Geld

Geld, das ist allgemein bekannt, regiert die Welt. Dieses Kapitel ist nicht zufällig das längste, denn das Geld- und Finanzwesen ist gleichzeitig der wichtigste und der am wenigsten verstandene Teil unseres Wirtschaftslebens.

In diesem Kapitel erfahren Sie,

  • wer das Geld macht und wer daran verdient,

  • ob es eine Wahl zwischen Inflation und Arbeitslosigkeit gibt,

  • welche Rolle Geldschöpfung bei der jüngsten Finanzkrise spielte,

  • ob Staatsschulden verwerflich sind,

  • ob die Forderung, dass wir mehr privat vorsorgen sollten, berechtigt ist.

Wer „macht“ es und wer verdient daran?

Was Geld ist, glaubt jeder zu wissen: die Münzen oder bunten Scheine, die man aus dem Geldbeutel holt, um am Kiosk seine Zeitung oder im Laden seine Wurst zu bezahlen. Gedruckt und in Umlauf gebracht werden die Scheine, auf denen Euro steht, von der Europäischen Zentralbank. Sie leiht sie gegen Zins den Geschäftsbanken, die damit ihre Geldautomaten bestücken. Diese Geldschöpfung ist ein gutes Geschäft für Zentralbanken und letztlich für die Regierungen, an welche sie ihren Gewinn abführen. Den Gewinn daraus, Geld erschaffen zu können, nennt man Seigniorage oder Geldschöpfungsgewinn.

Die Seigniorage hat einen großen Anteil an den Milliardengewinnen, die eine große Zentralbank typischerweise jedes Jahr an ihre Regierung überweist. Weil unsere Zentralbank Geld druckt, mit dem wir bezahlen, müssen wir also weniger Steuern bezahlen oder muss sich unsere Regierung weniger verschulden. Das ist nicht selbstverständlich. Lange Zeit gab es statt unseres heutigen Papiergeldsystems ein System, das auf Gold (und teilweise Silber) beruhte. In der Frühzeit der Geldwirtschaft, die bis ins Mittelalter dauerte, liefen fast nur Münzen aus Edelmetall um. Später gab es zwar Geldscheine, aber diese trugen das Versprechen, sie jederzeit gegen Gold im Besitz dessen, der die Geldscheine gedruckt hatte, eintauschen zu können. Es waren also Schuldscheine. Ein solches System heißt Goldstandard. Im reinen Goldstandard gibt es keinen nennenswerten Geldschöpfungsgewinn. Den Gewinn macht der, dem das Gold gehört, in Höhe der Differenz zwischen den Gewinnungskosten und dem Wert des Goldes.

Der Goldstandard hat heute noch in Fachkreisen eine gewisse Anhängerschaft, weil man sich davon verspricht, dass die Geldschöpfung begrenzt und so Inflation zuverlässig vermieden wird. Dem steht ein großer Nachteil gegenüber: Geldpolitik als Mittel der Konjunktursteuerung ist hier nicht möglich. Die Zentralbank kann nicht einfach mehr Geld drucken, wenn es zu einer Wirtschaftskrise kommt. Deshalb haben sich vor und während der großen Weltwirtschaftskrise der 1930er-Jahre alle Länder vom reinen Goldstandard verabschiedet.

Die heutigen Geldscheine, ob US-Dollar, Euro, Pfund oder Franken, sind durch nichts gedeckt. Sie erhalten ihren Wert dadurch, dass sie als Zahlungsmittel akzeptiert werden. Das ist gesetzlich abgesichert. Der Staat verspricht, die bunten Scheine zur Begleichung der Steuerschuld zu akzeptieren, und er hat verfügt, dass jeder, der etwas zum Kauf anbietet, die Geldscheine (und Münzen) zur Bezahlung akzeptieren muss – sie sind gesetzliches Zahlungsmittel. Die Zentralbanken der USA, des Euroraums und der Schweiz (weniger die britische) besitzen zwar aus früheren Zeiten hohe Goldreserven. Diese haben heute aber keine währungspolitische Funktion mehr.

Das meiste Geld ist Buchgeld

Die vordergründige Aussage „Geld sind Geldscheine, also Bargeld“ ist aber nicht einmal die halbe Wahrheit, sondern nur ein Bruchteil davon. Geld ist alles, womit man bezahlen und seine Schulden begleichen kann. Mit Bargeld bezahlen wir heutzutage nur noch einen kleinen Teil dessen, was wir kaufen und mieten. Die Zeiten, in denen die Arbeiter von ihrem Arbeitgeber alle zwei Wochen eine Lohntüte mit Bargeld bekamen, sind lange vorbei. Heute wird das Geld auf unser Bankkonto überwiesen. Daraus erhält der Vermieter per Überweisung seine Miete, die Versicherung ihre Prämie und der Autohändler den Kaufpreis, ohne dass ein einziger Geldschein den Besitzer wechselt. Das Finanzamt erhält die Lohnsteuervorauszahlung direkt vom Arbeitgeber per Banküberweisung. Alles, was wir per Kreditkarte oder mit einer anderen Karte auf elektronischem Wege bezahlen, wird letztlich von unserem Bankkonto abgebucht und auf ein anderes Bankkonto gebucht, ohne dass ein einziger Geldschein gebraucht wird.

Was den Besitzer wechselt, ist lediglich ein in Computerspeichern eingetragenes Recht, Geldscheine zu erhalten. Dieses Recht wird nur für einen Bruchteil der Bankguthaben, die auf diese Weise laufend den Besitzer wechseln, je ausgeübt.

Der Staat, der über die Notenbank die Geldscheine druckt, die in Umlauf kommen, erhält den Geldschöpfungsgewinn also nur auf einen Bruchteil des Geldes, nämlich auf jenen, der als Bargeld im Umlauf ist.

Wer aber schafft den großen Rest des Geldes? Und wer verdient daran? Die Antwort ist nicht schwer: Bankguthaben werden von den privaten Banken geschaffen. Auch wenn der Ausdruck „geschaffen“ irritieren mag, ist er doch zutreffend. Man könnte meinen, wir schaffen ein Bankguthaben, wenn wir Bargeld auf unser Konto einzahlen. Doch das stimmt nicht, denn dadurch wird das schon bestehende Geld nur verlagert. Neue Bankguthaben werden vielmehr dadurch geschaffen, dass Banken einem Unternehmen, einem Bauherrn oder einem Autokäufer einen Kredit geben und ihnen in gleicher Höhe ein neues Bankguthaben zuweisen. Die Mengenverhältnisse von Bargeld, das von der Zentralbank geschaffen wird, und Buchgeld, das von den Banken geschaffen wird, zeigt die folgende Tabelle.

Die Schaffung von Buchgeld geschieht ganz einfach im Wege der Kreditvergabe. Dem Kreditkunden wird ein Guthaben auf seinem Konto gutgeschrieben, mit dem er seine Zahlungsverpflichtungen begleichen kann. Das neue Buchgeld kommt i. d. R. sofort in Umlauf, weil der Kreditnehmer es ja braucht, um seinen Zahlungsverpflichtungen nachzukommen. Auch die Empfänger überweisen es wieder an andere, denen sie etwas schulden. Durch Überweisungen von einem Konto auf ein anderes vermehrt sich das Buchgeld nicht. Es wechselt nur den Besitzer. Vermehrt wird es dadurch, dass die Banken immer wieder neuen Kredit an alte und neue Kunden vergeben und dadurch die Summe der Guthaben auf Bankkonten vergrößern. Weil alte Kredite zurückgezahlt werden und sich dadurch die umlaufende Buchgeldmenge vermindert, steigt das Buchgeld nur in dem Maße, wie die neuen Kredite die Tilgungen übersteigen. Das ist i. d. R. – aber nicht immer – der Fall.

Bei vielen Laien und einigen Fachleuten gibt es das Missverständnis, dass Banken v. a. als Makler für Ersparnisse fungieren – mit anderen Worten, dass sie mit dem Geld, das Sparer bei ihnen anlegen, Kredite vergeben. Das tun sie zwar auch – Sparkassen und Genossenschaftsbanken mehr, private Geschäftsbanken weniger. Aber sie sind nicht darauf angewiesen. Banken können Kredit geben, indem sie Geld aus dem Nichts schaffen. Dafür müssen die Banken als Gruppe nur damit rechnen können, dass das neue Guthaben nicht zur Gänze in Bargeld umgetauscht wird, sondern im Wesentlichen für den bargeldlosen Zahlungsverkehr genutzt wird. Bargeld können die Banken nicht vermehren; Guthaben, die nur von einem Bankkonto auf ein anderes transferiert werden, schon. Die Bank von England hat das in ihrem dritten Vierteljahrsbulletin 2007 so ausgedrückt: „Die mit Abstand größte Rolle bei der Schaffung von Geld im weiten Sinne spielt der Bankensektor. Wenn Banken Kredite geben, schaffen sie zusätzliche Guthaben bei denen, die sich das Geld geliehen haben.“

Genauso wie der Staat an der Bereitstellung von Bargeld verdient, verdienen die Banken an der Schaffung von Buchgeld. Sie verleihen gegen Zinsen Geld, das sie selbst fast kostenlos aus dem Nichts geschaffen haben. Weil Buchgeld einen viel größeren Anteil an der gesamten Geldmenge ausmacht als Bargeld, ist der Geldschöpfungsgewinn der Banken um ein Vielfaches größer als der des Staates. Wenn große Banken wie etwa die Deutsche Bank ein (für normale Unternehmen kaum je erreichbares) Gewinnziel von 20–25 % auf das Eigenkapital ausgeben, wie sie das selbst in der Finanzkrise nach 2007 getan haben, so hängt das auch entscheidend damit zusammen, dass sie – im übertragenen Sinne – Geld drucken dürfen.

Das Risiko eines Bank-Run

Die Schaffung von immer mehr Buchgeld ist gut für die Gewinnmarge der Banken. Sie ist im Prinzip auch gut für die Wirtschaft, denn mehr Buchgeldschöpfung bedeutet, dass die Unternehmen und Haushalte leichter an Kredit kommen, um Maschinen, Gebäude und Autos zu kaufen. Was aber in guten Zeiten ein Segen ist, kann sich in schlechten Zeiten, wie z. B. in den Jahren nach 2007 oder nach dem Platzen der Internet-Blase im Jahr 2001, in einen Fluch verwandeln. Die Banken räumen in guten Zeiten viel mehr Guthaben ein, als sie bei Bedarf bar auszahlen können. Das geht so lange gut, wie jeder den Banken vertraut. Sobald aber Zweifel an der Zahlungsfähigkeit einzelner Banken aufkommen, heben mehr Kunden als üblich ihr Geld in Form von Bargeld ab.

Wenn die Kundenguthaben 20-mal so hoch sind wie die Bargeldbestände der Bank, dann braucht es nicht viel, bis die Bank die Auszahlung verweigern muss, weil sie kein Bargeld mehr besitzt. Wenn das bei irgendeiner Bank geschieht, versucht jeder, möglichst schnell sein Geld bei der eigenen Bank abzuheben, bevor auch dieser das Geld ausgeht. So kommen plötzlich alle Banken in Schwierigkeiten. Aus dem Bank-Run ist ein Run auf das gesamte Bankensystem geworden.

Um jegliche Zweifel an ihrer Zahlungsfähigkeit zu vermeiden, geben die Banken in schlechten Zeiten nur noch wenig Kredit und horten die zurückgezahlten Gelder aus alten Krediten.

