Einunddreissigstes Kapitel
Landos Bericht
Lando stand im Eingang von Uris Höhle, und nahm seine Gestalt wieder an. Er hoffte, dass die Ratssitzung noch nicht vorbei war, zu der auch er gerufen worden war. Angeschlagen richtete er sich auf und ging langsam den Gang entlang. Es war merkwürdig still. Hatte er die Ratssitzung verpasst? Als er die Höhle betrat, schreckte er regelrecht zusammen, als er Ludmilla und Uri am Feuer liegen sah. Wie friedlich sie da lagen. Beide sahen erschöpft aus.
Bevor Lando noch einen weiteren Gedanken fassen konnte, löste sich eine Gestalt aus dem hinteren Teil der Höhle.
»Lando!«, rief Ada freudig und eilte auf ihn zu.
Lando zögerte einen Augenblick und lächelte ihr verkrampft entgegen. Ada zog ihn in ihre Umarmung, welcher er sich nicht erwehren konnte.
Da richtete sich Uri auf. »Lando!«, sprach er mit heiserer Stimme. »Wie gut!« Er setzte sich auf und schob sich die Brille auf die Nase.
Lando lief mit großen Schritten auf das Feuer zu und sagte mit seiner tiefen, rauchigen Stimme: »›Wie gut‹ kann ich nur sagen. Ihr seid offensichtlich dem Schneegeist entkommen!«
Ludmillas Herz machte einen Satz, als sie seine Stimme hörte. Vorsichtig öffnete sie die Augen und hoffte, dass es kein Traum war. Und da stand er. Groß, schimmernd und mit funkelnden Augen.
»Was wolltest du mit ihr im Schneegebirge, Uri?«, fuhr er fordernd fort, wobei ein vorwurfsvoller Unterton mitschwang
.
Uri runzelte verwundert die Stirn: »Woher weißt du, dass ich mit Ludmilla im Schneegebirge war?«
Lando sah ihn düster an. »Ich weiß es, weil Zamir es weiß«, stellte er knapp fest und ließ sich auf einen der Strohballen fallen. Er schenkte Ludmilla ein kurzes, breites Lächeln, bevor er sich wieder Uri zuwandte.
»Was?«, platzte es aus Ada heraus, die Lando an die Feuerstelle gefolgt war.
»Die Späher beobachten für Zamir. Das haben wir uns ja schon gedacht. Aber
, wenn sie zu ihm kommen, kann er in sie hineinsehen und sieht, was sie gesehen haben.« Er stockte. »Oder so ähnlich. Ich weiß nicht genau, wie er es macht, aber er hockte sich zu dem Späher und sah ihm in das Auge. Das Auge des Spähers und Zamirs Augen schwollen an und glühten in derselben Farbe. Kurz darauf wusste er, dass ihr im Schneegebirge wart und ein Schneegeist euch einen Besuch abgestattet hat.«
Uri kniff die Augen zusammen. »Wir wussten schon immer, dass er in irgendeiner Form mit den Spähern kommuniziert. Nur nicht, wie. Dass er durch sie sieht
, ist eine wertvolle Information.« Er nickte Lando anerkennend zu. »Das ändert vieles.«
»Das ist aber noch nicht alles«, berichtete Lando atemlos. »Ganz davon abgesehen«, er sah Ludmilla besorgt an, »dass er jetzt weiß, wie Ludmilla aussieht. Nur ihren Namen scheint er noch nicht zu kennen.«
Ludmilla streckte ihren Rücken durch und wollte gerade anheben, etwas dazu zu sagen, da warf ihr Lando einen eindringlichen Blick zu und schüttelte fast unmerklich den Kopf. Ludmilla schluckte und schwieg.
»Ich habe Godal gesehen. Und er war nicht allein«, platzte es aus Lando heraus.
Uri zuckte bei dem Namen zusammen. Sein gesamter drahtiger Körper spannte sich.
Lando hob die Augenbrauen und gleichzeitig die Hand. »Hörst du, was ich sage, Uri? Er war nicht allein!
