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Die ganze Tauchgruppe wohnt im Seeblick, bis auf Werner Strachnitz, den Dorfpolizisten. Er lebt bei seinen Eltern in Wildstätten, das er vor spöttischen Bemerkungen der Wiener Gäste leidenschaftlich verteidigt. Na sicher sei das Dorf mit weniger als tausend Seelen kein Hotspot der Kunst, Kultur und Action. Aber mit seiner idyllischen Seelage, den typisch pannonischen Häusern entlang der Hauptstraße und den umgebenden Hügeln, Wäldern und Weinbergen sei es schon ein kleines Juwel. Sagt Strachnitz. Nicht zu vergessen Schloss Almázoky, Sitz eines früher mächtigen österreichisch-ungarischen Adelsgeschlechts. Graf Almázoky sei immer noch der größte Grundbesitzer und Arbeitgeber am Ort.
Sie sitzen alle zusammen am zweitgrößten Tisch in der Schankstube. Draußen sei es abends noch zu kühl, hat die Wirtin bestimmt. Und der Stammtisch ist Einheimischen vorbehalten, für den Grafen und seine Begleitung sind immer zwei Sitze neben dem Kachelofen reserviert – wie auch eine Sitzbank in der kleinen barocken Kirche.
»Der Herr Graf ist ein sehr nobler Mensch«, nimmt die Wirtin das Gespräch auf, während sie die Getränke serviert und Speisekarten verteilt. Sie begründet es damit, dass er ihr immer so schöne Komplimente mache und wirklich großzügig mit Trinkgeld sei.
Martin probiert zum ersten Mal in seinem Leben Uhudler, eine Weinspezialität aus dem Südburgenland. Werner Strachnitz hat als Einziger Bier bestellt. Er meint, der Uhudler sei ein »Heckenklescher«. Für Lorelei aus München die Erklärung: ein alkoholstarkes Getränk, nach dessen übermäßigem Genuss man leicht das Gleichgewicht verlieren und in die nächste Hecke fallen könne.
Martin kommt von der Toilette zurück und hat diesen Satz nicht gehört. In seinem Glas schimmert es rosé und riecht intensiv nach Waldbeeren. Sie stoßen auf eine erfolgreiche Tauchwoche an, in der jeder seinen Schein macht. Dann der erste Schluck: »Seltsam« ist das Wort, das Martin zuerst einfällt. Ein ganz besonderer Geschmack, der Uhudler ist anders als jeder Wein, den er bisher getrunken hat. Er beschließt, an allen weiteren Abenden Bier zu trinken, Weingegend hin oder her.
Werner, der Martin an den Klassenbesten in seiner Volksschule erinnert, klärt auf: »Der Uhudler wird nur im Burgenland gekeltert, als Direktträger der Hybridsorten Ripatella, Concord und Elvira. Schuld ist die Reblaus, die Mitte des 19. Jahrhunderts fast alle Rebstöcke in Österreich vernichtet hat. Also importierte man die widerstandsfähigen Amerikanersorten. Die aber sollen angeblich Fuselöle und Methanol enthalten, was ein Schmarrn ist. Trotzdem wurde der Uhudler verboten, erst seit ’92 darf er wieder produziert und verkauft werden, aber nur im Burgenland. Bloß will uns da die EU reinpfuschen und den Export verbieten. Das lassen wir uns nicht gefallen. Niemals!«
»Du bist ja ein richtiger Patriot«, sagt Gloria. Ein Hauch von Sarkasmus.
Er nimmt es als Lob. »Na eh. Bevor ich zur Polizeischule bin, war ich ein halbes Jahr lang Fremdenführer. Aber das hat mir nicht so getaugt. Immer nur Touristen, und immer die gleichen G’schichten …«
»Eines der wunderbaren Dinge am Tauchen ist die Stille«, sagt Benni, woraufhin es einen Augenblick lang still wird.
