15   Hobgoblin gegen Superheld

Wenn es meinen rasenden Wachhund und den Bach zwischen uns und der Kreatur nicht gäbe, würde ich wohl blitzschnell kehrtmachen und wild schreiend nach Hause rennen. Aber da ist noch mehr. Vor allem die Möglichkeit, dass dieses Vieh irgendwo da draußen im Wald Mama gefangen halten könnte. Also bleibe ich, wo ich bin, wie festgewachsen im Boden. Ich strecke mein Schweizer-Armeemesser vor, mit der größten Klinge, die es hat. Gary schnappt sich einen dicken Ast und hält ihn wie einen Baseballschläger über den Kopf. Carl versteckt sich hinter uns. Er ist wirklich zu nichts zu gebrauchen.

So halten wir die Stellung – ich, Gary und Tucker. Der Hobgoblin bewegt sich auch nicht. Wie im Fernsehen stehen wir uns mit gezückten Waffen gegenüber und rühren uns nicht. Wenn doch bloß Kommissar Chase Cooper da wäre. Auf einmal höre ich hinter uns noch mehr Geräusche – erst das Rascheln und Knistern von trockenem Laub unter Stiefelsohlen, dann ein klackendes Scharren: eine Flinte, die geladen wird. Mein Herz rast. Da sind noch mehr Hobgoblins. Sie haben Gewehre. Wir sind umzingelt. Mit einem Ruck drehen wir uns um, Carl mit einem Keuchen, Gary und ich mit den Waffen hoch über unseren Köpfen, bereit für den Kampf mit den Hobgoblins.

Aber da steht, nur ein paar Schritte weit weg, Dylan Mathews. Der Widerschein der Flammen zuckt über sein zerschlagenes Gesicht, was wie eine Kriegsbemalung aussieht. Neben ihm liegen ein Rucksack und ein zusammengerollter Schlafsack, sein Gewehr hat er im Anschlag auf der Schulter. Der Lauf zielt direkt auf den Hobgoblin. Die Luft wird mir knapp, als ich ihn anschaue. Mein ganz persönlicher Superheld tritt vor, und wir weichen zur Seite weg wie das Rote Meer vor Moses. Sein Blick heftet sich laserartig auf den Hobgoblin; uns scheint er gar nicht zu sehen. Er geht zum Bachufer und stellt sich neben Tucker, der sofort begreift, dass das hier ein Verbündeter ist und kein Feind. Er konnte Leute schon immer gut einschätzen.

»Mordie«, sagt Dylan laut und mit so fester Stimme, dass auch Tucker zu bellen aufhört. »Hau ab hier, sofort. Dreh dich um und geh.«

Der Hobgoblin steht regungslos da und richtet seine Alligatoraugen jetzt auf Dylan. Tucker knurrt, wie um Dylans Kommando zu unterstreichen. Aber das Wesen bewegt sich nicht.

»Das mein ich ernst, Mordie«, ruft Dylan und macht noch einen Schritt nach vorne. »Scher dich nach Hause.«

Der Hobgoblin starrt ihn an. Ein paar angespannte Sekunden vergehen, bevor er sich langsam zurückzieht, ohne die Augen von Dylan zu lassen. Dann verschwindet er endlich in den Schatten des Waldes. Dylan senkt seine Flinte und starrt auf den Fleck in der Dunkelheit, wo sich der Hobgoblin anscheinend in Luft aufgelöst hat.

»Heilige Scheiße!«, ruft Gary ein bisschen zu laut. »Das war Wahnsinn

Tucker kommt zu mir, er hechelt wie verrückt. Ich starre Dylans strohblonden Hinterkopf an, bis er sich umdreht und uns ansieht. Der Bluterguss in seinem Gesicht ist im Feuerschein nicht so deutlich zu erkennen, aber seine Lippe ist immer noch geschwollen.

»Was zum Teufel war das für ein Vieh?«, will Gary wissen. Aufgedreht läuft er vorm Feuer auf und ab.

»Hobgoblin«, sage ich, ohne nachzudenken.

Dylan sieht mich mit zusammengekniffenen Augen an. »Hobgoblin?« Er schüttelt den Kopf und kichert ein bisschen, was mich sofort rot anlaufen lässt. Dann geht er zu seinem Rucksack und kniet sich daneben. Nachdem er seine Peterbilt-Kappe vom Boden geklaubt und aufgesetzt hat, holt er eine Flasche mit Wasser aus dem Rucksack und stürzt alles in einem Zug runter.