«
Uri schob den Kopf nach vorn, als hörte er nicht richtig: »Was meinst du damit? Rede schon, mach es nicht so spannend.«
Lando konnte sich ein kurzes Grinsen nicht verkneifen und Ludmilla hatte den Eindruck, als blinzelte er sie an. Aber sofort wurde er wieder ernst, todernst. Seine Gesichtsfarbe verdunkelte sich regelrecht, als er sprach: »Mit Godal kamen vier weitere Schatten zu Zamir. Er nannte sie ›meine mächtigen Schatten‹
.« Verächtlich ahmte er Zamirs hohe Stimme nach.
Uri warf ihm einen missbilligenden Blick zu, und Ada zischte ihn an: »Bleib sachlich, Lando. Wie hat er das gemeint?«
Lando sprang auf. »Was meinst du denn, wie er das gemeint hat?«, knurrte er. »Godal kam mit vier weiteren Schatten. Seit wann können sich Schatten eigenständig bewegen? Ich meine, außer Godal. Und ich habe keine Wesen gesehen, denen die Schatten gehörten. Diese Schatten sind wie Godal. Sie sind lebendig gewordene Schatten. Und wenn Zamir sie mächtig nennt, dann sind sie mächtig
.« Lando redete so schnell, dass er sich fast verhaspelte. Uri und Ada starrten ihn entgeistert an.
Aber Lando war noch nicht fertig. »Wie konnte das passieren, Uri? Wie konnte Zamir vier weitere Schatten erschaffen? Und das alles, ohne dass ihr etwas davon bemerkt habt? Ihr Spiegelwächter!«
Etwas Abfälliges lag in seiner Stimme. Er drehte sich geschmeidig zu Ludmilla und rief triumphierend: »Verstehst du das, Ludmilla? Godal ist nicht unser einziges Problem! Selbst wenn du Godal in deine Welt mitnimmst, gibt es vier weitere von diesen Schatten.«
Ludmilla konnte nicht glauben, was sie da hörte. Vier weitere Schatten? Was hatte Mina erzählt? Fünf Spiegelfamilien? Fünf Spiegel? Und jetzt insgesamt fünf mächtige Schatten? Aber sie behielt ihre Gedanken für sich. Zum ersten Mal hielt sie lieber den Mund und mischte sich nicht ein.
Uri lief so schnell im Kreis, dass er kaum mehr zu sehen war. »Das kann nicht sein!«, rief er aufgebracht aus. »Das kann einfach nicht sein! Bist du dir ganz sicher, Lando?
«
Lando funkelte ihn an. »Ich wünschte selbst, es wäre nicht so. Aber ich bin mir sicher. Ich habe sie mit eigenen Augen gesehen. Sie sahen fast so aus wie Godal. Nur ist Godal größer, und er hat diese mächtige Aura, die ihn umgibt. Das hatten die anderen vier nicht, aber sie vereinen sicherlich auch mehrere Kräfte in sich. Sonst wären sie nicht mächtig
, wie sich Zamir ausdrückte.«
»Vielleicht sagte es Zamir nur für dich. Vielleicht hat er dich bemerkt und dir ein Theater vorgespielt«, überlegte Ada.
Lando lachte höhnisch auf. »Ich saß als Späher in einem Baum, und er hat mich nicht
entdeckt. Das war kein Theater. Er dachte, er wäre allein. Allein mit seinen Spähern und kurz darauf allein mit Godal und seinen mächtigen Schatten. Sie sind mit ihm in die Höhle gegangen, und ich habe die Rückkehr angetreten. Godals Anwesenheit zu spüren ist schon eine Qual.«
Uris Augen verengten sich, er nahm seine Brille ab und fuhr sich mit der Hand über das Gesicht. Dabei legte er seine Stirn in unendlich viele Falten und schüttelte unentwegt den Kopf.
Lando ließ sich wieder auf einen der Strohballen fallen, dieses Mal direkt neben Ludmilla, und klemmte seinen Kopf zwischen die Knie.
