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Wunderbare Schnitzel mit Kartoffelsalat hat die Nelly vorbereitet, nachdem Bruno sie verlassen hatte. Man ersieht hieraus sonnenklar, daß Campbells Ratschläge ausgezeichnet gewesen waren. Nellys Argwohn, ihre Befürchtungen und Rachepläne, Mitzi Szapek betreffend, sind geschwunden. Fürs erste einmal wenigstens.

Dann ist der Salat fertig, die Schnitzel sind es auch. Nur noch panieren und braten muß man sie. Aber dann muß man sie auch gleich essen! Und Bruno ist noch nicht da. Also wartet Nelly, trinkt ein Fläschchen Bier und liest die Sonntagszeitungen, die Bruno mitgebracht hat, als er alkoholische Getränke für den mißglückten Besuch von Knarje und Wanda holte.

In diesen Sonntagszeitungen studiert Nelly immer mit brennender Neugier den Gesellschaftsklatsch (Wie die Soraya sich bei den Dreharbeiten zu ihrem ersten Film aufführt …!) und die Berichte über Mode. Was im Westen gesucht und geboten wird, interessiert die Nelly nach all den Jahren auch noch immer. Eine Zeitlang las sie sogar Ehevermittlungs- und Heiratsannoncen, aber als sie über die genug gelacht hatte und alle verschlüsselten Schweinereien auswendig kannte (›Höchst geselliges junges Ehepaar [42/39] sucht Bekanntschaft mit weltoffenem, unkonventionellem, etwa gleichaltrigem Paar zwecks amüsanter Freizeitgestaltung‹), wandte sie sich den Stellenangeboten zu.

Und da findet sie in der ›Welt am Sonntag‹ heute etwas Hübsches:

FÜR ALLEINMÄDCHEN

einmalig günstige Gelegenheit!

Welches ehrliche, solide Alleinmädchen möchte zu mir (Junggeselle, 45, Industrieller) in modernsten Villenhaus-Neubau, München-Herzogpark, in Dauerstellung kommen? Ich biete bis DM 500,– Gehalt, schönes, großes, sonniges Zimmer mit eigenem Bad und wc, Fernsehapparat und dgl. Vorhanden sind sämtliche modernen Küchen- und Haushaltsmaschinen sowie Reinemachefrau für grobe Arbeiten und Fensterputzer. Vorzustellen nach tel. Vereinbarung unter Chiffre 435641.

Der Rubel rollt im goldenen Westen, denkt Nelly, ich bin zu böse mit Bruno gewesen, alles hat wirklich sein Gutes, wenn wir nun nach München übersiedeln und dort die Kneipe aufmachen, dann kassieren wir todsicher mehr als in Berlin! Die müssen ja ganz besoffen sein von dem vielen Geld in der Bundesrepublik. Und das mit den ›Saupreißen‹ hat sich in Bayern auch schon lange gegeben. (Hier irrt Nelly ein wenig.)

Mein Gott, wo der Bruno nur bleibt? Na ja, seine Freunde werden ihn aufhalten. Nicht schon wieder böse werden. Ist doch der Beste von allen, mein Böckchen.

Nelly legt die Zeitungen fort und zieht sich das Aufregendste an, was sie besitzt. (Geschenk des dürren Herrn René Öxle aus Duisburg, des Gentlemans mit den kleinen Wünschelein.) Das Aufregendste, was Nelly besitzt, ist ein Kleid aus knallgrünem Seidenjersey. Das klebt am Körper wie eine zweite Haut. Nelly zieht nichts darunter an. Das Kleid hat überall Schlitze und Ausschnitte. Dort, wo sie hingehören. Nelly schminkt sich, wie Herr Öxle es gern hatte und wie es wahrscheinlich jeder Mann gern hat: So nuttig wie möglich. (Alle haben es gerne, viele sind nur zu feige, es zuzugeben.) Danach besprüht die Nelly sich mit einem Parfüm, das heißt ›Ekstase‹. Riecht auch so.

Endlich sitzt sie absolut beschäftigungslos herum.

Es ist schon drei. Und keine Spur von Bruno.

Wenn ihm etwas …

Schrecklich. Nicht daran denken. Nein, nein, nein, der kommt jetzt gleich!

Nelly bindet eine Schürze um, geht in die Küche und paniert und brät die Schnitzel, als könne sie damit Bruno herbeibeschwören.

Sie kann es nicht.

Halb vier.

Die Schnitzel sind kalt.

Nelly liegt wieder auf dem Prachtbett und denkt, daß sie lieb, sehr lieb zu Bruno sein wird, wenn er zurückkommt. Er ist doch alles, was sie hat.

Vier Uhr.

Es klingelt.

Nelly rast zur Tür.

Bruno ist gekommen, einen Koffer bringt er mit. Sehr erhitzt und sehr betrübt sieht er aus.

»Bruno!«

»Ach, Nelliken … et is furchtbar … die Luttas … er war doch so ’n olla Kamerad von mir …«

»Na ja, und? Und?«

»Und jetz … jetz …« Bruno schnieft tragisch.

»Jetzt komm erst einmal rein und setz dich hin und erzähle mir alles in Ruhe!«

Das tut Bruno alsdann. Teilnahmsvoll (was ihr diese Lutters egal sind!) hört Nelly ihm zu.

»… und allet bloß der Suff, Nelliken, bloß der Suff … is det nich furchtbar?«

»Furchtbar. Bedauernswerte Menschen.« Nelly sucht und findet Worte des Mitgefühls. Für die Lutters. Für ihr Schicksal. Für Brunos Trauer. Sie versteht ihn, ach, sie versteht ihn ja so gut!

