Wachstum

Gleich ob Politik, Unternehmen, Gewerkschaften oder die breite Öffentlichkeit: Alle lieben wirtschaftliches Wachstum, denn es scheint uns einen immer höheren Wohlstand zu garantieren. Doch taugt Wachstum als Wohlstandsmaß? Und was ist mit diesem Begriff überhaupt gemeint?

In diesem Kapitel erfahren Sie,

  • unter welchen Voraussetzungen Wirtschaftswachstum erstrebenswert ist,

  • ob man Wachstumszahlen vertrauen kann,

  • wie Wachstum entsteht,

  • ob Wachstum die Erde langfristig zugrunde richtet.

Ist Wachstum noch erstrebenswert?

Wenn jemand heute von Wirtschaftswachstum oder kurz von Wachstum spricht oder schreibt, dann meint er normalerweise die Zunahme des Bruttoinlandsprodukts, kurz BIP.

Das BIP misst das Niveau der über den Markt abgerechneten wirtschaftlichen Aktivität eines Landes, den Endwert aller im Land produzierten Güter und Dienstleistungen. „Endwert“ bedeutet: Wenn ein Zulieferer einem Automobilhersteller eine Batterie liefert, so wird diese mit ihrem Wert zur Produktion des Zulieferers gezählt. Wenn die Statistiker den Wert des produzierten Autos statistisch erfassen, ziehen sie den Wert der Batterie ab, damit dieser nur einmal gezählt wird.

Wachstum macht nicht glücklich

Wirtschaftswachstum hat mehr als einmal einen schlechten Namen bekommen. Die Hippies der späten Sechziger- und Siebzigerjahre verweigerten sich dem Konsumzwang und den Drang zum „immer mehr“. Die nachfolgende Ökologiebewegung machte das Wirtschaftswachstum für Umweltverschmutzung, Plünderung der natürlichen Bodenschätze, Artenverlust und Erderwärmung verantwortlich. Und nach der Jahrtausendwende kam ein Zweig der Wirtschaftstheorie in Mode, der sich Glücksökonomie nennt. Seine Vertreter untersuchen, was die Menschen glücklich macht. Sie stellen i. d. R. fest, dass Geld nicht alles ist, ja nicht einmal das Wichtigste, zumindest wenn man schon einiges davon hat. Fast schien es, als wären damit Teile der Wirtschaftswissenschaft bei den 68ern angekommen.

Derartiges Gedankengut breitete sich bis in die hohe Politik aus. Die britische Regierung begann 2011 damit, die Lebenszufriedenheit der Bürger durch regelmäßige Umfragen zu messen. Der französische Präsident Nikolas Sarkozy berief eine mit Nobelpreisträgern gespickte internationale Kommission von Ökonomen ein, die untersuchen sollte, inwieweit es sinnvoll sei, das Bruttoinlandsprodukt weiter zu steigern. Bundeskanzlerin Angela Merkel sprang auf den Zug auf und beauftragte den Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, zusammen mit seinem französischen Pendant einen Bericht zum Thema zu verfassen. Und schließlich rief 2010 der Bundestag eine Enquete-Kommission „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“ ins Leben. Die mit Ökonomen und Politikern besetzte Kommission erhielt den Auftrag, „den Stellenwert von Wachstum in Wirtschaft und Gesellschaft zu ermitteln“.

Im Kern geht die Debatte um Wachstum und Lebensglück auf das sog. Easterlin-Paradox zurück. Der Ökonom Richard Easterlin hatte 1974 in einem Fachaufsatz festgestellt, dass die Zufriedenheit der Bürger mit zunehmendem Einkommen (gemessen in Wirtschaftsleistung je Einwohner) kaum noch steigt, wenn einmal ein gewisses Mindestniveau überschritten ist. Dazu passend stellte er fest, dass Bürger reicherer Länder nicht nennenswert glücklicher waren als Bürger weniger reicher Länder, sobald auch bei Letzteren ein gewisses Mindestniveau überschritten war.

Für den Einzelnen stellt sich die Situation jedoch differenzierter dar: Seine Lebenszufriedenheit steigt nämlich durchaus, wenn sein Einkommen im Verhältnis zu seinen Mitbürgern zunimmt. Die Lebenszufriedenheit der Menschen wird v. a. dadurch positiv beeinflusst, dass sie relativ zu den Mitmenschen, mit denen sie sich vergleichen, ein gutes Einkommen haben. Die schöne Wohnung, das große Auto und alles andere Sichtbare, was man sich damit leisten kann, erhöhen den sozialen Status, also das Ansehen, das man in den Augen der Mitmenschen genießt.

Weil aber der Statusgewinn des einen aufgrund eines höheren relativen Einkommens immer mit dem Statusverlust eines anderen einhergeht, und weil in dem Fall, dass alle mehr verdienen, niemand an Status gewinnt, macht ein allgemeiner Einkommensanstieg innerhalb einer Nation oder Region die dort lebenden Menschen nicht glücklicher.

Sinnvolle Maßstäbe für gute Politik

Was aber sollte der Maßstab für gute Politik sein, wenn nicht die Lebenszufriedenheit der Menschen? Hier wagen wir uns schon recht weit auf philosophisches Gebiet vor. Es gibt verschiedene Gegenentwürfe, von denen ich zwei vorstellen will:

  • die möglichst weitgehende Ausschöpfung der menschlichen Potenziale

  • die Stärkung der Gesellschaft

Ökonomen, die die Entfaltung der menschlichen Potenziale betonen, lehnen die private Zufriedenheit als Maßstab für gesellschaftliches Handeln ab. Ziel solle es vielmehr sein, den Einzelnen zu ermöglichen, ihre Potenziale auszuschöpfen. Bekanntester Vertreter ist der indische Ökonom Amartya Sen, Nobelpreisträger und Autor des Bestsellers „Ökonomie für den Menschen“. Er fragt, ob ungebildete Slumbewohner, die zufrieden sind, weil sie nicht mehr vom Leben erwarten, in ihrer Lage gelassen werden sollten, obwohl sie bei guter Ausbildung und Ernährung das Potenzial zu guten Handwerkern, Künstlern oder Wissenschaftlern hätten. In einer hochentwickelten Wirtschaft können zahlreiche Fähigkeiten und Neigungen besser entwickelt werden als in einer zurückgebliebenen.

Eine Alternative (oder auch Ergänzung) zu dieser eher idealistischen und individualistischen Rechtfertigung des Wirtschaftswachstums im Sinne wirtschaftlicher Entwicklung ist eine realpolitische Sichtweise, wie sie Bernard Mandelville (1670–1733) mit seiner Bienenfabel zum Ausdruck gebracht hat. Darin veranschaulicht Mandelville seine Überzeugung, dass persönliche Tugenden wie Genügsamkeit und Friedfertigkeit oft weniger förderlich für Fortschritt und Gedeihen der Gesellschaft seien als Laster wie Ehrgeiz, Gier und Luxus.

