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Die grosse Stille

Wer eine Gesprächskultur im Bett etabliert, kann mitteilen, was er sich wünscht. Deshalb gilt: Raus mit der Sprache, sonst bleibt nur noch Hellseherei.

Auf acht bis zehn Minuten schätzen Wissenschaftler die Zeit, die ein Paar pro Tag mit Reden verbringt, ohne nebenher etwas anderes zu tun. Diese knappe Zeit wird dann in aller Regel für Organisatorisches verwendet. Sex liegt auf der Liste der besprochenen Themen ganz weit hinten. Ein Umstand, der für guten Sex alles andere als förderlich ist.

imageINFO Jedes vierte Paar gibt offen und unumwunden zu, nur ungern über Sex zu reden.

Fragt man Männer und Frauen nach den Gründen für das grosse Schweigen, gibt die Hälfte der Personen an, aus Angst vor der Reaktion des Gegenübers nichts zu sagen. 38 Prozent der Befragten erklären, dass ihnen das Reden über Sex generell schwerfalle.

Der Preis des Schweigens

Die mangelnde Bereitschaft oder vielleicht auch die fehlende Fähigkeit, sich über Sex auszutauschen, kommt mit einem Preis. Nicht nur, dass mit dem Schweigen eine wichtige Quelle der Lust ungenutzt bleibt (siehe «Das erotische Gespräch», Seite 129). Beim Sex gilt auch: Nur wer sich mitteilt, kann seine Sexualität so gestalten, wie es ihm gefällt.

Ein befriedigendes Sexleben hat viel mit Selbstverantwortung zu tun. Lust und Befriedigung sind zu grossen Teilen auch eine Holschuld. Man sollte sich nicht blind auf den Partner verlassen, was die Erfüllung der eigenen Wünsche angeht.

Die Fähigkeit, über Sex zu reden und dies auch zu tun, ist zudem stark mit dem Ausmass an Selbstbestimmung in einer Beziehung verknüpft. Dieses wiederum wirkt sich auf die Qualität des Sexuallebens aus. Mit anderen Worten: Paare, die über Sex reden, sind glücklicher als solche, die es nicht tun.

Je länger die Beziehung dauert, desto eher nehmen die Hemmungen ab, dem Partner Bedürfnisse und Wünsche mitzuteilen. Dies ist mit ein Grund, weshalb die Qualität des Sex von Paaren mit zunehmender Beziehungsdauer oft als besser beurteilt wird. Bei Frauen ist die Selbstbestimmung sogar noch wichtiger, weil sie in direktem Zusammenhang mit der Orgasmusfähigkeit steht: Tatsache ist, dass Frauen, die sich mitteilen, eher zum Höhepunkt kommen also solche, die zu diesem Thema still bleiben.

Liebe, Hellseherei und sich ändernde Gelüste

«Wenn er mich wirklich liebt, dann weiss er auch, was ich mir im Bett wünsche» – dieser Trugschluss ist besonders bei Frauen verbreitet. Dabei ist die Sexualität von Frauen oft komplexer, weil sie stärker auf Atmosphäre und Stimmungen reagieren und weniger auf einfache optische Reize, wie das beim Mann der Fall ist. Frauen schreiben ihrem Partner hellseherische Fähigkeiten zu, wenn sie verlangen, dass er ihre Wünsche erkennen soll, «nur» weil er sie liebt. Über solche Gaben verfügen die wenigsten Männer (und Frauen!). Und wie soll eine auch noch so grosse Liebe veranlassen, dass Finger an die gewünschten Stellen eines Körpers wandern?

imageHINWEIS Sex ohne jegliche Kommunikation ist, wie wenn Sie Ihrer Begleitung im Restaurant, ohne zu fragen, ein x-beliebiges Menü bestellen. Das mag ab und zu gut gehen, als permanente Strategie wird es aber zu Enttäuschungen führen.

Eine weitere Illusion, der sich übrigens beide Geschlechter hingeben, ist die Idee, dass etwas, das im Bett einmal funktioniert hat, für alle Zeiten funktioniert. Eine Annahme, die an mehreren Ecken und Enden krankt: Zum einen verändern sich Menschen im Laufe ihres Lebens. Die wenigsten dürften heute noch dasselbe Gericht als ihre Leibspeise bezeichnen wie zu Teenagerzeiten. Und selbst wenn: Nicht einmal dann wird man zu jeder einzelnen Mahlzeit Lust auf das immer gleiche Menü haben. Denn, und das ist der zweite wichtige Aspekt, sexuelle Vorlieben können sich im Laufe der Zeit nicht nur grundsätzlich ändern, sie sind auch Stimmungen und aktuellen Gegebenheiten unterworfen. Während gestern noch ein langes, zärtliches Liebesspiel das höchste der Gefühle war, ist es heute vielleicht ein Quickie über Mittag.

