25

Du stehst also auf der Lasterplattform.

Die Säcke, die schiebst du bis zur Ladekante vor und lädst sie dem Träger auf den Buckel. Vorsichtig. Langsam. Manche Träger haben einen Lederriemen, die Enden halten sie vor der Brust fest, du mußt den Sack in die Schlaufe gleiten lassen, die über den Rücken hängt. Holzbündel reichst du eines nach dem anderen hinunter, die werden vor dem Bauch getragen.

Was die Preßkohle betrifft: Da kantest du immer eine Trage bis an den Wagenrand, dann tritt der Träger heran, hakt seinen Riemen ein, beugt sich vor und läßt sich die ganze Wucht auf den Rücken fallen.

Heiß.

Verflucht heiß ist es.

Sie sind alle schwarz geworden wie die Neger, sie schwitzen alle, auch Katinkowicz und Bruno, obwohl die gar nicht schleppen, sondern nur auf der Plattform arbeiten. Aber das genügt. Da brennt die Sonne drauf. Und die Träger schleppen in einem gleichmäßigen Rhythmus, kaum ist der eine weg, kommt schon der nächste zurück, ununterbrochen mußt du die Männer beladen!

Dem Bruno geht die Puste aus.

»Abends wirste deine Knochen spüren«, sagt Katinkowicz zu ihm. »Vor ’n Monat war ick ooch Träger. Ick sage dir, Knolle, da konnte ick mir abends ’ne Stunde lang überhaupt nich rühren, nich mal zum Waschen!«

Sie beliefern heute Haushalte in den Bezirken Lichtenberg, Treptow und Oberschöneweide, meist in der Nähe der Spree. Oft sieht Bruno das Wasser. Es leuchtet golden, Kähne sind darauf, Schlepper, Boote der Volkspolizei, Schiffe der ›Weißen Flotte‹. Mit denen fahren Ausflügler zum Müggelsee oder nach Schmöckwitz.

Bruno sitzt neben Katinkowicz, er soll sich ja auch wieder ans Fahren gewöhnen und zurechtfinden lernen in der Stadt. Die anderen sitzen hinten, auf den Kohlen, dem Koks, dem Holz. Sie trinken nur ein wenig Sprudel, man schwitzt doch alles gleich wieder aus.

Immer wenn sie so unterwegs zum nächsten Kunden sind, erzählt Katinkowicz von den Zeiten, als er selbst noch Träger war. Dazwischen gibt er Hinweise auf Straßen und Plätze.

Kann dir sagen, Mensch, das ist vielleicht ein Job. Sind doch lauter alte Häuser. Wer hat schon Zentralheizung? Von Glück kann man reden, wenn der Dreck in den Keller muß und nicht rauf in den dritten oder vierten Stock, in eine Wohnung! Ja, das war eben Ostkreuz. Jetzt fahren wir die Kynaststraße runter. Da ist der Rummelsburger See. Gleich kommt die Stralauer Brücke über die Spree. Eine Sauarbeit ist das, Junge. Wenn die Muskeln in den Oberschenkeln nicht mehr wollen, wenn du zu keuchen anfängst und der Sack dir den Hemdkragen nach hinten zerrt!

Dann ist kein Fenster im Treppenhaus, wo du den Dreck einen Moment aufstützen könntest. Nicht abstellen natürlich, bloß aufstützen! Sonst kriegst du ihn nie mehr auf den Buckel. Ja, das war jetzt die Spree. Treptower Park. Prima, nicht? Guck mal, die Gören …

Der Bruno sieht ein Rudel Kinder. Die haben im Park aus Ruinentrümmern eine wackelige kleine Mauer aufgebaut. Welche sind auf der einen Seite, welche auf der anderen, Jungen und Mädchen. Ein paar Mädchen haben Puppen. Ein paar Jungen haben Stöcke oder Latten, mit denen zielen sie, als seien es Gewehre.

Sie schreien, Bruno kann nicht verstehen, was, und die Mädchen mit den Puppen rennen los, springen über die niedrige Mauer. Manche rennen weiter, andere lassen sich auf den Boden fallen und tun, als wären sie tot. Jungen, die keine Stöcke haben, kämpfen mit solchen, die Stöcke haben, tun, als schlügen sie diese nieder, die anderen tun, als schössen sie. Dann fallen auch Jungen um und tun, als wären sie tot. Ein kleines Mädchen kniet vor ihrer Puppe, ringt die Hände. »Dornnerwetta«, sagt Bruno heiser, »die Kleenen, die spieln Maua?«

»Is ’n beliebtet Spiel jeworden«, sagt Katinkowicz ausdruckslos, während er schaltet. Im Park wirft ein kleines Mädchen die Arme hoch und läßt sich ins Gras fallen. Ein kleiner Junge hinter ihr senkt den Holzstock, mit dem er zielte. »Hatse jetroffen«, sagt Katinkowicz.

Viele bunte Blumen blühen im Treptower Park, in der Ferne erhebt sich, riesig groß, das Sowjetische Ehrenmal.