In der Fabel verarmt das Bienenvolk mit den genügsamen, tugendhaften Bienen. Das Volk mit den arbeitsamen, ehrgeizigen und aggressiven Bienen dagegen wird reich und mächtig und kann die Herrschaft über die wehrlosen, arm gebliebenen Bienen an sich reißen.

Die Anspielung auf die enge Verbindung von wirtschaftlicher Kraft und militärischer Macht ist historisch korrekt. Immer wieder im Lauf der Geschichte haben führende Wirtschaftsmächte ihre Wirtschaftskraft in militärische Macht übersetzt und diese genutzt, um andere Länder zu beherrschen und dadurch ihren Reichtum noch zu mehren, oft zu Lasten der Beherrschten.

Die Fabel hat noch eine weitere Botschaft: Der Einzelne, der sich in seinem eitlen Ehrgeiz nach sozialem Status anstrengt, mehr zu verdienen als andere, und dadurch an einem erbarmungslosen Konkurrenzkampf teilnimmt, bei dem jeder private Kosten in Kauf nehmen muss, produziert als Nebeneffekt eine reichere Gesellschaft.

Wer sich in die Tretmühle des Wettbewerbs mit dem Nachbarn um das größere Auto begibt, der produziert damit direkt oder indirekt Steuern und Sozialabgaben, mit denen Straßen gebaut, Lehrer bezahlt und soziale Leistungen finanziert werden können. Das sichert langfristig den Wohlstand der Gesellschaft, kommt aber in Umfragen zur aktuellen Befindlichkeit des Einzelnen nicht zum Ausdruck.

BIP-Wachstum ist nicht gleich Wohlstand

Auch wenn es die Menschen nicht unbedingt glücklich macht, gibt es für Wirtschaftspolitiker gute Gründe, danach zu streben, dass die Wirtschaft wächst und die Einkommen steigen. Das heißt aber keinesfalls, dass das Bruttoinlandsprodukt der beste oder auch nur ein guter Maßstab für wirtschaftlichen Fortschritt ist. Unter den zahlreichen Einwänden gegen das BIP sind die beiden folgenden besonders wichtig:

  • Es ignoriert unerwünschte Nebenwirkungen einer wirtschaftlichen Aktivität für die Gesellschaft.

  • Es unterscheidet nicht danach, wer das zusätzliche Einkommen verdient und wie es eingesetzt wird.

Nebenwirkungen werden ausgeblendet

Das Bruttoinlandsprodukt stieg, als der Ölkonzern BP die Ölplattform Deep Water Horizon im Golf von Mexiko baute und sie in den Folgejahren betrieb. Es stieg weiter, als die Plattform explodierte, den Golf mit Öl verseuchte und Milliarden aufgewendet werden mussten, um die Strände zu reinigen und sonstige Schäden einzudämmen. Dennoch wäre die Menschheit insgesamt besser dran, wenn die Plattform nie gebaut worden wäre.

Eine Gesellschaft, die viel Geld ausgibt, um Umweltschäden zu reparieren und sich gegen Kriminalität zu schützen, ist schlechter dran als eine, die etwas weniger Geld zur Verfügung hat, aber solche Ausgaben erst gar nicht tätigen muss. Verteidiger des BIP-Konzepts führen an dieser Stelle gerne an, dass das Bruttoinlandsprodukt eben nicht dazu da sei, Aktivitäten zu bewerten, sondern allein, die Wirtschaftsaktivität zu messen. Das ist richtig. Aber ebenso richtig ist, dass das Bruttoinlandsprodukt in Politik, Presse und Öffentlichkeit als entscheidender Maßstab für wirtschaftlichen Erfolg und Wohlstand eines Landes angesehen wird.

Simon Kuznets, der 1934 das System der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung entwickelte, aus dem das Bruttoinlandsprodukt hervorging, sagte schon damals, das BIP solle keinesfalls als Wohlstandsmaß missverstanden werden. Gedacht war es nur als Maß, das Schwankungen der wirtschaftlichen Aktivität und damit möglichen Handlungsbedarf für die Wirtschaftspolitik anzeigen sollte.

Die Verteilung wird ignoriert

Wenn das Bruttoinlandsprodukt steigt, können die Menschen eines Landes insgesamt mehr Güter und Dienstleistungen konsumieren. Für das Bruttoinlandsprodukt ist es allerdings gleichgültig, wer die Einkommen bezieht. In Wirklichkeit hat das aber einen großen Einfluss darauf, wie positiv eine Steigerung des BIP zu bewerten ist, jedenfalls wenn man Wert auf eine möglichst weitgehende Entwicklung der menschlichen Potenziale legt. Die Wohlhabenden können ihre Potenziale schon sehr weitgehend ausschöpfen. Mehr Geld verändert daran kaum noch etwas. Es sind v. a. die Ärmeren, die durch Geldmangel an der Entfaltung ihrer Potenziale gehindert werden.

Wenn das Wirtschaftswachstum dazu führt, dass ohnehin schon Reiche noch reicher werden, während große Bevölkerungsteile arm bleiben oder gar verarmen, trägt es nichts zur besseren Ausnutzung der menschlichen Potenziale bei. Für die Berechnung des BIP ist es unerheblich, ob dem bestverdienenden Hedge-Fonds-Manager 5 Mrd. US-Dollar zufließen oder ob 100 Mio. Menschen, die von einem Dollar am Tag leben, jeweils 50 US-Dollar bekommen. Im Hinblick auf das Wohlergehen der Menschheit besteht zwischen beiden Alternativen allerdings ein riesiger Unterschied.

Wer allerdings eher die Sichtweise Mandelvilles einnimmt, wonach es allein auf Reichtum und Stärke der Gesellschaft insgesamt ankommt, mag das anders sehen. Doch mehrheitlich gilt die Auffassung, dass es dem Zusammenhalt und Gedeihen einer Gesellschaft nicht gut tut, wenn die Einkommen immer weiter auseinander driften.

Das BIP zu steigern greift zu kurz

In der Praxis taugt das Bruttoinlandsprodukt durchaus als Näherungswert für den materiellen Wohlstand eines Landes. Der Umstand, dass das Bruttoinlandsprodukt je Einwohner in den Industrieländern mit rund 30.000 US-Dollar rund zehnmal so hoch ist wie im Durchschnitt der Entwicklungsländer, sagt viel über das relative Wohlstandsniveau dieser Ländergruppen aus. Wächst das Bruttoinlandsprodukt wie in China im ersten Jahrzehnt dieses Jahrtausends Jahr für Jahr um fast zehn Prozent pro Jahr, so kann man durchaus mit einiger Zuversicht behaupten, dass es sehr vielen Chinesen inzwischen materiell merklich besser geht.

