Am 20. August 1964 sinkt die Temperatur in Berlin nach einem weiteren heftigen Gewitter jäh. Es ist kühl und trüb. Die Meteorologen rechnen mit neuen Niederschlägen.
Tags zuvor fuhr ein vollbesetzter Reisebus von München nach Berlin. Zehn Minuten nachdem er die bayerische Landeshauptstadt verlassen hatte, starb einer der Passagiere, ein vierundfünfzigjähriger Berliner, buchstäblich von einer Sekunde zur anderen an einem Herzschlag. Er war mit seiner Familie auf der Heimkehr aus dem Urlaub gewesen. Frau und Tochter saßen neben ihm. Jedoch nur die Frau bemerkte den plötzlichen Tod.
In Bayern goß es bereits in Strömen. Im Bus waren viele Kinder. Die Frau wollte keine Panik verursachen – und sie hatte Angst vor den Behörden an der Zonengrenze. Würde man ihr gestatten, den toten Mann heim nach Berlin zu bringen?
Die Frau legte eine Decke über den im Sitz Zurückgesunkenen. Sie verbarg seine Hände unter einer Strickjacke, als der Bus bei Töpen-Juchhöh die Zonengrenze erreichte, denn da war schon die Totenstarre eingetreten.
Den kontrollierenden Volkspolizisten und allen Mitreisenden erzählte die Frau: »Mein Mann ist leidend. Er schläft endlich wieder einmal friedlich. Bitte wecken Sie ihn nicht!«
Sie überreichte den Vopos die Ausweise des Leblosen. Niemand schöpfte Verdacht. Zehn Stunden lang saß jene Frau so neben ihrem toten Mann. Erst in Berlin informierte sie den Chauffeur, nachdem alle anderen Reisenden ausgestiegen waren. Der Bus fuhr die Leiche dann noch ein Stück weiter ins nächste Krankenhaus.
An diesem Tag – wie an den Tagen zuvor – waren Bruno und Knarje in Berlin ständig unterwegs. Zunächst besuchten sie stets Herrn Schuckert im Amt für Verfassungsschutz und beantworteten freundlich, bereitwillig und wahrheitsgetreu dessen Fragen.
Den Äußerungen Schuckerts entnahmen sie, daß dieser, ebenso wie die Engländer und Amerikaner, aus allen möglichen Motiven (dem Exodus der Lutters, der Flucht der Mitzi Szapek sowie Gründen, über die Schuckert sich nicht ausließ) auf weitere Ereignisse im Zusammenhang mit der vereitelten Entführung warteten. Das war Bruno und Knarje sehr unangenehm, aber sie konnten nichts dagegen tun.
Nach dem Besuch bei Schuckert gingen die Freunde ins Polizeipräsidium. Knarje hätte da eigentlich schon nicht mehr hingehen müssen – aber er war furchtbar verstört und folgte Bruno auf Schritt und Tritt.
»Ick hab doch nischt zu tun, Mensch. Det einzije, wat mir intressiert, sind noch meine andan fümfdausend Eia. Und natürlich liecht ma ooch dein Bisness am Herzen! Laß ma doch mitloofn, ick machet ja jerne, so bin ick imma uffn Kiwief.«
Also läßt Bruno den Knarje, der ihm übrigens fünfhundert Mark geliehen hat, mitlaufen.