Martin lächelt in sich hinein. Benni fragt in die Runde, ob denn alle seine Merkblätter studiert hätten? In Sachen Ausrüstung und Unterwasser-Zeichengebung. Sie nicken.
Franz nimmt sich vor, das Zeug im Bett zu lesen. Er bestellt bei der Wirtin die Tagesspezialität: Geschmortes Kalbswangerl mit Grammelpogatscherln. Dem schließen sich die Männer an, Gloria und Lorelei entscheiden sich für die klare Fischsuppe mit Zander und Forelle.
Benni, mit dem die schöne Wirtin diskret flirtet, übersetzt die Pogatscherln: Teigtaschen aus Mehl und Hefe mit Schweinegrieben.
»Pfui Teufel«, sagt Gloria, die Vegetarierin. Fisch isst sie schon, allerdings nur aus heimischen Gewässern. Und Lorelei meint, sie müsse auf ihre Linie achten. Für die Filmkarriere. Weil die Kamera einen sowieso schon aufbläst. Da müsse man ganz dünn sein, um auf der Leinwand schlank auszusehen.
Der Ex-Fremdenführer erklärt Franz, worauf es beim Tauchen wirklich ankommt. Weil der ja bei der Einführung nicht dabei war. »Und das Wichtigste, das Allerwichtigste ist: niemals allein tauchen. Weil, wenn du zu zweit bist, kann immer einer dem anderen helfen. Wenn dir der Sauerstoff ausgeht zum Beispiel. Oder wenn du wo hängen bleibst und dich nicht allein befreien kannst. Eiserne Regel, Franz: nur zu zweit!«
»Hab’s verstanden«, erwidert Franz leicht gereizt. Es tut ihm schrecklich leid, dass er nicht neben Lorelei sitzt, sondern zwischen Martin und dem Dorfpolizisten. Der so was Oberlehrerhaftes an sich hat. Der Tauchlehrer scheint den Typen auch nicht zu mögen, so wie er ihn ab und zu anschaut. Wahrscheinlich, weil der Benni halt ein Mann von Welt ist. Wo der schon überall war. Hat er ihm erzählt, als sie zusammen vor dem Klo anstanden. Australien, Amerika, Afrika, Asien … eigentlich überall auf der Welt. Und nach Wildstätten kommt er nur ab und zu im Sommer – für seine Tauchschule, und weil seine Eltern hier leben.
Langsam füllt sich die Schankstube, und aus der Küche hilft ein Mädchen der Wirtin, die hungrigen und durstigen Gäste zu versorgen. An der Theke stehen ein paar Einheimische, so wirken sie zumindest auf Martin. Sie trinken überwiegend Bier. Dies ist der einzige Uhudler-Tisch, und obwohl ihm der Wein mit jedem Schluck besser schmeckt, mahnt er sich zur Vorsicht. Protestiert jedoch nicht, als Benni eine zweite Runde Getränke bestellt. Die geht am ersten Abend traditionell auf seine Rechnung, sagt er. Und dass Alkohol halt dazu beiträgt, dass man lockerer wird und sich besser kennenlernen kann. Nur möchte er nicht, dass am nächsten Tag jemand mit einem Kater antanzt.
»Na, du musst’s ja wissen«, sagt die Wirtin und schaut ihn frech an. Bildet Martin sich das ein oder haben die zwei was miteinander? Flirten tun sie auf jeden Fall. Leider versucht das auch seine Nachbarin zur Linken. Lorelei. Es ist ihr Künstlername, wie sie ihm noch vor dem Essen gesteht. In Wirklichkeit heißt sie Chantal. Ein furchtbarer Name, nicht wahr? Martin stimmt ihr nicht zu, obwohl er es innerlich tut. Sie trägt ein Parfum, das ihn irritiert. Schwer und fruchtig … ein bisserl uhudlermäßig.
