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Der Guss war heftig, kurz und erfrischend. So was reinigt nicht nur die Luft, sondern auch den Kopf, den strapazierten. Gern würde Martin jetzt einen ausgiebigen Spaziergang machen, um seine Gedanken zu ordnen. Doch daraus wird nichts. Sepp Gruber hat aus Eisenstadt angerufen. Er will nach seiner Rückkehr noch mit allen Kursteilnehmern über Bennis »Unfall« sprechen. Und mit Martin sowieso. Er würde direkt ins Gasthaus kommen.
So sitzt Martin nun gemeinsam mit Franz, Andreas, Lorelei und Gloria auf der überdachten Veranda und wartet auf den Postenkommandanten. Die Stimmung ist gedämpft, Gespräche sind bisher nur schleppend zustande gekommen. Alle sind ganz schön schockiert nach den beiden Todesfällen und obendrein frustriert, dass ihr Tauchurlaub auf diese Weise endet.
Gloria starrt in ihr Handy und schaut auf YouTube Vogelvideos. Lorelei legt mit Minikarten eine Patience, Andreas blickt ins Narrenkastl, Martin rührt seit gefühlten Minuten nervtötend in seinem Kaffee, und Franz widmet sich hingebungsvoll einem großen Stück Nusspotitze.
»Shit, die geht nicht auf!«, flucht Lorelei über ihren Karten. »Das bedeutet nichts Gutes.«
»Bist du denn abergläubisch?«, fragt Andreas und erhält keine Antwort. Lorelei mischt und legt ein neues Spiel. Glorias Telefon signalisiert eine SMS. Sie liest die Nachricht und wendet sich stolz an Martin: »Es hat geklappt. Das mit den zwei VIP-Plätzen für deinen Freund. Sturm Graz gegen Red Bull Salzburg.«
Endlich nimmt Martin den Löffel aus der Tasse. »Tausend Dank! Da hast jetzt aber was gut bei mir!« Das war unvorsichtig, ist ihm so rausgerutscht. Denn er weiß, welches Gegengeschäft Gloria erwartet: eine Durchsuchung der Falknerei.
Franz liegt im Moment Tauchen näher als Fußball: »Bald hätten wir den Schein«, seufzt er. Nach kurzem Nachdenken hellt sich seine Miene auf. »Glaubt ihr, dass es sehr pietätlos wäre, wenn wir den anderen Tauchlehrer, diesen Mitarbeiter vom Benni, fragen, ob wir bei ihm den Kurs beenden können?« Der rettende Einfall ist ihm gerade gekommen.
Lorelei blickt interessiert von ihren Karten auf. »Gute Idee, Franz. Ich brauche den Tauchschein nämlich doch für meine Arbeit. Ich hab vorhin mit dem Regisseur telefoniert, und der hat gemeint, es sei wegen der Versicherung zu riskant, dass ich ohne Schein tauche. Obwohl ich es inzwischen ja irgendwie schon kann. Womöglich besetzen sie sonst eine andere. Das Filmgeschäft ist ja so was von erbarmungslos.«
»Natürlich ist das alles schrecklich, aber gerade für Lorelei ist der Tauchschein besonders wichtig.« Andreas lächelt sie an, aber Lorelei reagiert nicht, sondern weicht seinem Blick aus und konzentriert sich wieder auf ihre Karten.
Wird wohl nicht ganz so toll gelaufen sein mit den beiden gestern Abend, denkt Martin. Zu viel Alkohol im Spiel. Dabei hat Andreas sonst wirklich wenig getrunken.
»Fragst du den Tauchlehrer, Martin? Du kennst ihn ja schon!« Franz kann es kaum erwarten, seine Idee in die Tat umzusetzen. »Dann machen wir vielleicht morgen oder übermorgen wieder einen Tauchgang und danach die Theorieprüfung.« Und er kann Heidi als Taucher gegenübertreten.
»Ja sicher. Wir können später beim Geschäft vorbeifahren. Wer will noch mitmachen? Bleibt ihr überhaupt alle hier?«, fragt er in die Runde.
Alle nicken. Gloria: »Ich bleibe zwar auf jeden Fall, ich muss ja noch in der Falknerei recherchieren. Ob ich zum Tauchen Zeit habe, weiß ich allerdings nicht. Ich wette, dass der Tod von Werner und Benni mit dem Grafen und den Vögeln zusammenhängt. Jö schau, die spielen echt Klavier!«, ruft sie aus und zeigt auf ihr Handy, aus dem wilde Töne kommen.
»Welche Vögel? Und wer spielt Klavier?« Andreas schaut ihr über die Schulter.
