Nehmen Sie Platz, Herr Knolle«, sagt der Amerikaner, der wie ein junger Bing Crosby wirkt. Neben ihm sitzt, hinter einem weißen Schreibtisch, ein zweiter Mann. Etwa so alt wie der Kriminalrat Prangel. Sieht ihm sogar ähnlich: Das gleiche dichte dunkle Haar, den gleichen leicht angeekelten Zug um den Mund.
Kein einziges Wort spricht dieser Mann während der Vernehmung. Er ist eigens nach Marienfelde gekommen, um sich Bruno Knolle genau anzusehen. Und das tut er. Unentwegt.
Auf dem weißen Schreibtisch steht ein weißes Tonbandgerät, dessen Teller langsam kreisen. Alles im Zimmer ist weiß, die Aktenschränke, die Wände, der Kachelfußboden. Hier stinkt es nicht, hier duftet es nach Dunhill-Tabak. Der junge Amerikaner raucht Pfeife.
Ging rasend schnell – bei den anderen Stellen, die Bruno aufgesucht hat. Hier ist die letzte Station. Er hat schon alles hinter sich, sogar die britische Befragung. Die hat drei Minuten gedauert. Der junge Herr, der sie durchführte, ließ auch ein Tonbandgerät laufen. Er stellte wenige und ganz willkürliche Fragen. Schien ihn überhaupt nicht zu interessieren, der Bruno Knolle.
Den Fall haben ja die Amerikaner übernommen, nicht wahr. Darum dauert es hier etwas länger.
Der junge Agent (weißes Hemd, weiße Leinenhosen, weiße Leinenschuhe, er kommt vom Frühtennis, seine Jacke hat er in einen weißen Schrank gehängt) bittet Bruno – sehr höflich! –, ganz genau, in allen Einzelheiten, seine Geschichte zu berichten.
Hier Märchen zu präsentieren, wäre Unsinn – nachdem Bruno sich Prangel anvertraut und Prangel die Amerikaner verständigt hat. Also erzählt er, in allen Einzelheiten, noch einmal alles, was er Prangel erzählte. Und die Tonbandteller kreisen, kreisen …
Zuletzt fragt der junge Mann lächelnd (er spricht fast akzentfrei deutsch): »Sie wissen, was Sie zu tun haben?«
»Ja.«
»Es wird nicht einfach sein.«
»Nee.«
»Aber Sie sind noch immer bereit, es zu tun?«
Dämliche Frage!
»Ja doch.«
»Sie dürfen jetzt das Lager verlassen. Herr Franz Lutter erklärte, daß Sie bis auf weiteres bei ihm wohnen können. Hier ist eine Liste von Behörden. Da muß jeder Flüchtling hin. Meldestelle. Wohnungsamt. Arbeitsamt. Und so weiter. Ihr Fall liegt völlig anders, doch wie Sie selber sagen, werden Sie von Ostagenten beschattet.«
»Werde ick.«
»Die Agenten müssen glauben, daß Sie sich weiter genau an Herrn Bräsigs Weisungen halten. Sie dürfen nicht den Eindruck gewinnen, wir hätten Sie umgedreht.«
»Klar.«
»Schwierige Situation. Zu den Behörden müssen Sie – sonst werden Ihre Schatten mißtrauisch. Was man Ihnen befiehlt, müssen Sie auch tun – und zwar ganz gleich, ob wir es sind oder die anderen.«
»Ja, ’n bißken schwierich wird det wohl werden.«
»So sehr auch wieder nicht! Sie melden jeden Auftrag dieses ›Hauptreferenten‹. Seien Sie ohne Sorge. Unsere Schatten beschützen Sie jetzt auch.«
Mensch, wer mich da alles beschützt! Bräsigs Leute, Prangels Leute, die Schatten des ›Hauptreferenten‹, die Schatten der Amis, die heilige Beatrix – heiter, heiter!
»Sie tun, was der Osten Ihnen sagt – immer.«
»Jawohl.«
»Es kommt der Punkt, wo wir zupacken und die Herren fassen.«
Bruno klopft dreimal auf das weiße Holz des Schreibtisches.
»Haben Sie schon die ›Friedland-Hilfe‹ bekommen?«
»Ja. Hundert Mark.«
»Gut. Herr Lutter erhielt auch bereits Geld. Er geht mit Ihnen andere Sachen kaufen, zum Anziehen.«
»Au fein.«
»Ja, also dann: Good luck, Herr Knolle!«
»Bitte?«
»Ach so: Alles Gute!«
»Ja, det wünsche ick Ihn’ ooch, meine Herren«, sagt Bruno und geht, nachdem er sich verbeugt hat.
Der junge Agent sieht Alexander Cecil Snowden an.
»Sie haben es tatsächlich geschafft, Sir! Das bloße Versprechen einer Kneipe genügte …«
Snowden winkt ab. »Es wäre sogar ohne Versprechen gegangen.«
»Sie halten wenig von den Menschen, Sir.«
»Wenig?« Snowden ist ehrlich erstaunt. »Überhaupt nichts, mein Lieber!«