Das Essen schmeckt saugut, findet er – und wohl auch den anderen. Schweigen am Tisch, allein das Besteck klappert, dadurch werden die Gespräche an der Bar und an den anderen Tischen hörbar. Am Stammtisch nebenan sitzen drei Männer in den Siebzigern und diskutieren weinselig über Touristen, die sie »die Fremden« nennen. Und einer erwähnt drei Taucher, die vor Jahren im Wildstätter See ertrunken seien. Wegen der Strömung, sagt sein Nebenmann. Der Dritte: »Und erst die G’schicht in Rechnitz. Wo die von Batthyány SS-Offiziere aufs Schloss geladen hatte, im März ’45, als die Russen quasi schon vor der Tür standen. Und die b’soffenen Nazis kamen irgendwann auf die Idee, zweihundert jüdische Gefangene im sogenannten Kreuzstadel zu besuchen. Und die schossen sie dann alle tot. Und bis heut weiß keiner, wo die Leichen vergraben sind. Außer den Rechnitzern damals, aber die haben g’schwiegen wie ein Grab.«
Die zwei anderen gehen verbal auf ihn los, weil doch Rechnitz nix mit Wildstätten zu tun habe oder den Fremden, die hier tauchen. »Aber die Vögel«, sagt der Erste. »Ich seh die manchmal. Des san die Toten, die zruckkumman.« Er lässt offen, ob er die verschwundene Tauchgruppe meint oder die Rechnitzer Opfer, steht nicht grade mühelos auf und bewegt sich leicht schwankend in Richtung der Toiletten. Einserklos für Frauen und Männer, weshalb es manchmal zu Staus kommt.
Seine Mitzecher sehen ihm kopfschüttelnd nach, und Martin widmet sich wieder den Gesprächen an seinem Tisch. Das große Wort führt jetzt Benni, der von seinen Tauchabenteuern erzählt, die er in aller Welt erlebt hat. Die letzten Monate, in denen er kaum reisen konnte, waren eine Folter für ihn. Aber jetzt sei ja alles vorbei, Neptun sei Dank.
Alle tragen nun ihren Corona-Senf bei, mit Ausnahme von Martin, der dazu keine gefestigte Meinung hat und dem Karl-Valentin-Spruch nachhängt, dass es schön ist, wenn Leute, die nichts zu sagen haben, auch still sind. Natürlich hat der Lockdown ihm und Fassl den Urlaub am Roten Meer versaut. Doch sonst hat er seine Arbeit gemacht wie immer, ist viel gejoggt und hat sein Bier halt zu Hause getrunken. Und angefangen zu kochen, was eine neue Erfahrung war. Beim Schrebergartenhaus am Küniglberg, in das der Besitzer in einem halben Jahr wieder einziehen wird, hat Martin viel im Garten gearbeitet, das macht ihm erstens Freude und hilft ihm zweitens, über Liebeskummer hinwegzukommen. Und der war nach dem Salzburger Abenteuer gewaltig. Er ist sich nicht sicher, ob er überhaupt schon darüber hinweg ist. Der Schmerz hat nachgelassen, das ist wahr. Oder, wie seine Mutter zu sagen pflegt: Die Zeit heilt alle Wunden. Lotte ist ein fleischgewordenes Poesiealbum. Und jetzt will sie tatsächlich ihre geliebte WG verlassen und mit einem türkischen Fleischhauer zusammenziehen. Das ist nicht ohne Komik, aber er hat Lottes vegetarischer Wandlung eh nie ganz getraut. Weil er sie irgendwann einmal vor der Albertina am Würstelstand erwischt hat.
Lorelei lässt von ihren Bemühungen ab, den Wiener Kieberer zu bezirzen, und wendet sich dem Tauchlehrer zu. Ist sowieso fescher, und weltgewandter auch. Sie wird sich beim ersten Tauchgang extrem blöd anstellen, damit Benni immer mit ihr taucht. Wozu ist sie Schauspielerin? Platinblonde Frauen mit Kurven werden von Männern sowieso immer unterschätzt, siehe Marilyn Monroe. Ihr großes Vorbild, auch rein äußerlich.