Weil ein Bank-Run für die Wirtschaft katastrophal ist, werden die Banken im Krisenfall mit frischem Geld von der Zentralbank und dem Geld der Steuerzahler aufgepäppelt. So geschah es von 2007 bis 2009, als sich viele Banken am amerikanischen Immobilienmarkt verzockt hatten. Die kleinen Banken IKB und Sachsen LB wurden sofort mit Milliardenbeträgen vom Staat gerettet, um erst gar keine Zweifel an der Zahlungsfähigkeit der übrigen deutschen Banken aufkommen zu lassen. Als in Großbritannien die Bank Northern Rock pleiteging, sah sich Bundeskanzlerin Angela Merkel genötigt, eine allgemeine Staatsgarantie für alle Bankguthaben abzugeben. Weil praktisch alle Banken des Euroraums in Liquiditätsnöte gerieten, lieh die Europäische Zentralbank ihnen ab 2008 jahrelang fast zum Nullzins so viel Zentralbankgeld, also letztlich Bargeld, wie sie benötigten.

Die schillernde Rolle der Zentralbanken

Der Gedanke, dass v. a. die Geschäftsbanken unser Geld herstellen, ist etwas gewöhnungsbedürftig. Wir sind es eher gewohnt, die Schaffung von Geld und die Sicherung seines Wertes als hoheitliche Aufgabe zu betrachten, die dem Staat und seinen Beamten obliegt. Das Grundgesetz äußert sich dazu nicht ausdrücklich. In der amerikanischen Verfassung ist das Geldwesen dagegen als hoheitliche Aufgabe definiert. Immer wieder brach deshalb in den USA Streit darüber aus, ob es privaten Banken gestattet sein sollte, Geld zu schöpfen.

Auch in Großbritannien wurde dieser Streit ausgefochten. Auf Initiative von Premierminister Robert Peel erließ das Parlament 1844 unter Verweis auf den hoheitlichen Charakter von Geld ein Gesetz, wonach es künftig nur noch der Bank von England gestattet war, Banknoten in Umlauf zu bringen. Bis dahin hatte jede Bank, die das nötige Renommee besaß, Schuldscheine, also Banknoten, in Umlauf bringen können. Diese Banknoten wurden von den Menschen dann als Zahlungsmittel verwendet. Die Möglichkeit der massenhaften Schaffung von Buchgeld durch die Banken im Wege der Kreditvergabe hatte Peel damals noch nicht im Blick, da es noch keinen bargeldlosen Zahlungsverkehr heutigen Ausmaßes gab.

In den USA gab es bis Anfang des 20. Jhd. keine staatliche Zentralbank, die fürs Gelddrucken zuständig war. Die privaten Banken taten dies in eigener Regie. Mehrere Anläufe zum Aufbau eines Zentralbanksystems versandeten, weil die Privilegien der Banker, die durch die privaten Zentralbanken mit staatlichen Hoheitsrechten unterfüttert wurden, politisch umstritten waren. An diesem Beispiel kann man daher besonders gut erkennen, wofür Zentralbanken taugen und wie sie entstanden.

Das Fehlen eines einheitlichen Zahlungsmittels war einerseits schlecht für die Wirtschaft, weil es den Handel erschwerte. Andererseits war es schlecht für die Banken, weil sie bei der Geldschöpfung unter starker Konkurrenz standen und sich gegenseitig das Leben schwer machten. So kam es häufig vor, dass eine Bank die Banknoten eines Konkurrenten bei dieser einreichte und dafür das Gold verlangte, mit dem die Banknoten (angeblich) gedeckt waren. Weil diese Gefahr immer bestand, musste jede einzelne Bank bei der Geldschöpfung sehr vorsichtig sein. Es kam dennoch immer wieder zu Bank-Runs und Finanzkrisen.

Die einflussreichsten Banker der USA kamen deshalb in einem Geheimtreffen auf Jeckyll Island zusammen und vereinbarten die Schaffung einer Zentralbank unter ihrer Kontrolle. Die Banker wollten so den Geldschöpfungsprozess koordinieren und gleichzeitig dafür sorgen, dass sie eine Institution hatten, die zusätzliches Bargeld drucken lassen konnte, falls das Publikum einmal mehr davon abheben wollte, als den Banken zur Verfügung stand. Nach ein paar Jahren parlamentarischer Lobby-Tätigkeit wurde das Federal Reserve System, wie die Zentralbank hieß, 1913 mit knapper Mehrheit per Gesetz geschaffen. Noch heute haben die Banken starken Einfluss auf die Federal Reserve. Sie besitzen und kontrollieren die regionalen Untergliederungen, einschließlich der besonders mächtigen in New York, und bestimmen fünf der zwölf Mitglieder im Entscheidungsgremium der Notenbank in Washington.

Anders als die US-Notenbank gehört die Bundesbank dem Staat, nicht den Banken. Weisungsrechte hat die Regierung allerdings nicht. Die Bank von Italien gehört den Banken; die Österreichische Nationalbank wurde erst 2010 aus dem Besitz der Finanzinstitute in Staatsbesitz überführt, weil man infolge der damaligen Finanzkrise zu dem Schluss kam, dass es nicht eben hilfreich ist, wenn Finanzinstitute den Aufsichtsrat einer Institution stellen, welche sie beaufsichtigen soll.

Reservezwang sorgt für Disziplin bei der
Geldschöpfung

Im Prinzip ist die Buchgeldschöpfung durch die Geschäftsbanken nur dadurch begrenzt, dass sie einen Teil des Geldes, das sie als Guthaben einräumen, bar vorhalten müssen. Denn normalerweise wird nur ein geringer Anteil je in bar abgehoben. Dieser Anteil liegt im einstelligen Prozentbereich. Je mehr Kredit eine Bank bei einem gegebenen Bargeldbestand gibt, desto mehr verdient sie. Damit setzt sie sich allerdings auch dem zunehmenden Risiko eines Bank-Run aus, denn die Kunden haben umso mehr Grund zum Misstrauen, je weniger flüssig eine Bank ist. Deshalb haben die Zentralbanken eine Mindestreserve eingeführt. Wenn sie höher ist als die Bargeldreserven, die die Banken von sich aus halten würden, begrenzt sie deren Geldschöpfung. Die Banken müssen das Bargeld nicht im Safe lagern. Es genügt, wenn sie ein Guthaben bei der Zentralbank haben, das jederzeit in Bargeld umwandelbar ist.

International sind die Mindestreservesätze immer weiter gesunken, weil die Banken die nationalen Gesetzgeber und Regulierer gegeneinander ausspielten. Die Banken in anderen Ländern dürften viel mehr Kredit geben, klagten sie. Wenn sie selbst nicht auch mehr Kredit (im Verhältnis zu den Bargeldreserven) ausreichen dürften, schade das „dem heimischen Finanzplatz“. Der häufig gehörte Ausdruck „Wettbewerbsfähigkeit des Finanzplatzes“ bedeutet, einfacher ausgedrückt, ein hoher Gewinn für die dortigen Banken.

In den USA beträgt der Mindestreservesatz noch 10 %, das heißt, das dortige Bankensystem ist in der Lage, rund ein Zehntel der Guthaben tatsächlich auszahlen. Im Gebiet der Europäischen Währungsunion beträgt der Satz nur noch 1 %. Das heißt, die Banken können für jeden Euro Bargeld, den sie vorhalten, 100 EUR Kredit ausreichen. Die Abschaffung der Mindestreserve in Großbritannien war Teil einer großen Deregulierungswelle des Finanzsystems, durch die sehr viel Bankgeschäft nach London gelockt und die Stadt zum dominierenden Finanzplatz in Europa wurde. Die massiven Probleme mit den Bankensystemen der westlichen Welt, die uns ab 2007 heimsuchten und wegen der nötigen Rettungspakete die Staatshaushalte ruinierten, gehen darauf zurück, dass den Banken durch die Deregulierung ermöglicht wurde, ein immer größeres Rad zu drehen.

Die einzigen Staaten, welche die bei Banken unbeliebte, weil ihre Gewinnmöglichkeiten beschränkende Mindestreserve noch als Politikinstrument benutzen, das je nach Bedarf auch ausgeweitet werden kann, sind Schwellenländer wie z. B. China (böse Zungen behaupten, das sei der Fall, weil dort die Regierung die Banken kontrolliere und nicht umgekehrt). Die chinesische Zentralbank erhöhte ab 2010 die Mindestreserve in mehreren Schritten drastisch, um das Kreditwachstum und damit auch die Preisblase an den Immobilienmärkten einzudämmen.

Zentralbanken als Wachhunde und Retter

Die Zentralbank hat meist auch die Aufgabe, die Banken (mit) zu überwachen, damit keine sich zu hohe Risiken auflädt und so das ganze System gefährdet. Da die wichtigsten Banken der USA (und der Welt) in der Region New York beheimatet sind, fällt dabei die Hauptaufgabe einer regionalen Untergliederung der US-Notenbank, nämlich der Federal Reserve von New York, zu. Diese gehört, wie schon erwähnt, den Banken der Region und diese wählen auch Präsident und Aufsichtsrat aus. Die Banken überwachen sich also selbst. Wenn sie damit rechnen müssten, im Gefolge eines Bank-Run pleitezugehen, würden sie das wohl auch gewissenhaft tun. Aber eine massenhafte Bankenpleite fügt der Wirtschaft so großen Schaden zu, dass die Banken wissen, dass der Staat und die Zentralbank ihnen notfalls aus der Patsche helfen werden. Die Billionen Dollar schweren Rettungsprogramme im Zuge der Finanzkrise von 2007 bis 2009 wurden maßgeblich von der Federal Reserve of New York und damit letztlich von den Banken selbst umgesetzt. Auch die Bundesbank, die Bank von England und andere europäische Zentralbanken haben sich bei der Aufsicht über ihre „Schutzbefohlenen“ nicht eben mit Ruhm bekleckert. Sie sind zwar unabhängig vom Staat, aber nur begrenzt unabhängig von den Banken, die sie überwachen sollen.

Die Notenbank hat eine relativ einfache Möglichkeit, die Banken zu retten, wenn sie nur illiquide sind, es also nur an Barem fehlt. Bargeld kann die Notenbank unbegrenzt bereitstellen. Dazu richtet sie Guthaben bei der Zentralbank ein, die jederzeit gegen Bargeld eintauschbar sind. Dazu kauft sie entweder den Banken Wertpapiere ab und gibt ihnen den Gegenwert als Zentralbankguthaben, oder sie leiht ihnen ein Guthaben.

Hüter der Preisstabilität

Die Sicherung der Preisstabilität wurde erst recht spät zu einer Aufgabe der Zentralbanken. Nachdem ihre Stellung stark genug geworden war, um die Geldschöpfung anzuheizen, indem sie den Banken mehr oder billigeres Geld gaben, oder sie zu bremsen, indem sie die Banken knapper hielten, wurde ihnen aufgetragen, für stabilen Geldwert zu sorgen. Dabei wenden die (westlichen) Notenbanken i. d. R. eine Variante der sog. Taylor-Formel an, benannt nach dem US-Ökonomen John Taylor. Um sicherzustellen, dass der Realzins (d. h. der inflationsbereinigte Zins, nicht lediglich der nominale Zins) steigt, hebt die Zentralbank dabei den Leitzins um den Inflationsanstieg plus einen Aufschlag an.

Außerdem sieht die Formel einen Abschlag beim Leitzins vor, wenn die Produktionskapazitäten der Wirtschaft unterausgelastet sind (Rezession), und einen Aufschlag, wenn sie überausgelastet sind (Hochkonjunktur). Auch das Verhalten von Zentralbanken, die eigentlich behaupten, anders zu handeln, lässt sich empirischen Untersuchungen zufolge recht gut mit der Taylor-Formel beschreiben.

