Nein, von Grapsch konnte sie keine Ratschläge erwarten. Ach, es war manchmal nicht leicht mit ihm!
Sie schaute zu Oskar hinüber. Der beschäftigte sich gerade damit, eine Tube mit brauner Farbe zu öffnen und ausgiebig daran zu schnuppern. Auf der neuen Leinwand waren schon ein paar Kleckse und Striche zu sehen.
Sie holte die Gießkanne und goss die Gräber. Allein für den Jumbohügel brauchte sie vier Kannen. Überall blühte es. Schon reiften die Walderdbeeren. Jetzt stand sie oben auf dem Hügel neben der gelben Bank, stellte die Gießkanne ab, schloss die Augen und schnupperte. Von dem Erdbeerduft wurde ihr so leicht zumute, dass sie sich auf die Bank setzte und sich erlaubte, für eine Viertelstunde mal nichts zu tun. Gar nichts. Auch nicht, sich in Grapschs Bart zu kuscheln. Nicht einmal, über das Problem mit den Reportern nachzugrübeln.
Anton kam vorbei und winkte ihr zu. Sie winkte ihn zu sich auf den Jumbohügel und er setzte sich neben sie. So klein und dick, mit seinen breiten Schultern und kurzen Beinen und seinem Kugelkopf mit dem Stoppelhaar, passte er gut zu ihr. Sie gaben auf der Jumbohügelbank ein schönes Bild ab, wie gemalt.
„Hast du ein Problem?“, fragte er sie.
„Zwei“, sagte sie und schilderte sie ihm. Er überlegte eine Weile, dann sagte er: „Zampano.“
„Der Löwe?“
„Dem ziehen wir die beiden letzten Zähne, die er noch im Maul hat, und dann lassen wir ihn aus dem Gehege. Wie einen Hund. Ohne Zähne kann er niemandem mehr gefährlich werden. Aber davon werden die Reporter nichts erfahren. Ich werde ringsherum Schilder aufstellen: ‚Achtung: frei herumlaufender Löwe!‘ Es wird sich schnell überall herumsprechen, dass sich Meister Grapsch einen Löwen als Wächter hält. Dann wird sich kein Reporter mehr hier sehen lassen. Wir müssen nur dichthalten und nicht verraten, dass Zampano schon uralt und lahm und halb blind ist und nun auch keine Zähne mehr hat. Und du musst ihm alles Fleisch durch den Fleischwolf drehen, bevor du es ihm in seinen Napf tust.“
„Das ist die Lösung!“, rief Olli. „Den Fleischwolf kann Tassilo drehen. Damit ist er für eine Weile beschäftigt.“
Doch dann fiel ihr etwas ein, was ihre Freude trübte: „Aber wenn die Stolzenrücks wiederkommen? Denen muss man doch die Wahrheit sagen, sonst trauen sie sich nicht in ihr Ferienhaus!“
„Bis dahin“, sagte Anton, „haben wir noch lange Zeit, uns etwas einfallen zu lassen. Vielleicht ergibt sich ja auch ganz von selbst eine Lösung …“
„Und Problem Nummer zwei?“, fragte sie. „Wie soll ich Tassilo erklären, dass ich Oskars Geschmier als seine Werke verkaufe?“
„Überlass das mir“, sagte er. „Ich werde es ihm schonend beibringen.“
Er stand auf und holte seine Beißzange. Olli verließ den Jumbohügel ebenfalls und öffnete das Gehege. Oskar kümmerte sich nicht darum, er malte gerade mit allen vier Beinen abwechselnd.
Zuerst wagte sich das Pony heraus. Olli jagte es wieder hinein. Dann schaukelte das Kamel auf Olli zu. Sie winkte es wieder zurück. Zampano lag im Schatten eines Baumes, blinzelte nur herüber und rührte sich nicht. Er erhob sich nicht einmal, als sie ihn lockte.
„Lass ihn nur“, sagte Anton, als er mit der großen Beißzange kam, „ich gehe zu ihm hinein.“
Zampano ließ sich gern kraulen. Er streckte die Zunge heraus, um Anton übers Gesicht zu lecken. Da fasste Anton nach dem ersten Zahn, um zu sehen, ob er locker war. Und schon hatte er ihn in der Hand. Der zweite, der letzte, saß allerdings noch fest. Als Zampano mal gähnen musste, schob ihm Anton rasch seinen zusammengeklappten Zollstock aufrecht ins Maul, sodass er es nicht mehr schließen konnte. Und schon holte Anton den Zahn mit der großen Beißzange heraus. Zampano tat zwar einen matten Brüller und fuhr seine Krallen aus. Zu mehr Protest fehlte ihm aber die nötige Kraft.
Die zwei Zähne waren kein großer Verlust. Zum Trost und zur Belohnung brachte Olli dem Löwen eine Schüssel voll Gehacktes. Anton schloss das Gehege, und Zampano ließ sich vor dem Grapschheim nieder, wo er sich von nun an fast immer aufhielt. Als Grapsch sich darüber wunderte, sagte Olli nur: „Der hält dir die Reporter fern.“
„Brav, mein Guter“, schnaufte Grapsch und strich ihm von nun an jedes Mal über die Mähne, wenn er an ihm vorbeiging und sich auf die Ofentür legte.
Ein Mückenschwarm summte über sein Gesicht. Ein paar besonders freche Mücken flogen ihm sogar in den Mund: Grund genug, das Erinnern für eine Weile zu unterbrechen und den Mund lieber nicht so weit aufzureißen. Aber wenn einem langweilig ist, muss man eben gähnen, ob man will oder nicht.
Seine Gedanken kehrten zurück in seine Räuberzeit. Wie war es damals doch gemütlich in der Höhle gewesen, als dort noch die Fledermäuse an der Decke gehangen und geschlafen hatten! Und als er sich jedes Mal, wenn er von einem Raubzug zurückgekehrt war, auf den Laubhaufen hatte fallen lassen, um sich in ihn hineinzuwühlen!