Die Stille in der Höhle war unerträglich. Selbst Ada, die sonst keine Sekunde stillhalten konnte, war wie erstarrt.
»Es ist wichtiger denn je, dass du deine Aufgabe erfüllst und Godal zu seiner Herrin zurückbringst«, flüsterte Lando verschwörerisch, während er den Kopf leicht anhob und Ludmilla anblinzelte. Seine wässrig schimmernden Augen funkelten wild.
Ludmilla nickte unmerklich. Wieso flüsterte Lando? Uri befürwortete ihre Mission. Deshalb hatte er sie überhaupt nach Eldrid gerufen.
»Ich weiß, was du denkst«, brummte Lando kaum hörbar.
Ludmilla sah ihn fragend an.
»Diese Spiegelwächter! Und der Rat!«, zischte er. »Sie brauchen für alles eine Ewigkeit! Nur haben wir diese Ewigkeit nicht. Wir müssen handeln, und zwar schnell.
«
Noch bevor sie sich weiter austauschen konnten, hörten sie Uri vor sich hin murmeln. Er lief dabei wieder hektisch im Kreis. »Und schon wieder sind es die Menschen, die uns in diese Schwierigkeiten bringen. Das ist genau das, was Kelby und Arden hören wollen. Menschen. Und wieder Menschen.«
Ada sprang auf. Ihre Fäuste waren geballt. »Was willst du damit sagen?«, stieß sie wütend hervor.
Uri funkelte sie an. Ein goldener Sprühregen ergoss sich auf den Höhlenboden. »Was wohl, liebe Ada?«, zischte er feindselig. »Überleg doch mal!«
Ada zuckte mit den Schultern. »Was?«, blaffte sie.
»Neben den Spiegelwächtern können nur Menschen mehrere Fähigkeiten in sich vereinen. Und wie erwerben Menschen Mächte in Eldrid?«, polterte er. »Sie bekommen sie verliehen, von Spiegelwächtern oder von mächtigen Magiern. Aber davon gibt es in Eldrid nicht viele, und kaum einer unter ihnen würde einem Menschen eine Macht verleihen. Also müssen wir davon ausgehen, dass Zamir noch mehr Menschen dazu gebracht hat, Fähigkeiten auszuleihen.
« Das Wort spuckte er regelrecht aus, so dass Ludmilla zusammenzuckte.
Ada sah Uri versteinert an. »Jetzt kommt endlich die Wahrheit ans Licht!«, schrie sie. »Endlich bekennst auch du dich zu deinem Hass!«
Uri warf ihr einen Blick zu, der einem Schwerthieb glich. »Er hat es genauso gemacht wie bei euch. Erst hat er sie dazu gebracht, sich Fähigkeiten von anderen Wesen anzueignen, und als sie mächtig genug waren, hat er ihnen ihre Schatten gestohlen«, mutmaßte er hitzig. »Doch müssen das Mitglieder der Taranee-Familie gewesen sein, die durch seinen Spiegel gekommen sind. Und da die Scathan-Familie noch nie sehr eng mit der Taranee-Familie befreundet war, würde das dann auch erklären, dass wir davon nichts erfahren haben. Ihr wart vielleicht nicht die Ersten, mit denen er dieses Spiel getrieben hat, Ada.«
Ada funkelte ihn an. »Das wäre mir neu, und wir waren zu
dieser Zeit sehr eng mit Zamir verbunden. Er hat uns vertraut!«, fauchte sie zurück.
Uri entfuhr ein verächtliches Lachen. »Vertraut? Eng?« Sein Gesicht war vor Wut verzerrt. »Es war ein Spiel, Ada. Er hat euch benutzt. Wie kannst du nach all den Jahren und nach allem, was passiert ist, immer noch glauben, dass seine Freundschaft echt war?«
Adas Augen verengten sich, sie hob an, etwas zu sagen, schüttelte dann aber nur genervt den Kopf. »Es gab keine Geschichten über Menschen, die Mächte und Schatten geklaut haben, außer über uns!«, fuhr sie Uri scharf an.