Doch die Tatsache, dass sich das Bruttoinlandsprodukt und der Wohlstand eines Landes zumeist grob in die gleiche Richtung entwickeln, bedeutet nicht, dass man die Steigerung des BIP zum Ziel der Wirtschaftspolitik erheben sollte. Denn in all den Fällen, in denen wirtschaftliche Aktivitäten schädliche Nebenwirkungen und ungünstige Verteilungswirkungen haben, sollte man abwägen, ob der Gewinn an Bequemlichkeit oder der sonstige mögliche Vorteil diese schädlichen Nebenwirkungen wirklich aufwiegt.

Ein anderes Beispiel ist in Zeiten der Erderwärmung inzwischen in fast jedermanns Bewusstsein angekommen. Wenn den Unternehmen das Recht genommen wird, nach Belieben Kohlendioxid in die Luft zu blasen, dann dämpft das die Wirtschaftsleistung. Für das langfristige Wohl oder gar das Überleben weiter Teile der Menschheit kann es jedoch ungemein wichtig sein. Im Hinblick auf das Ziel, das BIP zu steigern, wäre es ein Fehler.

Dabei handelt es sich nicht um einen Konflikt zwischen Ökonomie und Ökologie, sondern nur um einen Konflikt zwischen falsch messender Ökonomie und Ökologie. Denn korrekt wäre es, die negativen Nebenwirkungen bei der Berechnung der Wirtschaftleistung in einer Vermögensrechnung abzuziehen, so wie ein Unternehmen neben der Gewinn- und Verlustrechnung eine Bilanz seiner Vermögenswerte führt. Es weist Einnahmen, die in gleicher Höhe das Vermögen mindern, nicht als Gewinn aus. Nur die Steigerung einer vernünftig gemessenen Wirtschaftsleistung sollte Ziel der Politik sein.

Ein Leben ohne BIP

Stellen wir uns einmal vor, es würde kein Bruttoinlandsprodukt errechnet, so wie es bis in die 1930er-Jahre hinein der Fall war. Wie würden der Wohlstand und der Erfolg der Wirtschaftspolitik eines Landes dann gemessen?

Internationale Wohlstandsvergleiche können ganz anders ausfallen als der irreführende Wohlstandsvergleich über das Bruttoinlandsprodukt. Diesem zufolge sind die USA die mit Abstand reichste unter den großen Volkswirtschaften. Aber:

  • Amerikaner müssen dafür viel mehr arbeiten als Deutsche. Insbesondere haben sie weniger Urlaub.

  • Die durchschnittliche Lebenserwartung von US-Bürgern ist niedriger als jene der Europäer.

  • Der Gesundheitszustand der US-Amerikaner ist schlechter, obwohl die Gesundheitsbranche einen sehr viel höheren Anteil zur Wirtschaftsleistung beisteuert. Das heißt: Ihr tatsächlicher Ertrag in Form von Gesundheit ist viel geringer als der gemessene Beitrag zum BIP.

  • US-Amerikaner wenden deutlich mehr Zeit für das Pendeln zur Arbeit auf, eine Tätigkeit, die den Menschen Umfragen zufolge am wenigsten Spaß macht.

  • Kein Land der Welt verwahrt so viele seiner Bürger im Gefängnis wie die USA. Der prozentuale Anteil von Gefängnisinsassen an der Gesamtbevölkerung liegt um ein Mehrfaches höher als in Europa. Das ist ein Indiz für hohe Unsicherheit der Bürger und für große soziale Spannungen.

Die Tatsache, dass die USA bei einem Vergleich zahlreicher Wohlstandsmaße schlechter abschneiden als beim Bruttoinlandsprodukt, erklärt sich daraus, dass die Einkommen in den USA so ungleich verteilt sind wie in nur wenigen anderen Industrienationen. Im Zeitraum von 1990 bis 2010 kam fast der gesamte (inflationsbereinigte) Einkommenszuwachs den reichsten zehn Prozent aller Amerikaner zugute, wobei das reichste Prozent am meisten und das reichste Tausendstel am allermeisten profitierte.

Den Bürgern, die ihrer Regierung und der Opposition am Wahltag ein Zeugnis ausstellen, fehlt nichts, wenn sie die Höhe des Bruttoinlandsprodukts nicht kennen. Sie wissen, wie viel Geld sich in ihrer Lohntüte befindet. Statistiken zur Lohnentwicklung und zur Einkommensverteilung ermöglichen es ihnen zu beurteilen, wie sich ihr Einkommen relativ zu anderen entwickelt.

Auch ob die Arbeitslosigkeit steigt oder fällt und wie hoch die Geldentwertung ist, merken sie ohne Rückgriff auf das BIP. Niemand muss diese verschiedenen Erfolgs- oder Misserfolgskriterien für sie zu einem einzigen Maßstab zusammenfassen. Das machen sie mit ihrem Kreuz auf dem Wahlzettel.

Kann man den Wachstumszahlen vertrauen?

Auch wenn es vielleicht gut wäre, wenn das BIP von der Bildfläche verschwände, wird es uns noch lange erhalten bleiben. Daher ist hier noch eine eindringliche Gebrauchswarnung angebracht. Beim Zusammenzählen der vielen Tausend verschiedenen Produkte und Dienstleistungen, die in das Bruttoinlandsprodukt einfließen, tritt eine Komplikation auf: Unterschiedliche Produkte kann man nur über ihren Wert addieren. Der Wert aber setzt sich aus Preis und Menge zusammen. Werden die Autos lediglich teurer, dann ist damit kein echtes Wachstum verbunden. Wenn in einem Jahr eine Million Autos hergestellt und zu je 9.000 EUR verkauft wurden und im nächsten ebenfalls eine Million des gleichen Fabrikats zu 9.900 EUR, dann ist der Gesamtwert zwar um zehn Prozent gestiegen, es wurden aber nicht mehr Autos produziert. Bei realer Berechnung ist das Wachstum also null. Dieses reale Wachstum ist die Wachstumszahl, die wir in der Zeitung lesen oder in den Nachrichten hören.

Inflationsbereinigung enthält Willkür

Die Bereinigung von Preisen um die Teuerungsrate mag einfach klingen, ist in der Praxis aber sehr kompliziert und eröffnet vielfältige Ermessenspielräume, für die es keine objektiv richtige Lösung gibt. Die folgende Tabelle erklärt zunächst das Grundprinzip der Inflationsbereinigung. Die Statistiker stellen den Preis eines Produkts oder einer Dienstleistung im ersten und im zweiten Jahr sowie den Umsatz in beiden Jahren fest.

