3

Rappert und Schiff machen immer noch Aufnahmen im Keller der Dampfwäscherei Czibilsky, als Bruno Knolles Taxe das Haus Bolivar-Allee 17o in Neu-Westend erreicht.

»Moment mal«, sagt Bruno zu dem Chauffeur, während er aussteigt. »Ick zahle sofort.«

»Hm.« Der Chauffeur läßt seinen Fahrgast nicht aus den Augen. Gefällt ihm nicht, der Knabe. So etwas von nervös! Und wie der angezogen ist …

Bruno geht auf das Gittertor eines niedrigen Zaunes zu, der einen gepflegten Garten umgibt. Mitten drin steht eine schicke Villa. Wo hat Franz bloß den Kies her? denkt Bruno. Nummer 170 – das ist doch die richtige Nummer. Und hier, auf der kleinen Tafel über der Klingel, steht:

LUTTER

Bruno will eben auf den Knopf drücken, da hört er Motoren aufjaulen. Er fährt herum. Von beiden Seiten kommen Funkstreifenwagen durch die Bolivar-Allee gejagt. Müssen in Nebenstraßen geparkt haben. Jetzt sind die Scheinwerfer aufgeblendet, Blaulichter kreisen, Sirenen heulen.

Bruno erschrickt furchtbar.

Die kommen direkt auf ihn zu!

Was ist da passiert?

Sind das echte Westberliner Funkstreifen?

Oder hat der SSD zwei geklaut und holt ihn wieder ab, weil er seine Schatten auf dem Weg zu Prangel doch nicht abschütteln konnte? Die Wagen halten mit kreischenden Pneus dicht vor ihm auf dem Gehsteig, rechts, links, ihre Kühlerschnauzen berühren ihn fast. Polizisten mit Pistolen springen heraus.

»Hände hoch!«

Ergeben hebt Bruno die Arme.

Ein Zivilist zwängt sich zwischen einem der Wagen und dem Gartenzaun durch.

»Bruno Knolle …«

»Ja.«

»… Sie sind verhaftet.«

Über dem Eingang der Villa flammt eine Lampe auf, die Haustür öffnet sich. Bruno sieht einen zweiten Zivilisten, hinter diesem zwei Schupos.

»Franz!« schreit er.

»Halten Sie den Mund!« sagt der, der ihn verhaftet hat. Zu dem Zivilisten im Hauseingang ruft er: »Wir haben ihn!«

»Aufs Revier!«

»Jawohl!«

»Franz!«

»Sie sollen den Mund halten! Gebt mir mal Handschellen!« Ein Paar fliegt durch die Luft. Der Kriminalbeamte fängt sie geschickt. Zack.

Schon um Brunos Gelenke geschlossen.

Bumm!

Die Tür der Villa ist zugeflogen. Die Lampe erlischt wieder.

»Hörense, det is ’n Mißverständnis, ick …«

»Ja, ja.«

»Ick muß zu Herrn Lutta!«

»Zuerst müssen Sie zu uns.«

Der Kriminalbeamte zerrt Bruno zu einem der Funkstreifenwagen, in dem der Lautsprecher knattert und pfeift.

Bruno wird in den Wagen gestoßen.

Der Taxichauffeur kommt herbeigestürzt.

»Moment mal! Dieser Herr …«

»Ach so, das Fahrgeld. Wieviel?« fragt der Kriminalbeamte.

»Neun Mark achtzig.«

»Hier. Und eine Quittung, bitte.«

»Ick hatte jleich so ’n komischet Jefühl mit den Vogel«, behauptet der Chauffeur, während er eine Quittung ausschreibt. »Wat hat er denn ausjefressen?«

»Schon gut, schon gut. Hier sind zehn Mark. Der Rest ist für Sie.«

»Danke ooch schön, Herr Direkter. Zu jroßzügig, Herr Direkter!«

Böse zieht der Chauffeur ab.

