Kapitel 12
Mitchell
D
er Abspann von Guardians of The Galaxy 2
lief auf dem Fernseher des Gemeinschaftsraumes in King House.
Wir saßen auf den abgewetzten Sofas und aßen die letzten Reste aus unseren Pizzakartons. Alle waren gekommen, bis auf Todrick, der von seinem Arschgesicht-Coach zusammen mit seinen Teamkollegen zu einer Nacht im Fitnessstudio verdonnert worden war. Da die Sportanlagen der Universität von hier aus nur einen Katzensprung entfernt waren, wohnten die meisten Sportler in diesem Wohnheim. Der Großteil von ihnen schien zudem von einem ähnlichen Schlag zu sein wie Todrick, weshalb das Hausmotto von King House
lautete: Kniet nieder vor eurem König!
Ich hatte ja für Winter is Coming
plädiert, aber die anderen Hausbewohner wollten nicht mit den Traditionen brechen.
Den ganzen Abend über hatten unsere Freunde Carla und mich genauestens beobachtet, was mich ungemein nervös gemacht hatte. Aber es amüsierte mich, wie sehr Carla beweisen wollte, dass wir Freunde waren, was meine innere Unruhe mehr als wieder wettmachte. Sie lachte über jeden meiner Witze und hatte sogar gefragt, ob sie von meiner Pizza probieren dürfe. Kurzzeitig war ich davon überzeugt gewesen, dass ein Alien ihre Gestalt angenommen hatte und die echte Carla Santos gefesselt in irgendeinem Raumschiff saß und die armen Entführer-Aliens gehörig zur Schnecke machte. Es kostete mich wirklich Mühe, nicht an einem Stück zu grinsen.
»Spielen wir ein Spiel«, schlug Summer vor und schnappte sich ihre leere Bierflasche. »Wie wäre es mit ›Ich hab noch nie‹?«
»Ich hasse das Spiel«, sagte Carla neben ihr und rümpfte die Nase. »Es ist langweilig und dämlich.«
»Also, ich finde es cool«, sagte ich und sah sie herausfordernd an. »Wir sollten es unbedingt spielen, Carly.«
Ich musste mir ein Lachen verkneifen, als ich sah, wie der Muskel an ihrer Schläfe zuckte. Die wenigsten nannten Carla bei diesem Spitznamen, und ganz offenbar störte es sie, dass ich es tat.
Vermutlich hätte es mir nicht so viel Spaß machen sollen, sie zu ärgern. Ich wusste, dass sie nicht lange mit einem Rückschlag warten würde, sobald wir wieder allein waren.
Und vermutlich hätte ich mich nicht auch noch darauf
freuen sollen.
Creed kehrte gerade mit zwei Sixpacks Bier zurück und hielt sie triumphierend in die Luft. »Glücklicherweise habe ich diese beiden Schätzchen hier gefunden.«
»Ay,
wir sind keine sechzehn mehr!«, protestierte Carla noch einmal und setzte sich auf. »Niemand spielt das in unserem Alter noch!«
»Du musst ja nicht mitspielen«, sagte ich und legte meinen leeren Pizzakarton auf den Couchtisch zu den anderen. Ich konnte es mir nicht verkneifen hinzuzufügen: »Wenn du dich nicht traust, ist das überhaupt nicht schlimm.«
Carlas Reaktion war genau das, womit ich gerechnet – und worauf ich gebaut hatte. Sie pfählte mich regelrecht mit einem finsteren Blick. Dann fluchte sie auf Spanisch und stand auf. »Ich hole mir noch einen Drink.«
Mit einem Lächeln auf den Lippen sah ich ihr hinterher, während wir uns vor das Sofa auf den Boden in einen Kreis setzten. Meine Augen glitten über ihre Beine in den hautengen Jeans und über den dünnen Pullover, der sich an ihren flachen Bauch und ihre Brüste schmiegte. Ihre dunklen Haare fielen in Wellen bis über ihre Schultern.
Ein Schauer erfasste mich. Es war nicht gerade hilfreich, dass ich mittlerweile wusste, wie Carla in nichts als einem knappen Bikini aussah.
Ches räusperte sich neben mir.
