Kapitel 9

Herdfeuer

Er zog den schäbigen Stellvertreter einer Haustür auf und trat in den Gang, lauschte auf die Stimmen der Leute in der Stube hinter der Klapptür, war aber versucht, in die Küche zu gehen, denn er hatte seit seiner Kindheit keine Küche mit einem aus Steinen gemauerten Herd mehr betreten, seit ihn sein Bildungsweg von gestampfter Erde unter den Füßen und einem Rasendach über dem Kopf weggeführt hatte – das musste man sich vorstellen, die Menschen lebten unter der Grasnarbe! Er hingegen gehörte nun bereits sein halbes Leben zur isländischen Oberschicht, die in holzverschalten und mit Kohle geheizten Häusern lebte, in Leinen und Daunen schlief und nicht in Wolle und Heu, die mit Besteck von Porzellantellern aß und nicht mit einem Hornlöffel aus einer hölzernen Schüssel, und zwar Mahlzeiten, die auf einem speziell dafür hergestellten Gerät zubereitet worden waren und nicht auf einer gemauerten Herdstelle aus der Steinzeit.

Er bückte sich in einen kurzen Seitengang zur Rechten, der führte in einen kleinen, verräucherten und fast vollständig finsteren Raum. Durch ein Rauchabzugsloch fiel ein winziger Rest von Helligkeit. Der große Mann stieß gleich mit dem Kopf gegen einen von der Decke hängenden Topf, und der gegen einen weiteren. Das dumpfe Scheppern führte ihn zum Herd, einer niedrigen, aus Steinen aufgeschichteten Feuerstelle in der dunkelsten Ecke, und zur Glut, die darin noch schwach unter etwas gloste wie die rötlich verglimmende Blüte eines hellen Feuers. Er tastete und fand einen flachen, handwarmen Stein, das war bestimmt die Nachtplatte, von der er gehört hatte, dass man mit ihr nachts das Feuer abdeckte. Wie primitiv das alles war, wie nah noch bei den ersten Feuerstellen der Menschheit in Höhlen und auf Lichtungen des europäischen Kontinents und in den norwegischen Buchten der Wikinger … Eine Fingerspitze auf diesen warmen Stein zu legen, war, wie die Menschheitsgeschichte zu berühren.

Er richtete sich auf und spürte auf einmal etwas neben sich. Er drehte den Kopf in die Richtung, sah aber nichts als Dunkelheit, sofern da nicht … Er spürte die Anwesenheit von etwas oder jemandem, einen Körper, obwohl nichts zu sehen war, und er meinte, Atemzüge zu hören. Oder war das bloß Einbildung? Dem Instinkt des Urzeitmenschen folgend tastete er mit der Hand in den Winkel und fühlte … warme Haut, eine Wange?

Er erschrak und zog die Hand zurück, denn kaum etwas erschreckt den Menschen mehr als ein anderer Mensch.