Eine Zentralbank kann nicht pleitegehen

In Europa gerieten im Zuge der Finanzkrise einige Länder – zuerst Griechenland, dann Irland, Portugal, Spanien und Italien – in den Verdacht, überschuldet zu sein. Um Käufer für ihre Anleihen zu finden, mussten sie daher sehr hohe Zinsen bieten – höhere, als sie sich leisten konnten. Das war der Grund, warum die Europäische Zentralbank begann, Anleihen dieser Länder zu kaufen. Als sich die Krise zuspitzte, kam bei vielen Laien und selbst bei einigen Fachleuten die Sorge auf, dass die Zentralbank selbst pleitegehen könnte, falls diese Staaten ihre Schulden nicht zurückzahlen könnten.

Diese Sorge ist unbegründet. Eine Zentralbank hat zwar wie jede andere Bank eine Bilanz, mit Eigenkapital und Verbindlichkeiten auf der einen und Vermögenswerten auf der anderen Seite. Ihre Verbindlichkeiten sind jedoch von besonderer Art, weshalb eine Zentralbank, die eine eigene Währung kontrolliert, praktisch nicht pleitegehen kann. Pleite geht man, wenn man seinen Zahlungsverpflichtungen nicht mehr nachkommen kann. Wer keine großen Zahlungsverpflichtungen hat, kann nicht pleitegehen. Dazu sei beispielhaft die Bilanz (konsolidierter Wochenausweis) des Eurosystems vom 18. Oktober 2011 dargestellt. Das Eurosystem ist die Verbindung aus Europäischer Zentralbank und den nationalen Zentralbanken des Euroraums.

Man sieht: Der größte Posten auf der Passivseite ist der Banknotenumlauf. De facto ist das keine Verbindlichkeit, weil niemand die Banknoten einreichen kann, um etwas anderes als Banknoten dafür zu bekommen. Als Banknoten noch mit Gold gedeckt waren, bestand diese Verbindlichkeit der Geld ausgebenden Zentralbank noch darin, gegen Vorlage der Banknoten Gold herausgeben zu müssen. Seit es diese Verpflichtung nicht mehr gibt, ist die Gegenbuchung zur Geldschöpfung ein inhaltsleerer Bilanzeintrag, der nur erfunden wurde, damit unter dem Strich links und rechts die gleiche Summe steht, wie sich das für eine Bilanz gehört. Der zweitgrößte Posten unter den Verbindlichkeiten sind die Forderungen der Kreditinstitute aus geldpolitischen Operationen, also daraus, dass die Banken für die Kredite, die ihnen das Eurosystem gewährt, ein Guthaben mit Zentralbankgeld eingeräumt bekommen. Hier gleichen sich Forderungen und Verbindlichkeiten notwendigerweise weitgehend aus, was man an dem fast gleich großen Gegenposten auf der Aktivseite erkennt. Daneben hat das Eurosystem auf der Passivseite noch einen Ausgleichposten für Sonderziehungsrechte. Das ist Kunstgeld, das der Internationale Währungsfonds früher geschaffen und den Zentralbanken kostenlos zugeteilt hat. Es ist ebenfalls keine materielle Verbindlichkeit. Dann sind da noch Eigenkapital und offene Rücklagen, ein relativ kleiner Posten, und die stillen Rücklagen daraus, dass das Gold (und andere Anlagen) im Besitz des Eurosystems heute sehr viel mehr wert sind als beim Kauf.

Zusammen machen Eigenkapital, Rücklagen und Passivposten, die keine materiellen Verbindlichkeiten darstellen, rund 1,4 Billionen EUR der gut 2,3 Billionen EUR großen Bilanzsumme des Eurosystems aus. Es gibt kein plausibles Szenario, unter dessen Bedingungen das Eurosystem mit seinen Wertpapieren und Krediten an Banken Verluste in Höhe von 1,4 Billionen EUR erleiden würde.

Wenn die Verbindlichkeiten weitgehend nur eine Bilanzposition sind, ist auch die Vermeidung einer Pleite nur eine Bilanzoperation. Schließlich hat die Zentralbank ja für die Vermögenswerte, die in ihrer Bilanz stehen, größtenteils nur selbst geschaffenes Geld ausgegeben.

Wenn die Zentralbank hohe Verluste erwirtschaftet, weil manche ihrer Wertpapiere stark im Wert sinken, kann sie einfach einen Verlustvortrag in die Bilanz schreiben. Dieser wird dann mit späteren Gewinnen verrechnet. Oder sie kann stille Reserven heben. So verzeichnete allein die Bundesbank Ende 2010 Bewertungsgewinne auf ihren Goldhort von etwa 130 Mrd. EUR, die sie als „stille Reserve“ bisher nicht als Gewinn an den Bundeshaushalt abgeführt hatte.

Warum ist Inflation schädlich und für wen?

Wirtschaftswissenschaftler haben durch statistischen Vergleich der Erfahrungen vieler Länder festgestellt, dass Inflationsraten ab etwa fünf Prozent schädlich für die Wirtschaft sind. Länder mit Inflationsraten in dieser Größenordnung oder darüber müssen mit einem geringeren Wirtschaftswachstum leben als Länder mit stabileren Preisen.

Diese Tatsache wird v. a. darauf zurückgeführt, dass es schwer ist, die Inflation auf einem derart hohen Niveau zu stabilisieren. Wenn die Geldentwertung hoch ist, schwanken in aller Regel auch die Inflationsraten von Jahr zu Jahr stark. Schwankende Teuerungsraten erschweren den Teilnehmern am Wirtschaftsleben das Planen und Rechnen. Wenn die Preise dauernd kräftig steigen, ist es schwer zu unterscheiden, was davon allgemeine Geldentwertung ist und was darauf zurückgeht, dass ein bestimmtes Gut teurer geworden ist als andere. Es ist schwer, ein verlässliches Gefühl für relative Preise zu entwickeln, wenn sich die Preise dauernd ändern.

Bei stark schwankenden Inflationsraten wird jede festverzinsliche Geldanlage zu einem Lotteriespiel, weil man die Inflationsrate immer erst hinterher kennt. Wer Geld zu einem bestimmten Zins anlegt, weiß vorher nicht, wie viel von dem Zinsertrag dadurch aufgefressen wird, dass er nach Rückzahlung weniger Waren für sein Geld bekommt. Er weiß mit anderen Worten nicht, wie hoch der Realzins oder inflationsbereinigte Zins ist. Deshalb verlangt er einen Risikozuschlag zum Zins. Der Realzins ist deshalb höher als in Ländern mit niedrigerer und stabilerer Inflationsrate. Da Investitionen mindestens den Realzins erwirtschaften müssen, den man Fremdkapitalgebern bezahlen muss, lohnt sich das Investieren bei hohem Zinsniveau weniger.

Zu stabil ist auch nicht gut

Vollständig stabile oder gar sinkende Preise gelten allerdings ebenfalls als schädlich für die Wirtschaft. Das hat v. a. drei Gründe:

  • Bei sinkenden Preisen steigt die Belastung der Schuldner.

  • Der Zins kann nicht unter null sinken.

  • Die Löhne sind oft nach unten starr.

Wenn die Preise unerwartet längere Zeit sinken, also Deflation herrscht, dann ist die Belastung aller Schuldner deutlich höher, als sie zum Zeitpunkt ihrer Verschuldung erwartet hatten. Denn der Rückzahlungsbetrag wird im Verhältnis zu dem, was man dafür kaufen kann, und zum eigenen laufenden Einkommen immer mehr wert. Viele Schuldner gehen pleite, was für die Gläubiger Zahlungsausfälle bedeutet. Diejenigen, die nicht pleitegehen, versuchen alle, ihre Schulden zu senken. Das hat die weiter oben schon beschriebenen negativen Rückkopplungseffekte zur Folge. Wenn jeder sich entschulden will und keiner mehr Geld ausgeben möchte, fehlen die zur Entschuldung nötigen Einkommen.

Weil der nominale Leitzins nicht unter null sinken kann, kann die Zentralbank mit ihrer Zinspolitik wenig gegen Deflation unternehmen, sobald diese eingetreten ist. Wenn etwa die Preise mit einer Rate von 2 % pro Jahr fallen, dann liegt der inflationsbereinigte (reale) Leitzins selbst bei einem Leitzins von null immer noch bei 2 %. Das ist unter normalen Umständen akzeptabel, in einer Wirtschaftskrise aber nicht.

Dass die Löhne nach unten starr sind, hat gesetzliche und psychologische Gründe. Ein Unternehmen kann zwar dem einzelnen Arbeitnehmer eine Gehaltserhöhung bewilligen, um die Inflation auszugleichen. Es kann aber rechtlich – zumindest in Deutschland – nicht den vertraglich vereinbarten Lohn kürzen, weil die Preise gesunken sind. Der psychologische Grund liegt darin, dass die Menschen es als unfaire Zumutung empfinden, wenn ihr Gehalt gekürzt wird, selbst wenn dies preisbereinigt gar nicht wirklich der Fall sein sollte.

Wenn es einem Wirtschaftszweig eine Zeit lang nicht gut geht, sollten die Löhne dort im Vergleich zu anderen Branchen sinken. Bei Preisstabilität oder gar sinkenden Preisen steigen die Löhne nirgends kräftig, sodass für eine deutliche Änderung der Lohnverhältnisse Lohnsenkungen in mehreren Branchen nötig wären. Diese lassen sich aber sehr viel schwerer durchsetzen als ein Verzicht auf vollen Inflationsausgleich.

Aus diesen Gründen gilt eine Inflationsrate von 2 % den meisten Zentralbanken als niedrigster noch ausreichender Sicherheitsabstand zu einem Szenario sinkender Preise. Deshalb bezeichnet die Europäische Zentralbank diese Teuerungsrate, nicht ganz korrekt, als „vereinbar mit Preisstabilität“.

Inflation ist schädlich, nicht unsozial

Um die Vorzüge der Inflationsbekämpfung deutlich zu machen, wird gerne argumentiert, Inflation sei unsozial, weil sie v. a. die Rentner und die Bezieher geringer Einkommen treffe. Diese Argumentation ist so stark vereinfachend, dass sie schon fast irreführend wird. Bei gegebenem Einkommen ist natürlich für jeden Menschen weniger Inflation besser als mehr, und Leuten mit geringem Einkommen tut es besonders weh, wenn die Dinge des täglichen Bedarfs teurer werden.

Doch für die meisten ist das Einkommen nicht unabhängig von der Inflationsrate. Renten werden i. d. R. an die Inflation oder an die Gehaltsentwicklung angepasst. Bevor die Preise steigen, sind meist die Löhne und Gehälter schon gestiegen. Sonst hätte es keine Inflation gegeben, sieht man einmal von Ölpreissteigerungen und Ähnlichem ab. Daher sind den meisten Zentralbanken Lohnerhöhungen ein Dorn im Auge. Im Kern läuft die Inflationsbekämpfung darauf hinaus, „übermäßige“ Lohnerhöhungen zu verhindern. Das ist nicht immer populär, weshalb die Zentralbanken gern in die argumentative Trickkiste greifen, um die Inflationsbekämpfung dennoch als etwas darzustellen, das im Interesse der kleinen Leute sei.

