Als Olli Stunden später mit neuen Leinwänden zurückkam, sah sie das Grapschheim samt Scheune und Stall schon von Weitem in allen Farben prangen. Ja, innen und außen war es jetzt bemalt. Knallrot leuchtete der Sparschweinhintern über der Eingangstür. Antons Schnitzereien, die Drachenköpfe, Krötengesichter, Fratzen und lachenden Sonnen rings an den Balken glänzten in allen Farben. Auch Maxens Häuschen schimmerte bunt aus dem Möhrenwald. Die Ofentür am Sumpfrand strahlte blau herüber, die vier Bänke leuchteten gelb und orangefarben, das Klomobil funkelte hell- und dunkelviolett über dem Petersilien- und Schnittlauchbeet.
Nur Stolzenrücks und Antons Häuser waren von diesem Farbrausch verschont geblieben.
Olli stieg vor der Haustür aus dem Sattel. Da trat Anton aus dem Grapschheim, über und über in allen Farben bemalt.
„Schade, dass die Touristen weg sind“, sagte er trocken. „Sonst hättest du sie durch diese Ausstellung moderner Kunst führen können. Mich hat er auch zu einem Ausstellungsstück gemacht.“
„Warum hast du ihn nicht gestoppt?“, fuhr sie ihn an.
„Wie denn?“, fragte Anton zurück. „Wenn dein Tassilo etwas macht, dann macht er’s gründlich, egal, ob’s ums Auf-der-Ofentür-Dösen oder ums Malen geht. Und wenn er rast, dann rast er. Aber ich kann dich beruhigen: Er hat sich jetzt bald ausgetobt. In den Händen hat er schon keine Kraft mehr. Seit einer halben Stunde malt er mit den Füßen weiter. Dort drüben findest du ihn …“ Er zeigte zum Tiergehege hinüber.
Wirklich, dort lag er auf dem Rücken, glänzend vor Schweiß, und hatte an jedem Fuß einen Pinsel zwischen großem Zeh und zweitem Zeh stecken. Damit bemalte er den Zaun: rosa und braun gestreift.
„Olli?“, schnaubte er. „Bist du da? Die Farben sind alle!“
Er ließ die beiden Pinsel fallen, lehnte die Füße an den frisch gestrichenen Zaun und fing an zu schnarchen. Den Rest des Tages schlief er unter freiem Himmel. Anton kratzte sich währenddessen unter dem Wasserfall die Farben von der Haut, und Olli bemühte sich vergeblich, die Wände zu reinigen.
Oskar aber langte zwischen den Zaunlatten durch und angelte sich die Tuben Braun, Schwarz und Weiß aus der Schachtel. Diese Tuben waren noch fast voll, weil Grapsch andere Farben lieber mochte. Der Schimpanse mopste auch den dritten Pinsel und malte den Zaun von innen weiter an. Und die Baumstämme im Gehege. Und sich selbst. Und den Hintern von Zampano.
Olli hatte am Abend Mühe, Grapschs Fußsohlen vom Zaun abzukriegen. Sie waren an der getrockneten Farbe festgeklebt. Dabei lachte sie so sehr, dass sie Schluckauf bekam. Wer so lacht, der sieht alles nicht mehr so schwarz wie vorher. Von nun an würden Grapsch und sie eben versuchen müssen, das Beste aus der Pinselraserei zu machen.
Und sie machten das Beste daraus! Das kam so: Obwohl jetzt eine saubere Leinwand an der Wand des Grapschwohnsaales lehnte, konnte Grapsch nicht weitermalen, denn die Farben waren ja alle vermalt. Und ohne Farben kann auch der genialste Maler nicht malen.
„Schaff Farben herbei, mein Quäppchen!“, ächzte er, als er wieder aufgewacht war. „Sofort! Ich bin Maler und muss rasen!“
„Ich hab aber kein Geld mehr“, jammerte sie.
„Siehst du“, sagte er, „manchmal ist es ganz nützlich, einen Räuber im Haus zu haben. Wenn du mich rauben ließest, wärst du schnell wieder bei Kasse!“
„Nein!“, schrie sie, sprang auf und winkte mit beiden Armen ab. „Das Rauben hat ein für allemal aufgehört. Anton!“
Wenn Olli in ihren schrillsten Tönen kreischte, hörte man das bis ans andere Ende des Waldes, obwohl das sehr weit weg war. Und schon kam Anton, der Treue, angekeucht. Aufmerksam hörte er sich Ollis Klage an.
„Verkauft doch das Bild, das Tassilo gestern gemalt hat“, empfahl er.
Grapsch und Olli starrten ihn überrascht an: „Du glaubst, für solche selbst gemalten Bilder gibt einem jemand Geld?“
Anton zuckte mit den Schultern. „Jedes Bild ist von jemandem selbst gemalt. Für dieses gäbe ich euch keinen Euro. Schon allein deswegen nicht, Tassilo, weil du mir meine schönen Schnitzereien so scheußlich bekleckert hast. Aber vielleicht gibt’s ja Verrückte, die sich so was ins Zimmer hängen …“
Olli schaffte Grapschs Gemälde, auf dem die drei roten Kleckse unter den anderen Farben kaum mehr zu sehen waren, auf dem Kamelrücken nach Juckenau und zeigte es Herrn Rüdiger Rossi, dem Inhaber des Ladens, in dem sie die Staffelei und die Leinwand und all die anderen Sachen gekauft hatte.
Herr Rossi war früher selber Maler gewesen. Jetzt machte er nur noch Gemälde-Ausstellungen und kaufte und verkaufte Kunst.
„Mein Mann hat es gemalt“, erklärte sie. „Tassilo Grapsch.“
„Der Räuber?“, fragte Herr Rossi überrascht. „Eine Sensation!“
„Er ist kein Räuber mehr!“, rief Olli ärgerlich. „Die Staffelei, die Pinsel, die Leinwand und die Farben habe ich gestern bei Ihnen gekauft!“
„Ich weiß, ich weiß“, sagte er mit einer beruhigenden Handbewegung, „schon gut, schon gut.“
Er hängte das Bild an die Wand und betrachtete es eingehend.
„Höchst bemerkenswert“, murmelte er. „Wie hat er es denn genannt?“
„Drei Musen.“
Wieder besah sich Herr Rossi das Bild, von schräg rechts und links und von vorn.
„Die drei Musen sind drunter“, erklärte Olli.
Herr Rossi hob das Bild und schaute darunter.
„Unter der obersten Farbschicht“, erklärte Olli.
„Raffiniert.“ Herr Rossi staunte. „Meinen Sie, Ihr Herr Gemahl könnte das Gemälde umbenennen in ‚Musen im Chaosrausch‘? Mit diesem Titel würde das Bild noch viel mehr Eindruck machen.“
„Chaos?“, fragte Olli. „Das heißt doch ‚Durcheinander‘, nicht wahr? Musen im Durcheinander und noch dazu im Rausch. Tassilo wird den Titel mögen.“