Jemand setzte sich neben ihn auf die Ofentür. Grapsch öffnete
seine Augen einen Spaltbreit. Es war Anton.
„Bist du wach?“, fragte Anton und tippte ihm auf den Bauch.
„Nein“, schnaubte Grapsch und machte die Augen wieder zu, „ich schlafe.“
„Dann hörst du ja nicht, was ich dir sagen will.“ Anton seufzte.
„Lohnt es sich, es zu hören?“, fragte Grapsch und öffnete die Augen wieder. Als er Anton nicken sah, grunzte er: „Du kannst reden. Ich bin wach.“
„Oskar ist jetzt wirklich ein Maler“, sagte Anton. „Seine Bilder sind von deinen kaum zu unterscheiden. Er benutzt nur die braune Farbe etwas mehr als du. Braun mag er, wie’s scheint, von allen Farben am liebsten.“
Grapsch brauchte eine Weile, bis ihn diese Nachricht erreicht hatte.
Plötzlich fuhr er so heftig in die Höhe, dass sich seine Augenbrauen sträubten.
„Du, da hätte ich eine tolle Idee!“, brüllte er und schlug Anton seine Pranke auf die Schulter, dass dort noch eine Woche später ein großer blauer Fleck zu sehen war. Anton jaulte auf, aber Grapsch war so begeistert von seiner Idee, dass er nichts hörte. „Warum verkauft Olli dem Rossi nicht Oskars Bilder als meine?“, dröhnte er.
„Das tut sie bereits“, sagte Anton, hielt sich die Schulter und wischte sich verstohlen eine Träne aus dem Augenwinkel. „Oskars Werke laufen unter deinem Namen und werden noch besser bezahlt.“
„Dass sie von Oskar stammen, darf allerdings niemand erfahren, hörst du? Ich hab die Affenbilder gemalt!“
Tassilo.“ Anton schüttelte überwältigt den Kopf. „Du bist für die tollsten Überraschungen gut …“
Dann erhob er sich stöhnend von der Ofentür und ging zu Olli, um ihr von diesem Gespräch zu berichten.
„Problem Nummer zwei ist also auch gelöst“, sagte er.
„Ach Anton, du Problemlöser, wenn wir dich nicht hätten!“, rief sie.
Olli tat ihr Möglichstes, um ihren Tassilo zu beschäftigen. Sie ließ ihn täglich eine ganze Schüssel Fleisch für Zampano durch den Fleischwolf drehen. Er durfte die Tiere füttern, Oskar beim Malen zuschauen und die Gräber gießen.
Aber er war nicht zu jeder Arbeit zu gebrauchen. Das Windrad, das noch keine Farbe trug, ließ sie ihn nicht anstreichen, weil sie befürchtete, er könne, wenn er einen Pinsel in die Hand nähme, wieder anfangen, als Maler zu rasen. Auch die Walderdbeeren durfte er nicht pflücken, denn er zerquetschte sie alle, ohne Absicht, zwischen seinen großen Fingern. Die Wäsche aus dem Waschkessel klammerte er zwar mit Wäscheklammern an die Leine, aber manche Hose nur an einem Bein, manche Schürzen nur an einem Träger. Nach einem windigen Tag hingen Hosen, Unterhosen und Schürzen in den Bäumen.
Olli bat ihn auch, ihr beim Rühren und Ausrollen des Plätzchenteigs zu helfen, weil sie schon im August Weihnachtsplätzchen backen musste. Die sollten ja rechtzeitig zu Weihnachten bei den neun Töchtern und einunddreißig Enkeln in China oder im fernen Australien ankommen. Er rührte den Teig mit solchem Eifer, dass sein Schweiß hineintropfte. Und er rollte das Rollholz mit seiner äußersten Kraft, sodass sich der Teig fast bis auf die Größe des Wohnsaales ausdehnte, ganz durchsichtig wurde und an mehreren Stellen riss.
Da bedankte sich Olli bei ihm, nannte seinen Einsatz eine große Hilfe, nahm ihm das Rollholz aus der Hand und schickte ihn hinaus. Dann raffte sie seinen Teiglappen zusammen, formte ihn wieder zu einem Klumpen und rollte ihn so aus, wie sie ihn brauchte. Zwei lange Barthaare und ein gekraustes Schnurrbarthaar musste sie aus dem Teig ziehen, bevor sie damit anfangen konnte, die Herzen und Sterne auszustechen. Als sie aus dem Fenster schaute, sah sie ihren Tassilo schon wieder am Sumpfrand auf der Ofentür liegen.
Also langweilt er sich, dachte sie bekümmert. Wenn er unzufrieden ist, könnte es passieren, dass er eines Tages wieder Räuber wird. Wie beschäftige ich ihn nur?
Olli tat alles, um ihn vor Langeweile zu bewahren. Und sie ließ es sich auch was kosten. Jetzt waren die Grapsche ja wohlhabend, wenn nicht sogar steinreich.
Deshalb beschloss sie, mit ihrem Tassilo an einer Kaffeefahrt teilzunehmen, um ihn wenigstens einen Tag lang von seinem Leiden, der Langeweile, zu erlösen.
„Mondrösterlein!“, rief sie an einem der nächsten Tage, während sie früh am Morgen im Tiergehege ein frisch gemaltes Oskar-Werk von der Staffelei hob. „Mach dich fertig, wir gehn nach Juckenau, weil du was Neues zum Anziehen brauchst. Deine Hemden und Hosen sind alle farbbekleckert!“
Er tat, als habe er nichts gehört, weil er lieber daheimbleiben wollte.
Doch sie wieselte zu ihm hinüber und flüsterte ihm ins Ohr: „Es hilft dir nichts, dich totzustellen. Ich kenn dich, mein Schlummerbäckchen!“ Dann drückte sie ihm ein Küsschen auf seine große, behaarte Wange.
„Ach Olli, sei doch nicht so aufdringlich!“, brummte er ungehalten. „Wenn du schon darauf aus bist, dass ich meine bunt bekleckerten Hemden und Hosen abwerfe, warum lässt du mich dann nicht wenigstens in meinen sauberen Unterhemden und Unterhosen in Ruhe weiterleben?“
„Nix da“, sagte Olli energisch. „Du bist Ehrenbürger der Stadt Juckenau. Ehrenbürger in Unterhosen ohne Hosen drüber? Das geht nicht.“
Er zog es vor, nicht zu antworten. Sah sie nicht ein, dass ihre Bemühungen aussichtslos waren?
Aber da hatte er sich geirrt.
„Wenn du nicht sofort aufstehst“, sagte sie, „dann kitzel ich dich!“
Das war eine Drohung, die er fürchtete. Was blieb ihm also anderes übrig, als sich von der Ofentür zu wälzen und mit ihr nach Juckenau zu reiten?
Nein, nur Olli ritt. Unter Grapsch wäre das Kamel zusammengebrochen.