Was aber passiert tatsächlich, wenn es zu einer unerwarteten Beschleunigung der Inflation kommt, weil die Zentralbank durch großzügige Geldpolitik zugelassen hat, dass Löhne und Gehälter kräftig steigen? Nehmen wir an, dadurch stiege die Inflationsrate unerwartet von zwei auf vier Prozent. Die Arbeitnehmer sind bereits durch höhere Löhne entschädigt. Die Renten werden im Nachhinein angepasst. Bei Sozialleistungen geschieht das oft nicht, aber der Verzicht auf die Anpassung ist dann eine Entscheidung der Regierung. Am Beispiel der Renten erkennt man, dass die Anpassung leicht möglich wäre. Erst dadurch, dass die Politik sich entscheidet, die Sozialhilfe (inflationsbereinigt) zu kürzen, wenn die Inflation steigt, geraten die sozial Schwachen in eine Allianz mit den Hauptverlierern von Inflation: den Finanzinstituten und den Reichen.

Den Hauptschaden tragen nämlich all diejenigen, die Geld zu festem Zins angelegt oder zu festem Zins jemandem Kredit gegeben haben. Denn der Realzins, den sie tatsächlich bekommen, wird durch die Geldentwertung niedriger als der, mit dem sie kalkuliert haben. Die Geschädigten sind also v. a. die Banken als Hauptkreditgeber und diejenigen unter den Vermögenden, die ihr Geld in Anleihen angelegt haben. Wer Immobilien besitzt, ist normalerweise geschützt, weil die Immobilienpreise i. d. R. mit der Inflation steigen. Aktienkurse entwickeln sich oft nicht gut, wenn die Inflation unerwartet hoch ist, weil steigende Löhne tendenziell die Gewinne der Unternehmen schmälern. Aktien stellen ja einen Anspruch auf einen Anteil am Unternehmensgewinn dar.

Kurz gesagt sind also die Hauptleidtragenden eines Inflationsanstiegs die Banken und die Vermögenden. Rentner gehören gar nicht so selten zu den Vermögenden. Nur dann sind auch sie unter den Hauptleidtragenden.

Anders verhält es sich nur, wenn die Inflation nicht von steigenden Löhnen verursacht, sondern importiert wird, etwa weil die Weltmarktpreise für Öl, andere Rohstoffe oder Nahrungsmittel stark steigen. Dann trifft es wirklich die Ärmsten am stärksten. Aber diese Art von Inflation kann ohnehin keine Notenbank verhindern.

Gibt es eine Wahl zwischen Inflation und Arbeitslosigkeit?

Vom früheren Bundeskanzler Helmut Schmidt stammt der Ausspruch: „Lieber 5 % Inflation als 5 % Arbeitslosigkeit.“ Das war zu Zeiten, als 5 % Arbeitslosigkeit noch als viel galt. In der Ökonomie wird die Beziehung zwischen beiden Größen als Phillips-Kurve bezeichnet, benannt nach einem Ökonomen, der durch Beobachtung der britischen Wirtschaft festgestellt hat, dass mit steigender Inflation die Arbeitslosigkeit sinkt und umgekehrt (siehe die folgende Abbildung). Eine solche Beziehung wurde auch in anderen Ländern festgestellt. Sie lässt sich gut erklären.

Abbildung

Phillips-Kurve: Arbeitslosigkeit sinkt, Inflation steigt

Nehmen wir an, die Nachfrage aus dem Ausland steigt. Die Exporteure verkaufen mehr und ordern neue Maschinen. Mehr Menschen finden Arbeit, die Verhandlungsposition der Arbeitnehmer verbessert sich, die Löhne steigen. Die Unternehmen überwälzen die höheren Löhne in Form von Preissteigerungen auf die Konsumenten, die ja als Gehaltsempfänger mehr Geld in der Tasche haben. Nach einem oder zwei Jahren ist die Arbeitslosigkeit niedriger, die Inflation höher als vorher. Sofern die Notenbank nicht gegensteuert, setzt sich der Prozess weiter fort, denn wenn der Nominalzins gleich bleibt und die Inflation steigt, dann sinkt der Realzins. Wenn der Realzins sinkt, nehmen die Leute eher einen Kredit auf und kaufen ein Haus oder ein Auto, die Unternehmen investieren mehr.

Entscheidet nun die Zentralbank, dass eine Inflationsspirale droht, weil steigende Löhne und Preise sich gegenseitig nach oben schrauben könnten, erhöht sie kräftig die Zinsen. Jetzt tritt der umgekehrte Fall ein: Es wird weniger investiert und weniger Häuser und Autos werden gekauft. Die Arbeitslosigkeit steigt, die Löhne steigen weniger oder stagnieren, die Inflation geht zurück. Nach vielleicht einem Jahr ist die Inflation deutlich gesunken, die Arbeitslosigkeit gestiegen.

Streit um die längere Frist

Dieser Zusammenhang ist weitgehend unumstritten. Er bildet die Grundlage für die Strategie der Zentralbanken, durch Zinsänderungen die Inflationsrate zu stabilisieren.

Umstritten ist dagegen, ob man dauerhaft mit mehr Inflation weniger Arbeitslosigkeit erkaufen kann oder ob das nur ein kurzfristiger Effekt ist, der wieder verpufft. Diejenigen, die Letzteres annehmen, argumentieren, das Zulassen einer höheren Inflationsrate sei immer mit der Notwendigkeit verbunden, die Inflationsrate später wieder zu senken, wodurch man auch die zunächst positive Wirkung auf die Beschäftigung wieder zunichtemache. Deshalb sei es besser, diesen Weg erst gar nicht zu gehen.

Die Gegenmeinung stellt diesen festen Zusammenhang in Frage. Die Argumentation geht so: Wenn es hohe Arbeitslosigkeit gibt, werden Produktivkräfte nicht genutzt. Sorgt die Zentralbank durch niedrige Zinsen für eine Zunahme der Nachfrage und erhöht sich die Beschäftigung, steigt das Güterangebot. Die höhere Nachfrage richtet sich also nicht auf ein festes Angebot an Gütern, sondern auf ein steigendes. Nach dieser Ansicht kann die Zentralbank also, wenn in der Ausgangslage Arbeitslosigkeit herrscht, diese dauerhaft senken, indem sie die Zinsen niedrig hält, ohne dass die Inflationsrate sich immer weiter erhöht.

Im deutschsprachigen Raum herrscht in der Bevölkerung und unter Ökonomen eher die erste Ansicht vor, wonach Geldpolitik nichts gegen die Arbeitslosigkeit tun kann. Deshalb hatte vor Beginn der Währungsunion die Bundesbank allein die Aufgabe, für Preisstabilität zu sorgen, und deshalb wurde diese Aufgabenstellung auch auf die Europäische Zentralbank in Frankfurt übertragen. In den USA herrscht dagegen eher die zweite Auffassung vor, weshalb der Notenbank dort gleichberechtigt die Aufgaben zufallen, die Inflation und die Arbeitslosigkeit in Schach zu halten.

Steigen die Preise, wenn die Geldmenge steigt?

Als die Bundesbank noch für die Geldpolitik in Deutschland verantwortlich war, folgte sie, zumindest ihren Worten nach, der Empfehlung des amerikanischen Ökonomen Milton Friedman, die Geldmenge zu steuern, um Inflation zu verhindern. Die Grundidee dahinter ist, dass das Verhältnis von Geldmenge und Gütermenge die Preise bestimmt. Wenn die umlaufende Geldmenge, die für Käufe zur Verfügung steht, stärker steigt als die verfügbare Gütermenge, dann steigen die Preise, weil immer mehr Geld die gleiche Menge an Gütern „jagt“. Deshalb gab die Bundesbank jedes Jahr einen Zielwert für die Vermehrung der Geldmenge aus, die sie mit Preisstabilität für vereinbar hielt. In mehr als der Hälfte der Jahre hat sie dieses Ziel allerdings deutlich verfehlt. Das liegt daran, dass die Zentralbank nicht direkt die Geldmenge steuern kann, die die Banken im Wege der Kreditvergabe schaffen.

Neben der fehlenden Steuerbarkeit in einem System, in dem die Banken das meiste Geld schaffen, liegt ein zweites Problem darin, dass man nie weiß, wofür das von den Banken geschaffene Buchgeld verwendet wird. Es kann nämlich nicht nur zum Kauf von Verbrauchsgütern und Dienstleistungen verwendet werden, wie das die Anhänger der Geldmengenregel im Sinn haben, sondern auch zu spekulativen Zwecken, wie dem Kauf von Aktien, Anleihen oder Immobilien. Letzteres hat keinen direkten Einfluss auf die Verbraucherpreise. Die Verbindung zwischen Geldmengenausdehnung und Inflation der Verbraucherpreise ist daher sehr unzuverlässig und kann stark schwanken.

Die folgende Tabelle zeigt zwei Episoden, in denen die Geldmengenausweitung zunächst die Aktienkurse kräftig nach oben trieb und die nachfolgende starke Abschwächung der Geldmengenausdehnung mit deutlich sinkenden Aktienkursen einherging. Bei den Verbraucherpreisen wirkte sich die stark unterschiedliche Geldmengenentwicklung nur hinter dem Komma aus. Statt der Geldmenge hätte man auch das Kreditvolumen heranziehen können. Die Wachstumsraten bewegen sich in der gleichen Größenordnung, da beides zwei Seiten einer Medaille sind.

Bis zur Finanzkrise, die 2007/2008 ausbrach, hatte man gedacht, dass alles in Ordnung sei, solange die Verbraucherpreise nicht stärker stiegen als 2 % pro Jahr. Die Zentralbanken und die meisten Ökonomen hatten aber nicht bedacht, dass es mindestens genauso schädlich sein kann, wenn das zusätzlich geschaffene Geld in Vermögenswerte fließt und die Preise von Häusern, Wohnungen und Aktien stark nach oben treibt.

Ob eher die Verbraucherpreise oder eher die Vermögenspreise steigen, hängt v. a. von der Lohnentwicklung ab. Steigen die Löhne im Zuge des wirtschaftlichen Wachstums, so steigen auch der Konsum und die Preise von Konsumgütern. Steigen die Löhne für die Masse der Bevölkerung dagegen nur sehr geringfügig, wie das in den USA seit den 1980er-Jahren und in Deutschland seit etwa 1996 der Fall war, dann steigen v. a. die Gewinne der Unternehmen sowie die (oft gewinnabhängigen) Gehälter des oberen Managements und die Vermögenseinkommen. Das zusätzliche Geld fließt dann in Vermögenswerte, die immer teurer werden.

Wenn Aktien und Immobilien jahrelang kräftig im Wert steigen, entsteht leicht eine Spekulationsblase. Immer mehr Investoren wollen in der Erwartung weiterer Preissteigerungen Immobilien oder Aktien kaufen, bis die Preise dermaßen übertrieben sind, dass die Blase irgendwann platzt. Dann stellt sich heraus, dass den Schulden, die Unternehmen und Privatleute bei den Banken sowie Finanzinstitute bei anderen Finanzinstituten angehäuft haben, keine wirklichen Werte gegenüberstehen – und die Finanzkrise ist da.

Seit der Internet-Blase um die Jahrtausendwende, als viele Aktienkurse von Internet- und Telekommunikationsunternehmen massiv in die Höhe schossen, nur um dann ebenso stark wieder zu fallen, wird intensiv darüber diskutiert, ob die Zentralbanken auch die Inflation der Vermögenswerte berücksichtigen und eindämmen sollten. Geändert hat sich bisher aber nichts, weil es im derzeitigen Geldsystem keine brauchbare Strategie gibt, um beide Arten von Inflation gleichzeitig zu bekämpfen. Deshalb warnt die Europäische Zentralbank eindringlich vor höheren Lohnsteigerungen, hat aber zu den Aktienkursen und Immobilienpreisen wenig zu sagen und ignoriert diese bei der Politikgestaltung. Etwas später werden wir noch ein alternatives Geldsystem kennen lernen, in dem solche Preisblasen weit weniger wahrscheinlich wären.

