Three coins in the fountain …«, spielt Radio Luxemburg. Die Mitzi und der Bruno liegen nebeneinander, sanft und wohlig ist ihnen nun zumute, sie rauchen gemeinsam eine Zigarette, sie trinken gemeinsam aus einem Glas. Abends waren viele Geräusche im Haus zu hören. Nun ist es still. Leise singt der Nachtwind vor dem Fenster. »So einen wie dich … wenn ich früher getroffen hätt … alles wär anders gworden«, sagt die Mitzi.
Und: Wenn ich meine Nelly nicht verloren hätte, alles wäre anders geworden, denkt der Bruno. Aber da liegt jetzt eine neben mir, die sieht aus, wie Nelly damals aussah, reden tut sie anders, aber das Gemüt, das ist dasselbe. Wenn ich es mit ihr versuchte? Ich könnte es. Ach nein, ich kann es nie! Denn da müßte ich ja diesen Mann im Westen wirklich entführen und wiederkommen! Zum Kotzen ist diese Welt, oh, zum Kotzen!
»An was denkst grad, Schatzi?«
»An dich«, antwortet er.
»Ach, du! Niemandem hab i je erzählt, wie das gwesen is in meinem Leben. Dir, dir möcht ich’s erzählen. Möchst es hören?«
»Mhm.«
Und die Mitzi erzählt: Von sich selbst, von der Mutter, von der Großmutter, sogar die Geschichte mit den Katakomben.
Über die Katakombengeschichte muß der Bruno lachen.
Aber die Mitzi sagt schnell: »Net lachen, bitte. Das war a große Sünd von mir!«
»Hahaha!«
»Hast gsehen, vorm Fenster, den Friedhof? I seh ihn jeden Tag. I muß ihn sehen! Das is die Strafe vom Lieben Gott. I hab eine Todsünde begangen, da in den Katakomben. Und jetzt muß i büßen. Bist du net fromm?«
»Bloß wenn ick ihn brauche.«
»I geh jeden Freitag in die Kirchen und beicht. Aber alles kann i net beichten in meiner Stellung – des ist doch unmöglich! Glaubst, daß der Allmächtige mir des verzeiht?«
»Klar. Der weeß doch ooch so, wat los is, Mitzi! Und dein Pfarra brauchste det also nich azähln.«
»Ja, wann mans so anschaut«, sagt die Mitzi und ist völlig beruhigt und zufrieden. »Einen wie dich wenn ich gehabt hätt je im Leben«, fängt sie wieder an, und der Bruno denkt: Jeder sagt das, jeder Mann, jede Frau. Einen wie dich. Eine wie dich. Wenn ich gehabt hätte. Wie wäre mein Leben dann gewesen! Wieviel schöner! Wieviel glücklicher! Nur sehr wenige, die wirklich zueinander passen, müssen sich auch wirklich begegnen. Sonst würden nicht so viele davon reden, was gewesen wäre, wenn …
»Mir«, sagt die Mitzi, »ist heut nacht alles wurscht. Ja, heut nacht kann mich der ganze SSD! Du wirst mich net verraten, des weiß i. Drum verrat i dir alles.«
»Wat willste verraten, Meechen?« Der Bruno wird nervös. Er sieht sich um.
»Sei net so a Angsthas, Bruno. Hier is ka Mikrophon und ka Tonbandgerät. Was hier passiert, muß i dem Bräsig immer persönlich erzählen.«
»Na und?«
»Mich hat er ausgsucht, weil ich einer ähnlich schaun soll, die was du sehr lieb ghabt hast amal, vorm Hefen.«
»Vorm wat?«
»Bevor daß du ins Zuchthaus kommen bist.«
»Ach so.«
»Der Bräsig hat gsagt, i werd dir gfalln. Und des is wichtig. Denn wenn i dir gfall, dann tust du leichter, was er will von dir. I weiß net, was er will. Aber daß du a Beisel kriegen sollst zur Belohnung …«
»Wat soll ick kriejen?«
»A Bei … a Kneipen nennts ihr des hier. Die sollst du dir so wünschen. Stimmt des?«
»Ja«, sagt Bruno und denkt: Bräsig-Schwein! Bräsig-Schwein!