Wenn sie den Kriminalrat Prangel besuchen, hören sie zwar nichts, was zu Triumphgeheul Anlaß gäbe, aber doch Tröstliches: »Das mit eueren Akten kriege ich hin. Da bin ich mächtig hinterher, daß da nichts passiert. Und den Amerikanern gehe ich auch nicht von der Pelle, dauernd telefoniere ich mit ihnen. Habt Geduld, Jungs!« Elend, sehr elend sieht der Berthold Prangel aus …
Na ja, und nach der Visite im Polizeipräsidium fahren die beiden Freunde hinaus nach Marienfelde, wo Bruno von Dienststelle zu Dienststelle wandert, während Knarje geduldig wartet. Sodann kehren sie in die Stadt zurück, und Bruno spricht beim Arbeitsamt, beim Wohnungsamt, bei vielen Ämtern vor – wie das jeder Flüchtling tun muß. Zuletzt begleitet Knarje den Kumpel immer noch zum Bethanien-Krankenhaus. Bruno besucht Mitzi. Da er mit seinen Bemühungen um Anerkennung als politischer Flüchtling noch nicht sehr weit gekommen ist, sind auch alle seine anderen Bemühungen kaum weiter gediehen. Er erhält zum Beispiel nicht das Wochengeld der Arbeitslosenunterstützung.
Na, Knarje hat ihm ja fünfhundert Mark geliehen! Hundert gab er sofort Nelly zurück. Noch hat Bruno genug, noch kann er Mitzi stets ein kleines Geschenk mitbringen. Es wird nun doch drei Wochen dauern, bis die Ärzte sie entlassen und sie in das Lager Marienfelde übersiedeln soll. In drei Wochen, hofft Bruno inbrünstig, wird er nicht mehr in Berlin sein! Sondern schon in München – mit seiner Nelly. Die arme Mitzi ist dann natürlich allein. Das bedrückt Bruno. Darum bringt er stets die kleinen Geschenke und sagt Mitzi auch manchmal, wenn sie es unbedingt hören will, daß er sie liebt. Die paar Wörter!
Knarje wartet bei diesen Besuchen stets brav im Garten des Krankenhauses. Gemeinsam fahren sie endlich in den ›Schwarzen Schimmel‹. Hier sitzen Nelly und Wanda. Man trinkt sein Bierchen, man plaudert ein Stündchen, dann gehen die Frauen an die Arbeit. Daran hat sich nichts geändert.
Bruno kommt auf diese Weise erst spät nach Mitternacht in die dann gästefreie Wohnung Nellys und in das Prachtbett, das stets frisch bezogen ist. Wenige Menschen erleben den Genuß täglich neuer Bettwäsche. Millionäre, Filmstars. Und Bruno Knolle!
Nelly beträgt sich sehr lieb zu Bruno in dieser Zeit.
»Alles braucht seine Weile«, sagt sie oft. »Sieh Knarje und Wanda an … die vertragen sich auch wieder. Wanda ist endlich bereit, nach München mitzukommen.«
»Na ja, na ja. Aba det is ma schon schrecklich, det allet so lange dauat, Nelliken … wo ick dir doch vasprochen habe, et is Schluß mit ’n Strich.«
Nelly geht (scheinbar) leicht über derlei Worte hinweg: »Nun laufe ich schon so lange … die paar Tage werde ich es auch noch aushalten.«
»Trotzdem! Seit ick dir wiedajefunden habe, macht mir det janz varrückt, wenn ick denke: Für jeden musse de Beene breitmachen!«
»Ich denke dabei immer nur an dich«, pflegt Nelly zu antworten. Und das beruhigt den Bruno dann, und er schläft friedlich ein. Nelly Pietsch aber liegt neben ihm und starrt in die Finsternis, und die Gedanken, die sie sich macht, sind noch schwärzer als die Nacht. Doch anmerken, anmerken läßt sie sich nichts!
Um aber auf den 20. August zurückzukommen …
Das ist der Tag, an dem die siebenundvierzigjährige Margot Heisterberg, Gattin des achtundvierzigjährigen Wirtschaftredakteurs der ›Weltpresse‹, Mutter eines vierzehnjährigen Sohnes, Unheil, nicht wiedergutzumachendes Unheil anrichtet in ihrer manischen Besessenheit, mit der unbarmherzigen Überzeugung, daß ihr Mann und diese rothaarige Hure namens Barbara Mittenzwey sie betrügen, im eigenen Haus, in der eigenen Wohnung, im eigenen Bett.
Es ist jetzt 15 Uhr 30.
