Kapitel siebenundvierzig

Nell

Donnerstag, 4 . November

Ich öffne die Augen und sehe nach unten, als Eddie die Kette von meinem Knöchel losmacht und aufsteht. Sein Freund, dieser Mistkerl, der mich vor Wochen gefilmt hat, starrt mich jetzt an, als hätte er noch nie zuvor eine Frau gesehen. Seit dem Moment, als er hereingekommen ist, mustert er mich, schaut mich zu intensiv an und kommt mir zu nahe. Ich frage mich, ob er schon die ganze Zeit dabei ist. Hat Elzbieta ihn auch getroffen, als Eddie sie entführt hatte?

»Da ist mehr Bier in der Tüte. Auch Wein«, sagt Eddie. »Sei ein Schatz und schenk unserem Freund ein Bier ein. Oder möchtest du lieber Wein, Mark?«

»Wein wäre gut«, antwortet dieser große, linkische, furchtbare Mark, ohne seinen bohrenden Blick von mir abzuwenden.

»Du darfst auch ein Glas Wein trinken, wenn du willst«, sagt Eddie. »Ich habe Plastikbecher mitgebracht. Nur das Beste, nicht?« Er lacht, was ein bisschen angespannt klingt. Deshalb weiß ich, um dieses Spiel mitzuspielen, muss ich so reagieren, als wäre es der lustigste Witz aller Zeiten. Ich lache und sage, dass ich natürlich einschenke, während ich nur daran denken kann, dass ich frei bin. Mein Knöchel ist frei. Ich könnte weglaufen. Er hat die Tür nicht abgeschlossen, als er reingekommen ist. Wenn ich es an ihm, an den beiden vorbei schaffe und aus der Tür, kann ich vielleicht hier raus. Einfach weiterrennen. Mir ist egal, wie wund mein Knöchel ist. Ich würde über Glasscherben laufen, wenn es sein muss. Könnte ich nur an ihm vorbei und zu dieser verdammten Tür.

Als ich die Weinflasche aus der Tüte nehme, frage ich mich, ob ich sie einfach gegen die Wand schlagen und den abgebrochenen Hals als Waffe benutzen soll.

Aber die sind zu zweit, und ich bin allein. Noch dazu bin ich geschwächt und müde, und die beiden sehen aus, als hätten sie kein Problem damit, mich mit dem abgebrochenen Flaschenhals aufzuschlitzen.

Alles tut weh. Ich bin mir ziemlich sicher, dass er mir den Kiefer gebrochen hat. Mir ist schwindlig, und mein Kinn tut weh. Ich fühle, wie der Druck auf meine Augen stärker wird. Und ich wage es nicht, den Schaden abzutasten. Gegen die beiden habe ich keine Chance, wird mir erschütternd klar.

Vielleicht sollte ich mich selbst mit der Flasche aufschlitzen, denke ich. Ich könnte hier die Herrin meines eigenen Schicksals sein. Das kühle Glas der Flasche ist schwer in meinen Händen. Ich denke an all die Abende, an denen ich genau so einen Wein mit Clodagh öffnete, um mit ihr über Gott und die Welt zu reden, oder beim Sonntagsessen mit Mum und Dad ein Glas davon getrunken habe. Eine neue Welle der Trauer rollt über mich hinweg.

Meine Hände zittern, als ich den Deckel abdrehe und etwas von dem Wein in einen der Plastikbecher, die er mitgebracht hat, gieße, um ihn Mark zu reichen. Dabei streift meine Hand seine. Ich schenke noch etwas ein und führe den Becher zum Mund, wo der Wein an meiner aufgeplatzten Lippe brennt und ich mich bemühen muss, nicht das Gesicht zu verziehen.

»Slainte!«, sagt Eddie und hebt seine Bierflasche an. Ich halte meinen Becher in die Höhe und sage »Cheers«. Mark prostet mir stumm zu. Als ich meinen Becher auf den Tisch stelle, bemerke ich Schlüssel – Autoschlüssel –, die unter der Tüte hervorlugen. Sind das seine Schlüssel? Zu dem Wagen draußen? Könnte ich die als Waffe benutzen?

»Ich finde, wir sollten es hier wohnlicher machen, meinst du nicht?«, fragt Eddie und knallt mir die Hand auf die Schulter, dass ich zusammenzucke. »Es ist ein bisschen kalt. Wir sollten heizen.«

Er dreht mich zu sich um, weg von dem Drink und den Schlüsseln, und führt mich in die Mitte des Raums.