Gloria fragt sich, warum der Wiener Polizist sie manchmal so komisch anschaut. Der will doch hoffentlich nichts von ihr! Er ist zwar nicht unattraktiv, aber natürlich viel zu alt. Mindestens vierzig. Außerdem ist sie nicht nach Wildstätten gekommen, um Männer aufzureißen. Da steht ein größerer Plan dahinter, wobei sie sich seit ihrer Anreise fragt, ob sie nicht Hirngespinsten nachjagt. So war sie schon als Kind: Wenn sie sich in was festgebissen hat, dann kann sie nur schwer wieder loslassen. Wozu ihre Berufswahl als Journalistin eh gut passt. Mit dem Dorfpolizisten wird sie sich so bald wie möglich unterhalten. Schon komisch, dass in der Tauchgruppe gleich drei Polizisten sind. Zufall? Den Tauchlehrer findet sie irgendwie … angeberisch. Solche Typen gibt es in Wien zuhauf: charmante Hallodri, die sich für Gottes Geschenk an die Frauen halten. Bei ihr würde der sich die Zähne ausbeißen, so viel steht fest. Der Dicke aus Salzburg sieht gemütlich aus, nett eigentlich, mit zehn Kilo weniger wäre er sogar fesch. Vielleicht gefällt er sich so, wie er ist. Und es gibt sicher Frauen, die es mit Julius Cäsar halten. Wieso sieht dieser Doktor, dieser Andreas, den Tauchlehrer so abschätzig an?, fragt sie sich dann. Wahrscheinlich geht der ihm mit seinen Tauchgeschichten inzwischen echt auf den Geist, wie ihr halt auch. Man möcht ja glauben, dass dieser Sport total gefährlich ist, so wie der daherredet. Doch sie gesteht sich ein, dass sie ein klein wenig Angst hat vor dem ersten Tauchgang.
Werner Strachnitz weiß schon, warum ihn die Wiener Journalistin nach den Almázokys ausfragt. Das sind halt die wichtigsten Menschen in der Gegend. Die Adelstitel mögen in Österreich zwar abgeschafft sein, aber das ändert nichts daran, dass Almázoky mit »Herr Graf« und seine Tochter mit »Frau Gräfin« angesprochen werden. Man weiß schließlich, was sich gehört. Dem Grafen, so erzählt er Gloria jetzt, gehöre das meiste Land rund um Wildstätten. Die Weinberge habe er verpachtet, für die Wälder vergebe er Jagdlizenzen. Weil er doch ein passionierter Jäger sei, der Herr Graf. »Der war früher monatelang in Afrika, wo er Löwen und Elefanten erlegt hat. Das hiesige Wild war ihm damals zu fad. Und eine Zeit lang hat er sogar Großkatzen nach Wildstätten gebracht, in sein Privatgehege. Als er dann älter wurde, wurde ihm das alles zu viel. Jetzt sind seine exotischen Viecher an Zoos verkauft, und der Graf geht nur noch heimisches Wild jagen.«
»Und die Tochter?«, fragt Gloria. Nach dem zweiten Glas Uhudler beschließt sie, auf Wasser umzusteigen. Der Stoff haut rein, und die Fischsuppe war zwar gut, jedoch keine richtige Unterlage für Alkohol.
»Na ja, die sieht man nicht so oft. Sie leitet offiziell das Sägewerk, aber die Arbeit macht ein Manager. Die Gräfin hat eine Reiseagentur in Wien: für Jagdgesellschaften. Bis zu Corona war sie wohl sehr erfolgreich damit. Geschieden, keine Kinder. Im Gegensatz zu ihrem Vater ist sie nicht gerade leutselig, die Gräfin. Eher so von oben herab, du weißt schon.«
Werner lächelt verschwörerisch, und Gloria, uhudlermäßig etwas gnädiger als sonst, erwidert sein Lächeln. Das weckt falsche Hoffnungen, aber woher soll sie das wissen?