Der Kriminalbeamte klettert neben Bruno in den Streifenwagen, ein Polizist setzt sich neben den Fahrer. Der sagt: »Hab schon die Zentrale verständigt, Herr Inspektor.«

»Also dann zum Revier.«

Bruno sieht, daß in vielen Villen Fenster hell geworden sind. Der Fahrer legt den Rückwärtsgang in den Wagen, da kommt eine Stimme aus dem Lautsprecher: »Berta achtzehn … Berta achtzehn …«

»Was ist denn jetzt schon wieder?« Der Polizist neben dem Fahrer greift nach dem Mikrofon und meldet sich: »Hier Berta achtzehn!« Die Stimme aus dem knatternden Lautsprecher klingt wütend: »Haben Sie einen Bruno Knolle im Wagen?«

»Natürlich.«

»Der Mann ist sofort nach Marienfelde zu bringen!«

»Ick will nicht int Lager!«

»Ruhe!«

»Ick will zu Lutta!« schreit Bruno wieder.

»Seien Sie ruhig«, sagt der Fahrer, ohne sich umzudrehen. »Die Zentrale versteht Sie ja doch nicht.«

»Warum nich?«

»Weil man auf die Taste am Mikro drücken muß, wenn man will, daß die Zentrale hört.«

»Denn jebense mir det Ding!« Jetzt kann er ruhig frech sein, der Bruno. Jetzt muß er frech sein! Die haben hier prompt sofort irgendeine Idiotie angerichtet – und jetzt die Hosen voll. Aber gestrichen, das merkt man an ihrer plötzlichen Freundlichkeit.

»Geben Sie ihm das Mikro, Juncker!« sagt der Kriminalbeamte, während er Bruno die Handschellen schnell wieder abnimmt.

Bruno bekommt das Gerät.

»Da drücken, wenn Sie sprechen wollen«, erläutert Juncker.

Bruno drückt und hält das Mikrofon vor den Mund.

»Hier ist Bruno Knolle. Ich verlange, daß man mich sofort zu meinem Freund Franz Lutter läßt!« (Hochdeutsch! Die Aufregung!)

»Nun loslassen, die Taste!«

Bruno läßt sie los.

Die Stimme aus dem Lautsprecher, liebenswürdig: »Tut uns unendlich leid, Herr Knolle, was da passiert ist.«

Bruno drückt wieder.

»Na und?«

»Sie müssen ins Lager. Es wird nicht lange dauern. Morgen schon können Sie Herrn Lutter sehen. Nach den Vernehmungen.«

»Was für Vernehmungen?« Bruno stellt sich doof.

»Nur durch Amerikaner und Engländer«, beschwichtigt die Stimme. »Die Franzosen vernehmen gar nicht mehr.«

Eigentlich, denkt Bruno, läuft das ja noch viel besser, als ich es hoffte. Hier sind sicher Kerle, die mich beschatten. Wenn die nun sehen, wie ich ins Lager gefahren werde, muß mir der ›Hauptreferent‹, wann immer er sich meldet und wie, einfach glauben, daß ich gleich von Anfang an der Polente aufgefallen bin. Das hat sich wahrscheinlich auch der alte Prangel überlegt. Darum läßt er mich nicht zu Franz.

»Na schön«, sagt Bruno in das Mikrofon. »Wie die Herren wünschen.«

Der Polizist namens Juncker nimmt ihm das Gerät ab und spricht: »Berta achtzehn. Bringen Herrn Knolle nun nach Marienfelde.«

»In Ordnung, Berta achtzehn. Verstanden.«

»Ab geht die Post«, sagt Juncker zu dem Kollegen am Steuer. »Tritt dem Ding ruhig in den Bauch. Und mach die Sirene wieder an. Ist ein hübsches Ende bis da raus!«

Der Wagen braust los, die Sirene beginnt zu heulen.

Nach einer Weile dreht Bruno sich um.

In ehrfürchtigem Abstand folgt ein grauer Mercedes.

Na also! denkt Bruno.