»Schade, dass wir nirgends ein offenes Feuer machen können«, fügt Eddie hinzu, bevor er erst mich ansieht, dann zu dem Handy. »Jedenfalls noch nicht!« Er zwinkert übertrieben zum Display, und ich fühle, wie der letzte Rest meiner Courage schwindet.

Meine Beine knicken ein, doch bevor ich umkippe, greifen Arme nach mir und ziehen mich wieder hoch. »Alles okay«, sagt Mark, und ich will ihn anschreien.

»Bist du komplett irre?«, will ich schreien. Doch ich bin mir ziemlich sicher, dass es gegen die Regeln wäre, und noch einen Tritt in den Bauch oder Schlag ins Gesicht halte ich nicht aus.

»Danke«, murmele ich und entwinde mich ihm. Seine Berührung macht mir eine Gänsehaut. »Soll ich den Gasofen anstellen?«, frage ich, wobei ich unsicher bin, ob es ein Regelverstoß ist oder nicht. Ich habe gesprochen, ehe es mir erlaubt wurde, weiß aber auch, dass ich mich »um den Haushalt« kümmern soll.

»Braves Mädchen«, sagt Eddie und setzt sich auf die Bettkante, seine Kamera noch auf ihn selbst gerichtet.

»Die Sache ist nämlich die – und das haben wir in diesen liberalen Zeiten mit dem Gerede von Gleichheit vergessen –, dass Frauen Routine brauchen. Sie brauchen eine klar definierte Rolle. Wenn wir als Männer ihnen keine Grenzen setzen, landen wir in dem Chaos, das wir jetzt haben. Genauso gut könnten wir den Frauen gleich Scheren geben, mit denen sie uns die Eier abschneiden. Es erfordert Mut, eine Frau in der Spur zu halten – sie daran zu erinnern, dass sie zum schwächeren Geschlecht gehört. Dass sie hier ist, um eine Nebenrolle zu spielen. Wir hatten diesen Scheiß nicht – entmannte und erniedrigte Männer –, als die Frauen noch ihren Platz kannten. Wir sind zu lasch geworden. Dafür müssen wir die Verantwortung übernehmen, aber ich sage euch, wir haben die Macht, die Dinge zu ändern. Stimmt’s nicht, Mark? Wir haben die Macht!« Eddie lacht und dreht die Kamera zu Mark, der die Daumen reckt, während ich mich vor den Gasofen hocke und mich nach Kräften bemühe, ihn zum Laufen zu bringen.

»Angst ist ein unheimlicher Motivator«, sagt Eddie. »Sie kann selbst die tollwütigste aller Schlampen gefügig machen. Wenn wir ihnen eine gesunde Dosis Angst verabreichen, haben wir Männer die Oberhand. Uns ist es seit jeher bestimmt, diese Macht zu haben, sie zu benutzen. Gott hat uns so geschaffen. Stärker in Körper und Geist. Das hat ER so gewollt.«

Jetzt, als ich vor dem Ofen hocke und ihm zuhöre, habe ich eine Idee. Wie ich die beiden außer Gefecht setze und mir eine winzige Chance eröffne, an ihnen vorbeizukommen.

Es ist riskant. Vielleicht entkomme ich nicht. Sollte Eddie herausfinden, was ich tue, werde ich es garantiert nicht. Aber ich will ihm beweisen, dass er doch nicht die Macht hat.

Hatte er nie und wird er nie.

Ich spiele an den Gasreglern, drehe sie so hoch auf, wie es geht, und murmele etwas, dass der Ofen nicht angeht. Aber ich drehe das Gas nicht wieder zurück oder aus, obwohl der ekelhafte Gestank schon über mich hinwegweht – der und der Schmerz in meinem Kopf machen mich schwindlig, und die Welt wird ein wenig verschwommen.

Eddie zetert noch in die Kamera, und ich tue so, als versuchte ich, den Ofen in Gang zu bringen, während ich hoffe, dass er nichts merkt. Ich zähle darauf, dass sein Ego ihn ablenkt, und kann nur beten, dass es so ist. Als ich mich umschaue, sieht Mark mich direkt an, doch falls er begriffen hat, was ich mache, behält er es für sich.