Bitte keine Flipchart-Präsentationen

Viele Menschen haben ganz einfach eine falsche Vorstellung davon, was es heisst, sich über Sex auszutauschen. Die Aufforderung «Wir müssen reden» wird in Beziehungen ja gemeinhin als mittlere Kriegserklärung erlebt. Über Sex zu reden, heisst aber nicht, dass man im Schlafzimmer ein Flipchart aufbauen muss, mit einer detaillierten Spielanalyse anfängt und gar Transferüberlegungen äussert.

Ein grosser Teil der Kommunikation passiert nicht nur verbal. Auch paraverbal, etwa durch Stöhnen, oder nonverbal, durch das Führen der Hand, werden Informationen ausgetauscht. Um den einen oder andern wohl- und liebevoll formulierten, aber dennoch konkreten Satz wird jedoch keiner herumkommen, der seine Sexualität nicht einfach dem Zufall überlassen will. Doch bevor Tipps folgen, die den Austausch über Sex leichtermachen, lohnt es sich, genauer hinzuschauen, weshalb vielen Männern und Frauen die Kommunikation im Bett derart schwerfällt.

Gründe für die grosse Scham

Die Sexualität ist ein Gebiet, in dem wir alle sehr verletzbar sind. Sie ist ein äusserst privater Teil des Lebens, in den nur sehr wenige andere Menschen je einen Einblick haben. Es ist kein Zufall, dass sich die Beziehung zweier Personen, die einmal Sex miteinander gehabt haben, meist nachhaltig verändert und nie mehr dieselbe sein wird. Ehrlicher, ungeschminkter Sex gehört, auch wenn wir vordergründig immer lockerer damit umgehen, zu den letzten grossen Tabus in unserer Gesellschaft.

Beim Sex kann man sich hinter nichts verstecken, man ist nackt, im buchstäblichen und im übertragenen Sinne. Viele Männer und Frauen fühlen sich nicht nur selber exponiert, sie sind sich – zum Glück – auch bewusst, dass ihr Gegenüber jetzt viel verletzlicher ist.

imageHINWEIS Viele Leute sprechen das Thema Sex lieber erst gar nicht an – aus Angst, verletzt zu werden oder andere zu verletzen.

Ein weiterer wichtiger Grund, weshalb Sex ein grosses Tabuthema bleibt: Vielen Leuten fehlt schlicht ein Vokabular, mit dem sie sich wohlfühlen und von dem sie überzeugt sind, dass das auch bei ihrem Gegenüber so ist. (Wie man dieses Vokabular findet und ausbaut, steht im Kasten unten.)

Viele der Hemmungen, die das Reden über Sex schwierig machen, entstehen ganz einfach auch durch fehlende Übung. Kein Wunder: Für die meisten Menschen ist der Kreis an Personen, mit denen sie sich überhaupt über Sex austauschen möchten, sehr klein – zum Teil gehört nicht mal der eigene Partner dazu. An dieser Exklusivität ist – vom Ausschluss des Partners einmal abgesehen – auch gar nichts auszusetzen. Aber wo Gesprächspartner fehlen, fehlen auch die Möglichkeiten, zu üben. Und Übung ist beim Reden über Sex das A und O.

Der abgefahrene Gesprächszug

Besonders knifflig wird das Reden über Sex für Paare, die schon länger zusammen sind, aber Gespräche über Sex niemals in ihre Beziehung eingeführt haben. Denn je länger das Schweigen in einer Partnerschaft schon dauert, desto grösser sind meist die Hemmungen, es zu durchbrechen. Regelrecht fatal ist diese Stille, wenn sich zwischen den Partnern Missverständnisse etabliert haben. Wenn beispielsweise der eine überzeugt davon ist, mit einer ganz bestimmten Sache dem anderen einen riesigen Gefallen zu tun, der andere dies aber leider gar nicht so erlebt. Da ist die Angst, den Partner mit einer Aussprache zu verletzen, verständlich und wohl auch berechtigt.

Es gilt: Je früher und selbstverständlicher ein Paar eine Sprache und eine Möglichkeit der Kommunikation über sein Sexualleben findet, desto besser. Dabei geht es längst nicht nur um Problem- und Klärungsgespräche. Im Austausch über Sex liegt ganz einfach auch ein grosses Lustpotenzial: So manche heisse Liebesnacht hat mit einem gehauchten Versprechen begonnen – und auch das ist nichts anderes als Reden über Sex.