»Ihr Jungs solltet nicht hier draußen sein, so tief im Wald.« Dylan sieht mich an, ein bisschen außer Atem. Er klingt wie ein Erwachsener, der mit uns schimpft.

Ich schaue kurz in seinen geöffneten Rucksack. Unser Gepäck ist voll mit Knabberzeug und süßen Getränken, er hat vor allem Klamotten dabei, wie für eine richtige Reise. Als er meinen Blick sieht, schließt er den Rucksack schnell wieder.

»Was machst du hier draußen?«, frage ich ihn ganz direkt, auch wenn ich noch nie im Leben so froh über eine Begegnung gewesen bin.

»Jagen«, sagt er. »Aber ihr Jungs seid verdammt laut, ihr scheucht alle Tiere weg.«

Ich deute mit dem Kinn auf seinen Schlafsack. »Und wie lange willst du auf der Jagd sein?«

Er schießt einen scharfen Blick auf mich ab, der mich verstummen lässt. So guckt Papa auch manchmal.

Während er sich aufrichtet, betrachte ich Dylan von Kopf bis Fuß. In den Jeans, der Armeejacke über dem weißen T-Shirt und den Wanderstiefeln könnte er schon als Jäger durchgehen. Aber zum Jagen ist es ein bisschen zu spät und zu dunkel. Irgendwas stimmt hier nicht. Doch im Augenblick gibt es Wichtigeres als die Frage, warum er wirklich hier ist.

»Du hast dieses Ding Mordie genannt«, sage ich.

Er nickt, als wäre es ganz normal, dass Hobgoblins Menschennamen haben und dass er persönlich einen kennt.

»Mordecai Mathews«, sagt er. »Der Cousin von meinem Vater.«

Als ich den Namen höre, hämmert mein Herz laut los.

»Verdammt, das war Mordecai Mathews?« Gary ist genauso fassungslos wie ich. »Ich dachte, der wär tot.«

Das habe ich auch gedacht. Oma hat Mordecai Mathews immer einen schlimmen Finger genannt oder einen nichtsnutzigen Trunkenbold. Die meisten Leute fanden ihn sonderbar, aber harmlos – bis Peetie Munn vor ein paar Jahren verschwunden ist. Ich kannte ihn nicht wirklich. Er war ein bisschen jünger als ich und nicht in der Schule, seine Eltern haben ihn zu Hause unterrichtet. Ich weiß noch, wie die Leute damals getuschelt haben, Mordecai Mathews hätte ihm was Schlimmes angetan. Aber nachdem die mieseste Polizeistation der Welt ihn nach einer Weile hat laufen lassen, ist Mordecai abgetaucht. Er war weg. Tot oder nur weg aus der Stadt, das wusste keiner. Jedenfalls keiner außer Dylan, wie es aussieht.

»Er lebt schon ziemlich lang hier draußen im Wald«, erklärt Dylan und reibt sich den Nacken, genau wie Papa manchmal. »Bin ihm beim Jagen paarmal über den Weg gelaufen, aber näher rangekommen ist er noch nie.«

Ich denke an Mama und den armen Peetie Munn. Da stellt sich doch gleich die Frage, ob der dämlichste Kripobeamte der Welt jemals auf die Idee gekommen ist, dass die beiden Fälle was miteinander zu tun haben könnten. Wahrscheinlich nicht. Frank weiß bestimmt nicht mal, was eine Cold-Case-Ermittlung ist. Wenn er mehr Krimis gucken würde, wüsste er, dass es ganze Serien über solche unaufgeklärten Fälle gibt.

»Ist er gefährlich?«, frage ich.

Dylan zuckt mit den Achseln und setzt sich auf den Baumstamm neben dem Feuer. »Der ist ein großer Kerl, der kann zulangen, wenn er will. Mein Dad hat mir so’n paar verrückte Sachen über Mordie erzählt. Anscheinend ist der nicht ganz richtig im Kopf.«

Ich setze mich rechts neben Dylan, bevor Gary oder Carl mir den Platz wegschnappen. Carl kniet sich neben Tucker, der von der Aufregung vollkommen am Ende ist und so doll hechelt, dass sich sein Brustkorb immer wieder weit aufspannt und dann wieder eng zusammenzieht. Er sieht aus wie ein großes Akkordeon mit Fell.

Dylan schüttelt den Kopf wie über einen Haufen dumme kleine Kinder, die nicht hören wollen. »Ich denk mal, ich kann schon bis morgens bei euch bleiben. Aber dann müsst ihr Jungs echt zurück zum Waldrand.«

»Das geht nicht«, sage ich in einem weinerlichen Tonfall, auch wenn ich das gar nicht will.

