihnen auffallen, so blöd konnten selbst Bullen nicht sein.

Aber so viele Strafzettel waren es nun auch nicht. Meistens hatte ich gar keine Verwarnung bekommen. Was allerdings schlimmer war, schlimmer für die Bullen. Ohne Strafzettel fühlte ich mich nämlich noch kleiner. Noch blonder. Noch schmieriger. Und Fabia hatte eine Menge zu tun, weil sie herausfinden musste, wo der betreffende Bulle wohnte und wie er lebte.

Sylvia war beeindruckt, wie Fabia das schaffte. Sie ließ es sich zwar nicht anmerken, aber ich spürte es dennoch. Zweimal lobte sie Fabia sogar, mich nie. Nicht dass ich es erwartet hätte, es gab ja keinen Grund. Was machte ich Besonderes? Ich führte mein normales Leben, fuhr höchstens ungewöhnlich oft mit dem Auto durch die Gegend. Scheinbar ziellos. Bei Fabia sah das schon anders aus. Und Sylvia, unsere Heimwerkerin, wie wir sie gelegentlich nannten – nun, Sylvia war ein Kaliber für sich. In diesem Punkt waren Fabia und ich uns einig, obwohl ich mir manchmal wünschte, ich könnte ein bisschen so sein wie Sylvia. Immer dann nämlich, wenn ich mich klein und blond und ohnmächtig fühlte. Sylvia tat, was getan werden musste.

Ich duschte stattdessen.

Es ging mir danach zwar besser, aber noch besser ging es mir, wenn Sylvia mir beim nächsten Treffen zunickte. Sie verschwendete nie viele Worte. Details erfuhr ich höchstens von Fabia, wobei wir beide wussten, dass sie eigentlich keine erzählen durfte. Ich fragte mich, ob ich mich noch besser fühlen würde, wenn ich nicht nur ausgiebig duschte, sondern einmal mit dabei wäre. Es sozusagen selbst in die Hand nähme. Und endlich eine Kerbe in Sylvias Holz ritzte.

Doch das brauchte ich mich jetzt nicht mehr zu fragen. Sylvia war verhaftet, und Fabia und ich würden bestimmt nicht weitermachen. Höchstwahrscheinlich. Jedenfalls nicht zu zweit. Mit ziemlicher Sicherheit nicht. Ganz genau konnte man so was nie sagen. Wobei man ja nicht wusste, wie viele von uns es gab. Darüber sollte ich nicht nachdenken, sollte überhaupt nicht daran denken – wenn ich nachdachte, würde man mir das anmerken.

Ich musste aber nachdenken. Ständig.

In letzter Zeit hatte ich einige Strafzettel erobert. Mit Strafzetteln war es einfacher als ohne. Der Name des betreffenden Polizisten stand schließlich drauf. Meistens ein POM, Polizeiobermeister. Es war ein Kinderspiel für Fabia gewesen, die Kandidaten ausfindig zu machen und kennenzulernen. Wenn eine so aussah wie sie, war fast alles ein Kinderspiel. Fabia fühlte sich nicht klein und blond und doof, sie genoss es. Weil sie Macht über sie zu haben glaubte. Weil sich die Bullen verloren in dem Blick auf ihren drallen Busen. Weil Fabia sie steuern konnte mit ihrem Atem, der ihre Brüste hob und senkte. »Wie Marionetten«, sagte sie und kicherte. »Das wissen sie aber nicht. Und das macht mir am meisten Spaß, dass sie es nicht wissen. Dass sie glauben, sie hätten alles im Griff, und nicht merken, dass ich sie im Griff habe.«

Ich widersprach Fabia nicht. Oder höchstens einmal. Spürte, dass es keinen Sinn hatte, dass sie an das glauben wollte, was sie sagte. Vielleicht sogar daran glauben musste. Auch ich hatte einmal an die heimliche Macht der Frauen geglaubt. Früher. Vor dieser Begegnung, bei der sie mich aus dem Verkehr zogen, auf dem Parkplatz, die mein Leben in ein Vorher und ein Nachher teilte. Danach konnte ich es nicht mehr.

Wieso soll die Macht der Frauen heimlich sein? Eine heimliche Macht ist keine Macht. Macht zudem auch keinen Spaß. Das Erhebende am Machtgefühl besteht doch gerade darin, die Macht zu zelebrieren. Darin war Sylvia eine Meisterin mit ihrer hohen Kunst atemberaubender Installationen. Bestimmt hätte ich noch viel von ihr lernen können, nur war ich damals nicht so weit, und jetzt war es zu spät. Leider war ich nie dabei gewesen – also nicht direkt. Eigentlich eine gute Ausgangsposition für mich bei den Sattlers, aber ich bedauerte es. Je länger ich darüber nachdachte, desto mehr. Sylvia hatte mir ihr Kerbholz angeboten, und ich hatte die Chance verpasst.

Wie würde es nun weitergehen? Ohne Sylvia. Das war bitter, gerade wegen Weihnachten, dem Fest der Liebe. Eine musste sie ersetzen. Eine musste weitermachen. Wenigstens eine, die ihre Macht nicht heimlich in der Puppenstube ausspielte.

Eine, die wusste, worauf es ankam.

Eine wie ich.

AUTORENVITA

Michaela Seul begann als Zwölfjährige mit dem, was sie bis heute am liebsten tut: schreiben. Mit diversen Literaturpreisen ausgezeichnet, hat sie zahlreiche Bücher auch unter ihrem zweiten Vornamen Shirley veröffentlicht: Romane, Sachbücher, Ratgeber, Biografien, Krimis, Memoires. Zudem arbeitet sie seit vielen Jahren sehr erfolgreich als Ghostwriterin und hat sich damit einen festen Platz auf der Bestsellerliste erschrieben: www.shirley-michaela-seul.de

Im Herbst 2011 startete sie eine neue Kriminalromanreihe, Alle Vögel fliegen hoch, um das sechsbeinige Ermittlerduo Franza und Flipper. Band zwei (Sonst kommt dich der Jäger holen) und Band drei (Verbiss) sind 2013 erschienen. In ihrem Blog berichtet Seul vom Hundeleben ihrer Muse: www.flipper-privat.de