»Was nicht heißt, dass es die Menschen nicht gab. Vielleicht hat er es nur geschickter angestellt!«, zischte er zurück.
Lando beobachtete die Szene mit einem Lächeln der Genugtuung auf den Lippen. »Das war schon immer das Problem zwischen den beiden«, flüsterte er Ludmilla zu, während er sich leicht zu ihr beugte. »Uri kann nicht zugeben, dass er sich selbst die Schuld dafür gibt, dass Zamir so viel an Macht gewonnen hat und dass es Godal überhaupt gibt. Dass es jetzt noch mehr von solchen lebendigen Schatten gibt, das ist zu viel für ihn.«
Ludmilla sah ihn erstaunt an. »Das glaube ich nicht«, wisperte sie zurück. »Ich weiß, wie stark er ist. Ich habe seine Stärke gespürt.« Sie verstummte bei dem Blick, den Lando ihr zuwarf.
»Was heißt, du hast seine Stärke gespürt?«, platzte es aus ihm heraus.
Uri und Ada starrten ihn verständnislos an.
»Ich habe ihm geholfen, als Zamir ihn angegriffen hat«, versuchte Ludmilla sich zu verteidigen.
»Welcher Angriff?«, polterte Lando. »Und wie konnte Ludmilla dir dabei helfen?«
Uri seufzte tief.
»Ja, Uri, welcher Angriff? Davon hast du bei der Ratssitzung gar nichts erwähnt«, ereiferte sich nun auch Ada.
»Das ist doch jetzt gar nicht das Thema«, wiegelte Uri energisch ab
.
»Und ob das ein Thema ist«, knurrte Lando ihn an. »Ludmilla?« Er sah sie auffordernd an.
Ludmilla wiederum sah Uri fragend an. Sie wollte ihm nicht in den Rücken fallen, aber Lando knuffte sie in die Seite. »Nun sag schon!«
»Ich kam in dem Schneegebirge nicht schnell genug voran, und wir mussten vor den Schneegeistern fliehen, also hat Uri mir eine Macht verliehen«, erklärte sie leise. »Als er dann von Zamir mental attackiert wurde – irgendwie konnte Zamir erahnen, dass Uri geschwächt war –, da habe ich meine Macht darauf konzentriert, Uri zu stärken. Und ich konnte ihn stärken. Es war, als hätten sich unsere Mächte gebündelt. Dagegen hatte Zamir keine Chance.«
Lando entfuhr ein ungläubiges »Ha!«. Er sprang wie von einem Seil in die Luft gezogen auf und fing an, hektisch umherzulaufen.
Uri hob die Schultern. »Ich weiß selbst nicht, wie sie das gemacht hat«, versuchte er zaghaft, sich zu erklären. »Deshalb habe ich auch nichts davon dem Rat erzählt. Ich wollte selbst erst einmal herausfinden, was es damit auf sich hat.«
»Wir wissen beide, dass sie das eigentlich nicht kann. Auch nicht mit einer Macht. Hat sie sich das nur eingebildet? Aber wie konnte sie dann deine Macht und Stärke spüren?« Lando bliebt direkt vor Uri stehen und beugte sich so weit über ihn, dass sich ihre Nasenspitzen fast berührten.
Uri hielt Landos Blick stand, straffte seinen Körper noch etwas und schüttelte nur hilflos den Kopf. »Ich habe keine Ahnung, Lando. Ich kann mir das selbst nicht erklären. Und schau dir ihren Schatten an. Eneas hat recht. Dieser Schatten hat etwas an sich … das gefällt mir ganz und gar nicht.«
»Was hat Eneas damit zu tun?«, fragte Lando verwirrt, während er Ludmillas Schatten fixierte.