Erst als sich Dylan zu mir dreht, merke ich, wie dicht neben ihn ich mich gesetzt habe. Sein Gesicht ist so nah bei meinem, dass mich sein Nikotinatem in der Nase kitzelt. Normalerweise finde ich Zigarettengeruch grässlich, aber bei Dylan wirkt das ganz anders. Eher wie Feenschimmer, jedenfalls wird mir schwindlig, und alles fängt an zu kribbeln.

Ich schaue ihm direkt in die Augen und bemühe mich, meine Stimme fest klingen zu lassen. »Ich muss die Flüsterer finden. Sie wissen, wo meine Mama ist.«

Dylan erwidert meinen Blick, in seinen traurigen rostbraunen Augen spiegeln sich die Flammen. Dann wirft er Gary einen Blick zu, doch der zuckt nur mit den Achseln. Schließlich senkt er den Kopf und seufzt wie ein müder alter Mann. Er nimmt die Kappe vom Kopf, wischt sich mit der Hand über die Brauen und setzt sie sich wieder auf. Das kommt mir total erwachsen vor, als ob Dylan ein richtiger Mann wäre, eingesperrt in den Körper von einem Vierzehnjährigen. Wobei er natürlich ein Vierzehnjähriger ist, der der Pubertät schon viel früher als andere einen ordentlichen Tritt verpasst hat.

Wir betrachten ihn alle. Sogar Tucker liegt da und starrt zu Dylan hoch, wie um Anweisungen entgegenzunehmen. Das liegt an seiner Art – Dylan hat jetzt eben das Sagen, und ohne eine Entscheidung von ihm sind wir hilflos. Wieder seufzt er, laut und auch ein bisschen verärgert, weil wir seinen Plan durchkreuzen, was auch immer er vorgehabt haben mag. Wahrscheinlich abzuhauen, danach sieht es jedenfalls aus.

»Schlaft ein bisschen«, sagt er nach einer Weile und schaut uns an. »Ich bleib auf und halt Wache, falls Mordie doch noch mal aufkreuzt.«

Erleichtert atme ich aus. Ich fühle mich gleich viel sicherer und will nicht mehr auf der Stelle nach Hause rennen mit lautem Gebrüll – so wie sich die Prediger bei den großen Versammlungen der Christengemeinden die Seele aus dem Leib schreien. Aber die Vorstellung, einzuschlafen und mich vollzupinkeln, wenn Gary und Carl dabei sind, war schon schlimm genug. Auf keinen Fall darf das passieren, wenn Dylan hierbleibt.

»Ich bin nicht so müde«, lüge ich. »Ich kann aufbleiben und mit dir Wache halten.«

»Cool«, sagt Dylan, aber ich weiß nicht, ob er das ernst meint oder nur sagt, um mir Honig ums Maul zu schmieren.

Honig ums Maul schmieren hat nicht wirklich mit Honig zu tun. Es geht eher darum, Leuten das zu sagen, was sie hören wollen, damit sie die Klappe halten.

Wie in Ist doch egal, ob Dylan mir nur Honig ums Maul schmiert, denn mit ihm zusammen die ganze Nacht am Feuer zu sitzen ist eine Idee, bei der mir äußerst frohgemut wird.

Gary stochert mit einem armlangen Stock im Feuer herum. »Ich glaub ja nicht, dass überhaupt irgendwer von uns heute Nacht richtig gut schläft. Da können wir doch gleich alle wach bleiben.«

Verräter.

»Ich will nach Hause«, jammert Carl. Das musste ja kommen. Patzer Nummer drei.

»Sei still, Carl«, sage ich und durchbohre ihn mit einem bösen Blick, um ihm klarzumachen, dass er sich zusammenreißen soll. Ich weiß genau, wie das geht, weil Papa mich in den letzten Monaten oft so angeguckt hat.

Dylan schiebt seinen Hintern in den engen Jeans den Baumstamm runter und lässt sich neben Tucker nieder, der sich an ihn schmiegt. Er legt den Arm auf Tuckers Rücken und fährt mit den Fingern durch sein dichtes Fell. Die beiden sehen aus, als ob sie zusammengehören. Ich weiß nicht, auf wen ich eifersüchtiger bin – auf Dylan, weil er mir meinen Hund ausspannt, oder auf Tucker, weil er Körperkontakt mit Dylan Mathews hat, meinem ganz persönlichen Superhelden. Seine Hände sind von der vielen Farmarbeit bestimmt rau, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass mir das viel ausmachen würde, wenn er mir den Rücken kraulen würde – was er natürlich nicht will. Ich weiß, dass ich lange nicht so schön bin wie Dylan, aber ich habe oft gehört, ich wäre süß. Sehr oft sogar.

