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Von dem Geld, das sie für die Düsseldorfer Wohnung erhalten hatte, kaufte sie eine neue in der Meinekestraße. Es war ihr klar, daß sie sich in einer scheußlichen Situation befand. Nach Jahren des vornehmen Mätressentums würde sie nun wieder von vorn anfangen müssen, sprich: Auf dem Strich. Und sie war bereits fünfunddreißig.

Das ist kein Alter für eine Frau im allgemeinen – jedoch im besonderen, dann nämlich, wenn es die Zeitläufte mit sich bringen, daß die Teenager-Prostitution blüht. Dann sind fünfunddreißig Jahre schon ein ganz hübsch hohes Alter. Ein ganz häßlich hohes.

Nelly sah immer noch hervorragend aus – aber natürlich nicht mehr wie zwanzig. Und so hätte sie aussehen müssen, um noch einmal groß Karriere zu machen.

Nein, mit der großen Karriere war es vorbei.

Nelly hatte keine Illusionen. Sie holte sich ihre Freier von der Straße, wie einst. Es gab genug, aber sie schenkten keine Nerzmäntel, sie überreichten keinen Schmuck. Sie bezahlten ihre fünfzig bis hundert Mark, je nachdem, und damit hatte es sich.

Zu der nun ungewohnt schweren Arbeit kam auch noch die Gefahr. Alle Huren auf dem Strich in der Chimanistraße warnten Nelly immer wieder: »Du brauchst ’n Beschütza! Sonst is det ja lebensjefährlich! Sonst kommste janz bestimmt noch mal an eenen, der haut dir über ’n Kopp und bringt dir um!«

Allein, wenn Nelly das Wort ›Beschützer‹ nun auch nur hörte, sah sie schon rot und begann zu toben.

»Ich will keinen! Ich brauche keinen! Ich habe die Nase voll von Beschützern! Das sind doch lauter Schweinehunde!«

»Nee, Nelly, nee«, antwortete darauf einmal Wanda, Oskar Knargensteins Braut, »det sage nich. Sind ooch anständije dabei.«

»Anständige! Daß ich nicht lache!« rief Nelly, der zum Weinen war. »Es gibt keine anständigen! Keinen einzigen! Du wirst auch noch deine Wunder erleben mit deinem Knarje, du auch!«

Danach stürzte sich Wanda auf Nelly (die Unterhaltung fand im ›Schwarzen Schimmel‹ statt), schlug sie zu Boden und riß sie an den Haaren. Nelly schlug zurück und riß auch, und wenn nicht der Wirt, ein paar Luden und Taxichauffeure eingegriffen und die Amazonen getrennt hätten, wäre gewiß ein Unglück geschehen.

So entsann Nelly Pietsch sich nach zwei Schnäpsen ihrer guten Kinderstube und bat Wanda um Verzeihung.

Da war Wanda ganz gerührt und verzieh natürlich sofort und meinte, sie könne Nellys Bitterkeit sehr wohl verstehen. Von diesem Tag an waren die beiden Freundinnen. Deshalb lief Wanda auch sofort zu Nelly, als Bruno Knolle im Sommer 1964 wieder auftauchte. Denn daß der in Westberlin war, das mußte Nelly sofort wissen.

»Det is eena von die Anständijen, Nelly! Der hat dir von Herzen lieb, det wissen wa alle. Den darfste vatrauen!«