Sorgfältig gekleidet und frisiert, jedoch außerordentlich nervös, sitzt Margot Heisterberg im Wartezimmer der Kanzlei des bekannten Scheidungsanwalts Dr. Jakob Goldner am Innsbrucker Platz. Des trüben, unbeständigen Wetters wegen hat Margot einen dieser zusammenlegbaren Schirme mitgenommen. Schwer liegt er auf ihren Knien.
Dr. Goldner verhandelt noch mit einem anderen Mandanten, Margot war erst für 16 Uhr bestellt, sie ist viel zu früh gekommen. Das Wartezimmer ist leer. Irgendwo klappern Schreibmaschinen, ab und zu hört man über den Dächern das Dröhnen einer Verkehrsmaschine, die sich unmittelbar vor der Landung, unmittelbar nach dem Start befindet.
15 Uhr 31.
Die Zeit vergeht und vergeht nicht.
Margot atmet hastig, spielt mit dem schweren Schirm, klappert mit der Spitze eines Schuhes.
Sie war schon einmal hier, am Montag.
Noch zwei Tage früher, gegen den Mittag des 15. August, hatte sie mit dem kleinen Farbfoto, das aus Kurt Mittenzweys Tasche geglitten und von Margot gefunden worden war, das Fotogeschäft Roland in der Grolmanstraße 21 aufgesucht und dabei Barbara Mittenzweys Namen und Adresse eruiert.
Am Montagvormittag meldete sie sich bei Dr. Goldner an. Zu ihrer Freude bekam sie noch einen Termin für den gleichen Tag: 15 Uhr. Pünktlich war die verblühte, verbitterte Frau erschienen.
In größter Erregung hatte sie vor dem Anwalt die Leidensgeschichte ihrer Ehe und alle Gegenstände aus der Lade ihrer Frisierkommode ausgebreitet. Die Kinokarten, die Blumen- und Restaurantrechnungen, die Briefe, Barbaras Foto, ihr seit Jahren zusammengetragenes ›Beweismaterial‹ gegen Egon.
Dr. Jakob Goldner war ein zuckerkranker, trauriger Mann mit schweren Tränensäcken unter den dunklen Augen. 1934 hatte er Berlin verlassen müssen, aber schon 1947 war er zurückgekehrt. Er liebte Berlin, es war für ihn die einzige Stadt, in der man leben konnte.
Sein Beruf hat Goldner ähnliche Menschenkenntnisse verschafft wie dem Psychiater Dr. Landon – wenn auch auf andere Weise. Wie dieser im Fall Olaf Martini, so empfindet Goldner im Fall Margot Heisterberg eine Spontan-Aversion, die stärker und stärker wird, je länger diese offensichtlich hysterische Frau auf ihn einredet.
Endlich läßt Margot den Anwalt zu Wort kommen.
Mit liebenswürdiger Routine beginnt Goldner: »Gnädige Frau, Sie und Ihr Mann haben sich also auseinandergelebt …«
»Auseinandergelebt ist gut! Der gemeine Kerl …«
»… und wenn in einer solchen toten Ehe auch noch ein Kind aufwächst, dann ist gewiß eine Scheidung das beste. Das beste für das Kind. Kinder leiden am meisten, das wissen Sie doch, wenn sie dauernd Zeugen der Zerwürfnisse ihrer Eltern werden.«
Sofort beginnt eine neue Litanei: »Mein armer Ulli! Alles werde ich für ihn tun, alles! Wie einen kleinen Prinzen will ich ihn verwöhnen, wenn er erst mit mir allein lebt. Wir werden doch die Wohnung für uns haben … und genug Geld. Egon verdient nun einigermaßen. Die Alimente für Ulli kann man ihm doch gleich vom Gehalt abziehen und an mich überweisen, nicht wahr? Ich erhalte als unschuldig geschiedene Frau doch das Sorgerecht!«
»Das«, antwortet Goldner, »erhalten Sie sicherlich, falls Ihr Gatte alle Schuld auf sich nimmt, beziehungsweise überhaupt mit einer Scheidung einverstanden ist.«
Margot starrt den Anwalt entgeistert an.