So redet man am besten über Sex

Eine gelungene Kommunikation zum Thema Sex steht und fällt mit dem verfügbaren Wortschatz. Beide Partner sollen sich mit den verwendeten Begriffen wohlfühlen, und zwar sowohl, was das Aussprechen als auch das Anhören angeht.

Oft ist eine dürftige Auswahl an Wörtern nur die Spitze des Problemeisberges. Manche Leute kennen vielleicht eine ganze Vielzahl an Begriffen, sie scheitern aber an deren angemessener Verwendung. So kann die Frage «Möchtest du, dass ich dir Oralverkehr gebe?» trotz des für die meisten doch verheissungsvollen Inhaltes zu einem radikalen Lustkiller werden. Und eine «Möse» muss, wenn die Rahmenbedingungen entsprechend sind, nicht zwingend die Beleidigung sein, die sie unter anderen Umständen wäre.

Lieber nicht: Sprachliche Tabus

Verbote oder Regeln, welche Begriffe nicht benutzt werden sollen, sind kaum zu beachten, solange die Verwendung der Ausdrücke für beide Partner o.k. ist. Zwei kleine Ausnahmen gibt es allerdings:

Vorsicht beim allzu generellen «da unten». «Da unten» kann so ziemlich alles unterhalb des Kinns bedeuten. Mit derart unspezifischen Ausdrücken tut man sich und seinem Partner keinen Gefallen, weil schlicht unklar ist, was genau gemeint ist.

Vorsicht vor abwertenden Begriffen. Damit sind nicht primär grobe, allenfalls pornografische Wörter wie «Futz» gemeint; solange der Rahmen stimmt und beide Partner auf die Verwendung vorbereitet sind, geht das in Ordnung. Leider gibt es aber gerade für die weiblichen Geschlechtsteile eine ganze Reihe von Begriffen, hinter denen eine verächtliche Haltung steckt, beispielsweise «Loch» oder «s zweite Füdli» – und diese Art der Abwertung geht gar nicht.

Den richtigen Zeitpunkt finden

«Findest du mich eigentlich sympathisch?» Wer so eine Frage mitten beim Sex stellt, hat entweder ein miserables Gefühl für Timing oder eine grosse Portion Humor. Nun hat Sex mit Lust zu tun und Lust mit lustig. So gesehen hat die schräge und übrigens wahre Anekdote durchaus Charme. Sie beweist aber auch, dass es geschicktere und weniger geschickte Momente fürs Reden über Sex gibt. Wie aber findet man den richtigen?

Selbstverständlich darf, wenn es den Beteiligten gefällt, auch gerne während des Sex geredet werden. Immerhin kann Reden über Sex ja an sich eine sehr reizvolle und lustvolle Angelegenheit sein (siehe «Das erotische Gespräch», Seite 129). Schön und nüchtern betrachtet auch sinnvoll ist eine Kommunikation während des Geschlechtsverkehrs aber auf jeden Fall. Wie sonst soll der Partner wissen, dass das, was er gerade tut, «richtig» ist?

imageHINWEIS Es gibt viele Formen der Kommunikation. Ein Seufzer oder ein lustvolles Stöhnen kann mehr sagen als tausend Worte.

Für die meisten Paare dürfte es ein Lustkiller sein, wenn während des Sex ein nüchtern-informativer Kommandoton herrscht. Aber offene Sinne, die nicht nur für die eigenen Bedürfnisse, sondern auch für die Zeichen des Partners empfänglich sind, sind wichtig. Ausserdem machen sie die nicht gerade stilvolle «Wie war ich?»-Frage nach dem Akt überflüssig. Denn hier gilt die Devise: Wer am Ende fragen muss, ob er gut war, zielt nicht nur übermässig auf die Befriedigung egoistischer Bedürfnisse. Die Chance ist auch gross, dass er so einiges verpasst hat.

Grundsatzdiskussionen lieber nicht beim Sex

Sogar klärende Gespräche können einen lustvollen Anteil haben. Gerade das gemeinsame Entdecken von Wünschen und Fantasien ist sehr reizvoll. Umso besser, wenn sich aus diesem Austausch gleich die spontane Umsetzung der neuen Ideen ergibt.

Grundsatz- und Problemdiskussionen werden aber mit Vorteil nicht im Bett geführt. Zwar ist es richtig und wichtig, Dinge anzusprechen, die einem nicht gefallen. Aber noch viel entscheidender ist es, dem Partner dabei zu helfen, das Bemängelte besser zu machen, indem man konkret erklärt und auch aktiv zeigt, was man gern anders haben möchte.

imageTIPP Das Wichtigste beim Thema «Reden über Sex» ist, dass Sie es tun. Machen Sie Sex zu einem Thema in Ihrem Leben. Reden über Sex kann nicht nur Lust machen. Oft ist es auch einfach nötig, um Ihre sexuellen Wünsche Realität werden zu lassen.