»Exotische Vögel im Falkenhof, die der Graf schmuggelt und Millionen damit verdient. Und der Werner wollte das aufdecken.«
Franz ist verwirrt. »Und diese Vögel spielen Klavier?«
»Nein, der Papagei«, schnappt Gloria.
»Jetzt mach aber einmal halblang«, fährt Martin dazwischen. »Das mit dem Schmuggel vermutest du nur. Und es gibt so was wie Rufmord!«
Tatsächlich hält sie den Mund. Wird nicht lang dauern, denkt Martin. Für ihn steht inzwischen fest, dass Benni Werner umgebracht hat. Zu neunzig Prozent. Aber das muss er ihr und den anderen ja nicht auf die Nase binden.
»Vögel, die Klavier spielen … Blödsinn, das gibt’s ja nicht.« Lorelei hat ihre Karten zusammengepackt.
Andreas: »Doch, sie hat recht. Einige Papageienarten sind als extrem musikalisch bekannt.«
»Sag ich doch. Und der Andreas muss es wissen, der ist Tierarzt.«
Andreas wirft Gloria einen dankbaren Blick zu und spielt dann sein Wissen aus. »Dazu gibt es jede Menge Untersuchungen. Wenn man ihnen Musik vorspielt, tanzen sie im Takt. Und das mit dem Klavier stimmt auch. Die Arbeitsgemeinschaft Papageienschutz hat mit ein paar Künstlern spezielle Musikinstrumente für diese Tiere gebaut. Kinderklaviere, die außen an den Volieren befestigt wurden. Die Tasten hat man mit Stäbchen bis in die Voliere hinein verlängert. Damit haben diese Papageien tatsächlich Musik gemacht.« Andreas ist in seinem Element und schaut immer wieder zu Lorelei. Doch die sieht demonstrativ an ihm vorbei. Wenn er nur wüsste, was er in seinem Suff für Unsinn geredet hat. Dieser Filmriss ärgert ihn. Womöglich hatten sie Sex – und er weiß es nicht mehr!
Gloria ist beeindruckt und außerdem der Meinung, dass Tierärzte gute Menschen sind. Die meisten. Sie beschließt, Andreas ins Vertrauen zu ziehen und von ihrer Vogelbeobachtung zu erzählen.
Martin hört nicht weiter zu und schickt eine SMS an Neumann mit der frohen Botschaft zu den VIP-Plätzen. Franz schmiedet bereits Tauchpläne mit Heidi. Am Rande bekommen sie mit, wie Andreas Gloria beipflichtet. »Du glaubst also wirklich, dass die Almázokys was mit den Todesfällen zu tun haben?«
Gloria senkt immerhin ihre Stimme: »Na ja, der Werner wurde meiner Meinung nach von denen ermordet, weil er die ganze Schweinerei aufdecken wollte. Und Benni hat das mit dem Vogelhandel von Werner gewusst und versucht, den Grafen und die Tochter damit zu erpressen. Daraufhin haben sie auch ihn ins Jenseits befördert.«
Martin kann das nicht als kompletten Blödsinn abtun. Obwohl ihm sein Bauchgefühl etwas anderes sagt. Blöder Bauch, der ihm nicht verrät, ob er mit Gloria über seine Zweifel in Sachen Vaterschaft reden soll.
Sepp Gruber stürmt auf die Veranda. »Danke, dass ihr auf mich g’wartet habt’s. War irrsinnig viel Verkehr von Eisenstadt raus.« Er wirkt echauffiert und bestellt erst einmal ein Seidel Bier, bevor er mit der Befragung beginnt.
Doch die Anwesenden können wenig bis nichts beitragen. Niemandem ist vor Bennis Verschwinden was Besonderes aufgefallen, und niemand hat ihn nach dem Abend im Seeblick noch gesehen. Sagen sie alle.
Lorelei und Andreas antworten einsilbig. Franz erzählt Gruber von dem Streit zwischen Adele und Benni. Die Hofers seien ohnehin für den folgenden Tag aufs Postenkommando bestellt, meint der. Martin berichtet von seinem Mittagessen mit der Gräfin. Gloria trägt ihre Theorie vom Vogelschmuggel und den Motiven der Gräflichen für die Morde vor, findet damit aber ebenso wenig Gehör wie für ihre Forderung nach einer sofortigen Durchsuchung der Falknerei.