»Wenn er mit einer Scheidung einverstanden ist? Er muß doch einverstanden sein … schon dem Gesetz nach!«
»Nein, gnädige Frau, da irren Sie sich. Ihr Gatte muß nicht automatisch in eine Scheidung einwilligen. Sie können sich von ihm trennen, gewiß, aber das sieht dann ganz anders aus, das …«
»Trennen? Ich denke ja gar nicht daran! Da muß ja ich aus der Wohnung!«
»Nun, wenn Sie ein Zusammenleben nicht mehr ertragen …«
Margots knochige Hände flattern wie Gespenstervögel über den Krimskrams auf Goldners Schreibtisch.
»Aber er muß doch verurteilt werden! Hier! Hier! Hier! Sind das nicht genügend Beweise für seine Schuld?«
»Sie haben viel erduldet, viel mitgemacht«, erwidert Goldner beherrscht. »Dennoch ist es meine Pflicht, Ihnen ganz klar zu sagen, daß die Beweise, die Sie für die Untreue Ihres Mannes vorbringen können … dieses Foto eventuell ausgeklammert … nicht für eine automatische Scheidung von Ihrem Gatten als Alleinschuldigem ausreichen.«
Danach bleibt es eine lange Weile still in Dr. Goldners Kanzlei.
Margot ist erschüttert. Sie sieht so verzweifelt aus, daß sie den Anwalt trotz seiner spontanen Aversion dauert. Er sagt deshalb ermutigend: »Das Foto ist wenigstens ein halbwegs konkretes Schuld-Indiz.«
»Halbwegs konkret?«
»Ihr Gatte kann zu dieser Dame in ehewidrigen Beziehungen stehen …«
»Kann? Er tut es!« Goldner muß sich sehr zusammennehmen, um nicht die Geduld zu verlieren. »Ich erzählte Ihnen doch, daß ich die Person in unserem Haus …«
»… gesehen haben, ja. Sie haben in Ihrem Haus auch dieses Foto gefunden.«
»Auch andere Hausbewohner haben das Luder … verzeihen Sie … die Person gesehen!«
»Gut und schön. Das alles, liebe gnädige Frau, veranlaßt mich ja, von einem halbwegs konkreten Indiz zu sprechen. Ein einwandfreies Indiz ist es nicht. Ihr Mann, das haben Sie mir auch erzählt, erklärt, überhaupt keine rothaarige Frau zu kennen.«
»Daß er sie ja kennt, wird er zugeben!«
»So kommen wir nicht weiter«, erklärt Goldner. »Eine Begegnung im Treppenhaus, der Fund eines Fotos, die Erklärungen anderer Mieter, sie hätten jene Dame auch im Treppenhaus gesehen, sind kein eindeutiger Beweis für ehewidrige Beziehungen Ihres Gatten zu der Dame, ich sage es noch einmal.« Der Anwalt weist mit dem Kinn auf die Schreibtischplatte. »Und das hier, das bedeutet überhaupt nichts. Nicht vor Gericht! Nicht, wenn Ihr Mann alles abstreitet! So glauben Sie mir doch!« Goldners Stimme wird kalt. »Oder glauben Sie mir nicht, dann fragen Sie einen Kollegen. Ich bin nicht böse, wenn Sie einen anderen Anwalt wählen.«
Margot erschrickt.