»Nelly, wenn ick dir nich hätte!«

»Du hast mich ja.«

»Ja! Ja! Und für immer! Nie mehr laß ick dir wech!«

(Na also. Wie man Männer behandeln muß, das weiß ich. Wenigstens das habe ich gelernt. Schwer bezahlt dafür. Aber nun weiß ich es.)

»Sieh mal, Bruno, die beiden sind in der Schweiz … Sie haben Geld … Sie haben keine Sorgen … Trinken werden sie natürlich weiter … Aber wenn es sie glücklich macht? Hier in Berlin haben die Lutters sich doch nur herumgequält, nicht? Hast du gesagt. Na also. Nun brauchen sie sich nicht mehr zu quälen. Und du, du darfst das auch nicht tun. Im Gegenteil! Wenn deine Freunde froh sind, mußt du es doch auch sein!«

»Einmalich«, sagt Bruno. »So wat wie du … det jibts nich ’n zweetet Mal. Weeßte, dette ma tatsächlich übazeucht hast? Und jetröstet?«

»Das wollte ich doch. Ich liebe dich doch.«

Der letzte Satz läßt den Bruno wieder einmal alles vergessen, die Lutters, die Mitzi Szapek, seine Befürchtungen, seine Sorgen – alles. Ein großes Kind ist er, der Bruno. Ein paar gute Worte, ein paar richtige Worte – und man kann mit ihm machen, was man will.

Jetzt sieht er Nelly an, als hätte er sie bisher nie gesehen. Die Augen treten ihm dabei leicht aus den Höhlen.

»Mensch, Nelliken, du bist vielleicht ’ne Wucht!«

»Gefalle ich dir?«

»Jefalln? Ick hab schon ’n Steifn, wenn ick bloß det Parföng rieche!« Er packt sie.

»Nicht doch, Bruno. Zuerst essen, dann baden, und dann haben wir alle Zeit von der Welt. Heute ist Sonntag …«

»Nich lange jenuch«, antwortet er atemlos, während er sie ins Schlafzimmer trägt. Sie strampelt und tut, als ob sie sich wehrt: aber sie tut nur so.

Bruno. Bruno. Ihr gehört er. Nur ihr. Und er will keine andere. Er liebt nur sie. Das sagt er in der nächsten Stunde immer wieder. Beweisen tut er es auch. Das knallgrüne Kleid geht übrigens in Fetzen. Na, und wenn schon!

Nelly hat einen teuren Plattenspieler eingeschaltet. (Präsent von Herrn Öxle.) Auf dem Teller kreist eine Platte, die Bruno ihr gekauft hat, gleich nachdem sie sich wiedergefunden haben.

›Die Großen Erfolge‹ (heißt sie. Gemeint sind die großen Erfolge der Hildegard Knef. Ihre Hits. Zu den Hits gehört auch Brunos Lieblingslied. Die Platte kreist, die Knef singt-spricht.

»Wenn die Sonne hinter den Dächern versinkt …«

Diesen Hit spielen Nelly und Bruno sich immer wieder vor. Dazu. Sie verweilen ziemlich lange auf dem Baldachinbett.

Dann ist es fünf.

Da essen sie zu Mittag.

Kalte Schnitzel mit Kartoffelsalat. Bier und Alten Klaren.

»Süße, kochen kannste jenauso jut wie det andere!« lobt Bruno.

Sie haben beide einen sitzen, denn sie trinken, seit Bruno heimgekehrt ist. Auch im Badezimmer, wohin der menschliche Seehund dann um sechs Uhr befördert wird, trinken sie. Eben nimmt er wieder einen Schnaps zur Brust und mahnt dabei: »Wir dürfen uns nie so jehnlassen wie die Luttas, Nelly. Der Alkohol ist der tückischste Feind des Menschen.«

»Ja, mein Böckchen«, sagt sie und kippt auch einen.

»Nie dürfen wir abhängig werden von det Zeuch!«

»Nie, Bruno. Das ist eine Frage der Konstitution. Wir zwei können gar nicht abhängig werden vom Alkohol.«

»Nein, nich?«

»Nein. Sonst wären wir es doch schon längst!«

»Ja, det is richtich. Wat biste kluch, Süße. Denn könnwa ja vielleicht noch ’n bißken feian?«

»Können wir. Können wir ruhig.« Nelly gießt die Gläser wieder voll. Dann seift sie Brunos Rücken ab. Dabei hat der einen letzten trüben Moment. Er starrt in das Badewasser. »Und morgen wenn alle lesen üba Knarje und mir …«

»Na, das wissen wir aber doch schon!«

»Ja, bloß, stell dir vor, der arme Franz in sein Schumm, der hat doch jesacht, üba ihn wern wa ooch noch wat lesen … Weil a ’n jefährlicha Staatsfeind is … so ’n Quatsch mußte ick ma anhörn … Suff … der Suff …«

»Eben schon charakterlich weitgehend abgebaut«, meint Nelly. »Natürlich werden wir nichts über ihn lesen.« (Oder doch? Nelly ist sich da nicht ganz sicher. Ganz sicher ist sie sich nur bezüglich der Behandlung, die sie Bruno im Moment angedeihen lassen muß.) »Jetzt höre aber bitte endlich auf damit, ja? Noch ist heute. In einer Zeit wie unserer Zeit, da kann man nur im Heute leben. Tauch unter, die Seife muß weg. So, jetzt steh auf, ich trockne dich ab.«

Er erhebt sich.

Sie schrubbert mit einem Frottierhandtuch.

Er lacht.

»Nich doch … nich … Nelliken … Nelliken, mach det nich!«

»Und ob ich das mache. Ich werde gleich noch ganz andere Sachen machen! Los, raus aus der Wanne! Und ins Bett! Jetzt wird der kleine Junge verführt …«