Daraus ermitteln sie die Preissteigerung und den Umsatzanstieg für jedes Gut. Die prozentuale Umsatzsteigerung abzüglich der Preissteigerung ist der reale Produktionsanstieg.

Da man Autos, Haarschnitte und Computer nicht zusammenzählen kann, geschieht das über den Umsatz. Um die durchschnittliche Produktionssteigerung zu errechnen, wird der Umsatz von Autos im ersten Jahr um den realen Umsatzanstieg erhöht (800.000 EUR + 10 %); ebenso verfährt man bei Computern (100.000 EUR + 9 %) und Haarschnitten (500.000 EUR + 5 %). Schließlich wird die Summe der drei Produktionswerte (1.514.000 EUR) durch den Produktionswert im Ausgangsjahr (1.400.000 EUR) geteilt. Das ergibt 1,08 oder einen Anstieg um acht Prozent in realer Betrachtung, also unter Herausrechnung der durchschnittlichen Preissteigerungsrate, die in diesem Fall bei fünf Prozent liegt.

Eine Komplikation besteht darin, dass Autos und viele andere Produkte mit der Zeit immer besser, manche aber schlechter werden. Das diesjährige Auto für 9.900 EUR ist vielleicht voll verzinkt und hält daher länger als das für 9.000 EUR im letzten Jahr, zudem hat es mehr Airbags. Doch wie lässt sich die Preissteigerung in Inflation und Entgelt für Produktverbesserungen aufteilen? Die Statistiker haben ausgeklügelte Techniken dafür entwickelt. Sie werden das schon im Großen und Ganzen richtig machen, möchte man meinen. Doch auf die Frage, was „richtig“ ist, gibt es keine objektive Antwort.

Manipulation gehört dazu

Je mehr von den Preissteigerungen auf Qualitätsverbesserungen zurückgeführt wird, desto geringer ist die Inflationsrate und desto höher das reale Wachstum. Aus Sicht der Regierungen, denen die Statistiker direkt oder indirekt unterstellt sind, steht fest, was richtig ist: jener Wert, der das Wirtschaftswachstum als möglichst hoch erscheinen lässt. Und so lässt sich, wie ich an anderer Stelle ausführlicher dargelegt habe (Häring 2010), bei so gut wie allen statistischen Reformen der letzten Jahrzehnte eine Gemeinsamkeit beobachten: Die vom nominalen Wachstum abzuziehende Inflationsrate war nach der Reform niedriger, die reale Wachstumsrate erschien dadurch höher. Es gab noch eine Gemeinsamkeit. Bei fast allen Reformen profitierte das gemessene Wachstum der USA überdurchschnittlich stark von den Reformen. Das ist kein Zufall, denn die USA können mit ihrer großen wirtschaftlichen und politischen Macht Fakten schaffen. Sie ändern die statistischen Methoden zu ihrem Vorteil, und der Rest der Welt zieht nach, um nicht als übermäßig wachstumsschwach dazustehen und die Vergleichbarkeit der Statistiken zu wahren.

Dabei stellen die einzelnen Änderungen an den statistischen Methoden meist durchaus Verbesserungen dar. Die Verzerrung liegt darin, dass „Verbesserungen“, die zu einem höheren gemessenen Wachstum und zu einer niedrigeren gemessenen Inflation führen, mit sehr viel höherer Wahrscheinlichkeit umgesetzt werden als mögliche Verbesserungen, die den gegenteiligen Effekt hätten.

Es gibt sehr wenige Ökonomen, die sich mit solchen Themen befassen. Die Regierungen können recht ungeniert die Statistiken zu ihrem Vorteil beeinflussen. Ob das jährlich einen halben Prozentpunkt beim Wachstum ausmacht oder einen ganzen, ist schwer zu beziffern.

Gut geschätzt ist halb revidiert

Die Wachstumsstatistiken sind noch mit einem weiteren Problem behaftet: Die Produktion der vielen Hunderttausend Unternehmen wird nicht exakt erfasst. Sehr vieles wird einfach geschätzt. Allein der Schätzfehler, der sich aus Diskrepanzen verschiedener möglicher Berechnungsweisen des BIP ergibt, ist so groß, dass die Statistiker sich genieren, ihn offen auszuweisen. Stattdessen verstecken sie ihn in einer Größe, die „Veränderung der Lagerbestände“ heißt. Der tatsächliche Lageraufbau muss in der Tat zum BIP gezählt werden, denn die produzierten, aber noch nicht verkauften Güter stellen ja produzierte Werte dar. Anders als der Name glauben macht, werden in den Lageraufbau aber alle statistischen Ungereimtheiten und Differenzen gebucht, um diese zu kaschieren.

Im Nachhinein, wenn z. B. zusätzliche Informationen aus der Steuerstatistik verfügbar sind, werden die Wachstumszahlen immer wieder korrigiert, zum Teil beträchtlich. Das BIP-Wachstum von Vierteljahr zu Vierteljahr sieht nach ein oder zwei Jahren oft ganz anders aus als zu der Zeit, in der es erstmals veröffentlicht wurde. Vieles von dem, was an Interpretation und Kommentierung der jeweils jüngsten Wachstumszahlen in den Zeitungen zu lesen ist, stellt sich später als Schätzfehler der Statistiker heraus, der korrigiert wird.

Aber die BIP-Zahlen sind nicht nur ungenau, sie sind auch stark in eine Richtung verzerrt, zumindest in den USA. In den zehn Jahren bis zum 1. Quartal 2011 wurden die vierteljährlichen Wachstumsraten (auf Jahresraten hochgerechnet) bei der ersten Mitteilung in 25 Fällen zu hoch und nur in 15 Fällen zu niedrig ausgewiesen. Die erste Schätzung und die beiden nächsten, die im Monatsabstand folgen, sind diejenigen, auf die Finanzfachleute und Medien achten. Einmal im Jahr wird dann grundlegend revidiert, für mehrere Jahre rückwärts. Und dabei stellt sich dann regelmäßig heraus, dass das Wachstum niedriger lag als in den ersten Meldungen angegeben. Im Durchschnitt betrug die Überschätzung des Wachstums in den genannten 40 Quartalen einen halben Prozentpunkt. Statt durchschnittlich 2,1 %, wie nach den ersten Meldungen, betrug das Wachstum nur durchschnittlich 1,6 %. Je niedriger das Wachstum, desto stärker wird es mit den ersten Meldungen überzeichnet. Beweise dafür, dass die Regierung die Hand im Spiel hatte, gibt es nicht. Die besonders deutliche Überschätzung in den Quartalen vor den Präsidentschaftswahlen 2004 und 2008 spricht aber auch nicht dagegen. In Europa, wo Manipulation oder Beeinflussung durch einzelne Regierungen deutlich schwieriger ist, weil die Daten international harmonisiert und kontrolliert werden, schlagen die Revisionen etwas öfter nach oben als nach unten aus.