Benni begleicht die Getränkerechnung bei der Wirtin, die den Tauchertisch selbst bedient, während sie die Kellnerin überwiegend zu den Einheimischen schickt. Ihr Mann steht jetzt, da die Küche geschlossen ist, hinter dem Ausschank und trinkt Rotwein. Erst wenn die Arbeit zu Ende ist, dann allerdings schon recht viel davon. Adele, die ihren Eltern diesen Vornamen nie verzeihen wird, fühlt seine Blicke im Rücken. Emil ist extrem eifersüchtig, und wenn Benni im Lande ist, wird es arg schlimm. Dabei bringen die Tauchkurse einen schönen Batzen Geld ein, das sagt sie Emil immer wieder. Aber der meint, der Benni sei ein »Großkotzerter«, weil der mit der Grafenfamilie auf gutem Fuß steht. Andersrum nennt Benni den Emil eine »Deliriumwanzn«, einen Alkoholiker. In gewisser Weise haben beide recht, denkt Adele. Nur kann sie es leider nicht beiden recht machen. Jedenfalls nicht gleichzeitig.
Sie schreibt die Essensrechnungen auf die Zimmer und bietet zum Abschluss Kaffee an, doch keiner will noch was. Es ist Viertel vor elf, kurz vor der Sperrstunde, sie wandert von Tisch zu Tisch. Die meisten gehen freiwillig, bei manchen muss sie drohen, dass der Emil es gar nicht mag, wenn man seiner Frau widerspricht. Da gäbe es entweder ein Handgemenge oder Lokalverbot. Und jeder weiß doch, dass es im Seeblick das beste Essen weit und breit gibt! Den Italiener an der Hauptstraße kann man vergessen. Und das ungarische Stüberl serviert das scheußlichste Gulasch im ganzen Burgenland, ach was – in ganz Europa. Adele ist müde von der Rennerei, mit achtunddreißig ist das ja wohl normal. Und jeden Abend dieselben Gesichter, besonders das von ihrem Mann. Da ist sie schon froh, wenn Benni in Wildstätten ist und die Tauchgruppen hier logieren. Das wird der Emil nie verstehen: dass sie eine gewisse Sehnsucht nach der großen weiten Welt hat.
Martin verabschiedet sich von seiner Tauchgruppe und geht mit Fassl in den ersten Stock. Ihm ist ein wenig schwindelig, es ist der verdammte Uhudler, den wird er nie mehr trinken. Vor der Tür meint er: »Weißt was, Franz, ich geh dann noch ein paar Schritte ums Haus. Damit mein Kopf wieder klar wird.«
Franz dreht den Schlüssel. »Mach nur, ich schau mir noch die Merkblätter von unserem Tauchlehrer an. Wir sind noch gar nicht zum Reden gekommen, Martin.«
»Morgen, Franz. Schlaf gut. Ich muss einfach noch an die frische Luft.«
Franz hat im Gegensatz zu Martin den Uhudler gut vertragen, und er hat ihm auch geschmeckt. Aber durstig hat er ihn gemacht. Er beschließt, noch einmal nach unten zu gehen und sich eine Cola zu holen. Obwohl die Wirtin schon dabei ist, die Sessel verkehrt auf die Tische zu stellen – ein untrügliches Zeichen für die Sperrstunde –, darf Franz seine Cola noch an der Theke trinken. Benni, Werner und ein Einheimischer, als Ivo stellt er sich Franz vor, sind die letzten Gäste. Ivo, nicht mehr ganz nüchtern und in Plauderlaune, ordert zwei Stamperln Schnaps, um mit Franz Bruderschaft zu trinken. Widerwillig kredenzt ihm der Wirt den Schnaps mit der Bemerkung, rasch auszutrinken, denn dann sei endgültig Schluss für heute.