Ludmilla hatte ein schreckliches Gefühl im Bauch und wagte es kaum, ihren Schatten anzusehen. Ein kurzer Seitenblick hatte gereicht, um seine glühenden Augen zu erkennen, die auf den Wesen von Eldrid hafteten. Dabei lief ihr ein eiskalter Schauer
den Rücken hinunter. Wie sehr wünschte sich Ludmilla in diesem Moment, dass ihr Schatten ein »Guter« wäre. Sie kam sich dabei extrem kindisch vor, aber im Grunde wünschte sie sich nichts mehr, als dass alles gut ausgehen würde.
Sie zuckte zusammen, als sie Landos Stimme neben sich vernahm.
»Das Blatt wendet sich. Hier passiert etwas«, stammelte Lando wie von Sinnen. »Wie konntest du ihr nur eine Macht verleihen, Uri?«, murmelte er mehr zu sich selbst. Dann warf er Uri einen funkensprühenden Blick zu. »Wie konntest du nur!«, schrie er außer sich. »Du hast sie damit in Gefahr gebracht! Und ich … wie konnte ich ihn nicht sofort sehen …? Ich hätte ihn sofort erkennen müssen …«
Lando gestikulierte wild in die Richtung, in der Ludmillas Schatten lag. Ludmilla sah ihn verständnislos an.
»Na, deinen Schatten, Ludmilla!«, rief er erzürnt. »Ich hätte deinen Schatten sofort erkennen müssen!«
Ludmilla zuckte zurück und warf ihrem Schatten einen Blick zu. Er starrte sie mit rot glühenden Augen an. Ludmilla schluckte hart. Ein Kloß bildete sich in ihrer Brust. »Und was ist mit den anderen mächtigen Schatten?«, fragte sie mit belegter Stimme. Sie wollte unbedingt das Thema von ihrem Schatten lenken. »Wie werden wir die los?«
»Tja, Ludmilla, eine sehr gute Frage«, erwiderte Lando schwer atmend. Immer wieder fixierte er ihren Schatten. Drohend hob er den Zeigefinger und fuchtelte vor dem Schatten damit herum. »Dass du ja bei ihr bleibst, hörst du mich? Du wirst dich nicht abwenden, dich nicht stehlen lassen. Verstanden?«
Und ohne dass Ludmilla etwas tat, nickte ihr Schatten. Ludmilla wurde es schlecht. Ihr Schatten lebte tatsächlich. Sie schüttelte sich.
»Noch mal!« Ihre Stimme wurde schrill. »Die anderen Schatten!«, forderte sie.
»Wir müssen die Menschen finden, deren Schatten das sind«, versuchte Lando zu erklären
.
»Es könnten auch Schatten von Magiern sein«, unterbrach ihn Ada. »Auch Magier können mehrere Fähigkeiten auf sich vereinen und haben mächtige Schatten.«
»Ja, aber es gibt nur einen Zauberer, der seinen Schatten verloren hat, und dessen Schatten hat Godal persönlich ausgesogen und dann an den Himmel geschickt, das wissen wir!«, blaffte Uri sie ungeduldig an.
Ada schnitt eine Grimasse, und Ludmilla hatte fast den Eindruck, als würde sie ihm die Zunge rausstrecken wollen. Sie wandte sich beleidigt ab.
»Nun hört auf, euch zu streiten!«, herrschte Lando die beiden an. »Das ist ja schlimm, mal wieder«, betonte er langgezogen. »Wir haben ein wahres Problem. Überlegt doch mal: vier weitere mächtige Schatten. Wie sollen wir herausfinden, wem sie gehören? Das schaffen wir nur, indem wir Zamir schwächen. Also müssen wir als Erstes Godal loswerden.« Funken sprangen von seinen Wangen, während er sprach.
Vier weitere Schatten, dachte Ludmilla wieder. Das sind fünf mächtige Schatten und fünf Spiegel. Ist das ein Zufall? Doch bevor sie ihre Gedanken laut aussprechen konnte, wechselte Lando das Thema.
»Wie hat der Rat entschieden? Wie gehen wir weiter vor?« Sein Atem wurde ruhiger, und er setzte sich zögerlich wieder auf einen Strohballen.
