Kapitel 8

Haarwuchs im Hreppur

Wieder und wieder rief sich Eilífur diesen Anblick in Erinnerung: Wie Kristmundur auf Hvammur seine Wange an Guðnýs schmiegte und sie behutsam, ja liebevoll aus dem Schneegrab hob. Der Großbauer hatte, wie gesagt, die Mütze abgenommen und sein dichtes, weißes Haar war ihm in das vor Anstrengung gerötete Gesicht gefallen. Um das schwer erträgliche Bild zu verdrängen, richtete Eilífur seinen inneren Blick auf das Haar des Hvammsbauern, diesen üppigen Schopf, der sich so vom sonstigen Haarwuchs im Hreppur, der Landgemeinde, unterschied und den eigentlichen Schlüssel für den Respekt und das teils neiderfüllte Misstrauen darstellte, das man Kristmundur entgegenbrachte. Üppiger Haarwuchs war verdächtig.

Die Insel war von Menschen besiedelt worden, die um das Jahr 900 vor der gewaltsamen Machtausweitung des norwegischen Königs Harald Schönhaar geflohen waren, und es gab eine alte Theorie, die besagte, die meisten der ersten Besiedler Islands seien recht arm an Haaren gewesen, Geheimratseckenträger oder gar völlige Kahlköpfe samt zauseliger Frauen. »Glatzen-Grímssöhne« und »Mistbärte« zuhauf. Jener König hatte seinen Beinamen von dem Schwur, sein Haar nicht eher zu scheren, bevor es bis in jeden Fjord Norwegens reiche, und so waren die Entdecker Islands eine Art Haarflüchtlinge. Sie begannen auch gleich damit, ihr neues Land von Bäumen zu säubern, und seit jener Zeit sind die Isländer wenig für Gewächse zu haben, weder auf ihren Berghängen noch auf ihren Köpfen. Kahlheit schätzen sie am meisten, sie wollen das Meer sehen können und dulden weder Laub noch Haarzotteln vor den Augen. Weniges finden sie schöner als den in den Himmel ragenden kahlen Schädel eines Gletschers, ihre Berge und Hochebenen hätten sie am liebsten gänzlich haar- und halmlos. Während der Zeit der Christianisierung störte sich das junge Volk vornehmlich an der Haarpracht Christi. In seiner Vorstellung hatte jede Gottheit durch ihr Alter, ihre Weisheit und ihren Tiefsinn so schütteres Haar zu haben wie ihre heidnischen Götter. Die führenden Männer Islands waren lange Zeit nur wenig behaart, angefangen von Njáll über Arason bis Sigurðsson, ebenso die Dichter, von Snorri bis zum Kirchenliedverfasser. Lange Haare galten bei diesem baumlosen Volk als tabu, wie der jahrhundertelange Hass auf Hallgerður Langbrók beweist. Die gelockte Haarpracht ihres Ehemanns war einer der Gründe dafür, dass man ihn totschlug. Schönhaarige Menschen haben die Isländer nie ausstehen können.

Das Ehepaar auf Hvammur, Kristmundur und seine Gattin Kristbjörg, zeichneten sich allerdings beide durch prächtiges Haar aus. Die Frau hielt das ihre schwarz, rückenlang und seidenweich, indem sie es nur in Rinderurin wusch. Der weiße Schopf des Bauern war dicht wie Wolle und weich wie Wollgras. Kristmundur war der einzige wahre Großbauer im Segulfjörður, ein stattlicher Mann mit gesunder Gesichtsfarbe, der seinen Hof vorbildlich führte, eine ganze Schar Kinder und eine Menge Gesinde hatte.

Kristmundur war früher, wie es hieß, »baskenhaarig« gewesen, also schwarzhaarig. Vor einigen Jahren hatten ihm seine Nachbarn, als er am dritten Tag der Hochzeit einer seiner Töchter bewusstlos im Vollrausch lag, mit einer Schafschere den Kopf geschoren. Als Tage später auf seinem blutverkrusteten Schädel wieder die ersten Haare sprossen, waren sie vollkommen weiß. Zwei Wochen später trug der Hvammsbauer einen schneeweißen Flor auf dem Kopf. Um dieselbe Zeit erschien vor der Fjordmündung ein gravitätischer Eisberg. Damit begannen die Treibeisjahre, die noch immer anhielten, und die Leute machten die Vollrasur in Hvammur dafür verantwortlich. Damit hätten die Idioten das Schicksal herausgefordert, und man verfluchte das »verdammte Haareis« in Grund und Boden.