Blinzelnd riss ich meinen Blick von ihr los und begegnete geradewegs neugierig funkelnden Augen.
»Was ist?«, fragte ich unschuldig, während ich mich rasch vergewisserte, dass er der Einzige war, der mich beobachtete. Aber das war natürlich eine Fehlanzeige. Creed war genauso furchtbar aufmerksam wie sein bester Freund, und Lenny offenbar auch. Glücklicherweise hatten wenigstens Ella und meine Schwester eine heiße Debatte über Chris Pratt aus dem eben gelaufenen Marvel-Film gestartet. Summer verband ihr iPhone mit der Anlage, und einen Moment später schallte ein Song von Drake durch den Raum. Die gerahmten Trikots und die Schwarz-Weiß-Fotografien von Footballspielern an den Wänden vibrierten leicht durch den Bass.
»Starr sie nicht so an«, raunte Ches und lehnte sich zu mir.
»Was meinst du?«, erwiderte ich, auch wenn ich gleichzeitig spürte, wie mir Hitze den Hals hinaufkroch.
Ches ließ sich nichts vormachen. »Wenn sie es merkt, wird sie noch nervöser, als sie offenbar bereits ist, und schmeißt im schlimmsten Fall mit Dingen um sich.«
Abwehrend hob ich die Hände und lachte auf. »Wir sind nur Freunde. Ich starre sie nicht …«
»Versuch es erst gar nicht, Mitch«, sagte Creed und grinste schief.
Lenny krabbelte in ihren schwarzen Schlabberklamotten neben mich und klopfte mir auf die Schulter. »Ein gut gemeinter Rat, Kumpel. Schenk deine Aufmerksamkeit lieber einem Mädchen, das auch interessiert ist.«
Autsch.
»Ich kann mich nur wiederholen«, sagte ich, bemüht, mein Lächeln aufrechtzuerhalten, auch wenn es sich mittlerweile nicht mehr so lässig anfühlte. »Wir sind nur Freunde.«
Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Carla zurückkehrte, und griff nach meinem Wasser. Etwas lauter sagte ich: »Spielen wir jetzt, oder was?«
Lenny musterte mich noch einen Moment, dann wandte sie sich ab.
Wir begannen mit harmlosen Fragen, über Dinge, die jeder von uns schon getan hatte. Ich war der Einzige in der Runde, der heute Abend nichts trank. Morgen früh beim Schwimmtraining wollte ich Bestleistungen erzielen, und mit einem Kater war das wohl kaum möglich. Schlimm genug, dass ich eine Pizza gegessen hatte anstelle des Abendessens aus meinem Ernährungsplan.
»Ich habe noch nie eine Schulstunde geschwänzt«, sagte Creed grinsend – und rührte sein Bier nicht an. Betreten griffen alle anderen außer Lenny und mir nach ihren Getränken.
»Das hättet ihr nicht erwartet, was?«, sagte Lenny grinsend. »Ich war eine Musterschülerin.«
»Ernsthaft, Sav?«, fragte ich feixend. »Du hast schon mal geschwänzt? Das wird Mum aber gar nicht freuen.«
Savannah wurde rot vor Verlegenheit und winkte ab. »Das fing erst hier am College an. Ich hatte irgendwie den Drang, ein paar Regeln zu brechen.«
»Du Rebell«, spottete Lenny. »Also, als ich zum ersten Mal den Drang hatte, die Regeln zu brechen, bin ich von zu Hause abgehauen und nie wieder zurückgekehrt.«
Wir sahen sie erschrocken an. Lenny schien das jedoch offenbar nicht zu kümmern. Sie lächelte ironisch und prostete uns mit ihrer Bierflasche zu. »Ich bin dran: Ich hatte noch nie eine kaputte Familie. Cheers.
« Dann nahm sie einen tiefen Schluck.
