32

Nachdem Bräsig den Hörer seines Telefons niedergelegt hatte, war er in die gute Stube zurückgegangen, um eilig eine Krawatte umzubinden und seine Jacke anzuziehen.

»Du mußt weg?« fragt die Marie, ins Leere lächelnd.

Sie darf nichts ahnen, ich darf sie nicht beunruhigen, denkt Bräsig und erwidert gleichmütig: »Ja. Ich habe dir doch gesagt, daß sie mich wahrscheinlich rufen. Sie brauchen mich.«

»Wird es lange dauern, Wilhelm?«

»Das kann ich nicht sagen. Vielleicht.«

Er sieht sie an. Dann sieht er schnell weg, denn er hält den Anblick dieses ahnungslosen, hilflosen Wesens, an dem sein Herz, sein ganzes Herz hängt, nicht aus. Wie hieß das vorhin in jenem Gedicht? ›Und trotzdem glaub ich immer noch, ich schlaf jetzt nur und werd erwachen, ein Kind dann wieder, das wie einst zu spielen weiß und froh zu lachen …‹

Vielleicht habe ich Glück.

Ich muß Glück haben!

Der Mensch hat wenig Glück, hat Einstein einmal gesagt.

Aber auch wenn ich nur dieses wenige Glück haben will, muß ich jetzt hinüber, das ist klar.

Ganz arglos bleibt die Marie – bis zuletzt. Wie die Frau eines Arztes ist sie es seit vielen Jahren gewohnt, daß ihr Mann mitten in der Nacht fortgerufen wird.

»Tja«, sagt sie, »wenn du nicht weißt, wie lange es dauern kann, will ich mich ins Bett legen, Wilhelm. Ich bin doch sehr müde.«

»So ist es recht«, meint Bräsig, während er seine Marie auf die Stirn küßt, »leg dich hin und schlaf schön, meine Gute.«