Franziska

Was für eine wundervolle, kluge Enkeltochter sie doch hatte! Wenn es ums Einrichten ging, dann waren Jenny und sie ganz auf einer Linie. Drei Tage lang hatten sie gemeinsam mit Kacpar auf verschiedenen Flohmärkten nach schönen alten Accessoires gestöbert und diese in den Gästezimmern verteilt. Gerahmte Stiche mit Motiven der Umgebung, zwei wundervolle Jugendstillampen, die zur Einrichtung passten. Vasen und altmodische Postkartenhalter, eine Schreibtischgarnitur mit Tintenfass und Sandstreuer, sogar einen bezaubernden Nachthafen aus weißem Porzellan hatten sie erworben.

»Es sieht fast so aus wie früher, als ich ein junges Mädchen war«, schwärmte Franziska jetzt, »diese wundervolle Gutshofatmosphäre, nur sehr viel heller und moderner.«

Jenny nickte.

Sie hatte sich mit vollem Einsatz in die Arbeit gestürzt. Würde sie einen solchen Eifer doch bloß für die bevorstehenden Abiturprüfungen aufbringen! Jenny lernte nur selten, und fast schien es Franziska so, als würde sie sich auf den Lorbeeren ihrer erfolgreich absolvierten Probeklausuren ausruhen. Aber die Zeit drängte, und Franziska beschlich der Verdacht, dass sich ihre Enkelin nicht konzentrieren konnte, weil sie Liebeskummer hatte.

»Was macht eigentlich Ulli?«, hatte sie daher ganz harmlos gefragt.

Als Jenny die Schultern zuckte und behauptete, das sei ihr völlig gleichgültig, hatte sie ihren Verdacht bestätigt gesehen.

»Ihr habt euch doch wohl nicht gestritten?«

Keine Antwort war auch eine Antwort. Gerade die Tatsache, dass Jenny nicht mit der Sprache herauswollte, bedeutete, dass es nicht gut um die Beziehung bestellt war.

»Wenn du reden willst, Jenny«, hatte sie ihrer Enkelin angeboten.

»Danke, Oma, aber ich möchte nicht reden.«

Jetzt zupfte Jenny an einer der Gardinen herum und schien nicht recht zu wissen, was sie mit sich anfangen sollte. »Warst du schon bei Bodo in der Restaurantküche?«, erkundigte sich Franziska.

Jenny schüttelte genervt den Kopf. Franziska ahnte, warum. Erika, die Küchenhilfe, hatte ihr erzählt, dass sie von Bodo Bieger verlangt hatte, dass er Eier, Milch und Gemüse der Saison vom Bauernhof ihres Vaters bezog, doch der hatte sich nicht festnageln lassen wollen. Bei gutem Wetter war das Restaurant inzwischen besser besucht, samstags kamen außerdem oft Familien aus der Umgebung, weil der Koch ein günstiges Abendmenü mit fünf Gängen anbot. Auf Wunsch auch mit Geburtstagstorte – das hatte Paul Riep eingeführt, und es hatte Schule gemacht. Für das Gutsrestaurant war das die beste Werbung bei den Einheimischen – der Bürgermeister, der hier seinen Geburtstag feierte.

»Bringt doch eh nichts«, knurrte Jenny jetzt tatsächlich und versetzte der schönen neuen Kommode einen leichten Tritt.

»Warum rufst du ihn nicht einfach an?«, unternahm Franziska einen Vorstoß. Vielleicht war es ja gut, Jenny aus der Reserve zu locken, und sehr viel schlechter konnte die Laune des Mädels kaum werden.

»Wen?«, gab Jenny mürrisch zurück.

»Du weißt genau, wen.« Franziska verkniff sich ein Schmunzeln. »Männer tun sich schwer mit der Versöhnung, sie glauben immer, das Gesicht zu verlieren, wenn sie den ersten Schritt tun. Man muss ihnen ein wenig entgegenkommen …«

»Ach, Oma!«, stöhnte Jenny. »Darum geht es ja gar nicht.« Sie ließ sich auf ein hübsches Biedermeiersesselchen fallen.

Franziska war davon überzeugt, dass es genau darum ging, aber sie verkniff sich einen Kommentar.