Mit den Gräflichen will der Postenkommandant schon überhaupt nix zu tun haben. »Schaut’s, erst warten wir einmal den Obduktionsbericht ab. Vielleicht war’s eh ein Unfall. Oder ein Herzinfarkt. Bei dem seinem Weiberstress! Das heißt, da müssen wir über mögliche Motive gar nicht erst reden. Und für einen Antrag auf Durchsuchung brauch ich mehr als einen vagen Verdacht, junge Dame. Der Graf kann doch in seiner Falknerei Papageien und andere Vögel halten, so viel er will. Ist ja wohl nicht strafbar.«
Gruber ist müde und genervt. Der Fund des toten Tauchlehrers geht ihm schon nahe, auch wenn er den Benni nicht besonders leiden konnte. Aber er war halt doch einer von ihnen, so wie der arme Tropf, der Werner. Dann die in Eisenstadt, die ihm Unterstützung angedroht haben, falls ein zweiter Mordfall vorliegen sollte. Unterstützung, ha! Die werden den ganzen Fall übernehmen, und er ist draußen. Und jetzt die mühsame Autofahrt zurück im Stau. Da kann er wichtigtuerische Theorien wie die der Hobbykriminalistin aus Wien schon gar nicht hören. Obwohl dem Benni schon was Erpresserisches zuzutrauen wär. Morgen, nach der Hofer-Einvernahme, wird er sich mit Martin Glück zusammensetzen, um gemeinsam alle Möglichkeiten durchzugehen. Aber jetzt will er nix wie heim. Die Karin hat ihm sein Leibgericht, gegrillten Fogosch auf ungarische Art, versprochen. Und dann kommt seine Lieblingsserie im Fernsehen. So was ist besser als Sex. Man wird halt alt.
Nachdem Gruber gegangen ist, löst sich die kleine Gesellschaft auf. Die beiden Freunde machen sich auf zu Bennis Mitarbeiter im Tauchgeschäft.
Leo Resetarits (»Na, i bin leider ned mit dem Ostbahn-Kurti verwandt«) ist gerade dabei, das Geschäft zu schließen, als Martin und Franz eintreffen.
»Was wollt’s denn jetzt schon wieder? Den Schlüssel für die Wohnung habt’s ja eh. Soll jetzt das G’schäft durchsucht werden? Oder wollt’s mir schonend beibringen, dass der Chef tot is? Zu spät, des weiß scho ganz Wildstätten«, begrüßt Bennis Mitarbeiter die beiden nicht gerade freundlich.
»Aber nein, Herr Resetarits«, versucht Martin den jungen Mann zu beruhigen.
Der fährt mit den Fingern durch seine schwarzen Locken und beäugt die beiden Polizisten misstrauisch.
»Sie sind doch auch Tauchlehrer, Herr Resetarits?«, beginnt Franz.
»War. Jetzt, wo der Boss die Potschn g’streckt hat, bin ich überhaupt nix. Mein Job ist weg, und ich kann schaun, wo ich die Butter aufs Brot verdien.«
»Genau darüber wollten wir mit Ihnen reden.« Martin berührt den Arm des Tauchlehrers andeutungsweise, um Mitgefühl auszudrücken. Der zieht seinen Arm sofort weg und schaut den Wiener Kieberer böse an.
»Ah, wollt’s mir eppa an Job bei der Polizei anbieten?« Er lacht spöttisch. »Oder a paar Nedsch für Informationen über den Benni? Ich weiß nix über seine Mauscheleien. Nur eins: Der Mörder war sicher ein Ehemann, dem der Benni Hörner aufg’setzt hat. Der hat sich ja quer durch seine Tauchkurse g’vögelt – ohne Rücksicht auf Verluste.«
Martin und Franz sind zwar hier, um Resetarits als Tauchlehrer zu engagieren, aber ganz nebenbei sind sie halt auch Krimineser. »Wie kommen Sie denn auf Mord?«
»Na, Selbstmord hat der Benni sicher ned begangen. Und an Altersschwäche wird er auch ned g’storben sein. Und ein Tauchunfall? Dass ich ned lach.«
»Haben Sie einen bestimmten Ehemann in Verdacht?«
Leo antwortet mit bitterem Unterton. »Einen? Der Benni war schließlich international unterwegs. So, und jetzt muss ich. Wenn ihr mehr wissen wollt’s, könnt’s mich ja vorladen.« Er wendet sich zum Gehen und steuert auf ein vor dem Geschäft geparktes Motorrad zu.