Mit peinlicher Berührung musste ich feststellen, dass jeder trank, außer Savannah und mir. Meine Hand zuckte zu meinem Wasser, doch ich schloss sie zur Faust und rührte sie nicht, denn Sav tat es schließlich auch nicht. Unsere Familie konnte verdammt schwierig sein, sicher. Sie war zerrüttet, aber noch nicht kaputt. Ich fragte mich jedoch, wie lange das wohl noch anhielt. Meine Freunde hatte es nicht so glimpflich getroffen. Von Ella wusste ich, dass ihr Vater vor ein paar Jahren gestorben war. Summer hatte ein schlechtes Verhältnis zu ihrer Mum und ihrem Stiefvater und schon seit geraumer Zeit keinen Kontakt mehr zu ihrem leiblichen Vater. Ches und Creed hatten beide durchblicken lassen, dass sie viel hatten mitmachen müssen, und über Carla wusste ich ja inzwischen ebenfalls Bescheid.
»Die Quoten-Goldkinder«, sagte Carla und seufzte. »Siehst du, Hollister? Hier hast du den Beweis, dass Liebe nichts ist, worauf man bauen sollte.«
Kaum hatten die Worte ihren Mund verlassen, erstarrte sie plötzlich. Es war klar, dass es ihr rausgerutscht war, aber sie erblasste und sah die anderen erschrocken an, die uns mit unverhohlener Neugier beobachteten.
Meine Mundwinkel zuckten selbstgefällig. Wenn sie gewusst hätte, dass allein ihre Reaktion diese Neugierde geweckt hatte. Manchmal war Carlas Unbeholfenheit so plötzlich und unerwartet, dass ich das wilde Bedürfnis verspürte, sie küssen zu wollen.
»Werden wir ja sehen«, erwiderte ich und zwinkerte ihr zu, um die Situation aufzulockern.
»Jetzt wird es interessant«, murmelte Ella an den Rand ihrer Bierflasche.
Ich wechselte rasch das Thema. »Ich habe noch nie jemanden aus dem Knast befreien müssen – oder habe dringesessen.«
Meine Aussage hatte den gewünschten Effekt. Ella, Summer und Savannah stöhnten auf und lachten, dann tranken wir vier je einen Schluck.
»Wir waren nicht im Knast, Mitch!«, protestierte Savannah. »Es war nur die Ausnüchterungszelle auf der Wache.«
»Schwedische Gardinen bleiben schwedische Gardinen, Schwesterherz«, sagte ich und zuckte grinsend mit den Schultern. Ein Seitenblick verriet mir, dass Carla nicht mehr ganz so angespannt wirkte.
Neben mir klirrte es, als Ches und Creed mit ihren Flaschen anstießen.
»Was?«, fragte ich verblüfft und drehte mich zu ihnen. »Bitte erzählt uns jetzt nicht, dass ihr Ex-Knackis seid. Das hättet ihr nämlich die letzten Monate schon mal erwähnen können.«
»Nope, kein Knast, zumindest für uns«, erwiderte Creed und wich meinem Blick aus.
»Lange Geschichte«, murmelte Ches. Er und Ella wechselten einen langen Blick. »Die erzählen wir besser ein anderes Mal.«
»Den Nächsten mache ich!«, rief Summer einige Runden später. Ihr Blick war dabei sehnsüchtig auf Creed gerichtet. »Es wird Zeit, dass die Fragen ein wenig interessanter werden. Ich hatte noch nie einen One-Night-Stand.«
Allgemeines Lachen. Alle tranken, bis auf meine Schwester und Ella.
»Eine andere Antwort von Sav hätte meine Welt aus den Angeln gehoben«, sagte Carla und grinste.
»Meine auch«, sagten Ella und ich gleichzeitig, was Sav hochrot werden ließ.
»Ich hatte noch nie einen Orgasmus«, sagte Creed als Nächstes grinsend, nur um den letzten Schluck seines Biers auszutrinken. Meine Schwester schien bei den Worten im Erdboden zu versinken, so peinlich berührt war sie, was uns alle lachen ließ. Ich zog Savannah auf, indem ich die Hände an die Schläfen legte, um ja nicht in ihre Richtung zu blicken und zu sehen, wie sie trank – und sah stattdessen geradewegs zu Carla. Doch sie rührte ihr Getränk nicht an, was nicht nur meine Aufmerksamkeit weckte.
