»Irgendwas stimmt mit diesem Stockholmer nicht, das sage ich dir.«

Cecilia hörte nur mit halbem Ohr zu, während Erling bramarbasierte. Das meiste, was ihr Ehemann hervorbrachte, war nicht sonderlich wichtig, das hatte sie schon lange gelernt. Bestenfalls war es unterhaltsam, niemand hatte sie je so zum Lachen bringen können wie Erling, aber oft war es nichts anderes als Gemecker und allgemeiner Ärger, dem er Ausdruck verlieh. Sie hatte keine Ahnung, warum der Stockholmer solche starken Emotionen in ihm weckte.

»Wie lange wohnt er jetzt hier?«, fragte Erling. »Eine knappe Woche?«

Cecilia zuckte mit den Schultern.

»Was in der Art«, erwiderte sie.

Sie stand am Waschbecken und spülte eine alte Porzellanvase von Hand. Der Stockholmer war der Letzte, über den sie nachdachte. Sie dachte an Agnes Eriksson. Eine halbe Ewigkeit war vergangen, seit Agnes verschwunden war. Das war so furchtbar, dass Cecilia richtig übel wurde, wenn sie nur daran dachte. Dass jemand richtig verschwinden konnte. Das konnte sie nicht begreifen.

Erling merkte wie üblich nicht, dass Cecilia mit ihren Gedanken ganz woanders war. Er fragte nicht, wie ihr Tag oder wie es bei der Arbeit gewesen war. Oder ob sie besser schlief, was nicht der Fall war. Auf der anderen Seite erzählte Erling auch nichts davon, wie es ihm selbst ging. Das ehrte ihn in gewisser Weise.

»Jetzt rate mal, wie der Stockholmer hierhergekommen ist«, sagte er.

»Mit Pferd und Wagen?«

»Mit dem Bus!«

Das klang bei ihm so, als ob der Secondhand-Mann auf einem Gorilla nach Kungshamn geritten wäre.

»Bus!«, wiederholte Erling. »Kapierst du – der hat kein Auto!«

»Was weißt du schon davon?«, sagte Cecilia. »Vielleicht hat er durchaus eins. Hast du eigentlich wie versprochen eingekauft, oder bist du nur die ganze Zeit rumgelaufen und hast an den Stockholmer gedacht?«

Sie sah ein Lächeln in Erlings rechtem Mundwinkel zucken.

»So knapp, und ich wäre ohne Essen nach Hause gekommen«, sagte er und hielt zwei Finger mit minimalem Zwischenraum hoch. »Strindberg hat so verdammt laut gegrüßt, dass ich die eine Tüte fallen gelassen habe. Nur weil ich zufällig seine hässliche Jacke angeschaut hatte. Ich war so baff, dass ich mich genötigt sah, ihm dein altes Spinnrad für den Laden zu versprechen.«

Cecilia lachte laut und stellte die Vase weg. Erling nutzte die Gelegenheit, eine Tüte mit Lebensmitteln rüberzureichen.

»Das Spinnrad?«, fragte sie und nahm die Tüte entgegen. »Wie in aller Welt konnte dir denn ausgerechnet das einfallen?«

Erling gab ihr einen raschen Kuss auf die Wange.

Sie wurde ernst.

»Tut mir leid, wenn ich dich enttäusche, aber ich will gar nicht, dass wir das Spinnrad verkaufen.«

Erling starrte sie an.

»Machst du jetzt Witze? Das steht im Wohnzimmer doch nur im Weg.«

»Es ziert seinen Platz«, sagte Cecilia.

Erling wusste sehr wohl, warum sie das Spinnrad eigentlich behalten wollte. Sie hatte es von ihrer Großmutter bekommen, die in ihrer Kindheit einer der wichtigsten Menschen in Cecilias Leben gewesen war. Hingegen fiel ihr ein, dass es vielleicht noch etwas anderes in ihrem Haus gäbe, was der Stockholmer weiterverkaufen könnte.

