KAPITEL 21
: CONFUSING
Ein berstender Schmerz zerriss seinen Körper, und Okijen schrie auf. Von KAMIs Schlag zurückgeworfen, krachte er hart mit dem Rücken auf den Boden, die Splitter seines Arms willkürlich um ihn verteilt. Mit zusammengebissenen Zähnen, sein Sichtfeld bereits verschwimmend, versuchte er, sich zumindest halbwegs in eine aufrechte Position zu bewegen.
Andra. Es ging ihr gut. KAMI hatte von ihr abgelassen.
Er stützte sich auf seinen übrigen Unterarm, schob sich von dem Wesen fort, das nun in aller Gelassenheit auf ihn zusteuerte. Aber es war hoffnungslos. Scheiße, sein Körper gehorchte ihm nicht mehr. Es war, als hätten die elektronischen Verbindungen in ihm einen Schock erlitten und aufgehört, zu funktionieren.
»Ich wusste doch, dass ich dich kenne«, sagte KAMI. Andra, noch immer hinter ihm am Boden liegend, regte sich kaum, während der andere Kerl inzwischen versuchte, den beiden übrigen Moja die Stirn zu bieten. » Du bist das.«
»Was meinst du damit?«, fragte Okijen mit zusammengebissenen Zähnen. Gerade hatte er das Gefühl, sich aufrichten zu können, als KAMI auf ihn zusprang und einen seiner nackten Füße auf seinen Oberkörper stellte. Mit übermenschlicher Stärke drückte es ihn wieder zu Boden.
Okijen keuchte auf, als er etwas in sich splittern fühlte. »Ich habe schon so oft gegen dich gekämpft. Du bist einer der Schlimmsten.«
»Wenn du nicht unschuldige Menschen töten würdest, hätte ich das nie tun müssen!« Der Druck auf seiner Brust ließ im nächsten Moment etwas nach. Hatte es gemerkt, dass es ihm wehtat, oder war es zu konzentriert auf das, was es sagen wollte? Sein Blick verlor sich abermals in unbestimmten Gefilden. Etwas in seinem Kopf schien noch nicht zusammenzupassen.
»Euer Konzept von Unschuld ist willkürlich«, sagte es tonlos. »Ein Mensch, der in seinem Leben nie in die Situation gerät, moralische Grenzen überwinden zu müssen, ist nicht besser als jemand, der Falsches tut, um sein Überleben zu sichern. Gib allen Menschen dieselben Voraussetzungen und dieselbe Situation, und alle sind gleich. Ob ich aus euren Augen Schuldige oder Unschuldige töte, spielt keine Rolle.«
»Das ist …« Okijen hustete und versuchte, sich unter der Last des Wesens hervorzuwinden, was das Gewicht auf ihm nur wieder verstärkte. »Das ist eine bestechende Logik, die du da hast«, stammelte er. »Wie wäre es, wenn du sie dazu einsetzt, Gutes zu tun?«
»Es gibt kein Gut und Schlecht, kein Richtig und Falsch. Diese Dinge existieren nur in euren Köpfen. Indem ich mir eure Gehirne zu eigen mache, nehme ich euch den Schmerz.«
Okijen stöhnte. Der Schmerz, den das fehlende Körperteil hinterlassen hatte, zog sich bis tief in seinen Rücken, an seinem Hals hinauf und in seinen Kopf hinein.
»Also bist du nicht der Ansicht, das Richtige zu tun?«, fragte er. Je länger er das Ding beschäftigte, umso mehr Zeit würde Andra haben, zu sich zu kommen und von hier zu verschwinden.
»Du fragst, ob ich …« Eine tiefe Falte bildete sich zwischen ihren Augenbrauen. »Du fragst, ob ich richtig finde, was ich tue?«
»Ja«, krächzte er und packte nach dem Fuß auf seiner Brust. Als würde er Tonnen wiegen, gelang es ihm nicht einmal mit seinen technischen Muskeln, das Ding auch nur einen Millimeter von sich zu bewegen. Das Wesen war vollkommen unbeeindruckt, schien mehr aus der Bahn gebracht von dem, was er gesagt hatte, als von dem, was er tat.
»Ich tue, was ich tue, weil … ich dafür geschaffen wurde«, sagte es dann, schien aber mit der Antwort auch nicht recht zufrieden zu sein. »Oder weil es das Einzige ist, das noch zu tun ist.«
»Das ist keine sonderlich gute Begründung«, spottete Okijen, und KAMI verstärkte den Druck auf seiner Brust zur Strafe ein wenig mehr. Sie hob den Kopf und sah mit erhobener Nase auf ihn hinab. »Die Menschen«, brachte er hervor, »haben dich nicht absichtlich erschaffen. Du kannst damit aufhören, deinen Plan durchzuziehen. Wir brauchen dich nicht.«
»Ihr braucht mich nicht?«
»Nein. Wir sind sehr gut ohne dich ausgekommen. Du musst uns nicht mehr helfen.«
KAMI verengte die Augen leicht. Die anfängliche Verwirrung wandelte sich in pure Entschlossenheit. »Doch«, erwiderte es. »Sieh dich nur an. Du leidest. Du denkst, du bist stark, weil dein Körper modifiziert wurde. Doch du hast Schmerzen, genau wie sie. Genau wie alle.« Es schüttelte verständnislos den Kopf. Der Schmerz in Okijens Brust war inzwischen so heftig, dass er seinen Blick nicht mehr abwenden konnte, um zu den anderen beiden zu sehen. »Warum bekämpfst du uns? Es würde dir guttun, zu sterben. Und … ja … von allen auf diesem Planeten bist du vermutlich am meisten so wie ich.«
»Im Gegenteil.« Okijen wollte schreien, aber es war ihm kaum mehr möglich, einzuatmen. Seine Worte waren kaum mehr als ein heiseres Krächzen. »Ich habe wenigstens ein Herz«, flüsterte er.
Die Sonne spiegelte sich in ihren hellen Augen, während ihre Blicke seinen Körper untersuchten .
»Ein Herz?«, fragte sie, und Okijen nickte. »Aber … dein Herz ist doch mechanisch.« Plötzlich war alles Gefährliche aus ihrem Gesicht gewichen. Neugierig wie ein Kind musterte sie ihn. »Oder hast du ein zweites?«
Und Okijen lachte, auch wenn alles in ihm schmerzte. Er lachte so herzhaft, dass er Tränen in seinen Augen spürte.
»Ich spreche von Mitgefühl«, erklärte er. Etwas tief in seinem Körper kribbelte. Die Generatoren, die sein Herz und alles andere in ihm antrieben, waren offenbar nicht dauerhaft beschädigt worden. Ihre Energie kehrte langsam in sein Inneres zurück. Er musste versuchen, sie zu sammeln. »Von Güte, Liebe und Treue.« Konzentration, jetzt. Nur noch ein bisschen! »Das sind Emotionen, die du nicht kennst, oder?«
KAMI schüttelte seinen Kopf. »Warum sollte ich? Diese Emotionen führen immer ihr Gegenteil mit sich. Das sind keine Eigenschaften, die dir im Kampf nutzen.« Sie beugte sich ein Stück zu ihm hinab. »Dieses zweite Herz macht dich ziemlich schwach, oder?«
Und als sie nach seinem Gesicht tasten wollte, gelang es Okijen endlich, seine Energie zu bündeln.
Mit einem Ruck packte er KAMIs Fuß auf seiner Brust, und noch bevor sie sich ihm entwinden konnte, jagte er einen Stromstoß durch ihren Körper, der sie mehrere Meter von ihm fortschleuderte.