Hastig räumte sie alle Malsachen in den Keller, hinter das Regal mit den vollen Marmeladengläsern.
So, das war schon mal erledigt. Nun holte sie Anton. Zu zweit schleppten sie Grapsch aus dem Wohnsaal ins Geburtskämmerchen. Dort legten sie ihn auf das Bett. Er hätte nicht hineingepasst, wenn er noch sein altes, gesundes Gewicht gehabt hätte. So aber war er ja nur noch eine halbe Portion.
Drei Tage lag er mit geschlossenen Augen auf dem Rücken, ohne sich zu bewegen. Nur mit Mühe konnte Anton seine Zähne mit einem Stemmeisen auseinander kriegen, damit ihm Olli Meerschweinchenmilch einflößen konnte. Die wirkte schnell.
Am vierten Tag begann er zu schnarchen.
Am fünften murmelte er: „Wo ist denn … wo sind denn …?“
Olli konnte sich denken, was er suchte. Aber sie verriet es ihm nicht. Den Reportern, die um das Haus strichen, erzählte sie, der Maler sei verreist.
Am sechsten Tag war Grapsch wieder so bei Kräften, dass er sich aufrecht setzen konnte. Und schon fing er an zu futtern. Nacheinander verdrückte er einen Bohneneintopf, eine geräucherte Wildschweinkeule, eine Mohntorte und drei Flaschen Rotwein.
Als er das alles in seinem Bauch hatte, wurde ihm das Kämmerchen zu eng. So schoben sie ihn samt dem Bett hinüber in den runden Wohnsaal.
„Ha!“, rief er und zeigte triumphierend auf die Wandgemälde.
„Du hast Sehstörungen, mein Schnups“, sagte Olli sanft. „Da ist nichts.“
Aber schon erinnerte er sich an das, was er suchte: „Wo ist mein Malzeug?“
„Ich weiß nicht, wovon du redest“, log Olli.
„Ich hab doch immerzu wie verrückt gemalt“, schnaubte er. „Tage, Wochen, Monate. Vor einem großen Gestell, auf einer großen Platte. Mit einem Pinsel. Oder hab ich das etwa alles nur geträumt?“
„Sicher, sicher“, murmelte Olli beruhigend und brachte ihn so dazu, weiterzuschlafen. Sie blieb neben ihm sitzen, streichelte seinen Bart und stellte zufrieden fest, dass sich seine Wangen wieder rundeten.
Am siebten Tag erschien Herr Rossi, um sich zu erkundigen, warum er seit einer Woche keine fertigen Grapsch-Werke mehr bekommen hatte. Er weckte Grapsch auf und bestätigte ihm, dass seine Malerei kein Traum gewesen sei und dass man sehnlichst auf seine weiteren Bilder warte, egal, was darauf zu sehen sei und was er dafür verlange.
So kam’s, dass Grapsch an diesem Sonntag, sichtlich erholt, aus dem Bett schnellte und röhrte: „Olli, wo ist mein Malzeug?“
Was blieb ihr da übrig, als Staffelei, Bild, Pinsel, Palette und alles andere wieder aus dem Keller heraufzuholen?
„Was für ein prachtvolles Werk!“, rief Herr Rossi beglückt, als er das letzte Bild sah. „Das ist doch schon fertig, nicht wahr? Wie haben Sie’s denn genannt?“
„So kann’s nicht weitergehen“, rief Olli und wollte noch viel mehr sagen, weil sie merkte, dass alles in der Tat so weitergehen sollte wie bisher. Aber Herr Rossi lachte schallend und rief: „‚So kann’s nicht weitergehen‘? Wie originell! Auf so einen Titel muss man erst mal kommen!“
Und schon bezahlte er das Bild und nahm es mit.
Ja, alles ging weiter wie bisher: Grapsch malte Bild um Bild in Raserei und nahm wieder ab. Olli und Ollo saßen sonntags allein am Kaffeetisch, stocherten ohne richtige Kuchenlust im Obstkuchen und ließen die Köpfe hängen.
„Er mag nicht einmal mehr Meerschweinchenmilch“, klagte Olli. „Wo die doch so nahrhaft ist. Eine Meerschweinchenmilchkur lehnt er ab …“
„Das kann ich verstehen“, sagte Ollo. „Ich hab sie von klein auf nicht gemocht. Lebertran, Spinat und Meerschweinchenmilch – ein Horror!“
„Deshalb bist du ja auch so mager und blass geblieben“, sagte Olli.
An einem Frühlingssonntag, als Grapsch gerade an seinem hundertsten Bild malte, hatte Ollo ein besonderes Anliegen an seinen Vater. Aber der winkte nur ab. „Ich bin nicht zu sprechen!“
„Lauere ihm auf, wenn er mal aufs Klomobil muss“, riet ihm Olli. „Auch Künstler müssen aufs Örtchen.“
Ollo zupfte sich die Krawatte zurecht und pflanzte sich vor dem Klomobil auf, das gerade im Tulpenbeet stand.
„Olli!“, brüllte Grapsch von innen. „Jag den Reporter weg! Nicht mal auf dem Klo lassen sie einen in Ruhe!“
„Es ist dein Sohn Ollo!“, rief Olli. „Er will dich was fragen!“
„Ich hab keine Zeit, ich muss malen“, knurrte Grapsch, kam heraus und hastete an Ollo vorbei.
Der rief ihm aufgeregt nach: „Mein Chef lässt fragen, ob du ihn malen würdest, Papa! Das Bild soll im Postschalterraum an die Wand!“
Aber Grapsch raste schon wieder mit dem Pinsel über die Leinwand und sah und hörte nichts mehr.
Ollo bekam einen Wutanfall. Den ersten in seinem Leben. Er packte seinen Vater am Bart, riss ihm den Pinsel aus der Hand und brüllte: „Was glaubst du eigentlich, wer du bist?“
„Künstler!“, brüllte Grapsch zurück. „Maler!“
Er gab Ollo einen Stoß, dass der – in der einen Hand den Pinsel, in der anderen eine Strähne aus Grapschs Bart – gegen die bemalte Wand flog. Olli warf sich zwischen Vater und Sohn. Ihre Tränen spritzten nur so nach allen Seiten.
„Maler?“, höhnte Ollo. „Du kannst ja noch nicht einmal einen Oberpostmeister malen! Ja, nicht einmal zu einem Briefträger würdest du taugen! Ein gewesener Räuber bist du, sonst nichts!“
Da passierte etwas Unglaubliches. Grapsch sagte ganz ruhig: „Hast Recht.“ Er gab der Staffelei einen Tritt, dass sie samt dem hundertsten Bild umstürzte, und nahm von diesem Tag an keinen Pinsel mehr in die Hand.
Schluss mit der Malerei. Aus.
Olli konnte endlich aufatmen.