»Lando, du hast einiges verpasst«, sprach Uri nun mit beherrschter Stimme und setzte sich ebenfalls ans Feuer. Er atmete betont lange ein und aus und sagte dann: »Leider gibt es ein paar Details aus Fluar, die du noch nicht kennst, und die Ratssitzung hat einen Beschluss gefasst.«
»Details aus Fluar? Und das sagst du erst jetzt? Und was für einen Beschluss?« Lando sah sich ungläubig in der Höhle um. »Wie hast du es geschafft, eine Ratssitzung innerhalb von einem Tag zu beenden? Ich dachte, ich hätte noch genug Zeit und würde trotzdem nicht zu spät kommen.
«
Ludmilla entfuhr ein Kichern.
Uri lächelte müde. »Es gab einige interessante Entwicklungen, die die Mitglieder zu einer schnelleren Entscheidung bewegt haben.«
Er nickte Ada kurz zu, und Ada fasste erneut ihre Erlebnisse in Fluar zusammen.
Lando konnte sich kaum auf seinem Platz halten. Immer wieder lösten sich Funken von seinen kurzen braunen Haaren. Dabei murmelte er unentwegt: »Was soll das? Wie gehen wir damit um? Dafür finden wir auch eine Lösung.«
Uri lächelte ihn milde an. »Du hast recht. Es gibt immer einen Weg. Ich denke, dass wir uns zurzeit auf Godal konzentrieren müssen. Wenn wir ihn nicht finden, können wir ihn auch nicht zu Ludmilla locken.«
»Und was ist mit den Berggeistern? Und den Schneegeistern?«, fragte Lando ungeduldig. »Kümmert sich Bodan wirklich darum? Können wir sicher sein, dass er das im Griff hat?«
»Wir wissen nicht, was Bodan treibt oder was er bisher erreicht hat. Wir wissen auch nicht, ob die Berggeister und die Schneegeister eine Allianz eingegangen sind. Vielleicht versuchen beide nur ihr Territorium zu erweitern«, versuchte Ada zu erklären.
Lando schnaubte verächtlich. »Also könnte es auch im Krieg zwischen den beiden Geisterwelten enden. Dann bekriegen sich die mächtigsten Wesen im Norden unserer Welt. Fluar ist unbewohnbar, die Städter verschwunden. Und die Schatten, die Zamir unterstützen, sind für uns nicht erreichbar, weil wir zu unwissend sind, um sie zu finden.« Lando machte eine kurze Pause. Gerade als Uri etwas einwerfen wollte, fuhr er fort: »Und was heißt überhaupt: Sie erweitern ihr Territorium? Die Berggeister haben schon immer in Odil gelebt. Das ist ihr Gebiet. Wo wollen sie denn hin? Außerhalb des Gebirges ist nicht ihr Lebensraum. Und wenn es so ist, sollen wir das etwa akzeptieren, nur weil wir sie nicht kennen und weil wir sie fürchten?«
»Nein«, warf Uri ein. »Wir müssen es vorerst akzeptieren, weil
wir nicht so mächtig wie die Berggeister sind. Und weil wir ihr Verhalten nicht einschätzen können.«
»Aber sie haben uns den Krieg erklärt. Sie haben die Städter vertrieben. Müssen wir da nicht kämpfen?«, unterbrach ihn Lando erneut.
»Sie haben uns nicht den Krieg erklärt. Und wir kämpfen nicht.« Amira sprach mit lauter fester Stimme. Sie löste sich aus dem Schatten des Eingangs der Höhle.
Uri fuhr erstaunt herum. »Amira!«
Aber Amira beachtete ihn nicht. Ihre Augen hafteten auf Lando. »Wir verhandeln. Es wird keinen Krieg geben. Das haben wir uns geschworen. Alle Völker, die hier in Eldrid leben, haben einen Pakt geschlossen. Wir werden keinen Krieg führen. Nicht gegeneinander und nicht untereinander. Jede Wesensart hat seinen Platz in Eldrid und sein Gebiet. Es gibt KEINEN KRIEG.« Amiras dunkle Stimme hallte durch die Höhle. Ihre Augen leuchteten bedrohlich.
