Det is wohl ’n kleena Scherz, wat?« fragt Bruno stirnrunzelnd. Er sitzt neben Knarje im Büro des Kriminalrats Berthold Prangel im Westberliner Polizeipräsidium am Tempelhofer Damm. Wieder einmal vor einem Schreibtisch. Hinter dem Schreibtisch sitzt Prangel.
»Das ist kein kleiner Scherz, Bruno«, antwortet der Kriminalrat, der noch blasser und elender aussieht als am Sonntag und tiefe, dunkle Schatten unter den Augen hat. »Das ist mein voller Ernst. Man hat mir euern Fall abgenommen. Wenigstens, was die Zusammenarbeit mit den Amerikanern betrifft. Leider.«
»Leida!« wiederholt Bruno, an seinem Hemdkragen zerrend. »Leida sagense, Herr Kriminalrat. Sonst hamse nischt zu sagen?«
»Nein, Bruno. Nur daß es mir wirklich sehr leid tut.«
»Von Kondolazjonen wird höflichst jebeten, Abstand zu nehmen«, sagt Bruno langsam. Seine gutmütigen Augen machen plötzlich einen gefährlichen Eindruck, er ballt die Fäuste auf den Knien.
»Herrgott, Bruno, denkst du, ich bin glücklich über diese Entwicklung?«
»Nein? Sind Sie es nicht?« (Hochdeutsch!)
»Bruno!«
»Immer noch Herr Knolle für Sie, Herr Kriminalrat, wenn ich bitten darf.«
»Also, hören Sie mal, Herr Knolle … ach was, Herr Knolle werde ich zu dir sagen, nach einem halben Menschenleben! Also höre mal, Bruno … halt den Mund, jetzt rede ich! … Du glaubst doch nicht etwa, daß ich mich vor meinen Versprechungen drücken will!«
»Genau das glaube ich, Herr Kriminalrat«, erwidert Bruno durch die Zähne. Er beugt sich vor. Jetzt legt er die Fäuste auf die Schreibtischplatte. »Und wissen Sie, was ich noch glaube? Daß Sie das von Anfang an vorgehabt haben, daß das eine abgekartete Geschichte ist zwischen Ihnen und den Amis. Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan, der Mohr kann gehen.«
Für Knarje war das alles ein bißchen zu schnell abgelaufen, er ist nicht mehr mitgekommen. Jetzt kapiert er.
»Det is doch … nee, also wenn det nich die jrößte Jemeinheit is, die ick je alebt habe! Ick krieje noch fümfdausend Emm, Herr Kriminalrat! Und zwar jetz gleich! Ware is schon jeliefat, Arbeet schon jeleistet! Die fümfdausend sind fällich – jenauso, wie et besprochn war. Wo sindse, die fümf Mille?«
»Hier nicht«, sagt Prangel. Na schön. Na also. Nun ist es soweit. Genauso hat er sich das vorgestellt. Die ganze Nacht lang. Lesen konnte er nicht, schlafen konnte er nicht, weil er sich diese Szene vorstellen mußte. Immer wieder.
Soll er den beiden erklären, was dieser Dr. Landon ihm gestern erklärt hat? Sie würden es doch nie verstehen. Und selbst wenn sie es verstünden – wenigstens Bruno, der ist der Hellere –, was hätten sie davon? Nichts.
›Auf lange Zeit gesehen, bleibt der Westen Sieger …‹
Gewiß.
Da sitzen nun zwei, die sind Verlierer während dieser langen Zeit. »Wat heeßt, hier nich?« jault Knarje auf.