Ich wende mich wieder dem Ofen zu und mache mit meinen vorgetäuschten Versuchen, ihn einzuschalten, weiter. Der süßliche Butangeruch steigt mir in die Nase, und mir wird so übel, dass ich fürchte, mich übergeben zu müssen. Ich richte mich auf und trete schwankend zurück. Wieder blicke ich zu Mark, der mich seltsam ansieht. Er öffnet den Mund, und ich ahne, dass dies der Moment ist, in dem er mich verrät. Er weiß genau, was ich getan habe, und wird mir das nicht durchgehen lassen. Dieser Mann ist genau wie Eddie, geilt sich an Angst auf – er muss ekstatisch sein, weil er weiß, was kommt. Das ist ein zu großer Regelverstoß, als dass er nur mit einem Schlag bestraft würde.

Ich weigere mich, ihn anzuflehen, denn ich bin entschlossen, mutig zu sein. Ich werde mich nicht kleinmachen. Kein Mann bringt mich dazu.

Doch er sagt nichts. Stattdessen hebt er eine Hand an seinen Mund und bedeutet mir, still zu sein, während er mit der anderen Hand in seine Jacke greift. Da ist etwas in seinem Gesicht, das ich nicht deuten kann, aber er blickt zur Tür und den Schlüsseln auf dem Tisch. Kaum merklich nickt er mit dem Kopf dahin, als wollte er sagen: »Na los, das ist deine Chance. Lauf. Ich weiß, dass du die Schlüssel gesehen hast. Schnapp sie dir und lauf.«

Ich habe keine Ahnung, ob ich ihm trauen kann oder nicht. Eigentlich bin ich mir ziemlich sicher, dass ich es nicht sollte. Vielleicht will er, dass ich fliehe, damit er mir hinterherhetzen kann. Schließlich mag er die Jagd. Ich denke an jenen späten Abend und das Geräusch seiner Schritte hinter mir, die näher kamen. Und diese Typen mögen das Drama. Sie kreieren eine Show. Ich weiß nicht, mit wem Eddie am Telefon redet, aber mir ist klar, dass Leute zusehen. Sie beobachten, und keiner von ihnen hilft mir. Keiner kommt mich retten.

Mir läuft die Zeit davon und gehen die Optionen aus. Ich habe keine andere Wahl, als Mark zu vertrauen. Eine Alternative gibt es nicht. Und ich darf keine Zeit mehr vergeuden. Eddie ist immer noch in seine epische Verkündung männlicher Dominanz vertieft, abgelenkt von seinem Ego. Dann aber bricht er mitten im Satz ab, schnuppert, blickt zu mir und zu dem Ofen.

»Habe ich dir nicht gesagt, du sollst den anmachen?«, fragt er. Er steht auf, kommt auf mich zu, und mir wird klar, dass die Zeit abgelaufen ist.

»Ich konnte ihn nicht zum Brennen bekommen, tut mir leid«, sage ich mit gesenktem Kopf und warte auf einen Schlag, weiß allerdings nicht, aus welcher Richtung er kommen wird. Ich hätte wegrennen sollen. Einfach loslaufen und nicht mehr stehen bleiben.

»Blöde Schlampe«, murmelt er, doch zu meinem Schock und meiner Überraschung geht er an mir vorbei. »Bittet nie eine Frau, etwas zu tun, was ihr schneller und besser könnt«, schimpft er und hockt sich vor den Ofen.

Ich trete einen Schritt zurück und schaue kurz zu Mark, ob er reagiert. Seine Hand ist noch vorn an seiner Jacke, und wieder sieht er zur Tür, nun etwas unruhiger. Offenbar will er, dass ich gehe.

Also mache ich noch einen Schritt, dann wieder einen und nähere mich rückwärts der Tür. Den Schlüsseln. Der Freiheit. Zunächst langsam, weil ich nicht ganz glaube, dass ich es kann, und aus irgendeinem unlogischen Grund sorge ich mich, ich könnte alles nur schlimmer für mich machen. Wenn Eddie sieht, dass ich mich Richtung Tür bewege … Daran darf ich nicht denken. Ich mache einen weiteren Schritt; mein Herz schlägt schneller und lauter, je näher ich der Tür komme. Ich rechne damit, dass Mark etwas sagt – mich verrät. Oder sich auf mich stürzt.