Wie entsteht Wachstum?

Es ist keineswegs selbstverständlich, dass die Wirtschaft stetig wächst und die Gesellschaft immer wohlhabender wird. Während des rund 1.000 Jahre währenden Mittelalters fand keine nennenswerte wirtschaftliche Entwicklung statt und der Lebensstandard der Menschen verbesserte sich nur sehr langsam und mit großen Rückschlägen. Erst mit Einzug der Renaissance entstand in einzelnen Ländern und Gebieten so etwas wie verbreiteter Wohlstand. Einen großen Schub gab es dann noch einmal Mitte des 19. Jhd. mit der zweiten industriellen Revolution. Seitdem hat sich der Lebensstandard zumindest in den Industrieländern laufend erhöht, und zwar so gewaltig, dass ein durchschnittlicher Arbeiter in Deutschland heute weitaus komfortabler lebt als mancher König im ausgehenden Mittelalter.

Möglich wurde dies durch Spezialisierung und Massenproduktion in Verbindung mit technischen Neuerungen und Verbesserungen. Wer immer etwas tut, lernt dadurch dazu und nutzt Möglichkeiten, mit demselben Aufwand mehr zu erreichen oder auch dasselbe Ergebnis mit geringerem Aufwand zu erzielen, mit anderen Worten: eine Effizienzsteigerung herbeizuführen.

Stadtluft macht frei – und reich

Nicht alle Tätigkeiten sind gleichermaßen geeignet, technischen Fortschritt zu produzieren. Je mehr Maschinen eingesetzt werden, desto mehr Ansatzpunkte gibt es für Verbesserungen. Außerdem spielt die Wirtschaftsstruktur eine Rolle. Je mehr Hersteller verschiedener Produkte miteinander in engem Kontakt stehen, desto mehr besteht die Chance, voneinander zu lernen, neue Produkte oder Produktionsmethoden zu erfinden und die Abläufe zu verbessern. Keimzellen des wirtschaftlichen Fortschritts sind daher seit jeher die Städte, da dort viele verschiedene Tätigkeiten in enger räumlicher Verbindung stattfinden.

Technische Neuerungen und industrielle Massenproduktion treiben sich also gegenseitig an. Wer z. B. erst einmal einen Webstuhl besaß, der konnte große Mengen billiger Textilien produzieren. Dadurch verdrängte er diejenigen, die Textilien noch von Hand herstellten. Produzenten, die Webstühle besaßen, vereinten immer mehr Nachfrage auf sich und konnten immer billiger produzieren. Je mehr sie absetzen konnten, desto eher lohnte es sich für sie, Zeit und Geld in die Entwicklung oder den Kauf von noch besseren Webstühlen zu investieren, mit denen sie dann noch mehr Textilien noch billiger produzieren und ihre weniger fortschrittlichen Konkurrenten verdrängen konnten (siehe die folgende Abbildung).

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Mechanisierung und Massenproduktion setzen sich durch

Viele Maschinen und Produktionstechniken lassen sich so abwandeln, dass sie für ganz unterschiedliche Zwecke eingesetzt werden können. Wenn in einer Stadt oder Region verschiedene Industrien ansässig sind, befruchten diese sich technologisch gegenseitig.

Heutzutage ist die Kostendegression durch Spezialisierung und industrielle Massenproduktion so weit fortgeschritten, dass wir nur noch Minuten arbeiten müssen, um etwa eine elektrische Taschenlampe oder eine billige Armbanduhr zu kaufen, die sich vor 100 Jahren nur reiche Leute hätten leisten können. Die meisten von uns wären ziemlich hilflos, wenn sie allein mit dem, was sie selbst wissen und können, auskommen müssten. Viel mehr als eine primitive Form des Überlebens käme dabei nicht heraus, obwohl wir es gemeinsam geschafft haben, Raumsonden zum Mars zu schicken.

Lange Zeit bot allein die Industrie großen Spielraum für kostengünstige Massenproduktion. Der Begriff „Industrie“ selbst entstand, um genau dieses Phänomen zu beschreiben: die Produktion von Waren mit einem hohen Grad an Mechanisierung und Automatisierung in großen Mengen. Damit unterscheidet sich die Industrie vom Handwerk, wo kleinere Stückzahlen mit viel mehr Handarbeit und mit geringerem Einsatz an Maschinen gefertigt werden, ebenso wie von der traditionellen Landwirtschaft. Heute gehören auch unternehmensnahe Dienstleistungen und die Informationstechnologie zu den Wachstumstreibern, in denen bei Massenproduktion starke Kostendegression auftritt.

Eine Hierarchie der Wachstumstreiber

Die Wirtschaftsbereiche lassen sich grob in eine Hierarchie einteilen, die ihre Bedeutung als Treiber des Wirtschaftswachstums abbilden. Ganz unten stehen solche, in denen die Wertschöpfung und die Vorteile der Massenproduktion begrenzt sind, ein geringes Potenzial für technischen Fortschritt besteht und die Löhne und der Kapitaleinsatz niedrig sind. Am anderen Ende stehen Branchen mit hoher Wertschöpfung, hohen Löhnen, raschem technischem Fortschritt und hohem Kapitaleinsatz.

Auch die industriefernen Wirtschaftsbereiche wie Landwirtschaft und Kleingewerbe profitieren von der Industrie. So geht der beträchtliche Produktivitätsfortschritt in der Landwirtschaft v. a. auf Produkte der chemischen Industrie (Kunstdüngern, Insekten-, Pilz- und Unkrautvernichtungsmittel) und des Maschinenbaus zurück.

Technischer Fortschritt macht reicher

Die Nutzung von Größenvorteilen ist nur einer von mehreren Gründen dafür, dass wir es in der Vergangenheit geschafft haben und weiterhin schaffen, mit gegebenem Einsatz immer mehr zu produzieren oder das Gleiche mit weniger Arbeitseinsatz herzustellen, also die Produktivität zu steigern.

Historisch betrachtet war der Übergang zur (mechanisierten) Massenproduktion der große Wachstumstreiber. Inzwischen müssen wir, was solche Produktivitätssprünge angeht, kleinere Brötchen backen. Aber der Produktivitätsfortschritt setzt sich laufend fort, weil die Menschen bei dem, was sie tun, stetig dazulernen. Wenn sie ein Gut eine Weile auf eine bestimmte Weise produziert haben, fällt ihnen eine Möglichkeit ein, das Gleiche besser, schneller oder mit weniger Arbeitseinsatz zu tun, also ihre Produktivität zu steigern. Dazu gehört auch (aber nicht nur), dem Computer manche Dinge zu überlassen, die man vorher weniger gut mit der eigenen Hand beziehungsweise mit dem Kopf steuerte. Deshalb steigt die Menge an Waren und Leistungen, die die Menschen mit gegebenem Arbeitseinsatz erzeugen können, also die Produktivität, normalerweise von Jahr zu Jahr um ein bis zwei Prozent.