Lando ließ sich davon nicht beeindrucken. Er trat ganz nah an sie heran, und seine Augen nahmen eine dunkelrote Farbe an. »Aber offensichtlich können sich die Berggeister daran nicht erinnern!«, fuhr er sie an. »Und mit Zamir befinden wir uns schon längst im Krieg. Schon vergessen, Amira?«
Uri ging dazwischen. »Das führt zu nichts!«, herrschte er die beiden so heftig an, dass sie verstummten.
»Wir brauchen mehr Informationen«, fuhr er energisch fort. »Ich werde Bodan zurückrufen. Er hatte genug Zeit, um sich ein Bild von der Lage in Fluar zu machen. Wir benötigen seinen Bericht. Sicherlich kann er die Delegation, die sich gerade auf dem Weg nach Fluar befindet, unterstützen. Von höchster Priorität ist aber Ludmillas Aufgabe. Wir müssen einen Weg finden, Godal ausfindig zu machen. Außerdem müssen wir den Magier erreichen, der uns dabei helfen soll. Da er sich in Ilios aufhält, wird es nicht so leicht werden, ihn hierherzubringen.«
Uri blickte düster in die Runde. »Viel Zeit haben wir nicht. Ich
denke, es wäre am sinnvollsten, wenn du, Lando, nach Ilios fliegen würdest. Du bist in Form eines großen Vogels am schnellsten dort. Eine gedankliche Diskussion mit dem Magier hat keinen Sinn. Ich hätte gern persönlich mit ihm gesprochen, aber so musst du das für mich übernehmen. Du musst ihn überzeugen, hierherzukommen.« Er sah Lando eindringlich ein.
Lando nickte zustimmend. Keine Überheblichkeit sprach aus seinem Gesicht.
»Und wir können die Zeit nutzen und mit der Suche nach Godal beginnen«, sagte Ludmilla leise. Sie wollte nicht untätig herumsitzen und auf ihren Einsatz warten. »Schließlich kann ich jetzt mit meiner neuen Fähigkeit mit euch mithalten.« Dabei grinste sie frech.
»Wir können uns nicht einfach auf die Suche nach Godal machen«, warf Uri düster ein. »Der dunkle Teil von Eldrid, Fenris, ist sehr gefährlich. Das muss gut überlegt sein.«
Aus den Augenwinkeln beobachtete Ludmilla, wie Lando genervt die Augen verdrehte.
»Ich schon«, sprach Amira leise und bedacht. »Aber es ist gefährlich. Ich weiß nicht, wie lange es noch dauern wird, bis Zamir von unserer Allianz erfahren wird, und dann werden meine Schwestern und ich den dunklen Teil des Waldes und den Rest seiner Welt nicht mehr betreten dürfen. Wenn ich nach Godal suchen soll, dann muss es schnell gehen.« Sie sah Uri fragend an.
Hexen wie Amira lebten sowohl im dunklen als auch im hellen Teil des Waldes. Sie bezeichneten sich selbst als neutral. In Zamirs Fall hatten sie sich aber dazu entschlossen, sich Uri und den anderen Wesen des Lichts anzuschließen.
»Haben wir eine Wahl?«, fragte Uri kurz. Keiner antwortete. »Dann solltest du dich sofort auf den Weg machen, Amira. Ich danke dir! Verliere bitte keine Zeit.«
Amira stand auf. »Ich werde versuchen, so schnell wie möglich wieder hier zu sein.« Mit diesen Worten wandte sie sich dem Ausgang der Höhle zu und war verschwunden
.
Lando sah ihr mit zusammengekniffenen Augen nach. »Auch ich bin so schnell wie möglich zurück.« Mit diesen Worten verließ er eiligen Schrittes die Höhle.