»Nein! Bitte, Herr Doktor, ich will Sie zum Anwalt! Gerade Sie! Sie haben einen so großen Ruf …«
»Wenn Sie mich zum Anwalt haben wollen, dann müssen Sie mir auch glauben.«
»Ich bin so schrecklich aufgeregt …«
»Ja, leider. Passen Sie auf: In Fällen wie diesen schlage ich meinen Mandanten immer vor, mit dem Ehepartner ruhig und sachlich zu sprechen und ihm klarzumachen, daß eine Scheidung auch in seinem Interesse liegt. Konzentrieren wir uns dabei auf dieses Foto. Ich könnte mir vorstellen, daß Ihr Gatte nach einer Aussprache mit Ihnen in eine Scheidung einwilligt, sei es, um diese Dame nur zu schützen, sei es, um sie heiraten zu können. Voraussetzung ist natürlich immer, daß er wirklich in Beziehungen zu ihr steht.«
»Darauf können Sie Gift nehmen! Aber eine Aussprache nur in Ihrer Kanzlei!«
»Natürlich.« Goldner seufzt wieder. Derartige Aussprachen schätzt er besonders. »Ich schreibe Ihrem Gatten noch heute und bitte um seinen Besuch am …« Der Anwalt blättert in einem Terminkalender, »… am Donnerstag. Das ist der Zwanzigste. Paßt Ihnen das?«
»Mir paßt jeder Termin. Je schneller, um so besser.«
»Sagen wir also: Am Zwanzigsten um sechzehn Uhr?«
»In Ordnung. Und was ist mit der da?« fragt Margot und zeigt auf das kleine Farbfoto.
»Mit … wieso?«
»Na, die muß doch auch her!«
Ach, zum Teufel! denkt der Anwalt.
»Nein, gnädige Frau«, sagt er mit gepreßter Höflichkeit. »Das muß sie nicht. Ich hoffe, daß wir am Donnerstag zu einer gütlichen Einigung kommen werden.«
»Gütliche Einigung? Wie meinen Sie das?«
»Ihr Mann gibt zu, daß er die Schuld an der Zerrüttung der Ehe trägt, erklärt sich mit der Höhe der Alimentenzahlungen einverstanden und damit, daß das Kind ein, zwei Monate jährlich bei ihm lebt.«
»Ulli bei dem? Nie!«
»Wenn er für das Kind zahlt, darf er das verlangen. Schön ist so etwas nie, Frau Heisterberg.«
»Wer redet von schön? Scheußlich soll es sein, so scheußlich wie möglich … für ihn und für dieses Weib, diese Mittenzwey.«
Goldner räuspert sich irritiert.
»Wieso für … Frau oder Fräulein Mittenzwey?«
»Weil ich darauf bestehe, daß die Person vor Gericht mit vollem Namen als Ehebrecherin genannt wird!« ruft Margot hitzig.
»Frau Heisterberg, das wird ganz selten getan. Eigentlich nie.«
»Bei mir schon!«
»Wissen Sie denn, was der Dame dann passiert?«
Margots erloschene Augen leuchten auf. »Natürlich weiß ich das! Anzeige werde ich erstatten! Ein Verfahren muß dann gegen sie eröffnet werden! Ins Gefängnis muß sie! Oder habe ich unrecht?«
»Sie haben recht«, sagt der Anwalt degoutiert. »Sie geht ins Gefängnis, wenn es uns gelingt, den Nachweis zu erbringen, daß sie ein intimes Verhältnis mit Ihrem Mann hatte.«
»Na also!« Margots Augen flammen jetzt. »Und von wegen Beweis … er liegt vor Ihnen!«
»Ein Foto, liebe gnädige Frau«, sagt der Anwalt und bewundert die eigene Langmut, »ist noch kein Beweis. Haben Sie die beiden in flagranti ertappt?«
»Nein, aber …«
»Hat jemand anderer das getan?«
»Sie ist in unserem Haus aus und ein gegangen, das haben viele gesehen!«
Goldner schüttelt den Kopf. »Frau Heisterberg …«
»Er hatte ihr Foto in der Tasche!«
»Er ist Journalist. Er wird tausend Gründe dafür angeben können, wie das Bild in seine Tasche gekommen ist, wenn es sein muß. Wenn man ihn reizt. Was wissen wir denn von dieser Barbara Mittenzwey? Wo sie wohnt, sonst nichts! Vielleicht ist sie eine kleine Schauspielerin, ein Mannequin … und ihr Bild lag in der Redaktion.« Margot will unterbrechen, aber Goldner hebt die Stimme: »Vielleicht ist sie glücklich verheiratet. Auch das kann sein.«
»Also eine noch größere Schlampe! Betrügt den eigenen Mann!«
Wenn das so weitergeht, werfe ich die Person hinaus, denkt Goldner. Habe ich es nötig, mich mit einer solchen Hysterikerin abzugeben? Wahrhaftig nicht!