»Um was geht es dann?«

»Es funktioniert nicht!«, stöhnte sie. »Er sitzt drüben in Ludorf mit seinem Max und dem Bootsverleih, und ich bin hier auf Dranitz. Verstehst du? Wir sind wie Sonne und Mond. Wie zwei Seiten einer Münze. Wie sollen wir zusammenkommen? Es geht eben nicht. Aus und fertig!«

»Es wird sich eine Lösung finden, Jenny«, versuchte Franziska zu trösten. »Wenn ihr zwei euch liebt …«

»Max Krumme baut eine Wohnung für uns. Der denkt wahrhaftig, ich würde mit Julchen nach Ludorf ziehen.«

Das war allerdings nicht in Ordnung, und zwar ganz und gar nicht. Dieser Max Krumme war ein schwieriger Eigenbrötler, das hatte sie schon immer gewusst.

»Und was sagt Ulli dazu?«

Jenny griff nach dem Sandstreuer. »Er findet das wohl gut.«

»Das kann ich mir gar nicht vorstellen!«, meinte Franziska. »Ulli ist doch ein vernünftiger Mensch.«

»Das hab ich auch mal gedacht.«

»Und wenn du noch mal mit ihm redest …«

»Ach, Oma!«

Es tat Franziska weh, so gar nicht helfen zu können. Ihre Enkelin drehte sich im Kreis und fand keinen Ausweg, aber sie wollte auch keinen Rat hören.

»Lass sie gehen«, riet ihr Walter, als sie ihm am Abend ihre Sorgen erzählte. »Die beiden müssen sich irgendwie zusammenraufen. Da kannst du weder helfen noch raten.«

Er hatte eine Flasche Rotwein geöffnet und stand auf, um ihr ein Glas zu holen. Franziska tat einen tiefen, unzufriedenen Seufzer und schob den Werbeprospekt, an dem sie eigentlich hatte arbeiten wollen, zur Seite. Sonja hatte wunderschöne Aquarelle gemalt, nur die Texte fehlten noch. Konnte sie denn wirklich gar nichts tun, um den beiden zu helfen? Franziska mochte Ulli, ihrer Meinung nach war er genau der Ehemann, der zu Jenny passte, und ein guter Vater für Julchen war er auch. Außerdem liebten die beiden einander. Es konnte doch nicht sein, dass diese Liebe zerstört wurde, nur weil Max Krumme solch verrückte Ideen hatte. Eine Wohnung in Ludorf! Wenn sich die beiden ein gemeinsames Heim einrichteten, dann würde das natürlich auf Dranitz sein. Wozu hatten sie sonst die beiden Kavaliershäuschen wieder aufgebaut?

»Weißt du, was ich herausgefunden habe?«, fragte Walter und goss ihr ein Glas Rotwein ein.

Ach je. Jetzt musste sie sich wieder seine neuesten Erkenntnisse über das alte Kloster anhören. Sie trank einen langen Schluck Rotwein, fand, dass er ein wenig nach Lack schmeckte, und bemühte sich, ein interessiertes Gesicht zu machen.

»Der Name ›Audacia‹ taucht gleich mehrfach in den Chroniken auf«, berichtete er und wühlte in einem Stapel Fotokopien. »Es wird über die Schenkung einer Adeligen an das Kloster berichtet, das war noch im zwölften Jahrhundert, zu früh für das Grab. Dann gibt es eine Audacia, die Äbtissin war, außerdem ist noch die Rede von einer Audacia, die ein uneheliches Kind bekommen und es heimlich auf dem Friedhof vergraben hat. Sie wurde natürlich entdeckt, und die Geschichte endete schlimm für sie. Das war allerdings wesentlich später. Um 1360 herum.«

»Ach, die Arme! Was haben sie mit ihr getan?«

»Sie wurde des Klosters verwiesen. Was weiter mit ihr geschah, ist nicht bekannt.«

