Haben die Brüder also alles geplant – von Direktor König, dem Speckjäger, an, denkt der Bruno. Gut geplant, muß man ihnen lassen! Ein Hund ist der Bräsig! Jetzt erinnere ich mich wieder an sein Büro und unser Gespräch. Dieser schleimige Lump! Ausgehorcht hat er mich. Schön getan hat er mir. ›Herr‹ hat er gesagt. So also sind die, die Herr sagen zu einem wie mir.
Er muß mich abgespritzt haben, denkt der Bruno, denn dieses Wort ›abgespritzt‹, das in den Konzentrationslagern der Nazis geboren wurde, ist schon lange zum festen Bestandteil des deutschen Wortschatzes geworden, es wird gedankenlos und seelenruhig gebraucht von honorigen, netten Leuten, die auch, ebenso seelenruhig und gedankenlos, ›fertigmachen‹ sagen, ›durch den Ofen pusten‹, ›zur Schnecke machen‹ und ›ausradieren‹ (im Sinne von total vernichten), ›Erfassung‹, ›Volkskörper‹, ›Durchführung‹, ›Einsatz‹, ›restlos‹, ›erstmalig‹ und ›einmalig‹.
Ich habe mich für clever gehalten, denkt Bruno, und bin so doof wie ein Ei. Mein Hintern tut weh. Jetzt fällt mir auch der Moment wieder ein, wo ich den Stich spürte. Dann wurde es duster. Böse sagt der Bruno: »Vielen Dank, Herr Fürsorger. Herzlichen Dank, Herr Fürsorger! Sie haben sich soviel Mühe gemacht mit mir, Herr Fürsorger. Die Spritze wäre wirklich nicht nötig gewesen. Wenn ich gewußt hätte, daß Herr Fürsorger vom Staatssicherheitsdienst sind, wäre ich auch so mitgegangen, wie ein Schäfchen.« Er ist furchtbar empört, der Bruno, er spricht Hochdeutsch! »Womit kann ich also dienen – ich meine: Muß ich also dienen, Herr Fürsorger?«
Bräsig kippt einen zweiten Schnaps. Solche Momente sind immer noch die schlimmsten für ihn, da packt ihn immer noch das Schaudern vor sich selber, sogar heute, wo doch das Häuschen da ist, mitsamt Angelsteg. Bräsig sagt verlegen: »Nennen Sie mich nicht Fürsorger. Ich bin der Kommissar Wilhelm Bräsig.«
»Ach, verzeihen Sie, Herr Kommissar! Wird nicht mehr vorkommen, daß ick Herr Fürsorger zu Ihnen sage, Herr Kommissar. Und was wollen Sie von mir, wenn die Frage gestattet ist, Herr Kommissar?«
Mensch, sei doch vernünftig, bittet Bräsig stumm und antwortet: »Ich will Ihnen die Kneipe hier verschaffen.«
»Ach nein!«
»Ach ja.«
»Die Kneipe muß doch einen Besitzer haben!«
»Hatte einen.«
Die Schweine haben ihn kaltgemacht! überlegt Bruno in Panik. Der hat irgend etwas getan, was ihnen nicht gepaßt hat, und schon haben sie ihn liquidiert!
»Friede seiner Asche«, sagt Bruno. Nachdem der erste Schock vorbei ist, wird er jetzt aggressiv. Das hat er auch im Knast gelernt: Wann man kuschen muß, und wann man frech sein muß. Der Bräsig, das Aas, will doch was von ihm!
»Der Mann ist an Krebs gestorben«, sagt das Aas ganz ruhig. »Die Witwe möchte die Kneipe verkaufen. Da haben wir immer schon eine Anzahlung geleistet.«
»Der SSD?«
»Die Fürsorge natürlich. Für einen Mann, der heute entlassen wurde. Einen Mann namens Bruno Knolle. Der möchte nämlich so eine Kneipe haben. Wir, die Fürsorge, wollen ihm dazu verhelfen. Die Witwe hat uns die Schlüssel zum Hintereingang gegeben, damit der Herr Knolle sich alles angucken kann, wenn er kommt.«
»Und damit er nich weeß, wo sie is, die Kneipe, und damit er sich nich selbst in Verbindung setzen kann mit die Witwe«, meditiert Bruno, dessen Erregung gleichmäßig mit seinem Anfall von einwandfreiem Deutsch abklingt. »Darum hamse ihm ooch ’n ordentlichen Mickey Finn rinjehaun, den Herrn Knolle, wa?«
»Nicht darum. Sondern damit Sie Vertrauen fassen.«
»Damit ick wat fasse?«
»Vertrauen.«
»Zu’n SSD?«
»Zur Wirkung der Spritze.«
»Versteh ick nich«, sagt Bruno, der zu verstehen beginnt, aber denkt: Nun laß den anderen reden, irgendwas ist mit dem auch nicht in Ordnung, der tut sich ja mächtig schwer, wischt sich den Schweiß von der Stirn und säuft schon den dritten Steinhäger, der Opa. Muß eine ganz krumme Sache sein!
»Sie sollen uns einen kleinen Dienst erweisen«, sagt Bräsig. »Hinten gibt’s übrigens noch ein Billardzimmer.«
»Wat forn Dienst?«
»Und ein Riesenschnapslager im Keller. Kohlen. Vorräte. Wollen Sie sich nicht mal den Musikkasten ansehen? Fünfundsiebzig Platten!«
»Wat forn Dienst, Herr Kommissar?« fragt der Bruno laut und langsam.
Müde erwidert Bräsig: »Drüben in Westberlin sitzt einer. Den sollen Sie uns herüberschaffen.«