Ein Schlüssel wurde in das Schloss der Haustür gesteckt.

Der Astronaut.

Immer dieselben Geräusche. Eine Tasche wurde auf den Boden geworfen, Schuhe wurden abgeschüttelt und eine Jacke aufgehängt.

Karl kam in die Küche.

Erling strahlte.

»Wie lief’s beim Fußball?«

Karl zuckte mit den Schultern.

»Gut«, sagte er.

Cecilia warf ihm einen wachsamen Blick zu.

»Und in der Schule, mein Lieber?«, fragte sie. »Wie war es denn, wieder dort zu sein?«

Sie öffnete den Kühlschrank, um die Lebensmittel einzuräumen.

»Gut.«

Gut.

Wieder einmal.

Cecilia tauchte aus dem Kühlschrank auf. Das Mutterherz pochte. Das, was sie nachts wachhielt, was sie immer wieder an die Raumfähre Challenger denken ließ. Jedes Mal, wenn sie die explodieren sah, jedes Mal, wenn sie zusah, wie die Angehörigen erkannten, dass ihre geliebten Menschen am Firmament starben, dann wusste sie, dass sie das nicht überlebt hätte.

»Ist was passiert?«

Karl schüttelte den Kopf und nahm ein Glas Wasser. Während er trank, sah er seine Eltern an. Erling schien mit einem einfachen »gut« als Antwort auch nicht gerade zufrieden. Zwar war es im Grunde besser als zum Beispiel »beschissen«, aber darum ging es nicht.

Karl stellte das Glas weg.

»Hast du Isak getroffen?«, fragte Cecilia.

Karl sah sie nicht an.

»Ja«, antwortete er, »er war wie immer. Will suchen und so.«

»Du weißt schon, dass ihr die Polizei in Ruhe arbeiten lassen müsst, oder?«, sagte Erling zu Karl.

Karl verzog das Gesicht.

»Wir sind nicht mehr drei Jahre alt, Papa.«

Manchmal ist man da nicht so sicher, dachte Cecilia.

Erling warf Karl einen beunruhigten Blick zu.

Erling, der Anstreicher war und Tischler und in Mathe nicht gut gewesen, der kaum eine Tasse Kaffee auf Englisch bestellen konnte. Cecilia wusste, was er dachte, denn das hatte er ihr schon oft selbst gesagt.

Wie war es ihm und Cecilia nur gelungen, einen Sohn zu bekommen, der nicht nur davon träumte, Astronaut zu werden, sondern darüber hinaus schlau genug zu sein schien, um es wirklich zu werden?

Das war ein Rätsel für Erling und ebenso für Cecilia. Sie hatte durchaus in der Schule so etwas wie eine Begabung gehabt, wie ihre Eltern es nannten, doch das hatte null und nichts mit der außergewöhnlichen Intelligenz von Karl zu tun.

Es war nicht so, dass sie nicht stolz gewesen wären, denn das waren sie. Vor allem Erling. Mein Gott, all die Geschichten über Weltraumraketen, die Erling Karl vorgelesen hatte, als er klein war – da war es doch klar, dass es ihm schmeichelte, etwas Einzigartiges in seinem Sohn zum Leben erweckt zu haben.

Aber es war auch erschreckend.

Wie war es ausgerechnet ihnen beiden gelungen, ein Genie in die Welt zu setzen, das sich nicht damit zufriedengeben würde, was der Heimatort zu bieten hatte?

Wenn sie richtig Pech hatten, würde der Sohn nicht einmal in Schweden bleiben.

Jedenfalls nicht, wenn er Astronaut wurde.

Karl ging zur Treppe.

»Wir essen gleich«, sagte Cecilia zu seinem Rücken.

Karl nickte, um zu zeigen, dass er es gehört hatte. Dann war er weg. Cecilias Gefühl, dass sie etwas Wichtiges nicht mitkriegte, wurde immer stärker.