Welche Rolle spielte Geldschöpfung bei der Subprime-Krise?

Die große weltweite Finanzkrise, die 2007 in den USA als sog. Subprime-Krise begann und sich 2008 mit der Pleite der Bank Lehman Brothers zu einer internationalen Krise auswuchs, hatte ihren Ursprung wie die meisten Finanzkrisen in übermäßiger Kreditvergabe und damit Geldschöpfung der Banken. Das Besondere an der Subprime-Krise war lediglich die Art und Weise, wie die Banken es in diesem Fall schafften, sämtliche Begrenzungen der Kreditvergabe praktisch außer Kraft zu setzen. Dazu gehörte, dass die wichtigsten Wirtschaftspolitiker der USA, darunter Notenbankchef Alan Greenspan, Finanzminister (und Ex-Chef der Investmentbank Goldman Sachs) Robert Rubin sowie dessen Zögling und Nachfolger Lawrence Summers, durch Deregulierung der Finanzbranche und aktives Verhindern sinnvoller Regulierung dafür sorgten, dass die Banken neue Finanzprodukte praktisch ohne Aufsicht und ohne Beschränkungen einsetzen konnten, um Gewinn und Risiko nach oben zu treiben.

Rubin, gerade erst von der Bankbranche in das Amt des Finanzministers gewechselt, brachte 1996 ein Gesetz durch das Parlament, das es den Banken erlaubte, ihre Pflicht zur Bereithaltung von Eigenkapital zu reduzieren, wenn sie sich über sog. Credit Default Swaps (CDS) eine Versicherung für die in ihrem Besitz befindlichen Anleihen kauften.

Wenn eine Bank eine Anleihe von Siemens hält und ein CDS auf diese Anleihe gekauft hat, kann ihr nichts passieren, so die Idee. Deshalb musste sie ab 1996 nicht mehr einen bestimmten Prozentsatz des Anleihewerts an Eigenkapital vorhalten, um ihre eigene Zahlungsfähigkeit sicherzustellen.

Missbrauch von Kreditversicherungen

Dieses Instrument ließ sich aber sehr leicht missbrauchen, und so geschah es auch – in großem Stil. Im einfachsten Fall gibt dazu die eine Bank CDS auf Siemens-Anleihen heraus, die die andere Bank kauft. Letztere gibt ebenfalls CDS auf Siemens-Anleihen heraus, die die erste Bank kauft. Auf diese Weise haben beide Banken pro forma ihre Anleihen abgesichert und müssen weniger teures Eigenkapital vorhalten. Wenn aber die Siemens-Anleihe tatsächlich ausfallen sollte, haben beide den vollen Schaden zu tragen, nur eben den der jeweils anderen Bank (siehe die folgende Abbildung). Das Eigenkapital, um diese Verluste auszugleichen, haben aber beide Banken nicht vorgehalten.

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Banken tauschen Risiken und senken dadurch Kapitalbedarf

Es gibt noch eine weitere Variante dieses Tricks. Dabei verkauft ein Versicherer, wie z. B. der weltgrößte Versicherungskonzern AIG, die CDS-Policen an Banken, wie in der folgenden Abbildung dargestellt. Bank A und B tragen dann vermeintlich kein Risiko mehr und müssen weniger Kapital vorhalten. Das erscheint zunächst auch korrekt, weil die Risiken ja nun tatsächlich außerhalb des Bankensystems liegen.

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Die Risiken, an denen sich AIG verschluckte

Was aber passiert, wenn die Anleihe tatsächlich ausfällt? Dann geht AIG pleite, weil der Konzern Riesenmengen an CDS-Policen verkauft hat. Niemand hat im Vorfeld überprüft, ob AIG auch eine ausreichende Kapitaldecke besaß, um diese massiven Risiken tragen zu können. Wäre AIG nicht mit 180 Mrd. Dollar vom amerikanischen Steuerzahler gerettet worden, wären die Banken auf ihrem Schaden sitzengeblieben und viele wären selbst pleitegegangen. Die Risiken hatten also nur scheinbar das Bankensystem verlassen, weil das Unternehmen, das sie übernommen hatte, sie gar nicht tragen konnte. Bei ihrer Kapitalplanung taten die Banken jedoch so, als gäbe es keine Risiken mehr.

Solche neuartigen Finanzprodukte hatten schon 1998 bei der Beinahe-Pleite des Hedge-Fonds LTCM das Weltfinanzsystem an den Rand des Zusammenbruchs gebracht. Auch bei der Pleite des amerikanischen Energieriesen Enron im Jahr 2004 hatte sich gezeigt, welches Schindluder man damit treiben konnte. Der bekannte Investor Warren Buffet hat sie einmal als „finanzielle Massenvernichtungswaffen“ bezeichnet. Deshalb wollte die zuständige Regulierungsbehörde dafür sorgen, dass zumindest registriert wird, wer wem welche dieser Produkte verkauft. Wäre es dazu gekommen, dann hätten die Banken die Regeln zur Eigenkapitalausstattung nicht so einfach aushebeln können. Doch Greenspan, Rubin und Summers sorgten dafür, dass der aufsässigen Behörde die Zuständigkeit entzogen wurde und die neuartigen Finanzprodukte weiter völlig unreguliert blieben und im Verborgenen wachsen konnten. Die Finanzbranche konnte somit ihr Risiko und ihre Gewinne weiter vervielfältigen – bis es zur Katastrophe kam.

Missbrauch von Kreditverbriefungen

Ein ähnlicher Missbrauch fand bei der Verbriefung von Immobiliendarlehen statt. Durch die Verbriefungen war es den Banken möglich, den errechneten Kapitalbedarf zu senken, denn sie hielten die Kredite und das damit zusammenhängende Ausfallrisiko ja nicht mehr selbst. Oft waren die Käufer wiederum Finanzinstitute, die dann eigentlich zusätzliches Kapital hätten bereithalten müssen, um etwaige Risiken tragen zu können. In der Praxis führten diverse finanzmathematische Tricks dazu, dass die Risiken weitgehend verschwanden.

Wichtigste Spieler waren die drei großen Rating-Agenturen. Deren Kerngeschäft besteht darin, Anleihen auf ihre Ausfallsicherheit hin zu bewerten. Die drei großen, allesamt in New York sesshaften Agenturen haben ein weltweites Fast-Monopol. Viele Fonds dürfen nur Anleihen kaufen, deren Benotung durch die Agenturen einen bestimmten Wert nicht unterschreitet. Die Höhe des Kapitals, das die Banken vorhalten müssen, richtet sich auch nach der Benotung der Anleihen, die die jeweiligen Banken halten. Je besser die Benotung, desto weniger Kapital müssen sie vorhalten.

Beispiel

Die Untersuchungskommission des US-Kongresses zur Finanzkrise befand im Januar 2011: „Die drei großen Rating-Agenturen waren Schlüsselfiguren in der Finanzkrise. Die Finanzprodukte im Zentrum der Krise hätten ohne ihre Qualitätssiegel nicht verkauft werden können. Die Ratings trieben die Hauspreise in die Höhe, und die Herunterstufungen der Ratings ab 2007 richteten Verwüstungen auf den Immobilienmärkten an.“ Der Untersuchungsbericht zitiert auch einen inzwischen berühmten E-Mail-Wechsel zwischen zwei Mitarbeitern der Rating-Agentur Standard & Poor’s, in dem der eine schreibt: „Lass uns hoffen, dass wir alle reich und in Rente sind, bevor dieses Kartenhaus zusammenbricht.“

Die Banken zahlten den Rating-Agenturen hohe Prämien dafür, dass diese sie bei der Verbriefung berieten und die Wertpapiere anschließend bewerteten. Diese Bewertungen fielen äußerst gut aus, so gut, dass das Bankensystem insgesamt für verbriefte Kredite deutlich weniger Kapital vorhalten musste als für Kredite, die die Kreditgeber selbst behielten. Das war ein verrücktes Ergebnis, denn jemand, der selbst Kredit gibt und das Kreditrisiko behält, achtet darauf, dass seine Kunden stets kreditwürdig sind. Jemandem, der weiß, dass er das Kreditrisiko weitergeben wird, kann das gleichgültig sein. Die Sicherheit, dass andere einem das Risiko in jedem Fall abnehmen werden, boten die Rating-Agenturen mit ihren Bestnoten, an deren Vergabe sie extrem gut verdienten.

Die Milliardenverluste deutscher Banken beruhten darauf, dass sie Unmengen dieser windigen Finanzprodukte aus Amerika kauften. Das lohnte sich, weil man hohe Zinsen dafür bekam, höhere als für andere Wertpapiere mit einer gleich guten Bewertung. Die hohen Zinsen der erstklassig bewerteten Subprime-Produkte zeigen, dass die Finanzmarktteilnehmer wussten, was gespielt wurde: Diese Papiere waren keineswegs so sicher, wie ihre Noten anzeigten. Aber Hauptsache, man durfte sie kaufen und man konnte seinen Eigentümern und Anlegern sagen: „Seht her, wir haben nur in Papiere mit Bestnoten angelegt und trotzdem eine so tolle Rendite erzielt.“

Die Banken, die die Kredite verbrieften, wussten natürlich, was sie taten. Einige, wie die große Investmentbank Goldman Sachs, spekulierten sogar selbst an der Börse darauf, dass die Verbriefungen notleidend werden würden, oder sie halfen anderen, solche Verbriefungen zusammenzustellen und dann auf deren Zahlungsausfall zu spekulieren.

Kredit auf Teufel komm raus

Hier kommen schließlich die Kredite an nicht kreditwürdige Haushalte zum Immobilienkauf ins Spiel, die sog. Subprime-Kredite.

Weil die Finanzalchemie mit Hilfe willfähriger Rating-Agenturen ein so gutes Geschäft war und weil es dabei auf die Kreditwürdigkeit des Schuldners für die kreditgebende Bank nicht mehr wirklich ankam, vergaben die Banken ohne Ansehen der Person massenhaft Kredit. Kreditkunden mussten kein Gehalt mehr nachweisen oder die Nachweise wurden nicht kontrolliert. Das Prinzip lautete: Hauptsache Masse. Damit auch diejenigen, die nicht einmal anfangs imstande waren, den Schuldendienst zu leisten, ein Haus auf Kredit kaufen konnten, bekamen sie Sonderkonditionen, bei denen der Schuldendienst einige Jahre lang sehr niedrig war, um dann kräftig zu steigen.

Durch die riesigen Kredite, die in den Wohnungsmarkt gepumpt wurden, stiegen die Immobilienpreise viele Jahre lang mit immer höheren Wachstumsraten. Die naiven Kreditkunden verließen sich darauf, dass sie bereits einen großen Wertzuwachs auf ihr Haus erzielt haben würden, bis der Schuldendienst nach oben schoss. Der Kredit hätte sich damit praktisch selbst finanziert. Auf diese Weise trieben die Banken die Immobilienpreise in den USA in immer absurdere Höhen.

