Aber weil das Geschäft mit den Bildern gerade so gut lief, überlegte Olli, wie sie es noch eine Weile weiterlaufen lassen konnte. Erst versuchte sie selber heimlich, Bilder zu malen. Doch sie brachte nichts anderes als Sparschweinrüssel zustande.
Anton? Der winkte ab. Er war immer nur Zimmermann gewesen. Zimmermann und Sänger im Juckenauer Gesangsverein. Ja, wenn es sich um eine Schnitzarbeit handeln würde, dann gerne. Oder um einen Gesang. Auch dazu wäre er bereit gewesen. Aber malen? Nicht einmal Balken!
Stolzenrück? Olli konnte sich nicht vorstellen, dass er fähig war, in künstlerische Raserei zu geraten. Außerdem würde er als ehemaliger Polizeihauptmann bei keiner Schwindelei mitmachen.
Und Frau Rosamunde? Nein! Die durfte ja nicht einmal erfahren, dass Grapsch nicht mehr malte! Sonst würde es gleich ganz Juckenau wissen.
Zum Glück hatten die Stolzenrücks vor, zu einer Kneippkur nach Bad Schlotterborn zu fahren. Sie würden bis in den Herbst dort bleiben. Wie gut.
Außer diesen Leuten, die alle nicht infrage kamen, gab es um das Grapschheim herum nur Tiere.
Tiere? Hatte Oskar nicht auch den Pinsel geschwungen?
Schon trug Olli die Staffelei hinaus ins Gehege, stellte eine leere Leinwand darauf und trug einen Schemel herbei, auf den sie griffbereit Palette und Pinsel legte. Neugierig kam Oskar angehüpft und griff nach dem Pinsel, kratzte sich damit aber nur den Rücken und strich dem Löwen Zampano, der interessiert an der Staffelei schnupperte, mit den Pinselhaaren über die Nase. Erst als Olli den Pinsel in die grüne Farbe tupfte und einen Sparschweinrüssel auf die Leinwand malte, schien sich der alte Schimpanse zu erinnern. Er tunkte den Pinsel ins Rot und wischte mit ihm quer über die Leinwand.
„Brav, Oskar“, lobte Olli und reichte ihm eine Banane.
Er schmatzte vor Vergnügen.
Nach der zweiten Banane hatte sie ihn so weit, dass er mit dem Pinsel so raste wie vor ihm Grapsch. Er kletterte sogar auf den Baum, unter dem die Staffelei stand, und bemalte den oberen Teil der Leinwand, indem er sich mit den Füßen an einen Ast hängte und mit dem Kopf nach unten arbeitete. Ein Bild entstand, wild und bunt, mit Klecksen und schwungvollen Strichen. Und siehe da: Es war von Grapschs Bildern nicht zu unterscheiden.
„Bravo, Oskar!“, rief Olli voller Freude. „Du bist ja ein Künstler!“ Sie zog ihm das Bild weg und stellte ihm eine neue, noch schneeweiße Leinwand auf die Staffelei.
Aber Oskar ruhte sich erst einmal aus, legte sich auf den Rücken und ließ sich die Sonne auf den Bauch scheinen.
Der weiß besser als Tassilo, dachte Olli, dass ein Künstler auch Pausen braucht …
Von nun an schaffte Olli genau wie früher wöchentlich zwei bis drei Bilder zu Herrn Rossi. Allerdings nicht mehr Grapschs, sondern Oskars Werke. Freilich erfuhr Herr Rossi davon nichts. Ihm fiel nur auf, dass Olli, die Frau des großen Meisters, jetzt oft Bananen in ihrer Einkaufstasche hatte.
Die Reporter machten Olli mehr Sorgen. Die würden Oskar doch malen sehen! Sollte sie ihn vielleicht mit ins Grapschheim nehmen? Dann konnte sie ihn mit einer Banane ins Geburtskämmerchen locken, wenn Besuch kam.
Aber ein Schimpanse als ständiger Mitbewohner im Haus? Das wäre zu lästig. Oskar würde ihren Tassilo am Bart ziehen. Er würde an der Stange ins Schlafzimmer hinaufklettern, Heu durch das Loch herunterscharren und mit dem vollen Nachttopf Faxen treiben. Er würde Zucker in die Suppe und Salz in die Marmelade streuen. Beim Teigausrollen würde er auf dem Teig herumhüpfen.
Das alles nur wegen der Reporter? Nein, da musste sie sich schon etwas Besseres einfallen lassen …
Sie schaute hinüber zum Sumpfrand. Dort lag ihr Tassilo schon wieder seufzend und gähnend auf seiner blauen Ofentür.
Vielleicht fiel ihm eine Lösung ein? Manchmal hatte er ja überraschende Einfälle, ab und zu sogar brauchbare Ideen.
Sie wieselte zu ihm hin, wedelte ihm die Mücken aus dem Gesicht und sagte: „Oskar kann’s auch!“
„Was?“, brummte Grapsch. „Sich erinnern? Woher willst du das wissen?“
„Er kann malen!“
„Trompete mir nicht so ins Ohr“, knurrte er. „Sonst werde ich taub. Was ein Affe kritzelt, hat mit Malen nichts zu tun. Er kleckst oder zieht Striche …“
„… genau wie du!“, unterbrach ihn Olli. „Willst du dir nicht mal anschauen, was er gemalt hat? Das Bild ist richtig rasant. Genau so wie deine Bilder. Man könnte direkt annehmen, ihr seid miteinander verwandt …!“
„Ha-ha-ha!”, dröhnte Grapsch. „Dann wäre Oskar ja ein Mensch!“
„Oder du ein Affe“, antwortete Olli, trat aber zur Vorsicht drei Schritte zurück.
„Auch nicht schlecht“, sagte er. „Affen können klettern. Das würde ich auch gern können. Klettern ist nützlich, wenn man sich schnell verstecken will. Und nach oben gucken Polizisten selten.“
„Du bist kein Räuber mehr!“, rief Olli. „Merk dir das doch endlich mal!“
Mit einem Armschwung zog er sie an sich und drückte sie in seinen Bart. Sie hatte Mühe, sich aus diesem Gewirr wieder zu befreien. Das sah so komisch aus, dass Grapsch schallend lachen musste. „Brauchst du einen Titel für Oskars Geschmier?“, keuchte er. „Nenn es ‚Schimpansengedanken‘ oder ‚Was den Menschen vom Tier unterscheidet‘ oder ,Oskars Sonnenuntergangsrutsche‘ …“
„Was ist denn das?“, wollte Olli wissen.
„Man kann sich dazu denken, was man will“, brummte er. „Allein darauf kommt es an. Und jetzt lass mich wieder erinnern, ja?“
Olli gab auf.