Franziska spürte die entspannende Wirkung des Rotweins und lehnte sich im Sessel zurück. Was für Schicksale. Und all das hatte sich auf diesem Fleck Erde abgespielt. Jahrhunderte zuvor hatten Menschen hier ein Kloster gebaut, Stein für Stein eine Kirche und andere Gebäude errichtet, Nonnen waren eingezogen, hatten ihr stilles, geregeltes Leben geführt, bis ihre Zeit vorüber war und das Kloster verfiel. War das Gutshaus, so wie es jetzt dastand, das erste seiner Art? Oder hatte es Vorläufer gegeben? Würde es in fünfzig Jahren, in hundert Jahren immer noch hier stehen? Sie sah das Bild eines eilig dahinfließenden Gewässers vor sich und spürte, wie ihr schwindelig wurde. Alles hatte seine Zeit, nichts blieb, wie es war, jedes Glück, jeder Kummer verging, fest gemauerte Gebäude verfielen, Schicksale vollzogen sich und gerieten in Vergessenheit.

»Und dann gab es da eine junge Adelige, die im Jahr 1236 in das Kloster eintrat. Sie hieß allerdings nicht Audacia, sondern hatte einen anderen Namen … Erinnerst du dich? Ich hab das neulich mal erwähnt … Ja, jetzt hab ich’s. Regina … nein, Regula, so hieß sie. Regula aus dem Grafenhause Schwerin.«

Sie stellte das Glas auf den Tisch und griff in die Schale mit Erdnüssen. Sie musste dringend etwas in den Magen bekommen, sonst hatte sie gleich einen Schwips.

»Ja, richtig«, sagte sie und versuchte, sich an die verschiedenen Audacias und die junge Adelige zu erinnern. Welches Schicksal hatte diese Regula noch mal erlitten? »Dann müsste die Äbtissin Audacia die Frau sein, die man unten im Keller gefunden hat, oder? Allerdings wundert es mich, dass sie so jung zur Klostervorsteherin bestimmt wurde …«

»Ja, das hat die Archäologen auch gewundert. Und jetzt hat sich herausgestellt, dass die Äbtissin Audacia über zwei Jahrzehnte lang in dieser Funktion gewirkt hat und sehr viel älter war«, fuhr er begeistert fort. »Sie wird nämlich in einer Urkunde erwähnt und kann daher auf keinen Fall die junge Adelige sein, die wir gefunden haben. Es könnte sich allerdings um die junge Regula von Schwerin handeln …«

»Interessant …« Franziskas Gedanken schweiften zum Wellnessbereich, dessen Bau auf unbestimmte Zeit verschoben war.

Walter sah von seinen Fotokopien auf und schien erst jetzt zu begreifen, dass sie mit ihren Gedanken ganz woanders war.

»Du machst dir Sorgen um Jenny, oder?«, fragte er. »Glaubst du nicht, dass sie in der Lage ist, ihre Probleme allein zu lösen?«

Was sollte sie darauf antworten? Natürlich hatte sie Vertrauen in ihre Enkelin, Jenny war ein kluges Mädchen. Auf der anderen Seite war es wichtig, dass Jenny die richtige Entscheidung fällte. Schließlich ging es um die Zukunft von Dranitz.

»Glaubst du, es könnte helfen, wenn ich mal mit Ulli rede?«, fragte sie.

»Nur wenn er von sich aus zu dir kommt.«

Ihre Miene musste mehr als Unmut ausdrücken, denn er beeilte sich, das Gespräch auf ein anderes Thema zu lenken.

»Muss ich mich eigentlich auf einen Überfall gefasst machen?«, scherzte er.

»Wann?«, fragte sie lächelnd und tat, als verstünde sie die Frage nicht, dabei wusste sie genau, dass es um seinen Geburtstag ging.

»Dann ist es ja gut«, meinte er. »Ich hatte schon Angst, du könntest größere Umstände gemacht haben.«

Das hatte sie allerdings. Die Einladungen waren verschickt, die Gästeliste erstellt, und Bodo Bieger, der Koch, hatte sich ein Galamenü einfallen lassen, das seinesgleichen suchte. Allein das Vorlesen der Speisenfolge hatte kulinarischen Wert. Außerdem sollte es verschiedene Überraschungen geben, die die Gäste sich ausgedacht hatten … Trotzdem hatte sie einen kleinen Rahmen gewählt, weil sie wusste, dass Walter keine riesigen Feste mochte.

