Lieferung in der Stormstraße. Lieferung in der Ekkehardstraße. Lieferung in der Dornbrunner Straße.
Zu Mittag fahren sie zurück zur Gotlindestraße. Im Schatten hinter dem Haus stehen ein langer, schmaler Tisch und schmale, lange Bänke. Die von den Lastern I und II sind schon da. Es gibt Essen. Alles muß schnell gehen, gräßlich schnell.
»Die Herren werden gütigst gebeten, sich ein bißchen zu beeilen!« schnauzt Timnik. »Ist noch eine Menge zu tun heute. Und Überstunden werden nicht bezahlt, das wißt ihr!«
Dreckstück.
Kaum haben sie den Fraß runtergewürgt, jagt Timnik sie schon zu den Lastern.
»Voller Bauch macht faul! Vorwärts! Neu laden und dann ab dafür!«
Als sie wieder losfahren, erblickt Bruno die Mitzi. Sie steht am Fenster ihres Zimmers und wirft ihm eine Kußhand zu. Er winkt auch.
»Die Mitzi aus Wien«, sagt Katinkowicz, und der Bruno hat schon Angst, daß jetzt eine Sauerei folgen und er dem Katinkowicz eine ins Zahnfleisch geben würde (was er natürlich nie dürfte!), aber der fährt mit seltsam bewegter Stimme fort: »Det is ’n nettet Meechen! Deine im Moment? Schwein, wat de hast. Ach, Wien … muß ’ne schöne Stadt sind …«
Dieses ›Deine im Moment‹ schmerzt den Bruno. Dabei ist klar, daß er nicht der einzige Mann sein kann, welchem die Mitzi zugeteilt wurde in diesem Haus. Wo sind übrigens all die traurigen Gestalten vom Frühstück?
»Sach mal, da wohnen doch noch andere Kerls außa mir. Wat machen denn die, Katinkowicz?«
»Weeß nich. Wem abjeholt. Gloobe, die arbeiten in Büros oder Fabriken. Oda in welche Ämter. Sind sehr jebildet, die meisten. Jeder hat ’n andern Job. Kommt eben janz drauf an …«
»Woruff?«
»Nischt.«
Kommt eben ganz darauf an, was der SSD mit einem jeden vorhat, wolltest du sagen, denkt der Bruno. Konntest du natürlich nicht sagen. Solche wie mich, die übernehmt ihr!
Lieferung Köpenicker Landstraße. Lieferung Schnellerstraße. Zurück über die Spree. Da drüben, das Riesending, das ist das Kabelwerk Oberspree. Lieferung Wilhelminenhofstraße. Lieferung Siemensstraße, Griechische Allee, Zeppelinstraße, Rummelsburger Straße.
Die Männer sind nur noch rasselnde, keuchende Maschinen.
Eines ist dem Bruno mittlerweile sonnenklar geworden: Von seinen alten Freunden kann er keinen einzigen suchen. Nicht einmal telefonieren darf er, Katinkowicz hat es ihm verboten, als er darum bat. »Nee, Junge, tut ma leid. Det jeht nich. Ick würde ja jerne, aba …«
»Ja, ja, vasteh schon«, hat Bruno geantwortet.
Also nicht einmal telefonieren.
Verflucht.
Vielleicht kann er was tun, wenn er erst selbst den Laster fährt.
Neue Hoffnung!
Muß er sehr aufpassen, wie Katinkowicz fährt, damit er bald soweit ist. Und Bruno paßt sehr auf, und Katinkowicz quasselt weiter, während sie fahren.
Natürlich ist Keller besser als Treppe. Der Poggendorffweg war das, jetzt kommen wir zur Köpenicker Chaussee. Ja, das ist Kraftwerk Klingenberg. Aber wenn du dann, den Sack auf dem Buckel, vor so einer Kellertür stehst, und sie ist zu, und die dämliche Alte braucht eine halbe Stunde, bis sie mit dem Schlüssel kommt … da wird dir ganz anders! Da liest du mit den eigentümlichsten Gedanken, was da so auf Plakaten steht. Zum Beispiel: Rattenköder ausgelegt. Achtung, Gift. Gift, verstehst du?
Jetzt sind wir gleich am Bahnhof Rummelsburg.
In den Wohnungen haben sie Kohlenkästen. Wenn du da endlich vor einem stehst, die Zunge hängt dir bis zum Bauch, dann darfst du nicht einfach den Sack kippen, i wo denn, nein! Könntest ja was zerkratzen! So richtig mit Liebe mußt du die Kohlen reinpacken. Das mögen die gar nicht, wenn es donnert und raucht. Und immer höflich sein, schön höflich! Sonst kriegst du nicht einen Groschen Trinkgeld!
Der Bruno schneuzt sich. Das Taschentuch ist sofort schwarz. Katinkowicz lacht.
Da ist es 16 Uhr 36.
Genau um 16 Uhr 36 an diesem Tag tippt ein Setzer der in München erscheinenden ›Abendzeitung‹ auf seiner Maschine eine Notiz, die morgen unter der Rubrik ›Ganz privat‹ erscheinen wird. So lautet diese Notiz:
›Der Kaiserlich-Iranische Konsul in München, Parviz Sehpabodi, holte von der Afghanenzucht Edith Schniewind in Söcking den Jagdhund ›Navamde – Nuh – Balaei‹ ab und brachte ihn im Flugzeug nach Köln zu seinem Botschafter Exzellenz H. Afshar, der ihn für Hetzjagden im iranischen Hochgebirge einsetzen will.‹