Kapitel 8

Überlegung an einer Hügelwand

Nach seinem kurzen priesterlichen Einsatz wurde Séra Árni durch die Gestanksmischung von Rinderpisse und Verwesung schlecht. Er entschuldigte sich bei der Witwe und floh durch den Gang ins Freie. Schließlich hatte er einen ganzen Becher heiligen Himmelwassers geleert und musste sich nun erleichtern.

Regen und zunehmende Dunkelheit füllten den Fjord, sodass man kaum bis Fanneyri sehen konnte, schwaches Licht flackerte in den verglasten Fenstern von Hvammur, dem Hof des Großbauern Kristmundur, der der Kate auf der anderen Seite des Fjords genau gegenüberstand und sich durch eine vornehme Fassade aus gediegenem Schiffsholz und die einzigen Glasfenster vor den anderen Bauernhöfen des Fjords auszeichnete. In der Nähe war zu hören, wie die Wellen mit einem weißen Saum ans Ufer schlugen, der vor Séra Árnis Augen schwoll und brach wie ein spanholzheller Nordlichtkummerbund. Die Pferde standen bei einem großen Stein am Ende des Hofplatzes, drehten dem Wind die Hinterteile zu und ließen den Regen auf die Ohrenrücken trommeln. Wir werden in der Dunkelheit zurückreiten, dachte der Pastor, der im Hofeingang den heftigsten Regenguss abwartete. Sein Blesi würde den Heimweg schon finden. Im Finstern finden dunkle Augen vielfach den Weg, wie der Dichter sagte.

Mussten sie die Leiche des Verstobenen mitnehmen? Unser Magnús könnte sie zum Beispiel vor sich quer über den Sattel legen … Oder wäre es nicht praktischer, zuerst einen Sarg zu zimmern? Aber der Kinder wegen ist es ausgeschlossen, die Leiche noch länger dort im Bett liegen zu lassen … In der Abschlusswoche des Priesterseminars hatte der Rektor die Maßnahmen zum Umgang mit Verstorbenen mit ihnen durchgesprochen, doch da hatte Árni mit dickem Kopf das Bett gehütet und diese wichtigsten Unterrichtsstunden seiner Ausbildung versäumt.

Endlich schien der Regen etwas nachzulassen, der Pastor kam aus dem Gang hervor, stellte sich an die Außenwand des Hauses und verrichtete sein Geschäft. Er sah zum Himmel auf. Nahm der Wind an Stärke zu? In dem knappen Jahr, das er sich nun hier aufhielt, hatte er gelernt, dass der Segulfjörður auch auf Winde wie ein Magnet wirkte. Wie aus dem Nichts entwickelten sich heftige Stürme, die stärker waren als alles, was er von der Halbinsel Suðurnes im Süden kannte, einem Landesteil, der doch sein Festival der Stürme das ganze Jahr über abhielt. Als er so an die Gegend seiner Kindheit und Jugend zurückdachte, hatte er wieder an den Zähnen zu kauen, die im Lächeln jener katastrophalen Keflawikingerin gefehlt hatten, als sie ihn betrunken in ihre Bruchbude und ihr Bett gelockt hatte. Wie hatte das nur passieren können? Woran konnte er sich noch erinnern? An nicht viel, nur an starke körperliche Freuden, den Zauber weicher Haut, eine neue Welt ungekannter Lust und unterleiblicher Wonnen, den höllischen Samen seines Liebestaumels …

Und dann war er unter all diesen Leuten aufgewacht! Alle hatten sie seine Lust mitangehört. Er wurde noch immer rot.

Und beugte sich über seinen Strahl. Trotz der zunehmenden Dunkelheit waren noch Nuancen zwischen den Tropfen des Herrn und denen des Menschen zu unterscheiden. Letztere waren gelblicher. Der Pastor musste an das saubere, kristallklare Wasser denken, das man ihm im Haus direkt aus der erfrischenden Quelle des Herrn gespendet hatte. Diese allerreinste Sendung des Himmels war durch ihn hindurchgelaufen, und er gab sie jetzt an die Erde weiter, verunreinigt durch die menschliche Färbung. Ja, hier stand er, ein pieselnder Mann im Regen, umgeben von den heiligen Strahlen Gottes, von denen einer das Pech gehabt hatte, das letzte Stück seines Weges zur Erde durch einen menschlichen Körper gefiltert zu werden und so die Farbe der Sünde anzunehmen.

Er schüttelte die letzten Tropfen ab und knöpfte die Hose zu, dabei auch jene Grundangst abschüttelnd, die ihn angesichts des toten Einar befallen hatte, diese tiefe Verunsicherung, die ihn kalt und bestimmt fragte: Wozu bist du hier? Was tust du hier? Ist das jetzt dein Leben? Willst du es allein verbringen? Allein in diesem Fjord? Unter diesen Menschen? Vor all diesen Fragezeichen, die aus dem bartflammenden Kinn des Toten erstanden waren, war er in den Gang und hinaus in den Regen geflohen, dadurch aber der katastrophalen Keflavíker Zahnlosigkeit direkt in die Arme gelaufen. Oh Vigdís! Attraktiv, fein, vielbegabt und notenflink. Alles, was einen Mann verrückt machen konnte. Und jetzt waren genau neun Monate seit ihrem letzten Brief vergangen. Aus allen Ängsten und Befürchtungen dieser Zeit hätte man ein Kind backen können, ein verheultes Kind.

Aber konnte man von einem jungen Mann wirklich verlangen, jahrelang keusch zu bleiben? War das isländische Liebessystem mit all seinen riesigen Entfernungen in Zeit und Betten nicht absolut gnadenlos? Ingibjörg, die Frau von Jón Sigurðsson, unserem Wortführer im Streben nach Unabhängigkeit, hatte, ihm versprochen, zwölf Jahre lang auf Island festgesessen, bevor sie endlich zu ihm nach Kopenhagen fahren konnte. Árni kannte noch eine andere Geschichte, in der die Frau so lange verlobt gewesen war, dass sie, als endlich die Hochzeit stattfand, schon über das gebärfähige Alter hinaus war. Sollte er selbst nicht einfach mit dem nächsten Schiff nach Bíldudalur fahren und seine Liebe einfordern? Oder war sie mittlerweile mit einem anderen verlobt? Er fragte die Berge am westlichen Fjordufer, und die fragten die Berge am Ostufer des nächsten Fjords, die ihre gegenüberliegenden Kollegen und so weiter von Fjord zu Fjord, bis vierzehn Berge vierzehn weitere gefragt hatten, aber die Antwort verstand er nicht. Das Geflüster der Berge blieb dem Mann ein Rätsel.