Danny kommt an, mit einem Videospiel in der Hand. »Mama, kann ich das haben?«

Ich werfe einen Blick auf das Spiel. Da sind ein paar muskelbepackte Armeetypen drauf, also hoffe ich, dass sie Ja sagt. Aber Mama schaut auf den Preis und runzelt die Stirn.

»Das ist zu teuer, Schatz«, sagt sie zu Danny. »Geh und such dir was aus, das weniger kostet. Viel weniger.«

Danny verdreht die Augen und schnaubt. »Mann, immer der gleiche Scheiß, Mama.« Ärgerlich stapft er davon.

Mama ruft ihm hinterher: »Pass auf, was du sagst, junger Mann. Und sei nicht so melodramatisch. Ist bloß ein Spiel.«

Ich greife nach der Großpackung Walmart-Klopapier, die wir immer nehmen, und lege sie in den Einkaufswagen.

»Danke, Button«, sagt Mama, während sie ihre Einkaufsliste prüft.

»Mama?«, sage ich.

Sie streicht das Klopapier durch. »Mhm?«

»Was bedeutet melodramatisch?«

Sie lächelt mich an und tippt sich mit der Kappe von ihrem Tintenschreiber ein paarmal ans Kinn, bevor sie antwortet. »Melodramatisch ist, wenn du einen Riesenaufstand machst wegen irgendwas, das total unwichtig ist und kein Schwein interessiert.«

Ich kichere ein bisschen, weil Mama Danny melodramatisch genannt hat. Und weil sie kein Schwein gesagt hat.

Sie schiebt den Wagen weiter und zwinkert mir zu. »Verwend es in einem Satz, Button.«

Ich kneife das linke Auge zusammen und verziehe den Mund, weil mir das manchmal hilft, gute Sätze für unsere Wörter zu finden.

»Oma hat ziemlich melodramatisch reagiert, als Mr Killen die Birds-Eye-Tiefkühl-Erdbeeren nicht mehr hatte.«

Mama lacht laut los, ihr ist ganz egal, dass alle im Supermarkt sie hören können. »Das hat sie wirklich. Der war gut, Button.«

»Carolyn?«, ruft da eine Frauenstimme. »Carolyn James?«

Mama und ich schauen auf und sehen eine dunkelhaarige Frau mit einem Einkaufskorb, die uns anlacht. Sie ist spindeldürr und sieht okay aus – keine Schönheitskönigin wie Mama, aber dafür kann sie ja nichts.

»Sandy?«, fragt Mama überrascht. Die beiden gehen aufeinander zu und umarmen sich.

»Ich wusste gar nicht, dass du in der Gegend bist«, sagt Mama und hält die Frau ein Stück weit von sich weg. »Wie lange ist es her, zwei Jahre?«

»Jedenfalls zu lange«, sagt die Frau. »Meine Mutter liegt mir deswegen schon die ganze Zeit in den Ohren, das kannst du mir glauben. Und jetzt bin ich auch bloß für ein paar Tage da.«

Bevor die Frau mich bemerkt, kommt Danny aus dem Nichts angeschossen und hält Mama ein anderes Spiel unter die Nase – keine muskelbepackten Armeetypen diesmal.

»Können wir uns das hier leisten, Mama?« Typisch Danny, er platzt einfach in das Gespräch.

Mama schiebt das Spiel ein Stück weg und lächelt die Frau an.

»Oh mein Gott!«, ruft die Frau. »Ist das Danny?«

Mama nickt und Danny setzt sein bestes Zahnpastalächeln ein. Das macht er nur, wenn er weiß, dass ihm gleich ein Erwachsener sagen wird, wie gut er aussieht. Ich schiebe mich aus meinem Versteck hinter Mamas Rücken nach vorne. Vielleicht sagt sie über mich ja auch irgendwas Nettes.

»Er war schon immer so ein schönes Kind«, sagt die Frau zu Mama. »Weißt du noch, wie alle gedacht haben, er wär ein Mädchen, als er noch klein war?« Die beiden lachen, die Frau viel lauter als Mama. Danny verdreht die Augen. Das hat er schon tausendmal gehört, und er kann es nicht ausstehen.

