Bruno Knolle hat einen scheußlichen Traum. Er träumt, daß ihn eine Biene gestochen hat. Eine Biene in Werder. Da war er und hat sich die ganze Pracht angesehen und ordentlich gesoffen, und beim Saufen ist ihm das Tierchen zwischen die Lippen gekommen und hat ihn gestochen. In die Zunge. Nun wird die Zunge dicker und dicker, sie schwillt an, der Bruno kann kaum noch atmen, denn die Zunge legt sich über die Luftröhre, und sie wird immer noch größer, da jachtert der Bruno mit einem erstickten Schrei hoch. Und damit ist er wieder bei Bewußtsein und setzt sich auf.
Er fühlt schweren Schwindel, aber Schmerzen hat er keine, nur die Zunge, die ist zwar nicht so fürchterlich geschwollen wie im Traum, aber ganz pelzig und trocken, der Bruno vermag nicht zu schlucken. Dann schluckt er doch.
Vor Entsetzen!
Wenn einem so etwas passiert, kann man schon außer sich sein vor Entsetzen.
Der Bruno hat gemerkt, daß er auf dem blankgeputzten Boden einer kleinen Kneipe sitzt, in der elektrisches Licht brennt. Ganz allein sitzt er da. Und er sieht weißgescheuerte Tische, eine blitzende Theke, dahinter eine Wand voller Gläser und Pullen und Zigarrenschachteln. Und neben der Theke steht eine große, wunderschöne Music-Box!
»Ogottogottogott«, stöhnt der Bruno, »et jeht los! Ick habse nich mehr alle beisamm! Ick jehör in de Klapsmühle! Oder is det schon die Klapsmühle? Hilfe!« schreit er und krabbelt hoch, schwankt dabei, haut sich an einem Tisch die Hüfte an und stolpert zur Theke. »Hel« schreit er. »Hallo!« Er merkt nicht, daß er sich mit einer Hand auf die Bierabfüllung gestützt hat. Mechanisch drückt er den Schalthebel herunter – und fährt zurück, als aus dem Hahn goldweißes Bier zischt.
»Neef« ruft er zurückweichend. »Nich! Nich! Det soll uffhörn!« Aber das Bier strömt weiter, und der Bruno fällt im Rückwärtstaumeln über einen Stuhl.
»Aua!!!«
Das hat vielleicht weh getan. Bruno hält sich den Schädel. Wieder steht er auf. Immer noch zischt das Bier. Der Bruno macht ein paarmal die wimpernlosen, geröteten Äuglein auf und zu, dann geht er entschlossen zur Theke, greift sich ein Glas und hält es unter den Hahn. »Wenn ick schon in Dalldorf bin, will ick doch sehn, ob die hier jeden Verrückten ooch Freibier jebn!« murrt er. Das Glas ist voll, es hat eine Riesenschaumkrone. Bruno drückt den Hebel zurück und hält sich an ihm fest, während er das Glas, das sich zu beschlagen beginnt, mit zitternder Hand zum Mund führt. Er leckt an dem Schaum. Er nimmt einen kleinen Schluck. Er stiert. Er stottert: »Pipipi … Pils!!!«
Dann trinkt er das halbe Glas auf einen Zug aus.
»Schmeckt, was?« sagt eine Männerstimme.
Der Bruno läßt vor Schreck das Glas fallen.
»Na, na, na!« sagt der bullige Mann mit dem grauen Haar und den grauen buschigen Brauen, der aus einer Tür tritt, die wahrscheinlich zur Küche führt. »Sehen Sie mal, das schöne Glas, Herr Knolle! Und das gute Bier!«
»Wer sind …«, fängt Knolle an, dann fällt es ihm ein: »Herr Fürsorjer Bräsig!«
»Richtig«, sagt der Kommissar. Er geht auf Bruno zu, der weicht vor ihm zurück. »Nun hören Sie aber auf! Sie sind nicht meschugge und nicht in Dalldorf! Reißen Sie sich ein bißchen zusammen!« Damit füllt er zwei Gläser mit Bier, sucht eine Flasche, füllt zwei kleinere Gläser mit Steinhäger und stellt das alles zwischen sich und Bruno auf die Theke.
»Trinken wir einen zusammen, los, kommen Sie!«
So trinken sie einen zusammen.
Den Steinhäger stürzt der Bruno in einem Zug hinunter. Er braucht ihn. Sein Blick fällt auf eine Uhr an der Wand, irrt zum Ausgang, zu den Fenstern.
Der Ausgang ist geschlossen, vor den Türen sind Rolläden herabgelassen. Dem Bruno wird es wieder unheimlich.
»Halb sieben! Als ick zu Ihnen kam, war et halb eins. Is’ mir schlecht jeworden, Herr Bräsig? Hab ick ’n Anfall jekricht?«
Der Kommissar in seinem zerknautschten, grün-grauen Anzug wischt sich Bierschaum vom Mund und schweigt.
»Sie!« schreit Bruno wild. »Herr Fürsorjer! Hörense mir nich?«
Darauf sieht sich der Kommissar langsam im Raum um, und nach einer Weile fragt er versonnen: »Wäre das da ungefähr das Richtige für Sie?«
»Für … wat soll denn det?« Jetzt schaut der Bruno wirklich wie ein Idiot aus, der Mund steht offen, er feixt blöde.
Der Kommissar meint: »Günstigste Lage. Eckkneipe. Neben einer Bushaltestelle. Gegenüber ein Taxistand. Und ein großes Filmkopierwerk. Wollen Sie den Laden haben?«
»Wat?«
Der Kommissar denkt daran, daß er vor zehn Uhr zu Hause bei der Marie sein will und daß jetzt der ärgste Teil kommt. Schnell hinter sich bringen möchte ihn der Kommissar. Sei vernünftig, Junge, denkt er, bitte, sei vernünftig – so wie ich! Und sagt: »Die Kneipe! Ob. Sie die haben wollen! Sie erhalten eine Konzession, trotz Ihrer Vorstrafen, ich habe mit dem Justizministerium gesprochen. Sofort bekommen Sie die Konzession! Und einen langfristigen Kredit. Die Höhe bestimmen Sie.«
Es vergeht nur so viel Zeit, wie man braucht, um bis fünf zu zählen. Dann hat Bruno kapiert.
»Ach so is det«, sagt er. »Sie sind überhaupt keen Fürsorjer. Sie sind …« (Aber ich habe doch nichts getan, ich komme doch direktemang aus dem Knast, die können doch nicht schon wieder … Die? Die können alles! Nein, ist das eine Scheiße!) »Sie sind vom SSD!«
»Genau«, sagt der Kommissar Bräsig. »Immer eine Freude für mich, wenn ich es mal mit einem intelligenten Menschen zu tun habe. Gibt so wenige.«
Bißchen laut sagt er das, findet Bruno.
Er weiß nicht, daß in der Küche der Kornmann steht.