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Die Augen des Mannes fixieren ihn mit dem kalten, mitleidlosen Blick, mit dem ein Forscher sein Versuchstier beobachtet. Und dennoch hat er das Gefühl, diese Augen nicht zum ersten Mal zu sehen.
Die Hand mit dem Skalpell ist aus seinem Sichtfeld verschwunden, was ihn ein wenig erleichtert.
»Du fragst dich, was mit dir geschehen ist, nicht wahr?« Die Stimme klingt durch die Maske etwas dumpf, zudem hat der Kerl die Worte sehr leise gesprochen.
»Ich will es dir erklären. Auch wenn das, was ich hier tun muss, für dich äußerst unangenehm wird, bin ich kein Unmensch. Eines vorab: Du bist nicht gelähmt, keine Angst.«
Etwas im Blick des Mannes verändert sich ein wenig, und doch scheint es, als könnte er einen Hauch von Häme darin erkennen.
»Wobei … doch, Angst darfst du haben.« Dieses Flüstern … es macht die Situation noch unheimlicher. Er muss sich konzentrieren, um die Worte verstehen zu können.
»Du hast sogar allen Grund, Angst zu haben. Aber vielleicht lenkt es dich ein wenig ab, wenn ich dir erkläre, in welchem Zustand du dich befindest und was diesen Zustand herbeigeführt hat.«
Ich will, dass es aufhört, schreit alles in ihm, und die Angst schnürt ihm die Kehle zu.
»Weißt du, was eine Schlafparalyse ist? Hat sie das mal erwähnt? Sie weiß es ganz bestimmt.«
Sie? Der Kerl tut so, als müsste er wissen, wer mit diesem sie gemeint ist, aber er hat keine Ahnung.
»Der Begriff bezeichnet zunächst nur den Zustand des Körpers während des Schlafs: Man ist nahezu vollständig bewegungsunfähig – ausgenommen sind Atem- und Augenmuskulatur.«
Noch immer ist es kaum mehr als ein Flüstern, aber der Kerl spricht so langsam, dass er ihn versteht.
»Diese vorübergehende Lähmung ist völlig natürlich und schützt den Körper davor, die Bewegungen im Traum tatsächlich umzusetzen. Normalerweise bekommen wir von dieser Paralyse nichts mit, weil sie sofort beendet wird, wenn wir aufwachen, doch es kann passieren, dass dieser Zustand nach dem Aufwachen andauert – man spricht dann auch von einem Wachanfall. Das Gehirn ist schon wach, aber die Muskeln sind noch im Schlafmodus. Die Folge: Die Betroffenen sind unfähig, zu sprechen oder sich zu bewegen. Normalerweise ist der Spuk nach spätestens zwei Minuten vorbei – entweder kehrt die Muskelkraft zurück, oder man schläft wieder ein. Ist dieser Zustand allerdings medikamentös herbeigeführt worden, wie das bei dir der Fall ist, kann man ihn beliebig lange aufrechterhalten.«
Aber warum?, möchte er dem Mann entgegenschreien. Warum tust du mir das an?
Seine Gedanken überschlagen sich, er versucht, sie in dem Chaos, das in seinem Kopf herrscht, zu ordnen und zu begreifen, was mit ihm geschieht. Von einer Schlafparalyse hat er noch nie zuvor gehört, aber was auch immer es ist – warum hat man ihn künstlich in diesen Zustand versetzt? Er denkt an die Hand, die ein Skalpell gehalten hat. Und an den Blick, der dabei auf eine Stelle an seiner Brust gerichtet war.
Als hätte der Mann seine Gedanken gehört, nickt er und sagt bedauernd: »Nun muss ich meinen kleinen Vortrag aber leider beenden. Die Arbeit ruft.«
Eine Hand ohne Skalpell taucht auf und bewegt sich auf das Gesicht des Mannes zu, greift nach dem Mundschutz und zieht ihn nach unten. Noch bevor auch die Haube von den Haaren abgestreift wird, erkennt er, wen er vor sich hat, und beginnt zu ahnen, warum er in dieser Situation ist.
Er möchte sich aufbäumen, seine Muskeln dazu zwingen, sich den Drogen zu widersetzen und ihm zu gehorchen, damit er seine Hände um den Hals dieses Schweins legen und zudrücken kann. Zum ersten Mal in seinem Leben verspürt er den Wunsch, zu töten, so ausgeprägt, dass er für einen kurzen Moment sogar seine Angst vergisst.
Unvermittelt taucht die Hand mit dem Skalpell wieder vor seinem Gesicht auf und verharrt für einen Moment, so als wolle der Scheißkerl die kleine, blitzende Klinge von ihm begutachten lassen, bevor sie sich langsam senkt. Dabei verzieht sich der Mund zu einem diabolischen Grinsen und verzerrt das Gesicht zu einer Fratze. »Du weißt, warum du hier bist, nicht wahr?« Nun flüstert der Mann nicht mehr. »Ich kann dir versichern, dass meine Kandidaten normalerweise von dem, was jetzt passiert, nichts mitbekommen. Ich bin ja kein Unmensch. Aber in deinem Fall mache ich gern eine Ausnahme. Versuch es zu genießen, es ist eine wirklich einmalige Erfahrung.«
Seine Blase entleert sich, warme Feuchtigkeit breitet sich an den Innenseiten seiner Oberschenkel aus. Es ist ihm egal. Alles ist egal angesichts dessen, was nun unweigerlich folgen wird.
Die Hand mit dem Skalpell berührt seinen Brustkorb, kurz spürt er die Spitze der Klinge, einen Stich … dann explodiert ein Schmerz von solcher Intensität in ihm, dass er das Bewusstsein verliert.
Doch nur für einen kurzen, gnädigen Moment.