Ende 2006 hörten die Immobilienpreise auf zu steigen, und das Kartenhaus stürzte zusammen. Die Finanzmarktteilnehmer rechneten nach und stellten fest, dass ohne Wertsteigerungen der Immobilen Millionen Kreditkunden ihre Raten nicht mehr würden bezahlen können. Offensichtlich waren die verbrieften Kredite viel weniger sicher, als die Rating-Agenturen behauptet hatten. Die Verbriefungen waren nun nicht mehr absetzbar. Ohne die Möglichkeit der Verbriefung wollten die Banken keine Immobilienkredite mehr vergeben. Und ohne neues Geld für den Immobilienmarkt brachen die überhöhten Preise ein. Millionen Amerikaner hatten deshalb plötzlich Schulden, die den Wert ihres Haus überstiegen, und meldeten Bankrott an.

Die Verbriefungen, die ja einen Anspruch auf die Schuldendienstzahlungen der Kreditnehmer festschrieben, verloren massiv an Wert, da diese Zahlungen ausblieben. Die Banken, v. a. in den USA und Europa, mussten deshalb milliardenschwere Verluste einstecken, die ihre Existenz gefährdeten. Dadurch war gleichzeitig das gesamte Bankensystem bedroht, denn die Banken haben untereinander zahlreiche Verbindlichkeiten, die damit alle gefährdet waren.

Dumping durch Regulierungsverzicht

Der Umstand, dass selbst die größten amerikanischen Investmentbanken wie Lehman Brothers, Bear Stearns, JP Morgan, Goldman Sachs und Morgan Stanley mit extrem wenig Eigenkapital hantierten und durch die Krise in existenzielle Gefahr gerieten, hat noch einen anderen, sehr unschönen Hintergrund.

Als er noch nicht Finanzminister, sondern Chef der Investmentbank Goldman Sachs war, hatte Hank Paulson eine erfolgreiche Kampagne geleitet, die dazu führte, dass die Aufsichtsbehörde SEC die „Nettokapitalregel“ aufhob. Sie hatte den großen Investmentbanken ein Mindest-Eigenkapital im Verhältnis zu ihren Finanzanlagen vorgeschrieben. Nach Aufhebung der Regel durften sie selbst bestimmen, mit wie wenig Kapital sie auskommen würden. Sie meinten, rund das Hundertfache ihres Eigenkapitals investieren und mit kurzfristigen Krediten finanzieren zu können. Denn je größer das Rad, das man dreht, desto größer ist nicht nur das Risiko, sondern auch die Rendite auf das Eigenkapital.

Das brachte hohe Gewinne ein, solange die Banken leicht an billigen kurzfristigen Kredit herankamen. Als aber erste Zweifel an der Solidität der Banken aufkamen, kehrte sich der Spieß sofort um. Banken mit derart überdehnten Bilanzen hatten keine Chance mehr, zu vernünftigen Bedingungen neue kurzfristige Mittel zu erhalten, um die laufend fällig werdenden alten Kurzfristkredite zu begleichen. Deshalb mussten sie alles verkaufen, was sich verkaufen ließ. Dadurch fielen die Preise vieler Wertpapiere in den Keller, was den Banken weitere Verluste bescherte.

In Zusammenhang mit der Aufgabe der Mindestkapitalregelung für Investmentbanken ermöglichte es die amerikanische Wertpapieraufsichtsbehörde SEC den Investmentbanken, sich gemeinsam mit all ihren internationalen Töchtern von der SEC beaufsichtigen zu lassen. Die SEC bewegte die Partnerländer, dieser Regelung zuzustimmen, indem sie ihnen eine rigorose Aufsicht versprach. Diese Kontrolle fand aber nie statt.

Weil sie nicht kontrolliert wurden, konnten diese Banken so viele Risiken eingehen und ein so großes Rad drehen, wie sie wollten. Damit konnten sie in London, Frankfurt und anderenorts viel Geschäft an sich ziehen. Die Londoner Tochter der Investmentbank Lehman Brothers sollte später eine Schlüsselrolle beim Konkurs des Konzerns einnehmen, der im September 2008 zu einer Finanzmarktkatastrophe führte. Dieser Konkurs gab den Anstoß für ein beispielloses staatliches Rettungsprogramm zugunsten der Banken, weil sonst das ganze hoffnungslos überdehnte Bankensystem zusammengebrochen wäre. Das Kalkül der Investmentbanken ging auf: Sie konnten lange Zeit riesige Gewinne einfahren – die späteren Verluste trug der Steuerzahler.

Nichts gelernt, wenig verbessert

Bankmanager, die es nicht schon vorher wussten, wissen spätestens seit den Bankenrettungen von 2008/2009, dass man möglichst groß sein muss sowie möglichst komplizierte und riskante Geschäfte eingehen sollte, um sicher zu sein, dass man vom Staat gerettet wird, wenn etwas schiefgeht. Eine kleine Volksbank, die die Unternehmen ihrer Region mit Kredit versorgt, kann sich darauf nicht verlassen, eine Deutsche Bank oder Goldman Sachs schon.

Doch zweifellos haben die Regierungen und die Bankenregulierer ebenfalls dazugelernt und sorgen nun dafür, dass so etwas nicht wieder vorkommt – sollte man meinen. Die Realität sieht jedoch anders aus.

Die internationalen Regulierer haben neue Regeln ersonnen, genannt Basel III, die dafür sorgen sollen, dass die Banken mehr Kapital vorhalten, um Verluste decken zu können, und mehr flüssige Mittel bereithalten, um ihren Zahlungsverpflichtungen jederzeit nachkommen zu können. Neu ist die Mindestliquidität im Verhältnis zur Bilanzsumme. Die Aufseher haben sie vorläufig mit 3 % festgelegt. Das ist genau das Verhältnis, das die US-Banken 2007, bevor die Krise ausbrach, aufwiesen. Es bedeutet, dass die Banken sich mit dem 33-fachen ihrer flüssigen Mittel verschulden können. Die meisten Banken halten von selbst mehr flüssige Mittel vor, wie das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW 2011) festgestellt hat.

Was die Eigenkapitalausstattung angeht, so wurden die Anforderungen an die Qualität und Menge des Eigenkapitals deutlich erhöht. Doch diese Regeln beziehen sich nur auf einen kleinen Teil der Bilanzsumme einer Bank, in Deutschland etwa auf ein Viertel, wie das DIW errechnet hat. Das liegt daran, dass nur die „risikogewichteten“ Vermögenswerte zugrunde gelegt werden. Bei vielen Anlageformen, die die Regulierer für relativ sicher halten, wird nur die Hälfte, ein Fünftel oder gar null Prozent des tatsächlichen Wertes angesetzt und ist mit Eigenkapital zu unterlegen.

So ist es denn kein Wunder, dass die Tendenz zu immer größeren und gefährlicheren Banken trotz der Krise ungebrochen anhält. In den USA nahm die Gesamtzahl der Banken ab, die Zahl der größeren Banken mit einer Bilanzsumme von mindestens 300 Mio. Dollar aber deutlich zu. Die Notenbank subventionierte die ohnehin schon zu großen Megabanken, damit sie Konkurrenten, die in Schwierigkeiten geraten waren, schlucken konnten. In Deutschland sank sowohl die Zahl der Banken als auch die der Großbanken leicht. Die durchschnittliche Bilanzsumme der Großbanken stieg aber weiter.

Gibt es eine Alternative zu unserem Geldsystem?

Unser Geldsystem, das für die Banken so einträglich ist, führt zu einem laufenden Anstieg der Verschuldung von Haushalten, Unternehmen und Staat. Das macht die Wirtschaft krisenanfällig. Gleichzeitig sind die Banken, weil sie nur einen Bruchteil der Einlagen ihrer Kunden wirklich auszahlen können und nur einen Bruchteil ihrer Verbindlichkeiten ablösen können, immer anfällig für einen plötzlichen Vertrauensverlust, der dann das ganze Bankensystem in Gefahr bringt und den Staat immer wieder zwingt, mit großen Summen an Steuergeldern einzuspringen.

Die Anfälligkeit für Finanzkrisen rührt v. a. daher, dass die Banken Kredite in Form von Buchgeld ausreichen, das sie selbst geschaffen haben, für das die Kunden aber jederzeit Bargeld verlangen können. Die Stabilität des Systems ist davon abhängig, dass die Kunden ihr Geld nicht aus dem Bankensystem abziehen. Geschieht das aus irgendeinem Grunde doch, müssen die Banken ihre Kreditgewährung auf einmal stark zurückfahren. Denn jeder Kredit, den sie gewähren, bringt – v. a. in Krisenzeiten – einen gewissen Bargeldabfluss mit sich. Stockt die Kreditvergabe der Banken, entsteht eine sog. Kreditklemme. Dann hat die Wirtschaft plötzlich viel weniger Geld zur Verfügung. Jeder versucht sein Geld zusammenzuhalten; es wird weniger ausgegeben. Die Wirtschaft schrumpft, die Arbeitslosigkeit steigt.

Weil eine Kreditklemme oder gar ein Zusammenbruch des Bankensystems sehr schwerwiegende Folgen für die gesamte Wirtschaft haben, helfen Zentralbank oder Finanzministerium den Banken fast immer, wenn sie in Gefahr geraten oder die Wirtschaft unter ihrer Kreditzurückhaltung leidet. Das kann für den Steuerzahler sehr teuer sein. Die Banken streichen also den Gewinn aus der Geldschöpfung ein und bekommen dafür vom Staat sogar noch eine kostenlose Versicherung. Die folgende Abbildung skizziert das derzeitige Geldsystem, bei dem das meiste Geld von den Geschäftsbanken durch Kreditvergabe geschaffen wird und diese den größten Teil des Geldschöpfungsgewinns in Form von Zinsen einstreichen.

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Das heutige Geldsystem

Zu diesem System gibt es eine recht leicht zu verwirklichende Alternative, die aber für die Banken deutlich weniger einträglich wäre. Vermutlich ist das der Hauptgrund, warum sie nicht ernsthaft erwogen wird. Denn der Einfluss der Finanzbranche auf Politik und Wissenschaft ist sehr groß. Der 100 %-Geld oder Vollgeld genannte Vorschlag wurde in den 1930er-Jahren von Irving Fisher und Henry C. Simons, zwei der damals weltweit renommiertesten Ökonomen, entwickelt.

In einem Gutachten für die britische Kommission zur Reform des Finanzsystems haben Dyson u. a. (2010) eine mögliche Art der Umsetzung beschrieben. In diesem Vollgeldsystem, das in der folgenden Abbildung schematisch dargestellt ist, schafft allein die Zentralbank neues Geld und bringt es über die Banken in Umlauf. Der Staat muss die Banken nicht (kostenlos) versichern, weil eine Bankenpleite keine große Gefahr mehr darstellt. Er erhält aber einen viel höheren Notenbankgewinn, weil die Zentralbank das, was die Banken nicht mehr an Geld schöpfen, durch erhöhte eigene Geldschöpfung wettmacht.

In diesem System ist der Zahlungsverkehr von der Geldanlage getrennt. Das Geld auf Girokonten und ähnlichen Konten, über die man den Zahlungsverkehr abwickeln, also seine Rechnungen bezahlen kann, bleibt Eigentum des Kunden. Die Bank kann nicht darüber verfügen. (Derzeit ist es so, dass alles Geld, das der Kunde auf ein Konto bei der Bank einzahlt, in das Eigentum der Bank übergeht. Rechtlich, und oft ohne es zu wissen, gibt der Kunde der Bank einen Kredit.)

Die Bank zahlt das Geld des Kunden in ein Konto bei der Zentralbank ein und erhält dafür ein jederzeit in Bargeld umtauschbares Guthaben. Ohne ein entsprechendes Guthaben bei der Zentralbank kann die Bank niemandem ein Guthaben auf einem Zahlungsverkehrskonto einräumen. Letztlich ist das so, als ob die Bank Bargeld in Höhe der Guthaben ihrer Kunden im Tresor liegen hätte, nur dass diese Lösung wegen der erforderlichen Sicherheitsvorkehrungen teurer wäre.