»Ich habe die zweite Rate nicht«, sagt Prangel müde. »Die Amerikaner haben sie mir nicht geschickt … nur die erste, am Sonnabend. Sonst würde ich dir das Geld doch sofort geben, Knarje! Aber ich habe es nicht. Ich sage doch, ich bin raus aus dem Fall, man hat ihn mir abgenommen. Wie oft wollt ihr das noch hören, verflucht?«
»Also die Amis ham die Penunse?«
»Ja. Oder der Bundesverfassungsschutz. Der bearbeitet die Sache an meiner Stelle weiter. Geh zu den Amerikanern. Fahr zum Bundesverfassungsschutz. Frag nach Herrn Schuckert. Der soll dir sagen, ob er das Geld für dich bekommen hat. Ich habe nichts bekommen. Das heißt, ich habe natürlich deine BVG-Akte von drüben bekommen, Bruno, falls dich das interessiert. Da liegt sie. Die Brüder haben sofort das ganze Material geschickt.«
»Ach nee«, sagt Knarje. »Und det über mir und die Fülme ooch?«
»Ja. Deine Akte liegt bei der Sitte. Brunos Akte ist zu mir gekommen, weil es sich um Einbruch handelt.«
»Womit die Affäre erledigt wäre, nicht wahr? Hipp hipp hurra!« Bruno steht auf, öffnet die Fäuste und streckt beide Arme vor.
»Was soll das?« fragt Prangel.
»Ich bitte um Handschellen, Herr Kriminalrat. Wenn ich höflichst ersuchen dürfte, mich gleich abführen zu lassen.«
»Setz dich hin!« schreit Prangel wild und so laut, daß Bruno erschrocken auf seinen Stuhl plumpst. »Du kleiner Idiot! Was denkst du, was ich jetzt für Mühe haben werde, dieses Material verschwinden zu lassen? Und die drüben in der Sitte deines, Knarje! Zum Glück habe ich da Freunde. In einem Rechtsstaat ist das nicht so einfach wie in einer Diktatur.« (Erinnerungen an das Gespräch mit Dr. Landon …)
»Weißt du, was ein Rechtsstaat ist?« Bruno wendet sich an seinen Kumpel, der aussieht, als wollte er weinen. »Ein Rechtsstaat, Knarje, das ist ein Staat, der macht dir genau solche Versprechungen wie ein Unrechtsstaat. Bloß einen Unterschied gibt es: Der Rechtsstaat hält seine Versprechungen dann nicht.«
Prangel wird wütend.
»Nun aber Schluß, Bruno, ja? Möchte wissen, was der SSD mit dir gemacht hätte, wenn du nicht zu mir gekommen wärst und Fanzelau wirklich entführt hättest.«
»Ja, das täte mich auch interessieren, Herr Kriminalrat. Drüben haben sie mir eine Kneipe versprochen, Sie erinnern sich doch, nicht wahr? Und Streichung aller Vorstrafen im Register, damit ich eine Konzession bekommen kann. Und Kredite für die Kneipe. Dasselbe haben Sie mir versprochen.«
»Die Amerikaner.«
»Sie und die Amerikaner«, spricht Bruno mit unbarmherziger Schärfe. »Sie haben sogar gesagt, Sie würden mir die Kneipe auch noch verschaffen, selbst wenn dieser allmächtige Ami, der nie ein Versprechen gebrochen hat, sein Versprechen doch einmal brechen sollte.« (O Gott, denkt Prangel, ja, das habe ich gesagt!) »Ihr Ehrenwort haben Sie mir gegeben, wenn ich Sie daran erinnern darf, Herr Kriminalrat.« (Bruno, bitte, Bruno, hör auf!) »Angefleht haben Sie mich, Ihnen zu helfen! Oder irre ich mich?«
»Du irrst dich nicht, Bruno«, sagt Prangel, nach Luft ringend. »Das ist alles richtig. Ich habe auch noch gesagt, du kannst dir eine Kneipe in Berlin oder eine in der Bundesrepublik aussuchen …«
»Ich habe mich für München entschieden«, antwortet Bruno, dem in der Aufregung wieder einmal der Sinn für die harte Realität abhanden kommt – ganz kurz nur! »Das heißt: Ich hatte mich für München entschieden. Bißchen voreilig von mir.«
