Das Blütenblatt schwebt auf den kalten Steinfußboden und landet auf dem Polster aus seinen Brüdern und Schwestern, die bereits hinabgefallen sind, als sich das Spiel dem Höhepunkt nähert. Das Ende wechselt mit jedem Blütenblatt. Sie liebt mich. Sie liebt mich nicht. Sie lebt. Sie stirbt.
Er hört sie oben im Bad umhergehen. Die Dielen knarren unter ihren Schritten. Es rumort in den Rohren und rauscht, als sie die Wasserhähne am Waschbecken aufdreht.
Sie denkt, dass es ein schöner Abend war. Dessen ist er sich sicher. Er hat ihnen zum Abendessen Filetsteak mit Kroketten, grünen Bohnen und Spargel gemacht. Dem Himmel sei Dank für die fertig vorbereiteten, idiotensicheren Gerichte von Marks & Spencer. Er hatte eine Flasche Châteauneuf-du-Pape geöffnet. Zwar würde er sich nicht als Weinkenner bezeichnen, aber die Flasche hat über 20 Pfund gekostet, also muss der Wein gut sein. Es ist mehr, als sie verdient, doch er will es richtig spielen.
Das Ziel ist Angst. Und die ist immer am besten, wenn sie überraschend kommt. In einem Moment, in dem seine Spielfigur entspannt ist. Glücklich. Hoffnungsvoll.
Das Gefühl, wenn seiner Beute klar wird, was läuft, ist unübertroffen. Wenn sie begreift, dass sie nicht unbesiegbar ist. Dass sie nicht so sicher ist, wie sie gedacht hat.
Doch es hängt alles von den Blütenblättern ab. Sobald er die Regeln festlegt, hält er sich an sie. Er zupft noch ein Blütenblatt ab, versucht, nicht zu raten, wie viele übrig sind. Geduld, denkt er. Das Warten macht den Moment umso süßer.
Oben knarzt ein Dielenbrett, und er sieht hinauf. Sie ist schon eine Weile weg, und er wird langsam nervös. Adrenalin pulsiert bereits in seinen Adern, macht ihn zappelig. Der Kampf-oder-Flucht-Reflex setzt ein. Er denkt, wenn die Blüten es verlangen, wird es diesmal einen Kampf geben. Sie kommt ihm wie eine Kämpferin vor.
Die Rohre verstummen, und obgleich er unsicher ist, wenn er richtig hinhorcht, glaubt er, er könnte sie reden hören. Das bringt ihn für einen Augenblick aus dem Konzept, bis er zu dem leeren Stuhl ihm gegenüber blickt. Die Handtasche, die sie über die Lehne gehängt hatte – die Tasche mit ihrem Handy. Nein. Nein, das soll sie nicht machen! Es verstößt gegen die Regeln. Wenn sie zusammen sind, erwartet er ihre ungeteilte Aufmerksamkeit. Das ist eine Frage des Anstands. Des Respekts.
Er umklammert den Rosenstängel fester, sodass sich die Dornen in seine Haut bohren. Es sind noch drei Blütenblätter dran. Er weiß, wie es ausgegangen wäre. Aber sie hat die Regeln gebrochen. Das hat sie sich selbst zuzuschreiben. Ihm bleibt keine Wahl.
Er steht auf und geht nach oben, wo er sich an der Tür des Badezimmers scheinheilig erkundigt, ob bei ihr alles in Ordnung ist. Sie sagt drinnen irgendwas Beruhigendes. Als er wieder unten ist, geht er zu dem Bücherregal mit dem Holzkästchen. Dort nimmt er eine Tablette heraus, bricht sie in der Mitte durch und schüttet das Pulver aus der kleinen Drageekapsel in ihr Glas mit dem teuren Wein. Er rührt mit dem Finger um, als er hört, wie die Badezimmertür geöffnet wird, gefolgt von ihren Schritten auf der Treppe. Und dann setzt er ein Lächeln auf.