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Ein alternatives Geldsystem

Ersparnisse, die nicht dem Zahlungsverkehr dienen sollen, sondern die der Bankkunde rentierlich anlegen will, werden auf separate Investitionskonten eingezahlt. Dieses Geld kann die Bank an Kreditkunden weiterreichen. Sie wäre dann der Kreditvermittler, für die die meisten Menschen sie heute schon irrtümlich halten. Die Trennung hat zur Folge, dass die Bank kein Geld mehr schöpfen kann. Denn sie darf Kunden nur ein Guthabenkonto einrichten, wenn ihr tatsächlich Bargeld in dieser Höhe zur Verfügung steht. Um einen Kredit zu geben, kann die Bank im Vollgeldsystem drei Quellen nutzen:

  • Geld, das sich die Bank von der Zentralbank leiht

  • Geld, das ihr jemand anderes ausdrücklich als Kredit gegeben hat

  • Eigenes Geld der Bank

Nur wenn die Zentralbank einer Geschäftsbank per Kredit ein größeres Guthaben auf dem Zentralbankkonto einräumt, entsteht neues Geld. Die Entscheidung darüber trifft aber nicht die Geschäftsbank, sondern die Zentralbank. Der Gewinn aus der Geldschöpfung fließt an die Zentralbank, nicht an die Geschäftsbank.

Ein Vorteil dieses Systems besteht darin, dass der Staat weniger Schulden machen oder Steuern eintreiben muss, wenn er einen viel größeren Geldschöpfungsgewinn als bisher einfährt. Ein weiterer großer Vorteil des Vollgeldsystems besteht darin, dass es den Zahlungsverkehr sicher macht. Keine Bankenkrise kann den Zahlungsverkehr gefährden, weil die Guthaben auf Girokonten sicher bei der Zentralbank hinterlegt sind. Dadurch haben Bankkunden eine Möglichkeit, ihr Geld absolut sicher, wenn auch ohne Zinseinnahmen, anzulegen. Es ist dann nicht mehr nötig, fast jede Bank zu retten, damit das Bankensystem und der Zahlungsverkehr funktionieren.

Eine Abwandlung des Vollgeldsystems sieht so aus (siehe die folgende Abbildung): Die Zentralbank überweist das Geld, das sie laufend zusätzlich in Umlauf bringt, (zinslos) an den Staat. Der Staat bezahlt damit Gehälter und Leistungen und bringt es so in Umlauf.

Anstatt über den Zins, den die Banken der Zentralbank bezahlen, profitiert der Staat in dieser Variante direkt davon, dass er das neue Geld ausgeben kann. Natürlich ist auch in diesem System hohe Transparenz erforderlich, ebenso wie es Regeln dafür geben muss, wie viel neues Geld die Zentralbank dem Staat jedes Jahr überweisen darf.

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Variante des Vollgeldsystems

Sind Staatsschulden verwerflich?

Schulden zu machen gilt in Deutschland als Untugend. Als moralisch unbedenklich gilt allenfalls, damit etwas Wichtiges und Solides wie ein Eigenheim zu finanzieren. Deshalb ist die Sparquote der privaten Haushalte in Deutschland im internationalen Vergleich sehr hoch. Das hat einiges für sich.

Doch unser Geld- und Wirtschaftssystem beruht darauf, dass Schulden gemacht werden. Denn unser Geld wird, wie wir gesehen haben, zum ganz überwiegenden Teil dadurch geschaffen, dass sich jemand bei der Bank verschuldet und diese ihm dafür ein Guthaben einräumt, mit dem er seine Rechnungen bezahlen kann.

Aber es gibt ja noch den Staat und die Unternehmen. Für beide ist Verschuldung der absolute Normalfall. Unternehmen, die ohne Fremdkapital arbeiten, sind Exoten. Es gibt nur wenige, die es skandalös finden, dass Unternehmen mit Fremdkapital arbeiten. Beim Staat ist das anders. Der setzt nach Meinung vieler den Wohlstand der Nation aufs Spiel, wenn er Schulden macht. Sind Staatsschulden also verwerflich?

Staatsschulden sind eine Anlageklasse

Anderer Meinung könnten diejenigen sein, die die vielen Staatsanleihen halten. Diese gelten als die sicherste verfügbare Geldanlage, die noch Zinsen abwirft. (Warum das für manche europäische Länder nicht mehr gilt, werden wir später noch sehen.) Würde der Staat sich nicht verschulden, so würde den sicherheitsbewussten Investoren eine wichtige Anlagemöglichkeit fehlen. Als relativ sicher gelten Staatsschuldtitel v. a. deshalb, weil der Staat so mächtig ist. Wenn der Staat unter Geldnot leidet, kann er die Steuern erhöhen. Genügt das nicht oder möchte er diesen Weg nicht gehen, kann er die Zentralbank bitten (oder auf deren Bereitschaft hoffen), Staatsanleihen mit neuem Geld aufzukaufen, wie das die amerikanische und die britische Notenbank ab 2009 in sehr großem Umfang, die Europäische Zentralbank ab 2010 in etwas geringerem Umfang taten. Zentralbanken kaufen die Papiere dem Staat zwar nicht direkt ab, weil das als „Staatsfinanzierung mit der Notenpresse“ verpönt oder verboten ist. Aber wenn sie die Papiere den Banken abkaufen und diese damit rechnen können, kommt es mehr oder minder auf dasselbe heraus.

Stärker bankrottgefährdet sind Staatsschuldtitel, wenn der Staat in hohem Maße in Fremdwährung im Ausland verschuldet ist oder wenn er keine eigene Zentralbank besitzt, wie das bei den Mitgliedsländern der Europäischen Währungsunion der Fall ist.

Wenn ein Staat eine eigene Zentralbank hat und v. a. bei seinen eigenen Bürgern in einheimischer Währung verschuldet ist, dann besteht das Hauptrisiko für die Gläubiger darin, dass der Staat den Wert seiner Schulden durch starke Geldmengenausdehnung weginflationiert. Das geschieht in einigermaßen wohlhabenden funktionierenden Demokratien sehr selten, kam aber in der Vergangenheit doch gelegentlich vor. In aller Regel ist der Grund ein verlorener Krieg.

Lässt man einmal den Fall des verlorenen Krieges beiseite, bei dem ohnehin fast alle verlieren, dann ist das Vertrauen der Bürger in den Staat als Schuldner i. d. R. gerechtfertigt.

Aus Schulden wird Geld

Es bleibt jedoch der Einwand, dass der Staat sich auf Kosten unserer Kinder und Kindeskinder verschulde, weil diese später höhere Steuern zahlen müssten, um die Staatsschuld zurückzuzahlen. Das stimmt tatsächlich. Wenn der Staat seine Schuld zurückzahlen würde, dann würden diejenigen, die zu diesem Zeitpunkt Steuern zahlen, stark belastet. Allerdings zahlt der Staat zwar seine einzelnen Schuldtitel zurück, aber fast nie seine Schulden. Er ersetzt vielmehr auslaufende Schuldenpapiere durch neue und sorgt so dafür, dass den Anlegern die Investitionsmöglichkeit in Staatsschuldtitel erhalten bleibt und die Steuerzahler nicht übermäßig belastet werden. Der seltene Fall, dass der Staat seine Schulden reduziert, tritt nur ein, wenn die Wirtschaft besonders gut läuft, die Steuereinnahmen sprudeln und die Ausgaben für Sozialhilfe, Arbeitslosenunterstützung und Ähnliches besonders niedrig sind.

Wenn sich weder der Staat noch die privaten Haushalte verschulden würden, dann müssten sich die Unternehmen umso mehr verschulden, damit das für eine wachsende und gedeihende Wirtschaft benötigte Geld überhaupt entsteht und damit Sparer die Möglichkeit haben, ihr Geld anzulegen. (Im oben skizzierten Vollgeldsystem wäre das anders, dieses könnte ohne oder mit deutlich geringerer Staatsschuld auskommen.) Eine deutlich höhere Verschuldung der Unternehmen würde deren Anfälligkeit für Konkurse erhöhen. Denn wenn die Geschäfte einmal schlecht liefen, hätten sie deutlich weniger Möglichkeiten als der Staat, die Durststrecke zu überwinden. Viele würden pleitegehen, mit der Folge, dass sich die Krise immer weiter verschärft.

Genau diese Anfälligkeit der privaten Wirtschaft für Abwärtsspiralen ist es, die Staatsschulden zu einem wichtigen Element der Wirtschaftspolitik macht. „Wirtschaft ist zur Hälfte Psychologie“, heißt es völlig zu Recht. Wenn in einem auf Schulden beruhenden Geldwesen plötzlich viele das Vertrauen verlieren und ihre Schulden abbauen wollen, dann sind die Auswirkungen fatal. Sparen alle gleichzeitig, so entsteht ein negativer Effekt: Die Menschen schränken sich zwar ein, haben aber nichts davon – im Gegenteil, sie werden immer ärmer. Die folgende Abbildung stellt die Effekte schematisch dar. Der Staat ist der einzige Akteur, dessen Taschen tief genug sind, um sich diesem Verliererspiel verweigern zu können. Wenn alle anderen sparen, kann er Schulden aufnehmen, die niemand mehr haben will, und so dafür sorgen, dass die Wirtschaft nicht in eine Abwärtsspirale gerät.

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Wenn alle gleichzeitig sparen, scheitert der Schuldenabbau

Grenzen der Verschuldung

Problematisch wird die Staatsschuld immer dann, wenn sie nachhaltig stärker steigt als die Wirtschaftsleistung. Das geht lange Zeit gut, aber nicht ewig. In diesem Fall ist die Schuldenaufnahme mit der Notwendigkeit verknüpft, die Schuld später wieder zurückzuführen oder zumindest dafür zu sorgen, dass sie nicht mehr stärker wächst als die Wirtschaft. Das Umschalten von einer Schuldenzunahme, die die Wirtschaft antreibt, auf Schuldenrückführung oder konstante Schulden ist ein schmerzlicher Prozess, wenn einem nicht zufällig gerade ein Wirtschaftsboom zur Hilfe kommt. Staatliches Sparen bremst die Wirtschaft, erhöht die Arbeitslosigkeit, sorgt für sinkende Einnahmen sowie höhere Ausgaben und erschwert damit die Rückführung der Schuldenexpansion noch weiter.

Das ist allerdings keine Besonderheit von Staatsschulden; es gilt für Schulden allgemein. Wenn die Schuldenaufnahme in der Volkswirtschaft insgesamt stärker zunimmt als die Wirtschaftsleistung, dann steuert die Volkswirtschaft auf den Zustand der Überschuldung zu. Der Prozess der Schuldenansammlung kippt dann um und die Verschuldeten wollen ihre Schulden abbauen. Wie bei Haushalten und Unternehmen gilt auch für den Staat, dass nicht die Schulden an sich eine Belastung für zukünftige Generationen darstellen, sondern Schulden, die nachhaltig stärker steigen als die Wirtschaftsleistung.

Die Zielwerte des Stabilitäts- und Wachstumspakts, der für die Staatsschulden eine Obergrenze von 60 % des Bruttoinlandsprodukts und für das jährliche Defizit einen Maximalwert von 3 % festlegt, beruhen auf dieser Sichtweise, wenn auch in einer auf den Staat verengten Variante. Unter bestimmten Annahmen über das Wirtschaftswachstum und die Inflationsrate bleibt die Staatsschuld im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung stabil, solange diese Quoten nicht überschritten werden.