»Ihr Schmerz, Ihre Empörung in Ehren. Vielleicht gelingt es Ihnen trotz dieser Behinderungen, logisch zu denken. Das Foto ist alles, was wir Ihrem Mann zu präsentieren haben. Er kann so und so reagieren. Wenn man in Ruhe und sachlich … ich muß mich dauernd wiederholen! … wenn man sachlich und in Ruhe mit ihm spricht, dann besteht Aussicht auf eine gütliche Einigung, wie ich sie vorhin skizziert habe. Dann haben Sie doch alles. Was wollen Sie dann noch?«
»Daß die da ins Gefängnis geht!«
»Die da geht nicht ins Gefängnis! Nicht auf Grund dieses Fotos! Frau Heisterberg, ich flehe Sie an, nehmen Sie Vernunft an.«
Skandierend spricht Margot: »Sie geht ins Gefängnis. Ich will es so.«
»Was Sie wollen, spielt leider vor Gericht nicht die Hauptrolle. Da entscheiden Richter und Gesetze. Bei mir entscheidet noch etwas anderes, um es gleich zu sagen!«
»Und das wäre?«
»Ich bin ein alter Scheidungsanwalt. Ich habe ixmal erlebt, wie sehr man sich irren kann. Wir müssen, als Möglichkeit, immerhin auch annehmen, daß diese Barbara Mittenzwey wirklich glücklich verheiratet ist. Wir müssen … ach was, ich muß! … nach Lage der Dinge auch immer noch annehmen dürfen, daß Ihr Mann keine intime Verbindung zu der Dame hat oder hatte.«
»Keine …«
»Lassen Sie mich reden! Sie haben selber mit schweren Strafen zu rechnen, falls Sie die Dame öffentlich zu Unrecht beschuldigen … und sie das beweisen kann.«
»Beweisen? Die? Ha! Die kann überhaupt nichts beweisen!«
»Vorläufig sind wir es, die überhaupt nichts beweisen können«, sagt Goldner und denkt: Jetzt habe ich genug! Er wird eisig: »Entweder Sie machen sich meine Ansichten zu eigen, wenigstens im gegenwärtigen Stadium, oder ich muß Sie ersuchen, sich durch einen Kollegen vertreten zu lassen.«
Margot schluckt schwer.
Dann antwortet sie: »Bitte. Ich tue, was Sie vorschlagen.«
»Gut«, sagt Goldner kühl. »Das wäre dann alles für heute. Ich rufe nun eine Sekretärin und diktiere den Inhalt unserer Besprechung. Ihnen empfehle ich, meine Ausführungen gründlich zu überdenken.« Goldner drückt auf die Taste eines Sprechgerätes. »Fräulein Kirchner, kommen Sie bitte herüber. Danke.« Der Anwalt sieht Margot an. »Es ist noch lange hin bis Donnerstag. Sie versprechen mir, sich dann zu beherrschen und gemeinsam mit mir zu versuchen, eine gütliche Einigung zu erzielen?«
»Wenn er aber alles ableugnet …«
»Dann reden wir beide weiter. Doch zunächst versprechen Sie es mir?«
»Ja«, antwortet Margot, der ganz wirr und dumm im Kopf ist. »Natürlich, Herr Doktor. Sie wollen doch mein Bestes. Das muß ich mir immer wieder vor Augen halten.«
»Also bitte am Donnerstag um vier«, sagt Dr. Jakob Goldner.