»Und jetzt ist er ein unglaublich gut aussehender junger Mann geworden«, sagt die Frau. »Du und Daniel, ihr müsst so stolz auf ihn sein.«

Ich verdrücke mich wieder hinter Mamas Rücken, jetzt doch nervös über die Aussicht, mit Danny und seiner unglaublichen Schönheit verglichen zu werden. Aber Mama macht dabei nicht mit, das merke ich, ihr Körper wird hart. Sie mag nicht, wenn einer von uns glänzt und der andere im Schatten steht. Also macht sie einen Schritt zur Seite und schiebt mich direkt vor die Frau.

»Danke«, sagt Mama. »An Riley erinnerst du dich bestimmt auch noch, oder?«

Die Frau legt den Kopf schief und quetscht sich ein Lächeln ab, was eher aussieht, als hätte sie Verstopfung.

»Natürlich tu ich das.« Dabei klatscht sie mit den Händen auf ihre Oberschenkel, was so wirkt, als ob das zu hundert Prozent gelogen ist. Oder als ob sie mich für ein Hündchen ohne Zuhause hält. »Der kleine Riley. Immer noch so ein süßer Fratz.«

Das war’s. Mehr kriege ich nie. Stattdessen schwänzelt sie gleich wieder um Danny herum und fährt mit den Fingern durch sein dichtes, welliges braunes Haar. Das ist okay. Ich bin es gewöhnt. Kann schon sein, dass Danny schön wie ein Filmstar ist, aber er knallt scharenweise Eichhörnchen ab und ich nicht.

»War wirklich nett, dich zu sehen, meine Liebe, aber ich muss jetzt weiter«, sagt die Frau. »Meine Mutter wartet im Auto, und du weißt ja, wie ungeduldig sie sein kann.«

»Sag ihr schöne Grüße von mir«, antwortet Mama, obwohl sie sich nicht besonders für die ungeduldige Mutter zu interessieren scheint. Die beiden umarmen sich noch mal. Bevor die Frau weggeht, küsst sie Danny kurz auf die Wange und verpasst ihm einen Lippenstiftfleck. Mir wuschelt sie durch die Haare. Ich hasse es, wenn mir Leute durch die Haare wuscheln. Das ist wie ein total dämlicher Trostpreis.

Ein Trostpreis ist ein wirklich beschissenes Abschiedsgeschenk für die Versager in Spielshows, das nicht mal ein Hundertstel so gut ist wie der Hauptgewinn – eher so was wie ein Teilnahmebändchen.

Wie in Als ich auf die Welt gekommen bin, haben Mama und Papa bestimmt gedacht, dass ich ein Trostpreis-Baby bin, weil man nicht zweimal hintereinander den Hauptgewinn kriegen kann.

Mama zieht mich zu sich und drückt meine Schulter. »Danny, leg das wieder zurück. Das ist immer noch zu teuer.«

Im Weggehen schnaubt Danny ärgerlich, aber er gibt keine Widerworte. Ich sehe ihm hinterher, bis er um die Ecke verschwunden ist.

»Meinst du, das bleibt so, für immer? Dass ich hässlich und süß bin?« Keine Ahnung, warum ich das laut ausspreche. Ich habe es gerade gedacht, und die Wörter sind einfach so aus meinem Mund gekommen. Manche Wörter tun eben, was sie wollen.

Mama sieht mich an. »Hey.«

»Hey«, wiederhole ich und schaue zu ihr hoch.

Sie zwinkert mir zu. »Wieso nenne ich dich Button?«

Ich verdrehe die Augen, aber meine Lippen verziehen sich trotzdem zu einem Lächeln. »Wegen dieser komischen Redensart über Knöpfe, die ich nicht kapiere. Button heißt Knopf, und du findest, ich bin so süß wie ein Knopf, stimmt’s?«

Sie nickt. »Stimmt genau. Oder hast du schon mal von einem hässlichen Knopf gehört?«

Ich kichere.

»Und überleg mal, was passieren würde, wenn’s keine Knöpfe gäbe auf der Welt«, sagt sie und reißt die Augen so weit auf, dass sie aussieht, als wäre sie verrückt geworden.

»Wir brauchen Knöpfe, Mama«, sage ich kichernd. »Sonst könnten wir die Hemden nicht zumachen, und die Hosen würden alle runterrutschen.«

Sie schiebt unseren Einkaufswagen ein Stück weiter und nickt energisch. »Ganz genau, mein Schatz. Ohne Knöpfe wäre die Welt ein riesiges Durcheinander.«