24. Februar 00 Uhr 22

Kirstine

»Sie schläft jetzt.« Kirstine hatte an Victorias Bett gesessen, bis diese sich endlich beruhigt hatte.

»Sie war völlig erschöpft, konnte aber trotzdem nicht einschlafen. Sie hat die ganze Zeit vor Kälte gezittert.«

Kirstine ließ sich neben Kamille fallen, die zusammengesunken am Fußende von Malous Bett saß. Während sie Victoria versucht hatte zu beruhigen, war sie selbst erstaunlich gelassen gewesen, doch nun kehrte das Unbehagen zurück.

»Und jetzt? Was zur Hölle sollen wir machen?« Kamille, die ansonsten vor Energie regelrecht übersprudelte, klang verzweifelt und entmutigt. Vielleicht hatte sie einfach nur genau so viel Angst wie Kirstine.

»Ist es nicht naheliegend?« Malou stand vom Bett auf und stellte sich mitten in den Raum. »Die Lehrer haben sich geirrt, wir haben uns geirrt. Es war kein Geist, der sich Annes bemächtigt hat. Es war nicht Trine. Es handelt sich hier um zwei unterschiedliche Dinge, einen alten Mord und einen neuen Überfall. Und das bedeutet, dass jetzt gerade vermutlich irgendein kranker Psychopath die Schule unsicher macht. Und Trine kann uns nicht sagen, wer es ist – aus irgendeinem merkwürdigen Grund, den wir nicht kennen – also müssen wir die Teile selbst zusammenfügen.«

»Von welchen Teilen sprichst du, Malou? Wir haben keine Teile. Wir wissen überhaupt nichts«, wendete Kamille ein.

»Das ist nicht wahr. Wir wissen jede Menge. Kommt schon, wir gehen alles noch mal durch.«

»Malou, wir haben die ganze letzte Stunde nichts anderes gemacht, wir kommen so nicht weiter. Du bist ja geradezu besessen davon, ein Muster darin zu erkennen, aber was, wenn es doch alles nur Zufall ist, und ’nen Scheiß beweist?«

Einen Augenblick lang verschlug Kamilles Ausbruch Malou die Sprache. Dann schien sie sich wieder zusammenzureißen.

»Du bist müde, das sind wir alle, aber Kirstine war doch nicht dabei, als wir darüber gesprochen haben. Vielleicht fällt ihr ja noch was auf, das uns entgangen ist.«

»Na gut, Malou, dann eben noch einmal. Du tust doch sowieso, was du willst«, murmelte Kamille und wickelte sich in die Bettdecke.

»Also«, sagte Malou, die Kamilles Kommentar ignorierte. »Wir wissen, dass Trine im Jahr 1989  getötet wurde. Das gibt uns eine Orientierung, um ihren Mörder zu finden. Wir wissen außerdem, dass der Täter nicht derselbe ist, der Anne überfallen hat, dass die Vorfälle aber dennoch in Verbindung miteinander stehen. Und wir wissen, dass dieser Psychopath wieder zuschlagen wird und er alle magischen Zweige beherrscht.«

»Das kann man gar nicht«, warf Kamille ein. »Alle Magier können zwar magische Handlungen ausführen, die den anderen Zweigen angehören, aber man hat immer einen Zweig, der am stärksten ist.«

»Genau das hat Trine aber gesagt.«

»Vielleicht wusste sie nur nicht, welchem er angehört. Vielleicht ist ihre Nachricht so zu verstehen?«, schlug Kirstine vor.

»Was wiederum bedeutet, dass wir nichts in der Hand haben«, blaffte Kamille.

»Wir wissen, dass er Heiligabend in der Schule war«, sprach Malou unbeirrt weiter. »Und dass er Anne angegriffen und sie so verletzt hat, dass sie überall blutete.«

»Und der Stern«, warf Kirstine ein. »Ich bin sicher, dass er eine Bedeutung hat. Der Täter hat aus Annes Körper ein Pentagramm geformt.«

»Wofür steht das Pentagramm?«, fragte Malou.

»Das weiß ich nicht«, sagte Kirstine, »aber vielleicht hat es mit Trine oder einem anderen Geist zu tun. Vielleicht sollte es sie fernhalten. Lisa hat mir erklärt, dass der Stern früher auch als Drudenfuß bezeichnet wurde, und man verwendete ihn, um Geister abzuschrecken.«

»Und der Ball«, rief Malou. »Als Victoria Trine fragte, was wir tun sollen, hat sie ›der Ball‹ geschrieben. Was hat das zu bedeuten?«

»Der Frühlingsball«, flüsterte Kirstine.

»Was?« Kamille blickte verwirrt in die Runde.

»Molly hat uns davon erzählt«, erklärte Kirstine. »Der findet für den Abschlussjahrgang statt.«

»Na klar«, sagte Malou. »Der Frühlingsball. Da müssen wir unbedingt hin. Und rauskriegen, wer Anne überfallen hat. Bevor er wieder zuschlägt.«

Trine …

Trine …?

Warum hast du mich verlassen? Weshalb bist du zu mir gekommen, wenn du mich ja doch nur wieder verlassen wolltest? Nach allem, was ich für dich getan habe? Nachdem ich das Rätsel gelöst habe, das du mir aufgegeben hast? Ich kann dich nicht spüren, nicht hören, aber ich weiß, dass du mich hörst. Weit über all jenen kleinen, nutzlosen Menschenschicksalen schwebe ich. Und ich rufe. Ich rufe nach dir. Aber du schweigst, und dein Schweigen lässt mir keine andere Wahl. Du zwingst mich es zu tun, Trine.