Das Ritz-Carlton ist das beste Haus am Potsdamer Platz, der graue Bau soll einen Hauch von Manhattan heraufbeschwören. Hat eigentlich nie funktioniert. Berliner meiden den Laden. Ich bin auch nicht oft hier gewesen. Nur dieses eine Mal, als ich mir die zwölftausend von Krasniqi geliehen habe. Als ich noch dachte, wir könnten eine Partnerschaft aufbauen, Geschäftsbeziehung. Jetzt komme ich wieder, um ihm das Geld zurückzuzahlen, damit diese ganze Sache ein Ende nimmt. Das Foyer ist angenehm kühl, links geht es hinunter ins Fragrances. Dort macht Krasniqi gern seine Geschäfte. Distinktion ist ihm wichtig. Am Eingang muss jeder Gast an den Flacons schnuppern. Du entscheidest dich für einen Duft, daraus macht der Barkeeper dann einen persönlichen Cocktail. Ich will keinen Cocktail, sondern bloß meine Schulden zahlen und wieder gehen. Die niedrigen Räume sind vollgestellt und von einem künstlichen Dämmerlicht nur schwach erhellt, sodass ich eine Weile brauche, bis ich Krasniqi entdecke.
Er sitzt in einer Ecke mit Ledersesseln und redet auf Marla ein. Sie hat ein elegantes, sandfarbenes Kleid an, die Beine unter sich angezogen in der Couchecke und zeigt keine Regung, als ich zu ihnen trete.
Krasniqi trägt ein Versace-Hemd wie Tuco Salamanca, kurze dunkle Stoffhose, Sonnenbrille auf seinem kurz geschorenen Schädel und bietet mir einen Platz neben sich an: »Setz dich.«
»Ich bringe das Geld«, sage ich. »Tut mir leid, dass es so lange gedauert hat.« Lege den Umschlag auf die schwarz schimmernde Tischplatte neben sein Smartphone. Zwölftausend Euro, mein Schweiß klebt dran, mein Herzblut.
»Na also«, sagt er. »Geht doch. Ich wusste, dass du zahlst. Doch was Zeitmanagement angeht, hast du eindeutig noch Luft nach oben. Hört man jedenfalls. Ich bin nicht deine Mutter, aber weißt du, die Leute reden. Sie reden, und das ist nicht gut für dich.«
»Was reden sie denn?«, frage ich.
»Das kann ich dir sagen«, sagt er und lächelt Marla an, ein eiliges Hasenzähnelächeln. Als ich ihn so lächeln sehe, will ich am liebsten wieder umdrehen und weggehen. Wer kann so eine Figur ernst nehmen? Doch ich denke an Zef und bleibe und höre Krasniqi dozieren: »In meinem Job ist Menschenkenntnis ein Schlüsselelement. Ohne Menschenkenntnis kann ich einpacken. Wie kannst du einen Menschen einschätzen? Indem du beobachtest, wie er performt. Oder du hörst dich um, wie die anderen über denjenigen reden. Leumund heißt das, oder? Du hattest einen guten Leumund auf der Potsdamer, Tom, kann ich dir sagen. Sonst hätte ich dir vor vier Wochen auch nicht angeboten, deine verschiedenen Zahlungsverpflichtungen zu bündeln. Das ist ein unternehmerisches Risiko, das ich eingehe. Bei dir wusste ich: Lohoff ist reliable, das Geld sehe ich wieder, die Zinsen kriege ich, du bedienst die anderen Gläubiger, eine Win-win-Situation.«
»Danke noch mal dafür«, sage ich. Krasniqi hebt die Hand, er ist noch nicht fertig.
»Das ist vorbei. Jetzt heißt es: Lohoff verkackt seine Termine. Lohoff zahlt seine Schulden nicht pünktlich zurück. Lohoff ist ein Loser, heißt es jetzt. Verliert seine Wetten. Verliert seine Freundin.«
»Der hatte nie eine Freundin, wenn du mich fragst«, sagt Marla. »Der steht eher auf Männer, hört man.«
Krasniqi lacht mit seinen Hasenzähnen, als habe sie einen guten Witz gemacht. Sein Smartphone klingelt, er sagt »Sorry«, steht auf und führt das Gespräch in einer stillen Ecke. Marla und ich sitzen uns gegenüber.
»Hört man von wem?«, frage ich.
»Zef sagt, ihr habt was zusammen. Du hast ihm einen geblasen, hat er gesagt. Hast dir richtig Mühe gegeben, hat er gesagt.«
»Das war nicht freiwillig«, sage ich. »Das war wegen der zwölftausend Euro.«
»Du gibst Zef für zwölftausend Euro einen Blowjob?«
»Nicht direkt«, sage ich.
