Aus einem für ihn zwingenden Grund: Weil er einem anderen Menschen sein Ehrenwort gegeben hatte, Dritten gegenüber zu schweigen. Dieses Ehrenwort gab er einem seiner geschäftlichen Bekannten, den er im August 1961, unmittelbar nach Errichtung der Mauer, zufällig traf – und in den folgenden Monaten dann noch ein dutzendmal.
Zur ersten Begegnung kam es in der Bar des ›Hotels Atlantic‹ in Hamburg am 19. August 1961. Dort begegnete Fanzelau jenem Bekannten – er hieß Olaf Martini – im Gespräch mit drei Ausländern, einem Farbigen und zwei Weißen. Die Unterhaltung wurde in englischer Sprache geführt. Fanzelau konnte – ob er wollte oder nicht – hören, was an der Theke gesprochen wurde. Sein Gehirn registrierte achtlos, daß es um die Erprobung eines neuen Pflanzenschutzmittels ging und daß Martini die drei Herren zu einem Abschiedsdrink geladen hatte.
Tatsächlich erschien denn auch bald ein Boy, der, wie es in diesem Hotel üblich war, mit lauter Stimme die Abfahrt des Busses zum Flughafen bekanntgab, woraufhin Martini die drei Herren noch zum Ausgang begleitete und danach in die Bar zurückkehrte. Er war sichtlich erfreut, Fanzelau wiederzusehen, fragte, ob dieser Zeit habe, und als Fanzelau bejahte, nahmen sie einen weiteren Drink in einer stillen Ecke der Bar.
Martini war ein mittelgroßer, schlanker Mann von vielleicht sechsundvierzig Jahren. Er besaß kurzgeschnittenes und dabei interessant gewelltes und graumeliertes brünettes Haar, strahlende, hellgrüne Augen, die sofort Vertrauen erweckten, ein fast zu hübsches Gesicht – und sah stets aus wie ein idealistischer Student. Er arbeitete, das wußte Fanzelau, in gehobener Position als Wissenschaftler in einem weltbekannten Chemiewerk.
Daß sie einander lange nicht gesehen hatten, erklärte Martini mit dem Umstand, daß er in der letzten Zeit fast ununterbrochen auf Reisen gewesen wäre. Er habe gehört, Fanzelau sei es längere Zeit gesundheitlich gar nicht gut gegangen.
»Jetzt ist aber schon wieder alles viel besser«, sagte der kleine Herr schnell. Man sprach also von seiner Erkrankung? Unangenehm bei einem Geschäftsmann, immer unangenehm! Fanzelau gab sich Mühe, besonders frisch und jugendlich zu wirken. Er hatte das Gefühl, damit auf den übervitalen Martini den gewünschten Eindruck zu machen.
»Sie sind also immer noch dabei, den Bau halber Städte zu finanzieren«, konversierte Olaf Martini, sichtlich nicht völlig informiert, denn Fanzelau hatte sich ja von seinen Geschäften ziemlich zurückgezogen. Dennoch bejahte er die Frage.
Die Antwort, die er erhielt, erstaunte ihn. Durch sein gepflegtes, interessantes Haar streichend, meinte der Chemiker: »Beeilt euch schön, ihr Herren! Überall! Denn wenn wir Wissenschaftler so weitermachen, werden bald zehn Milliarden Menschen mehr auf dieser Erde leben. Und diese zehn Milliarden benötigen wir unter allen Umständen – in der allernächsten Zeit.«