Drei Prozent Wirtschaftswachstum sind ein ambitioniertes Ziel – meistens fällt der Wert niedriger aus. Andererseits ist zu beachten, dass die im Stabilitätspakt festgelegte Defizitquote von 3 % kein Richtwert ist, sondern eine Obergrenze, bei deren Überschreitung Strafen drohen. Zielwert laut Pakt ist ein Defizit von nahe null, was bedeuten würde, dass die Staatsschuldenquote immer weiter abnimmt. Der Pakt beruht also auf der falschen Annahme, dass Staatsschulden etwas Schlechtes seien und immer weiter abgebaut werden sollten, am besten bis auf null. Besonders stark wirkt der vom Pakt ausgehende Sparzwang auf Länder, die zunächst eine höhere Schuldenquote aufweisen. Ihnen mutet der Pakt eine besonders schnelle Rückführung der Schuldenquote zu. Das belastet die Wirtschaft und die Bürger beträchtlich, da sie über längere Zeit hinweg deutlich weniger vom Staat bekommen, als sie ihm abgeben.

Ein Verschuldungsniveau, ab dem eine Regierung als überschuldet gelten kann, lässt sich nicht angeben, wie die folgende Tabelle zeigt. Die japanische Regierung hatte Ende 2010 nach Angaben des Internationalen Währungsfonds Schulden von mehr als 220 % des Bruttoinlandsprodukts. Dennoch kann sie ihre Anleihen mit einem mageren Renditeversprechen von rund 1 % problemlos absetzen (inflationsbereinigt beträgt die Rendite wegen der sinkenden Preise rund 3 %.)

In den USA stieg die Staatsverschuldung im Gefolge der Rezession von 2008/2009 sehr stark an und erreichte im November 2011 100 % des Bruttoinlandsprodukts. Verschärfend hinzu kam der Umstand, dass die mächtige Rating-Agentur Standard & Poor’s der US-Regierung die Bestnote für ihre Kreditwürdigkeit entzog. Trotzdem sank die Rendite für Staatsanleihen mit zehnjähriger Laufzeit 2011 massiv, zeitweise bis auf deutlich unter 2 %.

Müssen wir mehr privat vorsorgen?

Die deutsche Bevölkerung altert, ebenso wie die der meisten anderen Industrieländer. Selbst die chinesische Bevölkerung altert aufgrund der erfolgreichen Maßnahmen zur Eindämmung des Bevölkerungswachstums recht schnell. Wenn es immer mehr Ältere in einer Bevölkerung gibt und immer weniger jüngere Menschen nachkommen, dann stößt ein umlagefinanziertes System der Rentenversicherung rasch an seine Grenzen.

Im Jahr 1960 kam auf zehn Beitragszahler ein Rentner; im Jahr 2020 wird sich das Verhältnis nach heutiger Schätzung auf drei zu eins reduziert haben. Drei Arbeitnehmer müssen dann mit ihren Beiträgen drei Rentenbezieher finanzieren.

In der Politik wird argumentiert, dies sei auf Dauer nicht möglich. Deshalb lautet die Strategie über Parteigrenzen hinweg, das Rentenniveau in der gesetzlichen Rente abzusenken und die Menschen mit guten Worten und Subventionen dazu zu animieren, außerhalb des normalen Rentensystems für das Alter zu sparen. Folgerichtig wurde Anfang des Jahrtausends das Rentenniveau von 70 % auf 67 % des letzten Einkommens abgesenkt und gleichzeitig die Riester-Rente eingeführt. Diese ist eine von den Banken und Versicherungen angebotene zusätzliche Rentenversicherung, die der Staat mit einem Zuschuss zu den Beiträgen belohnt. Die Finanzinstitute legen das Geld an und bilden damit einen Kapitalstock. Aus diesem wird später die Zusatzrente bezahlt, daher ist die Riester-Rente eine sog. kapitalgedeckte Rente.

Diese vordergründig überzeugende Strategie zur Überwindung der finanziellen Probleme, die mit der Bevölkerungsalterung einhergehen, weist bei genauerer Betrachtung einen Denkfehler und unschöne Nebenwirkungen auf.

Nur was produziert wird, kann verteilt werden

Der Denkfehler besteht darin, dass ein kapitalgedecktes Rentensystem grundsätzlich auf die gleichen Probleme wie ein umlagefinanziertes System stößt, wenn die Bevölkerung altert. Das ist für viele nicht ohne Weiteres einsichtig, unter Fachleuten aber nahezu unstrittig. Selbst die Wirtschaftsforschungsabteilung der Deutschen Bank, DB Research, räumt in einer Jubel-Studie für die private Vorsorge (Bräuninger 2010) unumwunden ein: „Zugegeben, auch bei einer kapitalgedeckten Privatversicherung muss die jeweils aktive Generation das erwirtschaften, was die Rentnergeneration an Auszahlungen in Anspruch nimmt.“

Um das zu verstehen, stelle man sich vor, es gäbe keine staatliche Rente, sondern nur kapitalgedeckte private Rentenversicherungen, wie etwa in Chile. Was passiert, wenn die Anzahl der Erwerbstätigen stark sinkt und die der Rentner stark steigt? Lassen wir einmal den internationalen Handel beiseite, sodass die Bevölkerung nur verbrauchen kann, was sie produziert. Wir bewegen uns jetzt also nicht in der Geldsphäre, sondern in der realen Sphäre der Güter und Leistungen, die wir uns davon kaufen können und auf die es letztlich ankommt.

Internationaler Handel löst das Problem nicht

Ohne Außenhandel stehen also umlagefinanziertes und kapitalgedecktes Rentensystem vor demselben Problem. Und auch der Außenhandel rettet das kapitalgedeckte Rentensystem nicht zuverlässig vor den Folgen einer alternden Gesellschaft.

Die Finanzinstitute, die die privaten Rentenversicherungen anbieten, können zwar einen Teil des Kapitalstocks im Ausland anlegen, wo die Bevölkerung nicht altert. Wenn dann die geburtenstarken Jahrgänge in Rente gehen, können sie das Geld zurückholen und die Rentner können damit Waren bezahlen, die aus dem Ausland importiert wurden – sollte man meinen.

Doch damit das funktioniert, müssen zwei Bedingungen erfüllt sein:

  • Es muss große internationale Handelspartner geben, die nicht das gleiche Alterungsproblem haben.

  • Die Wechselkurse müssen mitspielen.

Schon die erste Bedingung ist nicht erfüllt. Die Weltbevölkerung insgesamt altert, nicht nur die deutsche. Die einzige Weltregion, in der die erwerbsfähige Bevölkerung noch stark wächst, ist Afrika. Diese Region ist aber so arm, dass sie auf absehbare Zeit kaum zu einem Netto-Exporteur so großen Umfangs wird, wie es nötig wäre, um das Alterungsproblem in Deutschland und den anderen Industrieländern zu lösen.

Die Wechselkurse spielen ebenfalls nicht zuverlässig mit. Um Vermögen im Ausland aufzubauen, auf das wir später zurückgreifen können, müssen wir heute mehr exportieren als importieren. Dann können wir später entsprechend mehr importieren, als wir exportieren, und so die geschrumpfte Menge an selbst produzierten Waren und Leistungen aufstocken. Doch wenn wir beginnen, mehr zu exportieren, müssen die Ausländer immer mehr Dollar, Pfund, Yen oder Yuan in Euro tauschen, um die deutschen Waren zu bezahlen. Dadurch steigt bei freien Wechselkursen der Preis des Euro; der Wechselkurs der anderen Währungen sinkt entsprechend. Das macht die gegenwärtige Generation reicher, weil Importwaren billiger werden. Es macht aber auch unsere Waren für Ausländer teurer und behindert dadurch eine weitere Ausweitung des Außenhandelsüberschusses.

Wenn wir später mehr importieren möchten als exportieren, weil die vielen Rentner versorgt sein wollen, tritt der umgekehrte Fall ein: Wir müssen unsere Euro in ausländische Währung eintauschen, mit denen wir die Importwaren bezahlen. Dies treibt den Preis der ausländischen Währungen nach oben, den des Euro entsprechend nach unten. Das macht die künftige Generation ärmer, weil Importwaren teurer werden, und behindert zusätzlich den Konsumausgleich über die Zeit.

Es passiert also Folgendes: Wir wollen heute, wo es uns noch besser geht, weniger konsumieren, indem wir einen Teil des verfügbaren Volumens an Waren und Leistungen exportieren, um die spätere, kleinere Menge aufzustocken. Doch die Wechselkursänderung sorgt dafür, dass die Menge, die wir heute konsumieren können, wieder ansteigt, und vereitelt so den Konsumverzicht. In der Zukunft lässt die umgekehrte Wechselkursänderung den Kuchen schrumpfen und vereitelt so die beabsichtigte Aufstockung.

Sonderfall Währungsunion

Innerhalb der Europäischen Währungsunion tritt das Wechselkursproblem nicht auf, weil ja alle Länder die gleiche Währung haben. Aber die Partnerländer haben auch das gleiche Alterungsproblem wie wir. Wenn Deutschland als größte Wirtschaftsmacht versucht, die übrigen Länder in der Währungsunion dazu zu verleiten, künftig nicht nur ihre eigene Rentnergeneration zu versorgen, sondern auch noch die deutsche, dann sind diese damit hoffnungslos überfordert. Das kann nur schiefgehen und in den Bankrott dieser Länder oder zum Ende der Währungsunion führen.

Weil unter Ökonomen unbestritten ist, dass sich das Alterungsproblem mit der kapitalgedeckten Rente nicht besser lösen lässt als mit der gesetzlichen Rente, führen Ökonomen, die für die kapitalgedeckte Rente eintreten, andere, oft komplizierte Argumente an. Sie überlassen es den Politikern und Policenverkäufern, das Alterungsproblem ins Feld zu führen, weil es auf den ersten Blick so schön einleuchtend ist.

Rentenbeiträge würden wie eine Steuer empfunden, lautet etwa ein Hauptargument von Bräuninger (2010). Wenn ihnen aufgrund dieser Beiträge weniger von ihrem Einkommen bliebe, arbeiteten die Menschen weniger und strengten sich weniger an. Zahlten die Menschen stattdessen in einen Topf ein, der ihnen gehört, hätten sie (fälschlicherweise) nicht das Gefühl, etwas von den Früchten ihrer Arbeit abgeben zu müssen, und strengten sich mehr an. Den Nachweis für diese Behauptung müssen ihre Vertreter allerdings noch führen.

Rente ist eine Versicherung

Ein ganz beträchtlicher Nachteil kapitalgedeckter Rentensysteme besteht darin, dass niemand weiß, wie viel Rente er später tatsächlich bekommen wird – jedenfalls dann, wenn sich die Auszahlungshöhe, wie so oft, überwiegend nach der Entwicklung der Finanzmärkte richtet. Wer während eines Aktienbooms in Rente geht, hat Glück. Wer Pech hat und seine Rente erhält, wenn gerade eine Aktienblase geplatzt ist, der bekommt vielleicht ein Drittel oder die Hälfte weniger, als er kurz vorher noch dachte. Dabei bleibt der Versicherungsgedanke der Rentenversicherung auf der Strecke. Die Schwankungen der Aktienkurse können riesig ausfallen, wie die folgende Tabelle am Beispiel des Deutschen Aktienindex (DAX) zeigt.

Wenn man seinen Lebensstandard im Alter sichern will, ist ein Lotteriespiel das Letzte, was man braucht.