Kapitel 3

Klapplukenkiosk

Dem Kaufladen im Segulfjörður, in einer Ecke des Lagerhauses auf Fanneyri untergebracht, waren nach monatelanger Treibeisblockade die Waren ausgegangen. Allerdings hatte man von einem Handelsschiff im Óðalsfjörður gehört. Von dort erstreckte sich nahe unter Land eine Rinne im Eis nach Osten, und der Schoner hatte sich hindurchmanövriert wie ein segelgetakelter Bartenwal mit langem Bugspriet. Fy fan, soll mir der Teufel die Bramsegel zerfetzen, hörte man an Bord jemanden laut denken, irgendwer muss diesen Hungerhaken doch Mehl liefern, und man muss dieses Volk von Hungerleidern durchfüttern. Fragt mich bloß nicht, warum und warum ausgerechnet ich. Was sie im Austausch dafür liefern, ist ja kaum einen Fischschwanz wert, eingekochter Haischweiß, Blutwurst und uralter, getrockneter Kabeljau …

So sah das dänische Denken aus, welches das Schiff steuerte, schließlich waren die Dänen seit Jahrhunderten die Herren der Insel, und diese Verbindung hatte die Geduld beider Seiten auf eine große Probe gestellt, denn Island war die Kolonie, die sich weltweit am schwierigsten ausbeuten ließ. Die Herren waren angesichts der Unkosten seit Langem ungehalten, und die Dänen in Island waren alle mürrisch und verdrossen.

Daher war dem Kapitän der Kram, der für die isländischen Kleinbauern an Deck herumlag, herzlich gleichgültig, und er ließ die Waren durch ein Bullauge am Heck hinausreichen. So entstand der erste Kiosk in der Geschichte des Landes, der aus einer Klappluke verkaufte.

Die Leute ruderten also zum Schiff, riefen Art und Menge der Bestellung auf ihren rührend ärmlichen Einkaufszetteln durch das Loch und warfen einen leeren Sack hinterher. Wenig später erschien er wieder, und der Handelsbeauftragte der Konsumgesellschaft, der isländische Kaufmann, der um die halbe Welt angereist war, aus Fagureyri, dem Hauptort des Landesviertels, legte Münzen in die ausgestreckte dänische Hand. Anschließend trug er die Entnahmen des betreffenden armen Kätners in seine Bücher ein. So funktionierte die hiesige Volkswirtschaft. In den drei Fjorden hatte keiner mehr Bargeld gesehen, seit ein geistig verwirrter Wanderprediger in der Kirche von Fanneyri die Existenz des Teufels beweisen wollte, indem er mit einem brennenden Fünfklauenschein wedelte, den er für die Währung der Hölle ausgab. Stattdessen lieferten die Leute ihrem Kaufmann Schaffelle und Lebertran, Fleisch und abgesengte Schafsköpfe und nahmen im Austausch dafür Schnaps, Zucker und Schuhe entgegen.

Kaufmann war, wer den klangvollsten Namen hatte (Sigurður Schiöth, Elíbert Hansen …), sich am besten kleidete und Dänisch sprach. Überdies musste er einen eindrucksvollen Bart tragen, von imposanter Statur und freundlich im Umgang, zugleich aber ausgesprochen knauserig sein, besonders beim Verkauf von Alkohol. Letztere Charaktereigenschaft war ganz besonders isländisch: Die isländischen Kaufleute waren weltweit die einzigen, die sich nicht gern von ihren Waren trennten, jeder »Verkauf« verursachte ihnen schmerzliche Enttäuschung, jeden »Kunden«, der durch ihre Tür schlurfte, betrachteten sie mit einem seufzenden Auge. Das bargeldlose Wirtschaftssystem und die Entfernung von den Häfen der Welt führten dazu, dass der Kaufmann die Waren in seinem Lager als sein persönliches Eigentum betrachtete, das er unter größten Mühen beschafft hatte und deshalb nur widerwillig hergab. Es war doch offensichtlich, dass ein lederbeschlagener Holzschuh, von einem Handwerker in Hamburg oder Hellerup her- und im Regal eines isländischen Fjords aufgestellt, einen ebenso weiten Weg zurückgelegt hatte wie Seide aus China in Kopenhagen. Die einzige Möglichkeit des isländischen Kaufmanns bestand somit darin, den Preis dafür so hoch anzusetzen, dass niemand ihn kaufte. Daraus entwickelte sich die bis heute gepflegte isländische Geschäftspraxis, so wenig wie möglich für so viel wie möglich zu verkaufen. Manche gingen sogar so weit, ihre Artikel lieber selbst zu nutzen, etwa Geschirr und Hosenträger; denen war der Gebrauch kaum anzusehen, und so konnte man sie jederzeit wieder in den Laden zurückstellen. Allerdings waren die Kaufleute früherer Zeiten dauerndem Druck von Seiten der notleidenden, von Hunger und Knechtschaft ausgezehrten Bevölkerung ausgesetzt, und so war die Tätigkeit des Kaufmanns eine ebenso undankbare wie zermürbende. Nicht alle schafften es, ihre Lager gut zu verteidigen. Der Vorteil bestand darin, dass es so gut wie der einzige Beruf war, der sich in geschlossenen Räumen ausüben ließ.

Der ehrenwerte, höchst respektable Herr in unserer Geschichte, der von einem prächtigen Vollbart gezierte Eðvald Kopp, befand sich jedoch auf einer außergewöhnlichen Unternehmung weit weg von seinem Zuhause, seinem Tisch und seiner Kasse in Fagureyri und war deswegen ein wenig ungehalten und schlecht gelaunt. Sein Heimatfjord, der mächtige Eyrarfjörður, war ebenso zugefroren wie alle anderen (der Frost beißt alle, Volk wie Faktor), ausgenommen diesen Seehundsfott von Óðalsfjörður, dem einzigen, in den ein Schiff einlaufen konnte. Statt seines Huts hatte der Kaufherr drei Tage lang eine Mütze tragen und unter einem Dach aus Grassoden schlafen, hatte zu Pferd einen Bergrücken überqueren und ganze Schluchten voller Neuschnee durchwaten müssen. Sein voluminöser Bauch hatte davon allerdings nicht viel Schaden genommen (es lagen drei Gratismahlzeiten mit Hangikjöt und Skyr hinter ihm) und wölbte sich mächtig am Ufer, um zu signalisieren, mit wem man es zu tun hatte, einem mand med mænd, einem Mann unter Männern.

Denn es war keineswegs die ganze Nation aus Schneewehen geschnitzt, auch hier gab es Menschen, die gut im Futter standen.

Der Kaufmann zog seinen Zylinder aus dem Futteral, während er sich zum Schiff rudern ließ, aufrecht im Boot stehend, sodass seine Rockschöße wunderbar im Wind flatterten. Etwas angesäuselt erschien er einen Mittag später wieder und wählte drei schaffarbene Bauern aus, die ihn in der Jolle begleiten sollten, weil er nicht vorhatte, sich an ihren Säcken die Finger schmutzig zu machen, die sollten sie schön selbst durch das dänische Bullauge bugsieren. Das war lediglich eine Notlösung, der Lukenhandel war eigentlich nur für die Leute der näheren Umgebung vorgesehen, doch der Hunger nach Brot hatte auch viele Bauern von weiter weg hierhergetrieben, selbst solche, die nicht in Kopps Büchern standen, aber auf Verständnis und Großzügigkeit in Anbetracht der Umstände hofften. Zwar war die Ära des Handelsmonopols in Island längst vorüber, aber noch immer besaßen die Kaufleute ihre Bauern und die Bauern ihre Kaufleute.