Ivo erzählt, dass er im Dorf als Mechaniker arbeitet. Er gehört zur kroatischen Minderheit im Burgenland. 25.000 sind’s insgesamt, also eine Mini-Minderheit, aber immer noch größer als die der Ungarn, Romanes und Slowaken.
Und zum Schluss erwähnt Ivo noch einen Schatz. Im Wildstätter See. Den hätten jüdische Kaufleute aus Oberwart in der Nazizeit in einer großen Truhe versteckt und im Wasser versenkt. Da hätten sich schon einige dran versucht, sagt Franz’ neuer Freund. Mit Seitenblick auf Benni Meisel: »Der Angeber natürlich auch. Aber gefunden hat ihn bisher noch keiner.«
Benni winkt ab: Das sei eine von diesen Dorflegenden, die Touristen und Taucher anlocken soll. »Aber das könnt’s mir glauben: Ich kenn diesen See wie meine Westentasche, und wenn es einen Schatz gäbe, dann hätt ich ihn längst gefunden und würde jetzt mit zwei Models auf den Malediven leben.«
Ein herber Seitenblick der Wirtin. »RAUS!«
Schließlich beugen sich alle Adeles Befehl und wünschen einander eine gute Nacht.
Die Wirtin will gerade abschließen, als Martin sich aufmacht zu seinem nächtlichen Spaziergang, nachdem er noch kurz auf dem Zimmer war. Sie schärft ihm ein, auf jeden Fall abzusperren, wenn er zurückkommt. »Ist aber sehr dunkel draußen, haben Sie keine Angst, sich zu verirren?«
Sie hat so was Laszives an sich, denkt Martin. Ein Uhudler-Gedanke. »Ich hab ja mein Handy dabei, keine Angst. Und ich bin auch bald wieder zurück und verspreche hoch und heilig, die Tür zu verschließen.«
Dann tritt er hinaus in die dunkle Nacht. Er nimmt nicht denselben Weg wie tagsüber, sondern geht ums Haus herum in Richtung Wald. Nur ein paar Schritte, er spürt schon, wie sein Kopf klarer wird, es waren ja lediglich zwei Viertel Wein, doch der scheint es wirklich in sich zu haben. Wie der steirische Schilcher, denkt er, und noch schlimmer.
Es ist ganz still, er kann seine Schritte hören. Er denkt an den morgigen Tag, und ob er unter Wasser bestehen wird. Und an Gloria, das Mädchen, das ihm so seltsam bekannt vorkommt. Hat er sie mal verhaftet? Bei einer Demo vielleicht, als er noch nicht Chefinspektor war?
Kurz vor dem Waldrand hält er inne. Zeit, umzukehren und schlafen zu gehen. Und dann hört Martin ein Geräusch, ein Rascheln, er dreht sich um und sieht zwei gelbe Punkte. Die Umrisse von etwas Schwarzem. Bis auf die gelben Punkte. Das Etwas faucht, während Martin in die Hosentasche greift und sein Handy herauszieht. Die Taschenlampenfunktion. Er richtet es auf das Wesen, das vielleicht zwei Meter von ihm entfernt ist. Doch da ist nichts mehr.
Martin atmet tief durch. Da war was, oder nicht? Vielleicht hat er sich die leuchtenden Punkte und das Fauchen nur eingebildet? Andernfalls war es eine richtig große schwarze Katze. Oder die Gespenster von Wildstätten. Verfluchter Wein! Er beginnt zu laufen und ist in Minutenschnelle zurück am Gasthof. Aus zwei Fenstern dringt noch Licht. Er würde sein nächtliches Abenteuer gerne Franz erzählen, aber das spart er sich für den nächsten Tag auf. Vielleicht, denkt Martin, ist es auch besser, wenn ich meine Uhudler-Begegnung ganz für mich behalte.