»Nein, nein, eigentlich haben wir ganz ein anderes Anliegen.« Franz hält seinen Rettungsanker in Gestalt des Tauchlehrers am Arm zurück. »Wir wollten Sie fragen, ob wir unter Ihrer Anleitung den Tauchkurs fertigmachen können.«
Der junge Mann dreht sich erstaunt um. »Ja, warum sagt’s denn des ned gleich? Sicher. Wenn die Marie stimmt, auf jeden Fall.«
Da die Kursteilnehmer bei Benni Meisel bisher nur eine Anzahlung geleistet haben und der Rest der Kursgebühr nach Abschluss des Kurses fällig wäre, kann das wohl für niemanden ein Problem sein, überlegt Franz. Jetzt, mit Aussicht auf einen Tauchschein, hat sich seine Laune schlagartig verbessert.
***
Am nächsten Tag sitzen sie gemeinsam mit Professor Neumann in Weiden am Neusiedler See in einem Gastgarten und essen Steckerlfisch. Eine lokale Spezialität, Empfehlung von Neumann, der Martin und Franz dorthin auf ein kleines Mittagessen einlud. Beide loben das Essen und meinen es auch so. Die in einer Gewürzmischung marinierten Fische werden auf Steckerln vulgo Spießen über dem Holzkohlengrill gebraten und schmecken himmlisch. Franz liebäugelt noch mit einer Nachspeise, beherrscht sich aber im Gedenken an seine gestrige Mangalitza-Orgie. Ein Wunder, dass er beim heutigen Tauchgang mit Leo überhaupt in seinen Neoprenanzug gepasst hat.
»Da ist aber schon noch eine weitere Einladung von mir fällig, lieber Glück! Das war jetzt einfach ganz spontan.« Neumanns Freude über die VIP-Karten war überschwänglich. »Ich klemme mich auch hinter die Obduktion von eurem Tauchlehrer, versprochen. Ich werd den Ferenczy ordentlich antreiben. Ich kann eh gut mit dem, der war schon bei uns zum Essen, ein sehr gemütlicher Abend.«
Martin widerspricht nicht. »Kann man denn schon sagen, ob es ein Unfall war?«
Neumann kichert völlig unmotiviert. »Also, jetzt noch nicht. Der Kollege hat ihn sich heute nur ganz oberflächlich angeschaut. Keine äußeren Verletzungen, keine Druckspuren. Wenn er aufgeschnitten ist, werden wir mehr wissen.«
Der Rest des Gesprächs dreht sich um Sturm Graz, weshalb Martin und Franz nicht böse sind, als Neumanns Handy läutet und er von seiner Zahnärztin nach Hause beordert wird. Gerade als er aufsteht, zeigt sein Telefon eine weitere Nachricht an, die er sofort teilt: »Ferenczy hat schon geschnitten und festgestellt, dass die Lunge frei von Wasser ist. Ertrunken ist er also nicht, was einem bei einer Wasserleiche schon zu denken geben sollte. Aber jetzt adieu und bis morgen.« Und fort ist er auf dem Weg zu seiner Zahnärztin, die er ebenso liebt wie fürchtet.
»Das heißt also, dass Benni schon tot war, als er ins Wasser fiel.« Martin sieht Franz an, der immer noch hungrig wirkt. Doch der bestellt nur noch ein Glas Weißwein. Martin als Fahrer trinkt Mineralwasser. Sie spekulieren kurz über einen Herzinfarkt, aber das wäre enttäuschend, und so einigen sie sich darauf, den morgigen Obduktionsbericht abzuwarten.
»Ich wollt mit dir eh was Privates besprechen«, fängt Fassl an und kratzt sich verlegen am Kopf.
Martin sieht seinen Freund erwartungsvoll an. »Geht’s um deine Heidi?«
Franz druckst: »Nein, es geht um dich … also eigentlich um Gloria.«
Martin steht auf der Leitung, bis Franz endlich zur Sache kommt: »Schau, ich versteh ja, dass du in einem schwierigen Alter bist, bald fünfzig und so. Da kann man schon mal ein bissel Panik schieben. Aber es damit zu kompensieren, dass man sich auf eine Dreiundzwanzigjährige stürzt, um die Jugend quasi zurückzuholen … Ich weiß eh, dass es mich nichts angeht, aber ich bin dein Freund, Martin, und ich will dich nur vor einer kolossalen Dummheit bewahren.«
Martin weiß im ersten Moment nicht, ob er das beleidigend oder einfach nur komisch finden soll. Entscheidet sich für Letzteres und lacht Franz an – und aus. »Also, die Jugend will ich mir mit Gloria nicht zurückholen, lieber Freund. Ich denke da eher an Familiengründung.«
Franz verschüttet den Wein, von dem er gerade einen Schluck nehmen wollte.
In Martins Stimme schwingt fast ein wenig Stolz. »Ich glaube nämlich, dass Gloria meine Tochter ist.«