Eddie greift zu dem Zündschalter am Ofen, und ich habe keine Ahnung, was für eine Explosion es geben wird, aber er muss nur lange genug die Orientierung verlieren, dass ich zur Tür komme und sie aufreißen kann. Ich hoffe, er verletzt sich. Er verdient allen Schmerz. Er verdient, dass seine sämtlichen Nervenenden kreischen. Ich bin fast da, als er sich tiefer bückt, und ich weiß, dies ist meine letzte Chance. Mir bleibt keine Zeit, zu Mark zu schauen. Oder nachzudenken. Ich muss raus.

»Scheiße, Mann!«, brüllt Eddie und zieht die Hand vom Ofen weg. »Hast du das verfluchte Gas aufgedreht gelassen? Willst du uns alle umbringen?« Ich bin beinahe an der Tür und erwarte, dass er mich zurückruft. Adrenalin rauscht durch meine Adern, und mein Herz hämmert so sehr, dass ich ihn kaum höre.

»Nein, ich schwöre es. Der hat schon länger ein Leck, das weißt du. Wahrscheinlich ist es das, was du riechst.«

Blitzschnell ist er aufgestanden und kommt auf mich zu. Ohne zu überlegen, stolpere ich rückwärts und greife zu den Schlüsseln hinter mir auf dem Tisch.

»Willst du mir erzählen, dass ich dumm bin, oder was?«, knurrt er. »Du bist die, die ihn nicht zum Laufen kriegt. Du nutzlose Schlampe!« Er kommt näher, und ich kann nirgends hin außer nach draußen.

Das Metall der Schlüssel ist kalt in meiner Hand, und ich packe sie fest, genieße das Gefühl der zackigen Kanten auf meiner Hand. Ich darf nicht stoppen.

Also bewege ich mich weiter, als er auf mich zukommt, die Augen vor Wut zu Schlitzen verengt. Ich sehe, dass Mark sich gleichfalls in meine Richtung bewegt. Hat er mich doch belogen? Beide sind gleich bei mir, und wenn sie mich erreichen, habe ich gar keine Chance mehr. Ich bin wund und geschwächt, aber das Adrenalin hält mich aufrecht, und ich werde es ihnen nicht leicht machen.

»Was zum Teufel machst du mit meinen Schlüsseln?«, faucht Eddie.

Schmutz und kleine Steinchen auf dem kalten Boden bohren sich in meine nackten Fußsohlen. Blut rinnt feucht und warm von meinem Knöchel. Ich atme ein, und meine Rippen tun weh. Mein Schädel pocht, und sie sind fast da, fast bei mir. Nur ein paar Schritte noch. Die Zeit beschleunigt und verlangsamt sich, und ich weiß nicht, ob dies die letzten Momente meines Lebens sind. Rasch drehe ich mich um und greife nach der Tür, die mich viel zu lange hier drinnen festgehalten hat. Der Zellentür.

Den Blick von den beiden abzuwenden ist furchtbar beängstigend, aber die Tür ist schwerer, als ich dachte, und ich muss all meine Kraft aufwenden, um sie aufzuziehen. Unwillkürlich schluchze ich, als sie hakt und meine müden, von Blutergüssen übersäten Arme bis an ihre Grenzen fordert. Jeden Moment könnte eine Hand auf meiner Schulter landen. Könnte ich eine Flasche auf meinem Kopf zerbersten fühlen oder ein Messer in meinem Rücken oder … oder …

Die Tür gibt nach, und ich kann nicht hinter mich schauen. Ich stolpere hindurch, in die Schwärze der Nacht und einen Flur, von dem ich mich nicht erinnere, ihn schon einmal gesehen zu haben.

Mir ist schwindlig, und ich torkele, stoße mit der Schulter an die Wand. Den Schmerz nehme ich kaum wahr. Mir bleibt keine Zeit. Ich höre Schritte, schweres Atmen. »Oh nein, das machst du verdammt noch mal nicht«, zischt Eddie, und ich spüre, dass er näher kommt, fühle die Wärme seines Körpers hinter mir. Oh Gott, ich will nicht, dass er mich jemals wieder anfasst! Der Wind pfeift hinter mir. Ich kann den Regen und die frische Luft fast riechen, und obwohl ich nicht sehen kann, wohin ich laufe, ahne ich, dass es der Weg nach draußen ist. »Bitte!«, flehe ich mich selbst, Gott oder irgendeine Macht, die mich hört, um Hilfe an. Ich darf nicht so weit kommen, um jetzt zu scheitern. Meine Augen passen sich an, und ich kann nun eine Türöffnung sehen, die nach draußen führt. Die Feuchtigkeit weht in den Rohbau, und ich glaube, ich habe es geschafft. Ich komme raus.

