Die Beweise reichen nicht aus. Er läßt sich nicht scheiden. Einen anderen Anwalt hat er sich genommen. Drei Männer gegen eine Frau. Halten natürlich alle zusammen. Schweinerei. Dieser Goldner hat mir von Anfang an nicht gefallen. Aber er wurde mir so sehr empfohlen. Da sieht man wieder einmal, was man auf Empfehlungen geben darf! Wahrscheinlich macht er halbe-halbe mit diesem Hellwig. Und mit dem Detektivbüro auch. Detektivbüro! O Gott, ist mir schlecht …
Margot Heisterberg fühlt jähe Hitze in sich aufsteigen, sie hat Angst, sich erbrechen zu müssen. Stöhnend sinkt sie gegen die Mauer eines Hauses am Innsbrucker Platz. Da stehen Taxen. Ein Chauffeur kommt herbei.
»Is Ihnen nicht jut! Jotte doch, wie Sie aussehn!«
»Ich … ich habe mich gerade sehr aufgeregt.«
»Uffjerecht. Achtung, det Herz!« sagt der Chauffeur, ein älterer Mann mit Schirmmütze und Lederjacke. »Se brauchn ’n Schnaps.«
»Ja!« Margot sieht ihn dankbar an.
»Da is ’n Lokal. Kommense man, liebe Dame.«
Mit dem Chauffeur, der sie leicht stützt, betritt Margot eine kleine Bar und bestellt Kognak. Einen doppelten.
»Eine besondere Marke?«
»Nein.«
»Aber französischen?«
»Ja.«
»Vielleicht Hennessy?«
»Ja doch! Und für den Herrn auch, bitte.«
»Nee, nee, nich for mir. Ick muß fahren.«
»Ach so, natürlich. Also vielen, vielen Dank!«
Der Chauffeur sieht zu, wie Margot ihren Kognak kippt. Einen ordentlichen Zug hat die, denkt er und fragt: »Bessa?«
Sie nickt und lächelt verzerrt.
»Nu bleibense aber noch ’n paar Minuten sitzen, ja?« sagt er, zieht die Mütze und geht.
Kaum ist er fort, bestellt Margot einen zweiten doppelten Kognak. Die kleine Bar ist leer, die Beleuchtung schummerig. Ein junger Mixer hat Gläser geputzt, als Margot hereinkam. Nun tritt er an ihr Tischchen.
»Bitte sehr, gnädige Frau.«
Den zweiten Kognak trinkt Margot langsamer. Ihr wird endlich wirklich wohler. Sie wird endlich wirklich ruhiger. Für eine Weile wenigstens. Jene Weile, in der sie nicht denkt.
Als sie wieder zu denken beginnt, denkt sie dies: So kann man mit mir nicht umgehen. Mit keinem Menschen kann man so umgehen. Und wenn alle meine Beweise Tinnef sind – die Fotografie von dieser Barbara Mittenzwey ist kein Tinnef!
Drecksnutte! Saunutte! Dazu bin ich dir nachgelaufen, tagelang, wochenlang, Aas, gemeines. Dazu habe ich bei Foto-Roland das ganze Tamtam aufgeführt? Dazu habe ich geschwiegen und geschwiegen und geduldet und geduldet – damit der Goldner jetzt sagt: Foto? Auch kein Beweis!
Wann hast du wohl Egon zum letztenmal gesehen? Gestern? Heute? Ist er jetzt bei dir? Warum nicht? Eine Wohnung hast du. Aus der Redaktion verschwindet er häufig genug. Liegst du gerade im Bett mit ihm, Hure? Lacht ihr euch beide scheckig über mich? Über die dämliche Alte?
Nun wird Margot wieder schwindlig, nun wird ihr wieder schlecht. »Noch einmal dasselbe!«
Der junge Mixer mustert seinen Gast besorgt: »Stark, der Hennessy, gnädige Frau …«
»Na und? Noch einmal dasselbe!«
»Bitte sehr.« (Wenn ich nur nicht ganz allein mit der Person wäre!) Margot bekommt ein neues Glas.
Sie stürzt den Kognak hinunter.
Mit unsicheren Bewegungen zündet sie eine Zigarette an. Inhaliert. Die Bar dreht sich ein wenig.
Es geht wieder los, diesmal schon heftig unter Alkoholeinwirkung.
Hast wohl auch mit dem Goldner geschlafen, Dreckstück, was? Und auch gleich den Kollegen Hellwig drübergelassen. Dir ist das doch gleich! Die Schweinerei, die du nicht machst, gibt es nicht. Ich sehe ganz klar: Ihr haltet alle zusammen, du steckst mit den Kerlen unter einer Decke. Unter einer Decke, bei Gott!