Das erotische Gespräch

Dirty Talk ist nicht das Gleiche wie über Sex reden. Er kann das Sahnehäubchen auf dem i von an sich schon schönem Sex sein oder aller Laster Anfang – im positivsten Sinne.

Dirty Talk – oder vornehmer ausgedrückt: das erotische Gespräch – fällt vielen Leuten leichter als ein ernsthafter Dialog über Sex. Dirty Talk ist eine Spielerei, eine Form des Flirtens und Verführens. Viele Männer und Frauen lassen in diesem Moment quasi den inneren Draufgänger reden. Ziel der Sache ist, etwas plump gesagt, den anderen rumzukriegen.

Für etwa die Hälfte aller Männer und Frauen gehört Dirty Talk zum sexuellen Repertoire, auf das sie gelegentlich und mit Genuss zurückgreifen. Erotische Gespräche dieser Art fallen vielen Leuten deshalb leichter, weil man sich dabei bis zu einem gewissen Grad hinter einer Maske verstecken kann. Man schlüpft in eine Rolle, und das Gesagte fällt weniger auf die Person zurück als beim offenen, ehrlichen Gespräch zum Thema Sex.

Mut braucht die Sache trotzdem, und viele Paare würden zwar gern «schmutzige Fantasien» teilen, wissen aber nicht recht, wie.

imageTIPP Dirty Talk zu lernen, lohnt sich: Das erotische Gespräch ist ein hervorragendes Mittel, um eine bestimmte Stimmung zu schaffen und die Atmosphäre zu pflegen, die für Sex wichtig ist.

So klappt es mit dem Dirty Talk

Eine wichtige Grundregel ist: Nicht alles, was «dirty», also schmutzig ist, eignet sich auch als Dirty Talk. Zwar kann Versautes durchaus Spass machen, es ist als Grundsatz aber noch kein Garant für ein gelungenes erotisches Gespräch.

Der Satz «Ich würde mich freuen, dich näher kennenzulernen» kann, richtig ausgesprochen und im passenden Moment, absolute Verführungskraft haben. In einer anderen Situation funktioniert «Machs mir!» vielleicht wesentlich besser.

Rahmen spielen immer wieder neu zusammen und müssen auf die involvierten Personen abgestimmt sein. Was für den einen erotisch ist, ist für die andere vielleicht einfach nur lächerlich. Auf jeden Fall aber gilt: Dirty Talk hat viel mit Übung, aber auch mit Kreativität zu tun.

imageHINWEIS Ist Dirty Talk für ein Paar etwas Neues, kann es Sinn machen, das Vorhaben anzukünden und dem Partner mitzuteilen, dass man diesbezüglich ein bisschen experimentieren möchte. Das gibt beiden die Möglichkeit, in eine Rolle zu schlüpfen und etwas freier nach Lust und Laune zu testen, was gefällt.

Diese Dinge sollten Einsteiger beachten:

Beim Dirty Talk ist es wichtig, dass Wörter verwendet werden, mit denen sich beide wohlfühlen. Die Übung von Seite 125 hilft dabei.

Sanft einsteigen: Starten Sie mit einem Kompliment. Was gefällt Ihnen besonders gut an Ihrer Partnerin? Gibt es etwas, was Sie beim Sex besonders geniessen? Komplimente sind wahre Eisbrecher. Ebenfalls gut als Einstiegsübung: Fragen stellen («Hast du es gern, wenn ich dir über den Rücken streichle?») oder kommentieren, was man gerade tut oder erlebt («Es törnt mich an, wenn du (...) machst»).

Die Szenerie variieren: Die meisten Paare fühlen sich am wohlsten, wenn sie erste Gehversuche mit dem erotischen Gespräch in der Sicherheit und Privatsphäre des eigenen Schlafzimmers machen. Versuchen Sie dann aber, den Rahmen zu variieren. Es kann sehr erotisch sein, in der Öffentlichkeit dem Partner etwas Sinnliches ins Ohr zu flüstern, das nur er mitbekommt.

Sich Inspirationen holen: Erotische Literatur ist eine hervorragende Quelle für Ideen. Eine erotische Geschichte vorzulesen, baut zudem die Hemmungen ab, sich zu diesem Thema auszutauschen. Vielen fällt es leichter, zunächst einen bereits fertigen Text vorzutragen und zu teilen – dann fällt die Angst weg, dass man den Einstieg nicht findet.

Verschiedene Kanäle nutzen: Telefon, SMS, E-Mail und auch der gute alte handgeschriebene Brief sind hervorragende Träger für erotische Botschaften.

Am allerwichtigsten ist: Üben, üben, üben!