»Ach – ganz harmlos«, flunkerte sie. »Ein Kaffeetrinken im kleinen Kreis.«

»Darauf freue ich mich«, sagte Walter, dann vertiefte er sich wieder in seine Fotokopien.

Franziska entwarf noch einige Texte für den Prospekt, dann gingen sie gemeinsam zu Bett.

Am nächsten Tag stand Jenny mit Julchen vor der Tür.

»Könntest du vielleicht auf die Kleine aufpassen? Mine braucht noch Hilfe beim Kistenauspacken.«

Julchen lief sofort auf Falko zu, der sein Nachmittagsschläfchen unter dem Tisch hielt und blitzschnell erwachte, als er die Leckerli in der Hand seiner kleinen Freundin roch. Kind und Hund lagen einträchtig unter dem Tisch, Falko kaute Hundekuchen, Julchen hatte von der Mama Kekse bekommen. Die schmeckten besser als die Hundeleckerli, die sie neulich probiert hatte.

»Ist der eigentliche Umzug nicht schon vorbei?«, fragte Franziska. »Ich wollte auch mithelfen, aber Mine meinte, das sei nicht nötig, für die schweren Sachen hätten sie starke Männer, und den Kleinkram würde sie allein schaffen.«

»Ich geb dir Bescheid, wenn noch sehr viel zu erledigen ist«, versprach Jenny, verabschiedete sich von ihrer Tochter und machte sich auf den Weg.

Franziska sah ihr nach. Sie sah blass aus, unglücklich, ihre Enkelin. So konnte das nicht weitergehen. Walter mochte seine eigenen Ansichten haben, die Sache zwischen Jenny und Ulli betreffend, doch auch sie hatte ihre Lebenserfahrungen und würde heute endlich handeln. Nicht dass dieser alberne Streit am Ende noch Walters Geburtstagsfeier verdarb.

»Ich muss noch etwas erledigen«, sagte sie zu Walter, der gerade ins Wohnzimmer kam, und griff nach ihrem Autoschlüssel. Noch bevor er etwas erwidern konnte, kam Julchen unter dem Tisch hervorgeschossen und sprang ihm in die Arme.

Franziska nutzte die Gelegenheit und lief eilig zur Haustür. Die Wurzel des Übels – so war ihr inzwischen klar – saß in Ludorf und hieß Max Krumme. Ulli war ganz sicher bei seinen Großeltern, um beim Auspacken zu helfen – also hätte sie Gelegenheit, einmal allein und in aller Ruhe mit dem Mann zu reden. Sie hatte Max Krumme bisher nur ein einziges Mal gesehen, vor zwei Jahren auf Mückes Hochzeit. Das junge Paar hatte sich mit einem fröhlichen Umtrunk von den Gästen verabschiedet und anschließend die Hochzeitsreise auf einem von Max Krummes Hausbooten angetreten.

Auf dem Parkplatz in Ludorf standen heute nur wenige Autos, was wohl an dem trüben, regnerischen Wetter lag. Auch der Kiosk war geschlossen, die Fensterläden, die am Abend heruntergeklappt wurden, standen allerdings offen. Vorsichtshalber warf Franziska einen Blick durch die Scheibe, aber der kleine Verkaufsraum war leer. Weit und breit keine Spur von Max Krumme. Sie schlenderte zum Bootsverleih hinüber, wo ein semmelblonder, korpulenter Mann unter einem zum Regenschirm umfunktionierten Sonnenschirm saß und ein Wurstbrot verspeiste.

»Können Sie mir sagen, wo ich Max Krumme finde?«, erkundigte sie sich.

»Ist der nicht im Kiosk?«

»Ich habe dort niemanden gesehen.«

»Dann hat er wohl zugemacht«, meinte der junge Mann. »Ist ja auch nix los heute. Vermutlich ist er daheim und sitzt über der Buchführung.«

