Kapitel 43

Kissengeplauder am Abend

Bei Vigdís hinterließ das Ereignis, wie dieses schneegezeichnete Gesicht seinen Frühling, seine Freude, seine Lebhaftigkeit wiedergefunden hatte, einen solchen Eindruck, dass sie am Abend noch lange nachdenklich auf dem Kissen wachlag und ihren Mann genauer über seinen Besuch in Bæjarkot ausfragte. Am liebsten hätte sie die Kate gleich am nächsten Morgen aufgesucht, denn ein so unheimliches Wesen hatte sie noch nie gesehen. Wie lebten solche Menschen? Und was war mit dem Mädchen, Margrét, wie würde sein Leben einmal verlaufen?

»Es ist ein Bau mit Querbalken und einer Stallbaðstofa. Nässe und Gestank waren heftig, aber trotz allem wirkte es irgendwie warm, und schließlich bin ich dort meinen Schicksalsmächten begegnet. Du könntest einmal mit Hafsteinns Frau Milda hingehen, sie bringt ihnen regelmäßig irgendwelche Dinge.«

»Aber es heißt, sie habe ihren Mann getötet.«

»Ich weiß nicht, an der Leiche waren keinerlei Hinweise darauf zu sehen. Es waren allerdings jede Menge Flüssigkeiten ausgetreten, unter ihm war alles eine Suppe. Wenn jemand weiß, was passiert ist, dann sind es die Kinder, Margrét und ihr Bruder Gísli, und auch Gestur in Ytri-Skriða, er war bei ihnen, als Einar gestorben ist.«

»Diese Margrét ist unglaublich; als stamme sie aus einem Elfenhügel.«

»Ja, die schönsten Blumen wachsen auf dem Misthaufen, heißt es doch.«

»Und Gestur? Ist das der Junge, der heute mit den Frauen kam, dieser ungehobelte …?«

»Ja, ein begabtes Bürschchen, hätte im Frühjahr konfirmiert werden sollen.«

»Ja, man sieht da so etwas in seinen Augen unter all diesen Haaren. Súsanna findet, er sieht nicht dumm aus, und sogar gut.«

Die Pfarrersfrau lachte leise über ihre Freundin und seufzte mit den schönen Augen, dann drehte sie sich zu ihrem Mann und zog die Daunenbettdecke über die Schulter.

»Ja, ich habe auch das Gefühl, dass einiges in ihm steckt, obwohl er es bisher im Leben nicht leicht hatte.«

»Wieso?«

»Nun ja, seine Mutter und seine Schwester sind in einer Lawine ums Leben gekommen oder unter der Schneelast erstickt, als er zwei Jahre alt war, und sein Vater starb nicht viel später. Man gab ihn zu einem Kaufmann in Fagureyri, von dem manche behaupten, er sei sein leiblicher Vater, denn er sei früher oft zum Angeln am See und am Fluss hier gewesen. So hat man mir jedenfalls gesagt. Und Kristmundur auf Hvammur hat mir ins Ohr geflüstert, dass seine Mutter die Geliebte des Kaufmanns gewesen sei, sie war wohl sehr attraktiv. Vorher war sie auf Hvammur in Stellung. Derselbe Kaufmann hat im Hinterland von Fagureyri noch drei weitere ›Kinder der Freude‹, wie man so sagt, und seine Frau, die … Gott sei ihr gnädig, die ist das reinste Wrack geworden.«

»Und wie ging es dann mit dem Jungen weiter?«

»Ja, der, nun, der, also der Kaufmann hat es irgendwann abgebrochen, ihn bei sich großzuziehen, ich weiß nicht, aus welchem Grund, und hat den Jungen hierher zu Lási geschickt. Ich vermute, es war wegen seiner Frau, sie hat sich wohl nie mit dem Jungen abgefunden. Dem hat es hier aber nicht gefallen, und schon kurz nach seiner Ankunft ist er an Bord eines französischen Schiffs durchgebrannt und verbrachte einen Sommer unter Franzosen. Nach dem, was man davon hört, wie sie ihre eigenen Schiffsjungen behandeln, war das bestimmt kein Zuckerschlecken. Kristmundur hat mal einen von ihnen am Ufer gefunden, das heißt seine Leiche, man hatte ihm zwei Finger abgeschnitten. Gestur hat es geschafft, sich von Bord zu stehlen, aber er traute sich nicht zu Lási zurück und hielt sich bei Steinka versteckt, dieser Frau mit dem Horn auf der Stirn …«

»Aber jetzt lebt er bei …«

»Ja, inzwischen wohnt er seit zwei Wintern wieder bei Sæbjörg und Sigurlás und entwickelt sich gut.«

»Überall gibt es Geschichten. Es passiert so viel Bemerkenswertes. Diese Frau heute bei der Blume zu sehen, das war … sie sah aus wie … wie eine zauberkundige Hexe … oder wie die Vorzeit in Person.«

»Ja, aber was sagt die Zukunft?«, erkundigte sich der Pfarrer und setzte sein Glückslächeln auf, um dieses ernsthafte Gespräch zu beenden und dem Leben das Wort zu erteilen, wobei er mit der Hand unter Vigdís’ Decke fuhr und ihren gewölbten Bauch streichelte.

»Ich spüre es. Es bewegt sich.«

Dann kicherten sie wie zwei Glückskekse, und Séra Árni fragte sich, wie lange solches Glück anhalten mochte, und wurde gleich ein wenig geknickt, weil die Antwort auf der Hand lag: Bis es hier wieder eine Kirche gäbe.