Wachstum durch Fruchtbarkeit

Die Wirtschaft wächst nicht nur, wenn die Produktivität der Arbeitenden steigt, sondern auch, wenn die Anzahl der Arbeitenden und der Konsumenten zunimmt. Diese Art des Wachstums ist allerdings anders beschaffen als die von Produktivitätsfortschritten erzeugte Wachstumsvariante. Während letztere uns wohlhabender macht, weil wir pro Kopf mehr erzeugen (oder bei gleichem Wohlstandniveau mehr Freizeit bekommen), ändert Wachstum im Gleichschritt mit der Bevölkerungszunahme erst einmal nichts an den pro Kopf zur Verfügung stehenden Gütern und Leistungen. Das ist unter anderem wichtig, wenn man die Höhe des Wachstums heranzieht, um den Erfolg einer Wirtschaftspolitik zu beurteilen. Ein Land wie die USA, in dem die Erwerbsbevölkerung um etwa ein Prozent pro Jahr wächst, kann sein Wohlstandsniveau und sein Beschäftigungsniveau nur heben, wenn es die Produktion um ein Prozent pro Jahr mehr steigert als Deutschland, wo die Erwerbsbevölkerung stagniert.

… oder arm

Umgekehrt kann Bevölkerungswachstum zu Verarmung führen, wenn Wirtschaftsbereiche dominieren, in denen die Produktivität mit zunehmender Produktionsmenge irgendwann abnimmt, etwa die Landwirtschaft und der Bergbau. Allein davon, mehr Schafe zu züchten, wird die Produktion des einzelnen Schafs nur unwesentlich billiger. Weil die landwirtschaftliche Nutzfläche begrenzt ist, sinkt sogar nach einer Weile die Produktivität mit zunehmender Produktion. Denn die besten Böden werden zuerst genutzt. Will man die Produktion ausweiten, muss man entweder mehr Schafe auf der gleichen Fläche weiden lassen, wodurch sie weniger Futter finden, oder neue Flächen dazunehmen, die i. d. R. weniger gut geeignet sind als die schon genutzten. Versucht man, Menschen allein mit Landwirtschaft zu ernähren, so wird das mit zunehmender Bevölkerung immer schwieriger. Beim Abbau natürlicher Bodenschätze verhält es sich ähnlich. Die am einfachsten abzubauenden Lager werden zuerst erschlossen. Baut man mehr ab, so wird das in aller Regel pro Tonne Kohle oder pro Gramm Gold teurer, weil man tiefer graben oder weniger konzentrierte Vorkommen aussieben muss.

Afrika kommt einem sofort in den Sinn, wenn vom Problem der Überbevölkerung die Rede ist, doch in Wirklichkeit handelt es sich um ein Problem der Unterentwicklung. Es fehlt in den meisten afrikanischen Ländern die Industrie, die in der Lage wäre, von dem wachsenden Heimatmarkt und dem großen Arbeitskräftepotenzial zu profitieren.

Konjunktur und Wachstum

Um mehr Arbeitskräfte in der Produktion einsetzen zu können, ist nicht unbedingt eine höhere Geburtenrate erforderlich. Es genügt schon, die vorhandenen Arbeitskräfte besser auszulasten, indem man offene Arbeitslosigkeit abbaut oder Arbeitskräfte aus der Reserve holt, etwas Hausfrauen oder entmutigte Arbeitslose, oder unfreiwillig Teilzeitbeschäftigte länger arbeiten lässt. In der Praxis kommt es dauernd zu Schwankungen im Auslastungsgrad der Arbeitskräfte und, damit einhergehend, des Produktionskapitals, also der Maschinen und Gebäude. Eine vorübergehende Unterauslastung von Arbeitskräften und Kapital kann auf zweierlei Weise entstehen:

  • Die Nachfrage sinkt, etwa weil die Konsumenten weniger zuversichtlich werden und daher ihr Geld beisammen halten, anstatt zu kaufen, oder weil der Export zurückgeht.

  • Die Produktion verteuert sich, etwa weil importierte Rohstoffe wie Öl teurer werden, sodass ein Teil der Produktion nicht mehr rentabel ist.

Umgekehrt werden Arbeit und Kapital stärker eingesetzt, wenn die Nachfrage steigt oder die Produktion sich verbilligt. Hierbei handelt es sich im Prinzip um ein zyklisches Auf und Ab. Die Ökonomen bezeichnen dieses zyklische Auf und Ab der Wachstumsraten als Konjunkturschwankungen.

Diese konjunkturellen Schwankungen der Wachstumsraten werden von Ökonomen als etwas grundsätzlich anderes betrachtet als Wachstum im Sinne einer Ausweitung des Produktionspotenzials oder Potenzialwachstum.

Wenn man von Unterauslastung oder Überauslastung spricht, muss man berücksichtigen, dass die Produktionsfaktoren (Arbeit und Kapital) im Normalbetrieb nicht zu 100 % ausgelastet sind. So erheben die Statistiker durch Umfragen regelmäßig die „Kapazitätsauslastung“ in der Industrie. Sie liegt bei normaler Konjunkturlage i. d. R. um 80 %. Das heißt, die Betriebe könnten, wenn die Nachfrage anzieht, bis zu einem Viertel mehr produzieren, ohne in neue Maschinen und Anlagen investieren zu müssen. Das können sie tun, indem sie die Maschinen länger laufen lassen oder bisher brachliegende Maschinen anfahren, indem sie die Arbeitszeit der Beschäftigten erhöhen, die Intensität der Arbeit steigern oder zusätzliche Arbeitnehmer einstellen.

Die Trennung in Konjunktur (Auslastungsschwankungen) und Wachstum (Steigerung des Produktionspotenzials) ist in der Realität bei weitem nicht so scharf, wie die Ökonomen es gerne darstellen. Das konjunkturelle Auf und Ab kann sich über Rückkopplungen in die eine oder die andere Richtung verfestigen. So hat in den drei Jahrzehnten bis etwa 2005 jede neue Rezession zu einer dauerhaften Erhöhung der Arbeitslosigkeit geführt, welche nachfolgend das Wachstumspotenzial drückte (siehe die folgende Abbildung).