Dann jedoch, federleicht und zugleich rasiermesserscharf, fühle ich eine Hand, die meinen Rücken streift, und weiß, dass alles zu spät ist.

Vielleicht war es dumm von mir zu denken, ich hätte eine Chance.

»Verfluchte Schlampe«, höre ich Eddie schimpfen und spüre seinen Griff hinten an meinem Kleid. Seine Hand an meinem Rücken ist wie eine Verbrennung, und immer noch versuche ich zu laufen, wegzukommen. Aber sie sind zu zweit, und ich bin allein.

Ich stürze vorwärts, will verzweifelt nur noch einmal die frische Luft auf meiner Haut fühlen, doch plötzlich hat er mich losgelassen, und ich falle nach vorn, durch die Türöffnung, und schlage der Länge nach auf die kalte, nasse Erde.

Die Autoschlüssel fliegen mir aus der Hand, und ich krabble tastend weiter, um sie im Dunkeln zu finden. Ich habe keine Ahnung, was geschieht oder wo er ist. Alles, was ich weiß, ist, dass er nicht an meinem Kleid zieht, obwohl er mir nicht wie jemand vorkommt, der so schnell aufgibt. Ich darf nicht anhalten. Ich darf nicht versuchen, tief durchzuatmen, nachdem mir der Sturz den Atem geraubt hat. Keuchend, im nun nassen Kleid und mit aufgeschlagenen Knien versuche ich, Halt in dem glitschigen Schlamm zu finden. Meine nackten Füße rutschen auf dem Untergrund aus, die Kälte und die Nässe sind wie Essig auf den Schnitten an meinem Knöchel. Ich schluchze jetzt, und dann spüre ich das kühle Metall der Schlüssel unter meinen Händen und schaffe es, mich aufzurappeln.

Um mich herum ist es still, abgesehen von dem Wind und dem Regen, und ich schaue mich um. Ich sehe Eddies Wagen, kann aber weder ihn noch Mark entdecken. Wo sind sie? Verstecken sie sich und warten? Werden sie unter dem Auto hervorgekrochen kommen? Warten sie auf der Rückbank, bereit, mich zu erwürgen? Ich verliere die Kontrolle über meine Blase, als ich vor Furcht und Verwirrung erschaudere.

Meine Hand zittert, als ich den Knopf für die Zentralverriegelung drücke, bis die Blinker aufleuchten und die Türen aufgehen. Ich bin fast da, aber es ist nass und dunkel, und meine Hand ist glitschig von meinem Blut. Ich zittere so sehr, dass mir die Schlüssel wieder aus der Hand fallen.

Ich sinke auf die Knie und blicke abwechselnd zum Boden und dem Skelett von einem Haus. Ich höre Rufen und denke, dass es von drinnen kommt, aber das weiß ich nicht genau. Ich kann nicht mehr sagen, was real ist und was nicht. Mir bleibt keine Zeit, darüber nachzudenken. Ich taste im Matsch herum, finde die Schlüssel wieder und schluchze vor Erleichterung. Rasch richte ich mich auf, öffne die Fahrertür und steige ein. Ohne zu überlegen, ertaste ich das Zündschloss und schreie auf, als der Schlüssel hineingleitet.

Ich drehe ihn, und in dem Moment, in dem der Motor anspringt, sehe ich für einen winzigen Augenblick, wie der Nachthimmel das Haus erhellt, in dem ich eine Gefangene war. Mein Verstand versucht zu begreifen, was ich sehe, als sich ein tiefes Rumoren innerhalb eines Sekundenbruchteils zu einem ohrenbetäubenden Knall steigert, der sämtliche Knochen in meinem Körper zum Erbeben bringt und Körperzelle von Körperzelle trennt.

Die Hitze und der Lärm rollen in einer gigantischen Welle auf mich zu, sodass mein Kopf hart gegen die Kopfstütze knallt und mein Brustkorb eingedrückt wird, während ein Sprühregen aus Glassplittern auf mich zuschleudert, die sich in mein Gesicht, meine Hände und meine Arme bohren.

Ich war so nah dran. Fast hatte ich es geschafft. Der Schmerz ist so intensiv, so brutal, dass alles schwarz wird.