Krasniqi kommt zurück, Marla schweigt. Er nimmt den Briefumschlag vom Tisch und steckt ihn ein, ohne die Scheine nachzuzählen.
»Dann will ich mal nicht päpstlicher sein als der Papst«, sagt er. »Wir sind quitt.«
»Okay«, sage ich und will aufstehen.
»Warte«, sagt er.
Der Barkeeper bringt uns drei Drinks und serviert sie mit übertriebener Demut. Krasniqi braucht das offenbar.
»Ich lade euch mal ein, wenn das okay ist«, sagt er. »Ich würde gern noch eine Geschäftsidee mit dir diskutieren, so Brainstorming-mäßig. Marla will ja bei uns tanzen.«
Sie verzieht keine Miene, rührt in ihrem Cocktail.
»Super«, sage ich. Eigentlich will ich wissen, ob sie okay ist, ob er ihr wehgetan hat. Wie ich sie da rausholen kann. Doch sie ist völlig unnahbar, und Krasniqi spielt den Visionär.
»Finde ich auch super«, sagt er. »Marla verkörpert einen neuen Frauentyp. Unverbraucht. Fresher Style. Ich mag die Frauen, die bei mir tanzen, aber als Betreiber eines Clubs muss ich wissen, wann es Zeit ist für einen Relaunch. Die Tabledance-Klamotten öden mich an. Nadelstreifen-Body im Büro-Style, Dienstmädchenkleid mit Schürze, Boxenluder-Kostüm, come on. Das ist so Ü30. Jetzt meine Vision: Wir geben den Gästen einen ganz neuen Mädchentyp. VSCO-Mädchen, nachhaltig, umweltbewusst. Da sehe ich Marla. Bisschen öko und engagiert, aber noch brav, Muschelketten, Freundschaftsarmbänder, Batik-Shirts, No-Make-up-Look, höchstens Lipgloss. Fjällräven-Rucksack.«
»Das ist doch nicht sexy«, sagt Marla. »So was tragen dreizehnjährige Strebermädchen am Freitagvormittag auf ihrer Fridays-for-Future-Demo. Lauter kleine Luisa Neubauers.«
»Genau«, sagt Krasniqi und nickt, schnippt begeistert mit den Fingern, er ist jetzt im Flow. »Unsere Kunden mögen Dreizehnjährige. Die denken sich natürlich, wie sieht die darunter aus, unter ihrer rigiden Öko-Schale, mal ohne Batik-Shirt. Du musst dich in die Kunden hineinversetzen können. Männer wollen so was wissen, das interessiert die. Und da kommst du ins Spiel, Marla. Lässt den Fjällräven-Rucksack lasziv von den Schultern gleiten, ziehst die Birkenstocksandalen aus, das kann ruhig ein bisschen tollpatschig wirken, eher ironisch, das verstehen die Männer schon. Hauptsache, du ziehst dich aus. Wir lassen Billie Eilish dazu laufen oder Cyndi Lauper, Girls just wanna have fun. Was hältst du davon?« Er steht auf und deutet ein paar Tanzschritte an, überraschend sexy, muss man ihm lassen.