»Scherzkeks«, sagte Summer und stieß sie mit dem Ellbogen an. »Ich weiß von mindestens zwei Kerlen, mit denen du innerhalb der letzten drei Jahre geschlafen hast.«
Zwei Kerle. Ein spitzer Anflug von Eifersucht fuhr mir durch die Brust. Es gefiel mir ganz und gar nicht, mir vorzustellen, wie Carla mit irgendwelchen Typen schlief. Gleichzeitig war ich verblüfft.
»Na und?«, fauchte Carla abwehrend und bekam errötete Wangen. »Das geht euch nichts an!«
»Aber noch nie?«, fragte Ella. »Sicher?«
Nun trank Carla doch ihr Bier aus und machte ein finsteres Gesicht. »Ich hole mir noch etwas.« Ohne eine Antwort abzuwarten, rappelte sie sich auf und verließ den Raum. Diesmal zwang ich mich, ihr nicht hinterherzublicken. Es war mehr als offensichtlich, dass ihr die Frage zu weit gegangen war. Es war zu intim. Vielleicht war das auch der Grund gewesen, weshalb sie das Spiel von vorneherein nicht hatte spielen wollen; sie wollte nichts von sich preisgeben. Schon vor Jahren hatte sie aufgehört, sich Ella, Sav und Summer anzuvertrauen, und begegnete seither jedermann nur noch mit einem gewissen Abstand, der es unmöglich machte, mehr über sie herauszufinden. Savannah schwor darauf, dass man sich bloß in Geduld üben musste, bis Carla sich einem wieder öffnete. Ich bezweifelte zwar, dass sie meiner Schwester von ihrer Angst oder von ihren Eltern erzählt hatte, aber wissen konnte ich es natürlich nicht. Vielleicht hatte sie Savannah genau das anvertraut, und meine Schwester hielt bloß dicht – natürlich würde sie das, wenn Carla ihr so private Dinge erzählt hätte.
Carla redete kein Wort mehr, nachdem sie zurückgekehrt war. Niemand machte ein großes Ding draus, auch wenn es das für sie ganz offenbar war. Und für mich,
flüsterte ein Teil meines Hirns, was ich sofort zu unterdrücken versuchte.
Wir spielten anschließend noch ein wenig Karten, wobei ich immer wieder zu ihr blicken musste. Unser Treffen am Pool spielte sich immer wieder vor meinem inneren Auge ab, und eine plötzliche Sehnsucht erfüllte mich, ihr nahe sein zu wollen. Ich wollte mit ihr allein sein. Ich wollte mit ihr reden. Ich wollte sie berühren. Ich wollte ihre Augen zum Funkeln bringen. Verdammt, je länger ich darüber nachdachte, desto größer wurde das Verlangen und desto mehr Dinge fielen mir ein, die ich unbedingt wollte.
Als Lenny schließlich als Erste aufbrach, begleitete Carla sie. Ihr Abschied war flüchtig, so, als wollte sie einfach nur weg von hier. Ella, Ches und Summer waren die Nächsten, die gingen, und Savannah schlief auf dem Sofa ein.
Ich war gerade dabei, auf dem Flur die Pizzakartons zu zerkleinern, als Creed sich zu mir gesellte.
»Erzählst du mir, was passiert ist?«, fragte er und stellte unsere leeren Bierflaschen auf einem Holzregal ab.
»Was meinst du?« Ich drehte mich zu ihm um.
Ein Lächeln huschte über Creeds Lippen, und er lehnte sich mit verschränkten Armen an die Wand. »Carla und du. Ihr habt euch den ganzen Abend über bedeutungsschwere Blicke zugeworfen. Von dir bin ich das ja gewohnt, aber nicht von ihr.«
Ich konnte nicht verhindern, dass mein Herz einen kleinen Sprung machte. »Sie hat …« Ich hielt mich gerade noch rechtzeitig davon ab, wie ein aufgeregter kleiner Junge zu fragen, ob sie wirklich zurückgeschaut hatte. So langsam machte ich mich lächerlich.
