Anmerkung der Autorin

An dem Tag, an dem ich den ersten Entwurf dieses Romans an meine Lektorin schickte, wurde die Leiche der vermissten Marketingmanagerin Sarah Everard im Wald bei Ashford im englischen Kent entdeckt.

Die 33 -Jährige war im März 2021 entführt und ermordet worden, als sie von einer Freundin nach Hause lief.

Als dieser Roman in Druck ging, wartete Wayne Couzens, ein Police Officer, auf sein Urteil wegen des Mordes an ihr.

Sarah Everard war leider nicht die erste und wird auch nicht die letzte Frau gewesen sein, die nicht nach Hause kommt. Ihr Tod löste große Trauer und Wut aus, wirkte aber auch als Katalysator für Frauen, über all die Male zu sprechen, die sie sich bedroht oder unsicher fühlten, bloß weil sie Frauen sind. Frauen erzählten, wie oft sie ihre Schlüssel als Behelfswaffen in der Faust hielten. Wie ihnen nachgerufen oder nachgepfiffen wird. Über die Furcht, die wir als Frauen durchleben, wenn wir allein spätabends unterwegs sind.

Die institutionelle und systemische Misogynie ist real, und im März 2021 schien sie exponierter denn je.

Als Teil einer breiteren Diskussion rückte die wachsende Beliebtheit der Incel-Bewegung in den Blickpunkt. (Incel steht für »involuntarily celibate« – unfreiwillig zölibatär.)

Ich hörte vor ungefähr sieben Jahren zum ersten Mal von Incels, als Elliot Rodger 2014 in Kalifornien sechs Menschen tötete und vierzehn weitere verletzte, bevor er sich das Leben nahm. Rodger hatte sich selbst als Incel bezeichnet und war in den einschlägigen Foren aktiv gewesen. Er postete Videos auf YouTube, in denen er über seine Überzeugungen sprach, und hinterließ ein 137 Seiten starkes Manifest. Für viele in der Incel-Bewegung ist er ein Märtyrer und hat den Status eines Helden erlangt. Auf ihn und seine Taten beziehen sich Leute in Diskussionen und bei Attacken, und die Bewegung ist gewachsen. Letzteres, obwohl gegen die Diskussionsforen scharf vorgegangen wird.

Reddit hatte einst diverse Incel-Foren mit 41 .000 registrierten Nutzern. Diese Diskussionen wurden 2017 gesperrt, aber viele Beispiele oder Screenshots von archivierten Threads kann man mit einer guten Suchmaschine bis heute finden. Dafür sind lediglich ein starker Magen und eine Menge Geduld nötig.

Als ich für diesen Roman recherchierte, habe ich einige wahrlich entsetzliche Diskussionen gelesen. Doch es gibt auch eine Menge Beiträge von Männern, vor allem jungen Männern, die sich verloren fühlen in einer Welt, in der neu definiert wird, was es heißt, ein Mann zu sein.

Es ist unschwer zu erkennen, wie sich verletzliche und wütende Männer in diesen Foren wiederfinden und wie verfänglich die Incel-Philosophie sein kann.

Hier haben wir Männer, die sich als unattraktiv betrachten und sich beschimpfen, ihre Schwächen beschreiben und gleichzeitig extreme Wut zum Ausdruck bringen, weil sie von Frauen nicht zur Kenntnis genommen werden. Sie finden Leute, die ihren Frust verstehen und ihnen einen Raum bieten, in dem sie ihre Wut rauslassen dürfen.

Sie finden einen Ort, an dem Männer die »guten alten Zeiten« idealisieren – Zeiten, in denen die Rollen sehr klar definiert waren. Als Männer die Alleinverdiener waren, Frauen unterwürfig und oft von ihren Männern abhängig.

In der Incel-Gemeinde wird dem Feminismus die Schuld daran gegeben, dass den Männern ihr Wert geraubt worden sei. In diesen Gemeinschaften legen Männer ihre Idee für eine »fairere« Welt dar – glauben fest an ein biologisches Verlangen nach Sex und dass es sie entmenschlicht, wenn ihnen dieses absolute Grundrecht verweigert wird.

Im Rahmen meiner Recherche stieß ich auf Vorschläge wie den, dass Frauen, die mehrere Sexualpartner hatten, für den Sex mit Incels verfügbar gemacht werden sollten, weil sie eindeutig keine Moral hätten. Das Verstörendste, was ich gelesen habe, war ein Vorschlag, dass für hirntot erklärte Frauen einzig zu diesem Zweck künstlich am Leben gehalten werden sollten.

Vieles von dem, was mir vor die Augen gekommen ist, hat mich entsetzt. Mehrere der Usernamen, die ich in diesem Buch benutzt habe, sind echte aus diesen Foren. Sie zeigen, welches Frauenbild dort vorherrscht, und auch diese äußerst toxische Männlichkeit, die diese Kultur umgibt.

Die Incel-Bewegung ist für zahlreiche Massenmorde weltweit verantwortlich gemacht worden, deren Opferzahl sich bis August 2021 auf über sechzig summierte. Die letzte Tat, Stand Drucklegung dieses Buchs, ereignete sich im Juli 2021 , als Jake Davison (22 ), der sich selbst als Incel beschrieb, fünf Menschen im englischen Plymouth ermordete. Das war an dem Tag, an dem ich mit der letzten Überarbeitung dieses Romans begann.

Die Incel-Bewegung sollte uns allen Sorge bereiten. Und das nicht nur wegen der brutalen und gewaltverherrlichenden Natur der Rhetorik dort, sondern weil ich in den Jahren, seit ich auf sie aufmerksam wurde, beobachtet habe, wie sie exponentiell anwuchs.

Wegen des Mangels an öffentlich zugänglichem Online-Raum für die Incel-Ideologie haben sich die Diskussionen in die hintersten Winkel des Darknets verlagert, wo keine Moderation stattfindet und der Extremismus blüht und gedeiht.

Aber Incel-Überzeugungen finden auch ihren Weg in die Mainstream-Gesellschaft – wie an den Reaktionen in den sozialen Medien auf die Morde in Plymouth deutlich wurde.

Der Frauenhass wächst online täglich weiter. Vielen mir bekannten Frauen mit einem Twitter-Account sind schon Vergewaltigung, Mord und sogar die Vergewaltigung ihrer Kinder angedroht worden. Unerwünschte Dickpics – ein Akt der Aggression und Erniedrigung – sind für die meisten Frauen, die im Web unterwegs sind, Realität. Der Meinung eines Mannes zu widersprechen oder seine Avancen zurückzuweisen, führt oft zu einem Schwall misogyner Beschimpfungen. Solange Sex als Waffe gegen Frauen eingesetzt wird, kann es keine echte Gleichheit geben.

Dieses Buch wurde geschrieben, weil ich gesehen habe, wie allgegenwärtig diese Ideologie geworden ist und wie schnell sie sich ausbreiten kann. Außerdem wollte ich herausfinden, wie jemand von dieser sektenhaften Gemeinschaft indoktriniert wird, ohne es überhaupt zu merken. Wie süchtig es machen kann, wenn die eigenen Ängste und die eigene Wut bestätigt werden.

Ich fürchte, wir sind näher an einer Welt, in der Margaret Atwoods Gilead Realität werden könnte, als wir es je waren. Und davor sollten wir uns alle fürchten.

Claire Allan, August 2021