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Wie aus Konjunkturschwäche Wachstumsschwäche wird

Umgekehrt führt eine Ausweitung des Produktionspotenzials durch zusätzliche Investitionen dazu, dass mehr Einkommen entsteht. Dadurch steigen die Nachfrage und die Zuversicht der Verbraucher sowie der Investoren und das erhöhte Produktionspotenzial wird noch besser ausgelastet (siehe die folgende Abbildung).

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Wie Wachstum und Konjunktur sich gegenseitig antreiben

Wenn es keine gegenläufigen, ausgleichenden Einflussfaktoren gäbe, würden solche Rückkopplungsprozesse entweder zum Zusammenbruch von Wirtschaften oder zu explosionsartigem Wachstum führen.

Ein wichtiger ausgleichender Faktor sind die Löhne. Wenn die Beschäftigung zunimmt, steigen normalerweise auch die Löhne, und umgekehrt. Das verteuert die Produktion, erhöht allerdings auch die Nachfrage. Die Frage, wie wirksam solche ausgleichenden, gegenläufigen Effekte innerhalb des freien Wirtschaftsgeschehens verhindern, dass sich Wirtschaftswachstum oder -schrumpfung immer stärker selber antreiben, ist eine der bedeutsamsten Konfliktlinien innerhalb der Ökonomie.

Die einen, die kein großes Vertrauen in diesen Mechanismus haben, berufen sich auf John Maynard Keynes, der dem Staat eine wichtige Rolle beim Ausgleich von Wirtschaftsschwankungen zuschrieb. Keynes zufolge wirken dabei zum einen automatische Stabilisatoren, zum anderen gezielte Maßnahmen der Wirtschaftspolitik.

Aktiv begegnen kann der Staat einem Wirtschaftsabschwung, indem er sich im Rahmen eines Konjunkturprogramms entscheidet, mehr Geld auszugeben, z. B. für Straßenbau und Sanierung von Gebäuden. Das tat die deutsche Regierung etwa mit zwei Konjunkturprogrammen in den Krisenjahren 2009 und 2010. Zu den Maßnahmen gehörte auch eine sog. Abwrackprämie, mit der Autofahrer ermutigt wurden, sich neue Fahrzeuge zu kaufen.

Kritiker der an Keynes orientierten Wirtschaftspolitik und -theorie setzen darauf, dass die Wirtschaft von selbst wieder ins Gleichgewicht findet, und/oder bezweifeln, dass der Staat tatsächlich in der Lage ist, Wirtschaftsschwankungen auszugleichen. Eines ihrer wichtigsten Argumente lautet, dass es zu lange dauere, bis ein Konjunkturprogramm verabschiedet sei und das Geld tatsächlich fließe. Zudem führen sie an, dass der Staat ohnehin zu stark zum Geldausgeben neige.

Eine andere Möglichkeit, wirtschaftspolitisch gegen Konjunkturschwankungen vorzugehen, liegt darin, im Abschwung mehr und billigeres Geld bereitzustellen und es im Aufschwung knapper beziehungsweise teurer zu machen. Mit den entsprechenden Instrumenten werden wir uns im Kapitel „Geld“ befassen.

Richtet Wachstum die Erde zugrunde?

Der Club of Rome legte 1972 seine millionenfach verkaufte Studie zu den „Grenzen des Wachstums“ vor. Sie kam zu dem Ergebnis, dass das Wachstum der Weltwirtschaftsleistung vor Ende des 21. Jhd. an die Grenzen der Belastbarkeit unserer Erde und ihrer Ressourcen stößt. Mit anderen Worten: Unsere Enkel und Urenkel müssten mit stagnierendem Wohlstand rechnen, weil wir und unsere Kinder bis dahin viele natürliche Bodenschätze weitgehend aufgebraucht haben. Diese Stagnation fände zwar auf höherem Niveau statt. Aber das gilt nur für die Weltbevölkerung insgesamt. Wenn die heute noch armen Länder wachsen und dabei auch mehr natürliche Ressourcen verbrauchen, könnte das für unsere Enkel in den Industrieländern einen rückläufigen Wohlstand bedeuten.

Gleichzeitig fragen sich viele Menschen, ob nicht schon infolge der raschen Bevölkerungsexpansion die Kapazität der Erde, alle Menschen zu ernähren, bald überschritten sein wird. Schließlich sterben schon jetzt viele Millionen Menschen pro Jahr an Hunger. Die globale Erderwärmung, die seit den 1990er-Jahren stark spürbar geworden ist und von der angenommen wird, dass sie größtenteils auf unsere wirtschaftliche Aktivität zurückgeht, verschärft die Situation und heizt die Diskussion um die Grenzen des Wachstums an.

Immer mehr Menschen sind
zu ernähren

Die Weltbevölkerung wächst kräftig. Lag sie im Jahre Null Schätzungen zufolge noch bei rund einer drittel Milliarde, so hat sie 2011 die Marke von sieben Milliarden Menschen überschritten. Dabei hat sich der Zeitraum, in dem eine neue Milliarde hinzukommt, von Hunderten von Jahren auf rund ein Dutzend Jahre verringert.

Thomas Malthus (1766–1834) behauptete eine Gesetzmäßigkeit, wonach die Bevölkerung schneller wachse als die Nahrungsmittelproduktion. Nur Hungersnöte, Seuchen und Kriege könnten die Überbevölkerung in Grenzen halten, so Malthus. So betrachtet ist es schon bemerkenswert, dass sich die Bevölkerung der Erde seit Malthus’ Zeiten auf über sieben Milliarden erhöhen und damit etwa versiebenfachen konnte.

Wenn dagegen Berechnungen von Peter Süßmilch stimmen, der 1741 die Tragfähigkeit der Welt mit 14 Milliarden Menschen angab – und auch heute noch deutet vieles darauf hin, dass er recht hatte –, dann kann unser Planet noch weitere sieben Milliarden Menschen ernähren. Würde die Weltbevölkerung wie seit 1987 in jeweils gut zwölf Jahren um eine Milliarde steigen, wären wir etwa zur nächsten Jahrhundertwende an der Belastbarkeitsgrenze angelangt.

Doch damit ist nicht zu rechnen. Nach einer Studie der UN aus dem Jahr 2011 ist die Geburtenrate der Weltbevölkerung von Anfang der 1950er- bis Ende der 1990er-Jahre von fünf Kindern auf 2,7 Kinder je Frau zurückgegangen. Die Bevölkerungsabteilung der Vereinten Nationen prognostiziert, dass diese Ziffer wahrscheinlich bis 2040–2050 auf rund zwei Kinder je Frau fallen wird. Die jährliche Wachstumsrate der Weltbevölkerung ist von ihrem Höhepunkt um zwei Prozent in den 1960er-Jahren auf etwas über ein Prozent zurückgegangen, mit weiter sinkender Tendenz.