Knarje stottert: »Det … det könnense doch nich machen mit uns, Herr Kriminalrat!«
»Aber natürlich kann der Herr Kriminalrat das mit uns machen, Knarje«, sagt Bruno. »Mit solchen wie uns kann man alles machen. Wenn die Herren, die uns so fein beschissen haben … ach, verzeihen Sie den Ausdruck, Herr Kriminalrat, verzeihen Sie vielmals! … wenn die Herren, die so freundlich zu uns waren, noch ein wenig warten, erledigt sich die ganze Geschichte von selber. Das sind nämlich auch keine Idioten, die drüben im Osten. Die werden schon einen Weg finden, uns rüberzuholen. Bekannt gemacht hat uns der demokratische, der freie, der wunderbare Westen ja zur Genüge.« Plötzlich vollführt Bruno eine dialektische Wendung um hundertachtzig Grad. Schluß mit dem Hochdeutsch! »So hamse sich det vorjestellt, wa? Aba da hamse sich jeirrt! Da hamse sich mächtich jeirrt! So einfach is det nich, Herr Kriminalrat! Wir jeben nich uff! Wir wehren uns! Und wie wa uns wehren wern! Da jibts ville Weje, jawoll! Und wenn ick se alle uffliejen lasse, Sie, die Amis, alle! Und wenn ick mir an den ›Spiejel‹ wende! Und wenn ick nischt weita arreiche als ’n Skandal, det der Funkturm wackelt … ick wehre ma! Buchtense ma ein, wennse wollen! Okee, denn packe ick bei de Verhandlung aus! Da hab ick denn jenau det richtije Publikum! Se buchten ma nich ein? Ooch okee! Rede ick so mit die ›Spiejel‹-Leute!«
»Bruno …«
»Ick bin ’n Mensch, Herr Kriminalrat, keen Vieh!«
»Bruno …«
»Und Knarje is jenau so ’n Mensch! Und wir ham unsre Rechte und unsre Würde! Und nu wolln wa doch mal sehn, wer zuletzt lacht, und wer zuletzt so richtich in de Scheiße liecht! Det wollnwa …«
»Bruno, Himmelherrgott, halt endlich die Schnauze und laß mich reden!« schreit Prangel, der, wie der arme Knarje, mit Tränen kämpft. »Ich lasse euch doch nicht im Stich! Ich habe mein Ehrenwort gegeben! Glaubst du, das gilt nicht mehr?«
»He?« Bruno glotzt.
»Vielleicht denkt ihr zwei einen Augenblick nicht nur an euch, sondern auch an mich! Ich habe euch angestiftet … jawohl, angestiftet ist das Wort! Ich fühle eine Verantwortung für euch! Jawohl, auch das ist das Wort! Verantwortung! Ich werde keine Ruhe geben! Sie haben mir den Fall genommen! Aber noch bin ich ein wichtiger Mann für sie! Ich setze durch, daß die Versprechungen eingelöst werden! Ich setze es durch!«
»Herr Kriminalrat«, sagt Bruno, dem Prangel auf einmal leid tut, »hebense sich man bloß keenen Bruch dabei. Wie wollnse det denn jetz noch machen?«
»Es wird schwieriger werden, als wir alle gedacht haben, es wird länger dauern … Aber ich lasse euch nicht im Stich, das ist mein heiliger Ernst! Auf mich könnt ihr immer rechnen!«
Schweigen.
Dann sagt Bruno: »Tut ma leid, det ick so unvaschämt jewesen bin, Herr Kriminalrat. Knarje tuts ooch leid.«
»Ja«, sagt der.
»Wir kapiern jetz, det Sie uns nich bescheißen wolln. Sie uff keenen Fall, Herr Kriminalrat! Sie sind in ’ne miese Situazjon, det is uns nu klar. Und wennse uns helfen wolln, denn sagen wa von janzen Herzen danke!«
»Danke, jawoll«, echot Knarje.
»Um das Belastungsmaterial macht euch man keine Sorgen«, murmelt Prangel und sieht dabei die beiden Ganoven schwermütig an. »Das ist bei uns gut aufgehoben. Und was alles andere betrifft, so werden wir jetzt zweigleisig operieren … ihr auf eure Weise, ich auf meine. Ich sage euch, was ihr tun müßt.«
Der Kriminalrat Prangel sagt Bruno und Knarje, was sie tun müssen.