Anwälte. Was sind Anwälte? Doch lauter Rechtsverdreher und Betrüger! Und Privatdetektive? Gescheiterte Existenzen, aus dem Polizeidienst rausgeflogen wegen irgendwelcher Verfehlungen. Und so einen Kerl soll ich bezahlen, damit er dich überwacht. Damit du ihn auch noch drüberläßt.
Und dann?
Dann dreht sich überhaupt alles um! Was denn? Bei berufsmäßigen Rechtsverdrehern? Herr Dr. Goldner und Herr Dr. Hellwig werden das schon hinkriegen. Aber leicht!
Ehescheidung?
Ja, der liebe Egon wird eine einreichen – gegen mich! Und ich werde verurteilt werden! Schuldig des Ehebruchs. Wirst ja wohl noch ein paar meineidige Luden auftun können, Misthure, die schwören mit Freude, daß ich was gehabt habe mit ihnen! Dann ist Egon mich los – sein Traum! Und er muß nichts zahlen. Und ich habe keinen Ulli mehr und keine Wohnung – diese Wohnung, für die ich geschuftet habe! – und sitze auf der Straße.
Ja, so ist das geplant. Natürlich.
›Machen Sie vielleicht eine kleine Reise …‹
Da hätte ich es bereits merken müssen!
Dieses Schwein von einem Goldner! Machen Sie eine kleine Reise. Dann heißt es zuerst: Sittenwidriges Verlassen der ehelichen Gemeinschaft. Und dann schickt die Rote ihre Luden vor, die was gemacht haben mit mir auf dieser kleinen Reise. Und dann ist Schluß. Dann kann die Rote in meine Wohnung ziehen. Heiraten kann Egon sie sogar, wenn er will. Denn verheiratet ist die natürlich nie. Auch so ein Goldner-Trick! Frau Heisterberg heißt das Aas dann. Und hat alles. Alles! Das ist der Plan. Oh, diese Gemeinheit! Diese Bestien! Diese Rote!
Margot ist so erregt, daß sie plötzlich alles rot, wirklich rot sieht – wie durch gefärbtes Glas.
»Was sagten Sie, gnädige Frau?« hört sie den jungen Mixer fragen. Hat sie etwas gesagt? Offenbar.
Margot Heisterberg spricht schwerzüngig: »Ich habe gefragt, ob Sie mir eine Flasche Hennessy verkaufen können.«
Der Mixer zögert.
»Wenn Sie nicht wollen, kaufe ich sie woanders. War bloß eine Frage. Ich bin in Eile, ich muß gehen.«
Damit hat sie den Mixer gefangen. Der möchte schon die längste Zeit diese unheimliche Säuferin, die da vor sich hinbrabbelt, los sein. Wenn sie nun wirklich geht …
»Bitte, gnädige Frau. Ich habe eine Flasche eingepackt.« Er nennt den Preis. »Bißchen teurer natürlich. Wir schenken ja im allgemeinen gläserweise aus, nicht wahr?«
»Jajaja.« Sie legt einen Geldschein auf den Tisch, packt die Flasche, steht auf. Der Raum dreht sich wieder.
Augen zu. Tief atmen. Augen auf. Alles in Ordnung.
»Moment! Sie bekommen noch heraus …« Der Mixer hebt eine Hand mit Wechselgeld. Da hat Margot die kleine Bar schon verlassen.
»Puh!« Der Mixer genehmigt sich selbst einen.
Auf der Straße stolpert Margot. Nicht etwa aus Trunkenheit! Aber wenn so ein rücksichtsloser Kerl in einen hineinrennt. Ein Glück, daß die Flasche nicht zu Boden gefallen ist …
»Soll ick Sie nich lieba nach Hause fahren?«
Margot erblickt durch einen leichten roten Schleier den älteren Chauffeur, der ihr vorhin geholfen hat. Er sieht sie besorgt an, aber das bemerkt sie nicht. Sie bemerkt auch nicht, daß sie auf jeden Nüchternen den Eindruck einer Volltrunkenen macht.
Nach Hause fahren? Guter Witz. Darf ich noch nach Hause, du Hure, du dreckige?
Aber ein Taxi wäre natürlich angenehm jetzt … man könnte noch etwas trinken. Aus der Flasche trinken. Sähe keiner. Auf der Straße, im Bus, in der U-Bahn schon. Es ist weit nach Hause. Und Margot fühlt schon wieder Übelkeit. Sie braucht einen Schluck.
Stolpernd geht sie auf eine Droschke zu.
»Nicht die. Die hier ist meine!« Der Chauffeur öffnet den Schlag seines Wagens. Margot gelingt es, ohne Hilfe einzusteigen. Sie läßt sich auf den Sitz fallen, sinkt zurück.
»Wohin?«
Da kommt der Gedanke. Wie ein Blitz schlägt er ein!
Sehr langsam und plötzlich sehr deutlich antwortet Margot Heisterberg: »Bleibtreustraße elf.«