Das liegt v. a. daran, dass die Geburtenrate mit zunehmendem Wohlstand sinkt, und zwar so stark, dass auch bei Berücksichtigung der sinkenden Kindersterblichkeit das Bevölkerungswachstum nachlässt. Einen entscheidenden Anteil an dieser Entwicklung haben auch verbesserte und breiter verfügbare Verhütungsmethoden. Inzwischen ist das natürliche Bevölkerungswachstum (ohne Zuwanderung) in den meisten Industrieländern negativ. Die chinesische Regierung wollte darauf nicht warten und hat 1979/1980 eine Ein-Kind-Regel verfügt, die in dem mit über 1,3 Mrd. Menschen bevölkerungsreichsten Land der Erde das Bevölkerungswachstum stark gedrosselt hat.

Die malthusianische Falle greift also nur in bestimmten Weltregionen, derzeit v. a. in Afrika, wo die Bevölkerung stark wächst und Hungerkatastrophen und Kriege immer wieder Millionen von Menschen das Leben kosten.

Genügend Lebensmittel, um sieben Milliarden Menschen und wenn nötig auch noch viele mehr zu ernähren, stehen bereit. Die Hungernden können sie sich nur nicht leisten.

Der Güterkonsum stößt an Grenzen

Eine andere drängende Sorge ist, ob die Erde auch fortgesetztes Wirtschaftswachstum bei großer, aber stagnierender Bevölkerung verkraften kann. V. a. scheint eine akute Gefahr zu bestehen, dass die Erde immer wärmer und das Wetter deshalb immer extremer wird. Wissenschaftler führen das maßgeblich auf den Einfluss von Treibhausgasen zurück. Diese entstehen v. a. bei der Verbrennung von Öl, Kohle, Benzin und sonstigen Energierohstoffen. Konsumgüter sind, wenn man alle Produktionsstufen einschließlich des damit verbundenen Verkehrs zusammenrechnet, energieintensiv und damit klimaschädlich. Je mehr Waren produziert und verbraucht werden, desto schlechter ist das für das Klima. Im Gegensatz dazu verursacht der Konsum von Dienstleistungen, der ebenfalls zur Wirtschaftsleistung zählt, zumeist nur geringe Umweltprobleme.

Sofern Wachstum also im Mehrkonsum von Dienstleistungen und virtuellen Gütern besteht, stellt es ökologisch kein oder nur ein geringes Problem dar. Dasselbe gilt für arbeitsintensive Verbesserungen an bestehenden Produkten. Wenn die Lebensdauer eines Autos mit zusätzlichen Arbeitsschritten verlängert wird, trägt das zum Wirtschaftswachstum bei, vermindert aber sogar die Umweltbelastung, die mit dem automobilen Verkehr verbunden ist.

Dasselbe gilt für aufwändige Verbesserungen der Ökobilanz von Gütern, die erforderlich werden, weil die Kundschaft darauf achtet oder der Gesetzgeber es vorschreibt. Wenn etwa ein Katalysator eingebaut wird, zählt die Mehrproduktion zum Wirtschaftswachstum, die Umweltbilanz des Autos wird dadurch verbessert. In den reichen Industrienationen kann man sich immerhin vorstellen, dass durch die zunehmende Verlagerung des Konsums weg von den Waren und durch technische Anstrengungen zur Verbesserung der Ökobilanz der produzierten Waren ein umweltneutrales oder gar positives Wachstum entstehen könnte.

Der Anschein, Ökonomie und Ökologie seien Gegensätze, erklärt sich wie bereits erwähnt v. a. daraus, dass die Ökonomen die Wirtschaft und damit auch das Wirtschaftswachstum auf das verengt haben, wofür es einen Marktpreis gibt. Der Verbrauch von Ressourcen und Umweltqualität aber wird bisher nur selten mit einem Preis beziffert.

Wachstum im Sinne einer Verbesserung der Lebensbedingungen in einem umfassenden Sinn wäre nie auf gefährliche Weise umweltschädlich. Das gilt jedenfalls dann, wenn man Schäden, die bei Bewohnern anderer Länder verursacht werden, mit einbezieht.

Internationale Koordination ist nötig

Die große Mehrheit der Erdbevölkerung ist weit davon entfernt, die Sättigungsgrenze beim Warenkonsum zu erreichen. Je wohlhabender die Menschen in den armen Ländern werden, desto mehr von ihnen wollen Auto, Wachmaschine, Spülmaschine, größere Wohnungen, Elektrizität und sonstige Segnungen der Zivilisation genießen. Doch wenn die Mehrheit der Weltbevölkerung sich dem Konsumniveau der Industrieländer annähern würde, wäre der Verbrauch von Rohstoffen und Energie um ein Vielfaches höher als derzeit.

Darin liegt der große politische Konflikt, der die Lösung der Klimaproblematik so erschwert. Verantwortlich für das Klimaproblem sind die Industrieländer. Die Entwicklungsländer sträuben sich, auf eine Hebung ihres materiellen Lebensstandards zu verzichten, um die Umweltsünden der Industrieländer zu kompensieren. Sie halten es für die Pflicht der Industrieländer, ihr hohes Verbrauchsniveau abzusenken, damit die Erde ein anständiges Konsumniveau der Menschen in den Entwicklungsländern verkraften kann.

Menschen neigen dazu, ihre Standards hinsichtlich dessen, was sie für fair halten, auch danach auszurichten, was ihnen selbst nutzt. Wer in der Vergangenheit viel Schaden angerichtet hat, neigt zu der Sichtweise, dass allein die Zukunft zählt, die anderen halten die Vergangenheit moralisch durchaus für relevant. Wer viel hat, neigt eher zu der Vorstellung, jeder solle gleich viel beitragen. Wer wenig hat, hält eher einen prozentual ausgeglichenen Verzicht für fair. Das sorgt dafür, dass globale Klimaverhandlungen in einer Welt, in der eine Gruppe von Ländern zehn Mal so reich ist wie die andere und schon seit 150 Jahren große Mengen an Schadstoffen in die Luft bläst, so ungemein schwierig sind.

Wenn es jedoch keine Einigung auf internationaler Ebene gibt, können Marktprozesse die Anstrengungen einzelner Staaten oder einzelner Bürger teilweise oder sogar vollständig zunichtemachen.

Wenn z. B. die deutsche Regierung den Unternehmen teure Energiesparmaßnahmen auferlegt, sinkt dadurch die Nachfrage nach Energie und damit auch deren Preis. Dadurch können alle anderen Länder billiger energieintensive Produkte herstellen und konsumieren. Wenn die energieintensiven Produkte nach Deutschland exportiert werden können, verlieren die deutschen Produzenten Marktanteile, der Konsum energieintensiv hergestellter Produkte geht aber nicht einmal in Deutschland zurück.