»Großartige Idee«, sage ich. »Weg vom Schmuddelimage, hin zur Performance. Nicht nuttig, sondern arty.«
Marla zieht eine Schnute, arbeitet aber vernünftig mit. »Billie Eilish ist eher ein E-Girl, ständig online, immer müde, Halsbänder. Das neue Emo-Girl, aber nicht mehr so traurig, eher frustriert.«
»Exakt«, sagt Krasniqi. »Wie ein Remake der frühen Madonna mit ihren Netzstrümpfen, Kreuzketten, die ganze Lolita-Optik hat immer noch Potenzial. Weckt den Beschützerinstinkt und übt trotzdem eine intensive erotische Anziehung aus, besonders wenn sie sich dann provozierend langsam auszieht. Wir brauchen dafür jüngere Frauen, richtige Mädchen, ab fünfundzwanzig ist das nicht mehr glaubwürdig, das wirkt dann nur aufgesetzt und cringy.«
»Die Frauen in deinem Laden sind aber älter«, sagt Marla. »Die lachen dich doch aus, wenn du sie jetzt in Lolita-Kostüme steckst, Sommersprossen aufmalst, Rouge auf die Nasenspitze, als sei sie ausgerutscht.«
Krasniqi zieht heftig an seiner Zigarette und sagt: »Ich sag doch, ich will die Frauen da nach und nach austauschen. Die Regierung tauscht euch Deutsche doch auch aus. Ich habe diese Ü30-Frauen so satt, diese Bräunungscremegesichter, die gezupften Augenbrauen, die Sorgenfalten, weil sie ständig die Stirn runzeln, kapieren die WhatsApp-Nachricht nicht. Außerdem, was die an Klopapier verbrauchen in jeder Nacht, das ist unfassbar. Es ist wirklich unfassbar. Ich habe da sieben bis zehn Frauen sitzen am Abend, und wenn die Nacht vorbei ist, dann haben die ein Zwölferpack verbraucht. Ich schicke Gezim praktisch jeden Morgen los, damit er neues Klopapier kauft, nur für die Mädels. Die verstopfen die ganze Kanalisation der Potsdamer, ich warte nur darauf, dass mir der Laden von Amts wegen geschlossen wird, wegen unsachgemäßem Gebrauch der Kanalisation.«
»Was jetzt Klopapier angeht«, sagt Marla, »ehrlich, da sind junge Frauen auch gut dabei. In meiner WG war das Klopapier auch ständig alle. Frauen sind einfach reinlicher als Männer. Zu Hause mit meiner Mutter und meinen Schwestern, das war schon nicht mehr feierlich, was wir verbraucht haben. Aber wir haben auch Klopapier genommen, wenn wir geheult haben, und wir haben praktisch jeden Tag geheult, irgendwas war immer, blöde Männer, fiese Chefin, die Tage, der ganze Haushalt war nah am Wasser gebaut. Du glaubst nicht, wie wir im ersten Lockdown Klopapier gebunkert haben. Wir standen um halb acht vor dem Supermarkt.«
Krasniqi hört ihr nicht zu. »Nee, wir machen einen Relaunch. Damit sprechen wir auch ganz andere Kundenkreise an, nicht nur die Geschäftsleute und die Mittelstandstürken. Die kommen sowieso. Ich will mit dem Laden in den Eventbereich. Mehr so die Luxusschiene, dann kommt richtig Geld rüber. Wir geben den Kunden neue Mädchentypen. Soft-Girl hatten wir auch noch nie. So mit Haarspangen und Haarbändern und Halsketten und super oversized Klamotten, die sie noch kleiner und niedlicher machen. Piepsstimme dazu. Ich will ja auch, dass die an den Kunden rangehen, face to face, da kommt so ein gehauchtes Piepsstimmchen total gut, immer gut gelaunt und übertrieben begeistert, wie die japanischen Mangamädels. Männer finden Frauen, die sich unterordnen, irgendwie ansprechender.«
Sein Smartphone klingelt schon wieder, er nimmt noch rasch einen Schluck von seinem Cocktail und springt auf. »Ja, ich komme gleich, bin grad noch im Meeting.«
»Du passt mal bitte kurz auf sie auf«, sagt er zu mir. »Nicht dass sie mir abhandenkommt.« Er geht in einen stillen Winkel, klingt jetzt selbst unterwürfig, sagt immer nur Ja und Ja.
Marla sitzt mir gegenüber, schaut mich voll an. »Hol mich hier raus«, sagt sie. »Hier geht das nicht, weil Zef und Gezim irgendwo herumschleichen. Aber heute Nacht musst du mich rausholen. Keine Ahnung wie, mach es einfach.«
»Ja«, sage ich, »versprochen.«
»Nicht versprechen«, sagt sie. »Sondern machen.«
»Bist du sonst okay?«, frage ich.
Marla nickt. »Mir ist nichts passiert, weil ich nett war, mit ihm rede, genau das sage, was er hören will. Diese Relaunch-Idee ist von mir, damit haben wir die Nacht rumgebracht, er hat mich nicht angefasst. Ich habe geflüstert, bis er einfach eingeschlafen ist.«
Krasniqi kommt schon zurück, seine gute Laune ist verflogen. »So, Leute, jetzt aber Abflug. Ich habe noch einiges zu tun. Ich bring dich in den Laden, damit die Mädchen dir ein paar Schritte beibringen können, die Klamotten besorgen sie dir auch. Ich will das heute Abend genau so sehen, wie wir das eben besprochen haben.«
»Ja«, sagt Marla und erhebt sich gehorsam wie ein Mangamädchen.
Auch ich stehe auf, Krasniqi beachtet mich nicht weiter, er tippt hektisch eine Nachricht auf seinem Smartphone, flucht vor sich hin. Ich verlasse die Bar, gehe durchs Foyer und trete draußen auf dem Potsdamer Platz in das gleißende Sonnenlicht.