Ein Souvenir
aus Bad Schlotterborn

Es war Sieghelm Stolzenrück. Und schon kletterte er aus dem Becken, umarmte die Grapsche mit lauten Freudengeräuschen und zog sich Socken und Schuhe an.

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Eine Viertelstunde später saßen sie zusammen in einem Café im Park und verzehrten zwei große Torten.

„Wie schön, dass ihr da seid“, mampfte Stolzenrück. „Ich bin so allein!“

„Und wo ist Frau Rosamunde?“, fragte Olli verwundert.

Stolzenrück seufzte. „Sie hat sich beim Wassertreten in einen berühmten Opernsänger verliebt! Orlando de Pompone heißt er und hat Geld wie Heu. Er hat ihr ein rotes Auto geschenkt, das ich nie bezahlen könnte.“ Er wischte sich mit der Serviette über die Augen: „Sie will sich von mir scheiden lassen …!“

Grapsch und Olli trösteten ihn. Sie bestellten vier Flaschen Sekt, von denen Olli allerdings nur einen Viertelliter abbekam.

„Du hast doch das Ferienhaus bei uns“, sagte Grapsch. „Bleib einfach das ganze Jahr über im Rabenhorster Wald. Dann bist du nicht so allein.“

„Wenn du willst, koche ich für dich mit“, bot Olli an.

Sieghelm bedankte sich gerührt.

Nachdem sich die beiden Grapsche von Stolzenrück verabschiedet hatten – wobei Tassilo dem pensionierten Polizeihauptmann aus lauter Herzlichkeit eine Rippe brach –, wanderten sie durch die Fußgängerzone. Das heißt, er trug sie auf dem Arm, und sie kuschelte sich in seinen Bart.

„Ich hab dir noch nie irgendwas zum Umhängen geschenkt, mein Goldhühnchen“, flüsterte Grapsch. „Gib mir mal die Geldbörse, dann überrasche ich dich. Aber nicht mit solchem Zeug, das man kaum sieht, so wie das Schnitzel unterwegs. Ich schenk dir was Großes, was sich nicht übersehen lässt.“

Er drückte sie auf eine Bank. „Warte hier auf mich!“

Olli war ganz durcheinander. Bad Schlotterborn drehte sich vor ihren Augen: Ihr Tassilo wollte ihr Schmuck schenken! Vielleicht eine Perlenkette? Oder goldene Ohrringe? Oder ein silbernes Armband?

Sie schaute sich um. Wo war er abgeblieben? Ach, da kam er auch schon aus einem Laden, in dem Ansichtskarten, Kneippbücher und Kuckucksuhren, Biergläser und Mobiles, Kerzen, Kerzenhalter, Modelle des Kurhauses, Spieluhren und andere Erinnerungen an Bad Schlotterborn verkauft wurden. Er schwenkte ein Päckchen, das die Größe einer Kaffeemühle hatte. Was konnte das nur sein?

Olli sprang auf und lief ihm entgegen.

„Pack aus, pack aus!“, röhrte Grapsch und konnte es kaum erwarten, bis sie sein Geschenk aus dem Geschenkpapier gewickelt hatte.

Eine Messing-Kuhglocke mit einem Bild von Bad Schlotterborn!

Sie musste sich setzen, so überwältigt war sie von dieser Liebesgabe. Das hatte sie nicht erwartet!

„Ach du liebes, liebes Kuhglockenkäuferchen!“, jubelte sie, sprang an Grapsch hoch, fiel ihm um den Hals und betupfte sein Gesicht mit unzähligen Küsschen.

„Komm, ich binde sie dir um“, trompetete er ihr zärtlich ins Ohr.

Aber dazu kam es nicht. Denn der Fahrer des Busses kam herangestürzt: „Endlich hab ich Sie gefunden! Wir hätten schon vor einer Stunde abfahren sollen!“

Grapsch nahm Olli auf den einen Arm, die Kuhglocke auf den anderen und stapfte hinter dem Fahrer her, der vor Aufregung einen ganz roten Kopf bekommen hatte.

Auf der Rückfahrt wurde wieder haltgemacht für eine Verkaufsveranstaltung. Diesmal gab es keine Seidendecken, sondern geräucherte Wildschweinkeulen. Olli, noch tief gerührt von Grapschs Geschenk, kaufte gleich ein Dutzend, obwohl sie doppelt so teuer waren wie daheim.

Grapsch konnte nicht widerstehen, schlug sein Gebiss nacheinander in drei Keulen und benagte sie. Aber er vergaß auch die anderen Passagiere nicht. Er ließ drei Keulen im Bus herumreichen und rief: „Beißt nur hinein, wenn ihr Lust darauf habt! Jeder nagt ab, so viel er will. Guten Appetit!“

Die Keulen wanderten durch den ganzen Bus. Als sie wieder zu Grapsch zurückkamen, waren sie rundherum fast abgenagt. Nur ein Fleischfetzen hing noch dran, und an dem baumelte eine Zahnprothese. Er hielt sie hoch. Niemand wollte sie wiederhaben. Aber alle Mitreisenden bedankten sich und manche gaben auch Grapsch und Olli etwas von ihrem Proviant ab: Mandarinen, gebrannte Mandeln, zwei Butterbrote, belegt mit Speckscheiben und noch vieles andere bis hin zu Hustenbonbons. Sie hatten während der ganzen Heimfahrt zu essen.

Als sie am Waldrand ausstiegen, winkten ihnen alle Passagiere freundlich zu, und der Reiseleiter warf Grapsch die angeschmutzte Steppdecke mit der Seidenfüllung nach: Sie war ja wertlos geworden. Immerhin hatte ihm dieses merkwürdige Paar zwölf geräucherte Wildschweinkeulen abgekauft. Das machte den Verlust wieder wett.

Beide Grapschs kehrten zufrieden heim, auch wenn von den zwölf Wildschweinkeulen nur noch sechs übrig waren. Es war ein wunderbarer Tag gewesen, dort in Bad Schlotterborn. Noch tagelang träumten sie davon und nannten sich, wenn sie zusammen waren, Seidenkeulchen, Schleckermäulchen, Räucherböckchen oder Kuhglöckchen.

Und die Kuhglocke aus Bad Schlotterborn? Die hängten sie an einen Ast über dem Jumbohügel. An windigen Tagen läutete sie manchmal von selbst.

„Aber wenn wir was feiern, trägst du sie, nicht wahr?“, sagte Grapsch. „Dazu hab ich dir sie ja geschenkt.“

Und die Kunst? Ja mit der war bald endgültig Schluss im Rabenhorster Wald. Denn eines Morgens lag der arme Oskar auf dem Rücken und bewegte sich nicht mehr. Er hatte noch den Pinsel in der Pfote. Offensichtlich Überanstrengung.

Grapsch und Olli vermissten Oskar, aber dass nun niemand mehr malte, das war nicht weiter schlimm. Denn Herr Rossi war inzwischen Millionär, und Grapsch und Olli hatten auch eine Menge Geld auf der hohen Kante.

Und die Fans, die Grapschs und Oskars Gemälde liebten? Die waren eine Weile traurig, als keine neuen Bilder mehr aus dem Rabenhorster Wald auftauchten. Aber bald trösteten sie sich mit anderen Malern.