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Nicht nur Nelly und Bruno haben in dieser Nacht ihre Sorgen. Andere Menschen auch. Bräsig und Kornmann zum Beispiel. Frau Bräsig und Frau Kornmann. Fritz Rettich. Männer in der Zentrale des SSD. Die haben große Sorgen.

Ein paar Techniker vom Sender Freies Berlin haben kleinere. Als der erste Ersatzsprecher für Franz Lutter eintraf, achtete man eine Weile nicht auf diesen. Dann merkte man plötzlich, daß er verschwunden war. Er wurde gesucht und in einem kleinen, leeren Studio gefunden – auf einem Feldbett. Neben ihm stand die Whiskyflasche. Halb leer.

Lutter redete wirres Zeug. Als die Techniker versuchten, ihn nach Hause zu bringen, begann er zu toben.

»Laßt mich zufrieden! Ich schlage euch tot, wenn ihr mich nicht zufrieden laßt! Die Flasche bleibt da, und ihr haut ab! Ich will trinken und schlafen!«

»Aber Ihre Frau …«

»Ruft an! Sagt, ich bin hier. Und nun raus, oder …«

Er sah so furchterregend aus, der hagere, blasse Franz Lutter, daß die Techniker es mit der Angst bekamen. Sie verschwanden. Vor der Studiotür flüsterten sie miteinander.

»Ein Arzt muß her. Der ist knapp vorm Delirium!«

»Blödsinn!«

»Gar kein Blödsinn! Bei meinem Onkel ging das genauso los. Wenn wir damals nicht sofort einen Arzt und die Polizei gerufen hätten …«

»Schluß!« zischt der Chef vom Dienst. »Das fehlt gerade noch, daß hier Polizei und Ärzte anrücken und uns einen besoffenen Sprecher rausholen. Delirium? Der Lutter ist doch einiges gewöhnt! Laßt ihn saufen und pennen … Und daß mir keiner quatscht, verstanden? Das bleibt unter uns. Ein feiner Kollege, der Lutter. Wenn er nüchtern ist, rede ich mit ihm.«

Dem Chef vom Dienst widerspricht nun niemand mehr. Einer schaltet die elektrische Rotschrift ein:

ACHTUNG, AUFNAHME! EINTRITT VERBOTEN!

Ein anderer sperrt das Studio ab. Es hat dicke Türen. Fenster hat es keine. Wenn Lutter wirklich … dann kann er wenigstens niemanden anfallen. Dann ist immer noch Zeit für Arzt und Polizei.

Wie gesagt: So hat jeder seine Sorgen …