Ernst Kornmann erklärte Bruno und Knarje noch vieles andere. Er sagte ihnen, daß der englische Diener heute seinen freien Abend habe und Fanzelau allein im Haus sei. Mit einem Wolfshund. Und was mit diesem Wolfshund geschehen müsse. Und daß man aus dem Haus durch einen kurzen Gang direkt in eine angebaute Garage gehen könne, in der sich Fanzelaus Mercedes befindet. Und schließlich sagte Ernst Kornmann, was alles nach Verfrachtung Fanzelaus in das Auto zu geschehen habe.
So, und da stehen Bruno und Knarje also nun, Schlag 22 Uhr, vor dem hohen Gitter aus schweren Eisenstäben, das Herrn Fanzelaus Park umgibt. Bruno drückt auf einen Knopf unter dem Blech einer Sprechanlage. Sie befindet sich im rechten der zwei mächtigen viereckigen Sandsteinpfeiler des Eingangstores.
Nachdem Bruno geklingelt hat, ertönt sofort eine Altmännerstimme aus der Sprechanlage: »Ja?«
Hochdeutsch, Bruno!
»Polizei! Bitte, öffnen Sie, Herr Fanzelau!«
Zwei starke Scheinwerfer, die in Bäumen nahe dem Gitter angebracht sind, flammen auf. Ihr grelles Licht trifft Bruno und Knarje. Kornmann hat ihnen gesagt, daß es hier Scheinwerfer gibt.
Fanzelau in seiner Villa kann deutlich sehen, wer vor dem Tor steht. Er mag ein Fernglas benutzen, wenn er es überdeutlich sehen will. Ein Mann wie der kann nicht vorsichtig genug sein, denkt Bruno. In der Tat hat Otto Fanzelau, seit ihm ›der Sinn seines Lebens‹ aufgegangen ist, eine ganze Reihe von Sicherheitsvorkehrungen treffen und verschiedene Geräte installieren lassen. Nicht nur Scheinwerfer.
Seine Stimme: »Ich bin eben von Ihrer Zentrale alarmiert worden. Ich öffne sofort. Aber zeigen Sie mir bitte noch Ihre Ausweise.«
»Sehen Sie uns denn nicht? Und unseren Wagen?«
»Ich sehe Sie.« Die Stimme klingt kalt. »Ihre Ausweise möchte ich auch sehen.«
»Das können Sie doch nicht – auf die Entfernung!«
»Ich kann.«
»Wie?« fragt Bruno, der genau weiß, wie. Kornmann hat es ihm und Knarje gesagt.
»Treten Sie nacheinander vor die Sprechanlage … halten Sie die Ausweise vor die Brust …« Bruno tut es als erster. Über der Sprechanlage befindet sich in der Sandsteinsäule ein kreisrundes Loch von der Größe eines Tennisballs. Bruno weiß: Im Innern des Lochs ist die Optik eines Fernsehgerätes eingebaut. Der Bildschirm steht in einem kleinen Zimmer der Villa. »… etwas näher, bitte …« Jetzt liest er den Ausweis, denkt Bruno. »Und nun etwas zurück.« Jetzt will er sehen, ob ich auch der Richtige bin, denkt Bruno und tritt zurück.
Nach ihm kommt Knarje an die Reihe.
»Danke«, sagt Fanzelaus Stimme.
Der rechte Flügel des schweren Tores öffnet sich.
»Scheinwerfer aus!« ruft Bruno in die Sprechanlage. »Wir spielen nicht gern Schießscheiben!«
Die Scheinwerfer verlöschen.
Über einen breiten Kiesweg laufen Bruno und Knarje auf die Villa zu. Der kleine Herr Fanzelau öffnet. Er trägt einen eleganten schwarzen Anzug, ein weißes Hemd, eine austernfarbene Krawatte und die obligate Perle darin. Wie er aussieht, wissen Bruno und Knarje dank der Fotos, die Kornmann ihnen gezeigt hat. Auch den riesigen Wolfshund, der leise knurrend neben seinem Herrn steht, kennen sie von Bildern.
»Ruhig, Nero, ganz ruhig.«
Bruno und Knarje treten in eine kleine Vorhalle. Hinter ihnen schließt Herr Fanzelau die Eingangstür und versperrt sie.
»Bitte, kommen Sie weiter, meine Herren.« Der Zwerg mit dem Gelehrtenkopf führt die beiden Männer in den großen, kunstvoll getäfelten Raum, in dem er 1962 mit Kurt Mittenzwey Tee getrunken hat. Zu den Kostbarkeiten aus fernen Ländern, den afrikanischen Dämonenmasken, Fruchtbarkeitsgöttinnen, Totems, griechischen Vasen und chinesischen Schnitzereien sind mittlerweile viele neue wunderbare Dinge hinzugekommen. Es stehen auch noch mehr Elefanten aus Gold, Silber, Holz und anderen Materialien auf dem Tisch in der Ecke, als vor zwei Jahren: Mindestens hundertdreißig. Und alle mit dem Rüssel nach oben. Weil sie sonst nämlich kein Glück bringen, wie jene behaupten, die solche Dinge sammeln.
Kinder, die Pracht!
Ganz weh kann einem ums Herz werden, wenn man denkt, daß man hier nicht absahnen darf …
»Setzen Sie sich, Herr Knolle, setzen Sie sich, Herr Knargenstein«, sagt Otto Fanzelau, die Riesenpuppe mit dem edlen Gesicht und den stahlblauen Augen. »Verzeihen Sie das Chi-chi, das ich mit Ihren Ausweisen anstellte. Es geschah hauptsächlich zu Ihrem Schutz. Sicherlich läßt dieser ›Hauptreferent‹ Sie beschatten.«
»Sicherlich«, sagt Bruno, während er sich setzt. »War sehr aufmerksam von Ihnen, Herr Fanzelau.«
»Wir danken ooch scheen, Herr Fanzelau«, erklärt Knarje.