Zu jener Zeit diente als Gemeindepfarrer der Segulfjorder Séra Jón Guðfinnsson auf Fanneyri. Auch er hatte üppiges Haar, das zudem ausgesprochen kraus war. Die Leute nannten es »Zuzüglerhaar«, was ihm, neben anderem, sein Amt zusätzlich erschwerte. Wegen der Locken auf seinem Kopf fiel es den Leuten nicht leicht, seinen Worten Glauben zu schenken, da es dazu ja sogar Aussagen in der Heiligen Schrift gab. »Alle Götter haben glatte Haare, bis auf Bacchus«, kolportierte man Lási auf Skriða, und alle wussten, worauf er abzielte. Lási hatte das prachtvollste Haar von allen in der Gemeinde. Um seinen Kopf ringelten sich Locken, die den Wolkensystemen glichen, die um die Erde ziehen, und wenn man in ihnen wühlte, blieben sie den ganzen Tag so stehen.

Sigurlás Friðriksson, Bauer auf Ytri-Skriða (oder Næsta-Skriða, wie der Hof mit einem uralten Witz auch gern genannt wurde, denn das bedeutete nicht »Äußere-«, sondern »Nächste-Lawine«), war der geistige Leuchtturm in diesem Fjord, ein schlankes Frühbeet des Humors, ein Treibhaus von Geschichten, ein geschickter Handwerker in Holz und Reimen und daher ein gern gesehener Gast auf allen Höfen. All seine poetische Kraft empfing er stets in flüssiger Form, und er wurde durch das Trinken niemals unleidlich, sondern sein Geist wurde durch Weingeist nur noch beflügelt. Je mehr er in sich hineinkippte, desto mehr sprudelte aus ihm heraus: Repliken, Strophen, Gedichte und lustige Anekdoten. Lási befolgte strikt die Maxime aller guten Autoren: »Gott gebe mir die Gelassenheit, mich an die Wahrheit zu halten, den Mut, sie in Literatur zu verwandeln, und die Weisheit, zwischen beidem keinen Unterschied zu machen.«

Seine Frau Sæbjörg war von ihrem Zusammenleben längst seegrashaarig geworden, saß aber bei Zusammenkünften stets mit versteinertem Lächeln und gehobenen Augenbrauen neben ihrem Mann und starrte ins Feuer.

Eilífur auf Stundarkot hatte dunkles, unordentliches Haar, und wenn sich die Wolle auch noch verfilzte, sah er aus wie ein alter Schafsbock, sein Bart aber kräuselte sich wie bei einem Lamm und sah stets jung aus, auch wenn auf seinen Wangen der erste Frost zu sehen war. Seine Frau Guðný dagegen hatte besonders schöne Locken, blond und sorgfältig frisiert. Locken von ihrem Haar wurden auf drei Höfen im Fjord aufbewahrt; viele hatten sich für sie erwärmt, als sie blutjung und blühend mit ihrer Mutter kam, um sich bei Kristmundur auf Hvammur zu verdingen. Doch als sie von einem Unfall in der Küche eine Verstümmelung an der Hand und eine Narbe auf der Wange zurückbehielt, kühlte das Interesse der jungen Männer rasch ab. Als dann aber doch einer vorstellig wurde, weckte das wenig Begeisterung unter den Hvammsleuten, da es ausgerechnet der Problemschlacks aus dem Heiðinsfjörður war, der bekannte Schweinswaldieb, der um ihre Hand anhielt und sie auch bekam. Er hatte sogar begonnen, sich auf dem Land von Stund weiter hinten im Fjord eine eigene Landwirtschaft mit einer Kate aufzubauen. Wer wird mir von jetzt an mit einem so schönen Lächeln den Morgenkaffee bringen?, dachte der weißhaarige Kristmundur. Aber das Mädchen näherte sich inzwischen der Obergrenze des verheiratungsfähigen Alters, und über die Verurteilung Eilífurs war Gras gewachsen.

Sechs Jahre waren vergangen, seit Magd und Knecht mit kirchlichem Segen zu freien Kleinbauern geworden waren.