Kapitel neununddreißig

Er

Donnerstag, 4 . November
18 Uhr

»Er hat geantwortet«, sagt Mark, worauf King und Bradley zu seinem Schreibtisch gelaufen kommen. Seine Hände zittern, als er wartet, dass die Seite lädt, und ihm tritt kalter Schweiß auf die Stirn. Wenn das hier nicht geklappt hat, weiß er nicht, was er als Nächstes tun soll, und es sind nur noch zwei Stunden, bis Doire live gehen will.

Seine Sicht ist verschwommen, als er zu lesen beginnt, und sein Herz pocht laut – so laut, dass er schwören könnte, jeder im Raum hörte es.

Ich habe mich schon gefragt, wann du angekrochen kommst. War ja klar, dass du trotz der Blockierung weiter zusiehst. Kann ich dir nicht verdenken – habe ich ja auch gemacht, nachdem du mich geblockt hattest.

Ich schätze, wir sind uns ähnlicher, als du am Anfang glauben wolltest.

Vielleicht ist dir jetzt klar, dass du nicht besser bist als ich. Du bist nicht in der Position, auf mich herabzusehen. Dein Name wird nicht mal ein Teil hiervon sein, wenn alles getan ist. Ich bin es, an den man sich erinnern wird, Alter. Going down in a blaze of glory, wie es in dem Song heißt.

Aber ich bin nicht nachtragend, und ich weiß deine Entschuldigung zu schätzen. Ich bewundere es, wenn Leute zugeben können, dass sie unrecht haben. Heute Abend wird der Hammer. Ich verstehe gut, warum du dabei sein willst, und ehrlich gesagt wäre es nicht schlecht, Verstärkung zu haben. Falls du das verkraftest.

Kannst du das? Kannst du verkraften, was passieren könnte? Denn wenn deine Komfortzone schon da endet, wo du dich an Frauen anschleichst und »Buh!« rufst, hast du hier nichts verloren. Das wird keine Scooby-Doo-Folge, sondern die Oberliga.

Und es wird dreckig. Die ganze Nummer. Aber das High? Du denkst bloß, du hast schon Angst gesehen, aber das hast du nicht. Nicht bis zu dem Moment, wenn die Hoffnung aus ihren Augen verschwindet. Das ist Angst. Das ist Macht. Das ist das beste verfickte High, das es gibt.

Aber dazu braucht es Eier – und ich bin mir nicht sicher, ob deine groß genug sind. Oder bist du einer von den Schwanzlutschern, die die Nerven verlieren und zu den Bullen rennen, wenn es ans Eingemachte geht? Wenn sie dich anfleht, aufzuhören, lässt du die Schlampe dann gewinnen?

Woher weiß ich, ob ich dir trauen kann? Das ist die große Frage, Kumpel. Ich kenne ja nicht mal deinen Namen.

Ich kann das nicht verkacken. Hast du die Zahlen gesehen? Und es sind noch zwei Stunden. Je mehr es sich verbreitet, desto höher gehen die. Ich muss bald los, also sag mir, ob du das verkraftest, wenn du bei etwas dabei sein willst, über das man noch jahrelang reden wird. Und wenn du mir versprichst, dass ich dir vertrauen kann – wenn du bereit bist, mir zu beweisen, dass ich dir trauen kann –, dann antworte hier. Ich will ein Bild, deinen Namen, deine Adresse. Foto- ID . Ich kann dir versichern, wenn du es in irgendeiner Weise gefährdest, vernichte ich dich. Denk ja nicht, das würde ich nicht tun.

Du hast fünf Minuten.

Marks erster Gedanke ist »Scheiße«. Wenn er diesem Irren seinen Namen, seine Adresse und ein Foto von sich gibt, ist die Chance recht groß, dass Doire mit einer kurzen Google-Suche herausfindet, wo Mark arbeitet. Dann wäre es vorbei, ehe es angefangen hat.

Hätte er mehr Zeit, würde er die Techniker bitten, einen Führerschein mittels Photoshop mit falschem Namen zu versehen. Und ihm eine plausible Identität zu verpassen. Aber es bleibt keine Zeit.

»Was mache ich jetzt?«, fragt er.

»Schicken Sie ihm ein Foto von sich«, antwortet Bradley. »Ich sehe keine andere Möglichkeit. Hoffen wir, dass Mark Black ein so häufiger Name ist, dass eine Internetsuche Sie nicht gleich als Polizisten enttarnt.«

»Gibt es irgendwelche Fotos von dir in der Presse?«, fragt King. »Welche, auf denen du als PSNI -Officer genannt wirst?«

Mark überlegt hektisch. Er glaubt es nicht. Etwas war da, aber er kommt nicht drauf, was. Er muss eine Ermessensentscheidung treffen. Die strikten Sicherheitsmaßnahmen bei der PSNI bedeuten, dass nur sehr wenige von ihnen öffentlich bekannt sind. Und es wissen nicht viele, was er beruflich macht. Sogar Leute, mit denen er zur Schule gegangen oder aufgewachsen ist, haben keine Ahnung, dass er Polizist ist. Nicht einmal in seiner Verwandtschaft wissen alle Bescheid. Mit diesem Job geht man nicht hausieren. Das wäre, als würde man sich eine Zielscheibe auf den Rücken heften. Manche der Uniformierten im Streifendienst dürften schon fotografiert worden sein, aber sie wohnen nicht in der Gegend, in der sie Dienst tun. Für die nordirische Polizei ist das Leben besonders kompliziert, aber sein geringer Bekanntheitsgrad könnte ihm hier helfen.

Bradley hat recht. Er muss das Risiko eingehen. »Gut«, sagt er und greift nach seiner Brieftasche, um seinen Führerschein hervorzuholen. »Das kann ich machen.«

»Ich will sämtliche Einheiten auf Abruf«, sagt Bradley. »Das ist ein Großeinsatz, und wir werden schnell und schlau sein müssen.«

Ein Schweißtropfen rinnt zwischen Marks Schulterblättern nach unten, als er ein Foto von seinem Führerschein macht, anschließend sein Jackett auszieht, die Krawatte abnimmt und sich das Haar verwuschelt, damit er weniger offiziell wirkt, bevor er ein Selfie schießt. Bei der ersten Aufnahme bemerkt er einige Papiere mit PSNI -Logo im Hintergrund, und er muss ein neues Foto machen, auf dem der Hintergrund so harmlos wie möglich aussieht.

Er lädt die Bilder hoch und schickt sie ab. Es ist still im Raum, und alle Augen sind auf Mark Black gerichtet, der wieder auf Antwort wartet. Erst danach können sie die Rettungsaktion einleiten. Solange Doire keine Verbindung zwischen Mark und der Ermittlung findet.

Jetzt fällt ihm wieder ein, was die letzten Minuten an ihm genagt hat, er aber nicht recht zu fassen bekommen konnte.

Es war ein Foto von ihm gemacht und mit seinem Namen auf die Website vom Chronicle gestellt worden. Für die war gestern ein unerfahrener Fotograf auf der Pressekonferenz gewesen – wie kann es sein, dass das erst gestern war? Ein Fotograf, der eindeutig null Ahnung von den Regeln für Angehörige der PSNI hatte.

Er hatte vorgehabt, Ingrid Devlin anzurufen und das Foto wieder entfernen zu lassen, aber dann war ihm die Zeit davongelaufen, und jetzt war es zu spät.

Als sein Handy aufleuchtet, wird ihm speiübel.

Die Nachricht ist simpel. Nur drei Wörter. Du bist drin.