Creed lächelte wissend, als wüsste er genau, was mir durch den Kopf ging. »So nervös kenne ich Carla gar nicht. Was zum Teufel hast du mit ihr angestellt, Mann?«
»Nichts.« Ich drehte mich wieder um und zerriss die Kartons. Natürlich musste ich genau jetzt daran denken, wie sie ihre Beine um meine Hüften geschlungen und ich auf sie eingeredet hatte, damit sie gegen ihre Panik ankämpfen konnte. Es war noch keine vierundzwanzig Stunden her. ›Nichts‹ war demnach die Untertreibung des Jahrhunderts.
Ein Seufzen erklang hinter mir. »Was genau erhoffst du dir, Mitchell? Versteh mich nicht falsch, ich möchte weder dich noch sie schlechtmachen, ihr seid meine Freunde. Aber Carla ist kompliziert und schwierig und hat verdammt viele Probleme. Du bist der perfekte Schwiegersohn-Typ mit dem Stipendium und der perfekten Familie. Ihr kommt aus ganz unterschiedlichen Welten.«
Meine Hände stellten jede Bewegung ein. Ich biss die Zähne zusammen und schloss die Augen, um nichts Unüberlegtes zu sagen. »Das ist kein soziales Experiment, Creed. Und mein Leben ist verdammt noch mal nicht perfekt. Vielleicht kennst du mich doch nicht so gut, wie du dachtest.«
Ich dachte an Savannah, meine Eltern und die große Schlucht, die sich in den letzten Jahren zwischen uns aufgetan hatte. Mein Dad wollte mir nicht verzeihen, dass ich mich gegen seine Präferenzen für mein Hauptfach im Studium und stattdessen für Sport entschieden hatte. Er hatte jede Hoffnung in mich gesetzt, dass ich eines Tages die Familiengeschäfte übernehmen würde. Ich liebte meine Eltern, keine Frage, aber diese Dinge hatten einen Keil zwischen uns getrieben. Dann war da noch dieser immense Druck, den Coach Pat und meine Mutter auf mich ausübten. Mum sagte immer, dass es der größte Fehler ihres Lebens gewesen war, mit dem Schwimmen aufzuhören, besonders als es ihr Bruder vor etlichen Jahren bis zu den Olympischen Spielen geschafft hatte. Sie war bitter enttäuscht gewesen, als Savannah in der Highschool das Schwimmen ebenfalls aufgegeben hatte, weshalb sie nun all ihre Hoffnung in mich setzte. Ich war ihre Chance auf Ruhm. Und ich liebte sie und auch das Schwimmen genug, um mein Bestes zu tun, ihren Traum – und meinen Traum – zu erfüllen, auch wenn ich manchmal das Gefühl hatte, es würde mich in die Knie zwingen. Immer wieder sagten Leute, wie perfekt das Leben der Moore-Geschwister sein musste, und nichts kotzte mich mehr an. Wessen Leben war schon perfekt? Unseres ganz bestimmt nicht. Wenn man keine Geldsorgen hatte, wusste das Leben schon, wie es diese Lücke wieder füllen konnte. Unsere Probleme waren nicht weniger problematisch, nur weil jemand anderes größere, schwerwiegendere Probleme hatte. Eine gebrochene Hand bereitete Schmerzen, genau wie ein amputiertes Bein. Das eine machte das andere nicht weniger schmerzhaft. Und wer sagte eigentlich, dass manche Menschen mit einem amputierten Bein nicht vielleicht sogar besser zurechtgekommen wären als mit einer gebrochenen Hand?
»Vergiss es einfach«, murmelte ich und schmiss den Rest der Pappe auf einen Haufen. »Ich bekomme den Rest hier schon allein hin. Fahr ruhig nach Hause. Wir sehen uns morgen im Sportstudio.«
Creed zögerte einen Moment. Dann gab er sich schließlich geschlagen. »Klar. Wir sehen uns morgen, Kumpel.«
Erst als er ging und um die Ecke zur Treppe abbog, atmete ich aus und rieb mir mit den Händen über das Gesicht. Irgendetwas verschwieg Creed mir, und es hatte mit Carla zu tun. Wäre ich vernünftig gewesen, hätte ich es ignoriert und mir nichts daraus gemacht.
Aber ich war nicht vernünftig. Das war ja das verdammte Problem.