Franziska bedankte sich und ging zu dem alten Häuschen hinüber, in dem Max Krumme mit Ulli wohnte. Es war von einem verwilderten Garten umgeben, in dem die Büsche und Bäume so hochgeschossen waren, dass man das Gebäude kaum sehen konnte. Zaun und Gartentor waren neu, vermutlich legten die keinen Wert darauf, dass die Zeltplatzleute zu ihnen zu Besuch kamen. Das Tor war allerdings nur angelehnt. Sie drückte es auf und ging über den schmalen Plattenweg zum Haus hinüber, wo eine gefleckte Katze vor der Tür saß und sie mit grünen Augen misstrauisch ansah. Ja richtig, Ulli hatte erzählt, dass Max zwei Katzen hatte. Sie ging langsam auf das Tier zu, bückte sich und streckte ihm vorsichtig die Hand entgegen. Die Katze wich zurück, drehte sich hastig um und schlüpfte durch die einen Spaltbreit geöffnete Tür ins Haus. Na, so was! Ließ er sie wegen der Katzen immer offen stehen?

Sie drückte auf den Klingelknopf, hörte die Glocke schrillen und wartete. Langsam beschlich sie das Gefühl, dass hier irgendetwas nicht in Ordnung war. Einbrecher? Hatte man den alten Mann überfallen, um ihn zu bestehlen? Wahrscheinlich hatte es sich herumgesprochen, dass hier eine Menge Geld zusammenkam.

»Herr Krumme? Hallo?«

Keine Antwort. Jetzt wurde es ihr richtig unheimlich. Hätte sie doch nicht so viele Krimis im Fernsehen gesehen! Sie holte tief Luft, zwang sich, sich zu beruhigen, und betrat den Flur. Sicher ging lediglich ihre Fantasie mit ihr durch. Vorsichtig spähte sie durch eine offen stehende Zimmertür in die Küche und erschrak beinahe zu Tode, als eine Katze vom Tisch heruntersprang. Es war nicht die große bunte, sondern eine kleinere graue. Das arme Tier war mindestens so erschrocken wie sie selbst.

»Herr Krumme? Hallo? Hier ist Franziska Iversen!«

Niemand antwortete. Etwas unheimlich war das schon. Die Katze war verschwunden. Eine zweite Tür führte von der Küche ins Wohnzimmer.

»Ich würde mich gern mit Ihnen unterhalten!«, rief sie laut, um sich Mut zu machen.

Nichts.

Plötzlich schrillte ein Telefon, und sie fuhr heftig zusammen. Es klingelte einmal, zweimal, dreimal – niemand hob ab. Franziska überlegte schon, dieses seltsame, offensichtlich nur von zwei Katzen bewohnte Haus in aller Eile zu verlassen, aber dann ging sie doch ins Wohnzimmer. Und dort fand sie Max Krumme. Er lag auf dem Teppich zwischen Sitzgruppe und Fernseher, klein und zusammengekrümmt, wandte ihr den Rücken zu, sodass sie sein Gesicht nicht sehen konnte. Einen Moment lang stand sie wie erstarrt da, sah ihre schlimmsten Befürchtungen bestätigt, dann besann sie sich und kniete sich neben ihn. Als sie seinen Puls fühlen wollte, bewegte er sich, murmelte etwas und sank zurück in die Bewusstlosigkeit. Sie berührte seine Stirn – sie glühte wie ein Backofen. Jetzt erst entdeckte sie an seinem Hals die verräterischen roten Flecken.

Masern! Der arme Kerl hatte sich bei ihrer Urenkelin angesteckt! Oh weh, das konnte in seinem Alter schlimm ausgehen.

Sie stand auf und griff zum Telefon, doch gerade als sie den Hörer abnehmen wollte, um den Notruf zu wählen, klingelte es erneut. Franziska holte tief Luft, dann griff sie zum Hörer.

»Bei Krumme«, meldete sie sich heiser.

Auf der anderen Seite blieb es für einen kurzen Moment still, dann drang Ullis verwirrte Stimme aus der Leitung. »Mit wem spreche ich? Bist du das, Franziska?«

Ulli! Wie gut, dass er anrief!

»Ja, hier spricht Franziska. Bitte komm, so schnell du kannst, Ulli. Max Krumme hat die Masern. Er fiebert so hoch, dass er kaum noch bei Bewusstsein ist. Ich rufe jetzt einen Krankenwagen.«

»Die Masern? Ach du liebe Zeit! In seinem Alter … Was machst du eigentlich bei Max im Haus, Franziska? Na egal, ich komme …«