Kapitel 1

 

Die Entnahme

Aikawa, Japan 1. Juli 2021

 

Auf dem Steg unterhielten sich die Jugendlichen des kleinen Fischerdorfs und lachten miteinander, während sie das Meer aufmerksam und hoffnungsvoll im Auge behielten. Es war fast zehn Uhr abends, aber sie waren im Juli weit genug im Norden, dass es noch nicht dunkel war. Leider hatte der aufkommende Nebel schnell alles verdunkelt, was sich im Umkreis von einem Meter von der Wasseroberfläche befand, so dass die Sicht auf nicht viel mehr als die Länge des Stegs geschrumpft war.

Die sechs Mädchen und zwei Jungen, alle zwischen zwölf und sechzehn Jahren, warteten auf die Rückkehr von vier Fischerbooten in ihren Hafen an der Westseite der Insel Sado. Schließlich nahmen sie das Geräusch eines sich nähernden Bootsmotors wahr, und nach einigen Minuten erspähte eines der Mädchen den Bug eines Bootes, das langsam unter der Nebelbank hervorkam. Es war seltsam, dass das Schiff kein Licht hatte, aber die Jugendlichen schenkten dem wenig Beachtung. Sie wussten alle, dass es mindestens eine halbe Stunde dauern würde, ein Boot anzulegen, den Fang aus dem Laderaum zu holen und den Fisch in Körbe zu packen, um ihn in eine der gemeinsamen Gefriertruhen zu bringen.

Die Erkenntnis, dass die Bootsführer nicht zu Aikawa gehörten, kam plötzlich. Drei Männer sprangen aus dem Boot, alle mit automatischen Waffen bewaffnet. Einer von ihnen sprach gebrochenes Japanisch. »Wenn ihr einen Laut von euch gebt, werdet ihr erschossen. Steigt ins Boot.«

Als eines der Mädchen zu schreien begann, erhielt es eine schallende Ohrfeige und anschließend ein Gewehr an den Kopf gehalten. Es würde keinen weiteren Lärm geben. Die acht jungen Leute aus dem Dorf wurden schnell auf das Boot geladen und dann über eine Leiter in den Laderaum gestoßen. Einer der Männer hielt ihnen einen Sack hin. »Handys.« Sie traten alle vor und gaben ihre Geräte ab. Keine zwei Minuten nach der Ankunft drehte das Boot den Motor, wendete und fuhr über das Japanische Meer nach Westen, wo es innerhalb von dreißig Sekunden vollständig im Nebel verschwand.

Nach weniger als einer Stunde und etwa zwanzig Meilen auf See betraten zwei der Bootsmänner den Laderaum des Schiffes und packten jeweils einen der Teenager. Durch Schieben, Stoßen und andere Gesten machten sie den Jungen klar, dass sie an Deck gehen sollten. Die Mädchen begannen ebenfalls, die Leiter hochzuklettern, wurden aber von einem Besatzungsmitglied mit einer Maschinenpistole zurück nach unten gewunken, und die Luke wurde geschlossen.

An Deck schätzten die Jungen sorgfältig die Chancen von vier zu zwei ab, rechneten mit den Waffen und beschlossen, den Anweisungen zu folgen. Schnell wurden ihnen ölige Lappen in den Mund gestopft, damit sie nicht schreien konnten, dann wurden ihnen die Hände auf den Rücken gebunden. Schließlich wurde ihnen ein kleiner Betonblock um die Knöchel gebunden, bevor sie auf der Steuerbordseite des Schiffes positioniert wurden. Der Bootsmann, der ihre Sprache beherrschte, grinste hämisch, bevor er einfach sagte: »Wir werden sehen, wie gut ihr Nips schwimmen könnt«, und sie wurden zusammen mit der Tasche mit den Handys über Bord geworfen.

Als die Jungen nach einer halben Stunde nicht in den Laderaum zurückkehrten, begannen die Mädchen, nach ihnen zu rufen. Sie erhielten keine Antwort. Schließlich beschlossen sie, zu versuchen, etwas Schlaf zu bekommen. Der Laderaum roch nach jahrzehntelang toten Fischen, und je länger sie eingesperrt waren, desto stinkender wurde er. Je länger die Nacht dauerte, desto schwieriger wurde es für jeden von ihnen, ausreichend Sauerstoff zu bekommen. Ihre Augen waren gereizt und brannten, und alle bekamen Kopfschmerzen. Zwei der Mädchen hämmerten gegen den Rumpf und schrien die Männer über ihnen an, sie sollten doch wenigstens die Luke öffnen und etwas Luft hineinlassen. Es schien Stunden zu dauern, bis die Luke endlich aufgestoßen wurde. Alle Mädchen versammelten sich so nah wie möglich an der Öffnung, in der Hoffnung, endlich atmen zu können.

Am nächsten Morgen erfuhren die Gefangenen, dass die Jungen freigelassen worden waren, als das Schiff an einer nahe gelegenen Insel vorbeifuhr. Für den Rest der Reise richtete die Besatzung ihre volle und uneingeschränkte Aufmerksamkeit auf die Mädchen. Die kleinste von ihnen zog sich in eine Ecke zurück und erklärte, sie sei erst neun Jahre alt.

 

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