»Wann i also doch so ausschau wie die andere, hat er gsagt …«
»Hör uff! Det kann ick mir nu alleene vorstelln, watta jesacht hat!«
»Bruno! Denk dir jetzt nix aus! Denen kommst du net ausm Netz. Tun mußt du, was sie verlangen, sonst bist verloren!«
Ich tu es nicht! Ich tu es nicht! Ich finde einen Weg, auszukneifen, unterzutauchen. Ja, ich finde einen Weg … ach, nie finde ich einen, nie!
»Natürlich mach ick et, bin doch nich doof«, sagt er.
»Morgen wirst mitfahren, wenn sie Kohlen liefern. Die Timniks, des sind keine Menschen net. Des sind Aasgeier. Die ham beide Brieftaschen dort, wo wir Herzen ham, er und sie, keiner is besser. Verdienen tun sie sich teppert an uns, und vom SSD kriegens ihren Schmattes. Die Gemeinheit, die die net tun, gibts net! Vor denen mußt dich in acht nehmen, Bruno!«
»Werde ick, Mitzi …«
»Und auch vor denen, wo die Kohlen fahren. Der Timnik hat drei Laster. Immer vier Arbeiter sind eine Partie. Ein Chauffeur, drei Träger.«
»Also zwölf Mann?«
»Na, mehr! Müssen ja auch welche hinten im Hof arbeiten tagsüber, die Sackeln füllen, die Briketts zurechtmachen. Fünfzehn sinds vielleicht. Des schwankt. Oft wechselt der Timnik nämlich, weißt. Manche, die sind schon lang da. Andere kommen und verschwinden gleich wieder. Aber eins weiß ich: Alle miteinander sind V-Männer vom SSD. Da mußt wahnsinnig aufpassen und ka einziges falsches Wort sagen. Die melden alles! Die fahren mit dir herum, damit du redest und was sagst, was sie melden können. Mit wie viele wie dir sind die schon rumgefahren. Wir Mädln, wir müssen sagen, was ihr im Bett erzählt, die Kohlenmänner, was ihr unterwegs erzählt. Ich fleh dich an, sei vorsichtig bei die Kohlenmänner, Bruno!«
»Werde ick sein«, sagt der. »Und ick danke dir ooch scheen. Für allet danke ick dir, Nelly.« Er erschrickt und stammelt: »Mitzi wollte ick natürlich sagen. Det is mir so rausjerutscht! Nich böse sein, bitte!«
»I bin net bös«, sagt die Mitzi und lächelt tapfer.
»Aba traurich.«
»Auch net traurig«, antwortet die Mitzi, die auf einmal schrecklich traurig ist. Sie weiß, warum. Weil sie sich nämlich wirklich verliebt hat in diesen Bruno Knolle. Das hat ihr also auch noch passieren müssen! Das auch noch!
Die Mitzi will nicht fragen, sie weiß, es ist falsch, es ist dumm, zu fragen. Sie fragt trotzdem: »Hast sie noch immer lieb?«
»Wen?«
»Weißt doch genau, wen.«
»Ach so, die Nelly? Nee, det is mir wirklich bloß so über de Lippen jekommen, weil du ihr so ähnlich siehst. Nelly? Die ha ’ck schon vor Jahren abjeschriem! Die ist mir schnurzpiepe! Aba völlich! Lieb? Icke? Die Nelly? Det ick nicn lache!«
Doch es ist ihm gar nicht zum Lachen zumute, und der Mitzi auch nicht, und sie liegen ganz still, dicht nebeneinander, in einem Bett, nackt unter einer Decke. Und trotzdem denkt auf einmal jeder, der andere wäre auf dem Mond. So einsam kann man sein zu zweit.